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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 17.11.2009
Aktenzeichen: 7 ME 116/09
Rechtsgebiete: GewO, VwGO


Vorschriften:

GewO § 70
VwGO § 65
1. Will ein nicht berücksichtigter Bewerber um eine Marktzulassung den einem Mitbewerber zugesprochenen Standplatz erstreiten ("Konkurrentenverdrängungsklage"), muss er - neben dem Verpflichtungsantrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren - regelmäßig eine Anfechtungsklage erheben, weil sein Begehren sonst mangels verfügbarer Kapazität keinen Erfolg haben kann.

2. Ein allein auf Neubescheidung gerichteter Rechtsschutzantrag gewährt keinen gleichwertigen Rechtsschutz. Hierauf kann der erfolglose Bewerber sich nur beschränken, wenn er darauf vertrauen will, dass die Behörde im Erfolgsfall die zuvor gegenüber dem Konkurrenten getroffene positive Zulassungsentscheidung von Amts wegen rückgängig macht.

3. Bei Marktzulassungsstreitigkeiten sind in der Situation der "Konkurrentenverdrängungsklage" die Mitbewerber notwendig beizuladen.

4. Wird die Ermessensbetätigung durch Vergaberichtlinien vorstrukturiert, ist es tunlich, dass das Verwaltungsgericht sich - auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren - nicht auf einen Bescheidungsausspruch beschränkt.

5. Zu einer den Grundrechtsschutz sichernden Verfahrensgestaltung gehört, dass behördliche Vergaberichtlinien transparent sind und den Bewerbern so rechtzeitig bekannt gegeben werden, dass sie sich darauf einstellen können.


Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem es den Antrag, "... die Bewerbung ... mit seinem "Kinderkarussell, Durchmesser 10 m" auf Teilnahme am Hamelner Weihnachtsmarkt 2009 bis zu einem vom Gericht festzusetzenden Zeitpunkt unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts im Wege der einstweiligen Anordnung neu zu bescheiden", abgelehnt hat, hat keinen Erfolg.

1. Nach § 70 GewO hat jedermann einen Anspruch auf Teilnahme an einer festgesetzten Marktveranstaltung. Bei begrenzter Kapazität wandelt sich dieser Zulassungsanspruch allerdings in einen Anspruch auf (bloße) Teilhabe im Verfahren um die Vergabe der vorhandenen Plätze (Art. 12, 3 Abs. 1 GG). Die Vergabeentscheidung der Behörde vollzieht sich regelmäßig auf drei Stufen: Auf einer ersten Stufe wird die Kapazität ermittelt oder festgelegt, auf der zweiten Stufe werden die Bewerber ausgewählt, die zugelassen werden sollen, und auf einer dritten Stufe erfolgt die Umsetzung der Auswahlentscheidung durch Einzelakte, im Fall der Marktzulassung durch positive Zulassungsverfügung oder negativen Versagungsbescheid gegenüber dem jeweiligen Bewerber (Rennert, Konkurrentenklage bei begrenztem Kontingent, DVBl. 2009, 1333, 1334). Aus dieser Stufung ergeben sich Folgerungen für den Rechtsschutz nicht berücksichtigter Bewerber, wenn dieser erst gegenüber den - allein Außenwirkung entfaltenden - Umsetzungsakten geltend gemacht wird.

a. Durch den Erlass der (positiven) Zulassungsbescheide an die berücksichtigten Bewerber wird (unter der regelmäßigen Voraussetzung der vollständigen Vergabe der vorhandenen Plätze) die Kapazität erschöpft. Will ein nicht berücksichtigter Bewerber um eine Marktzulassung den einem Mitbewerber zugesprochenen Standplatz erstreiten - erstrebt er also seine Zulassung "innerhalb der festgelegten Kapazität" unter Verdrängung eines bei der Vergabe berücksichtigten Konkurrenten ("Konkurrentenverdrängungsklage"; Rennert, aaO, S. 1333) -, muss er daher neben dem Verpflichtungsantrag grundsätzlich Anfechtungsklage erheben, um die dem begünstigten Konkurrenten erteilte Zulassung für eine erneute Auswahlentscheidung wieder verfügbar zu machen (ebenso BayVGH, Urt. v. 22.07.1982 - 22 B 81 A.2506 -, NJW 1984, 680, 681 "Rezeptsammelstelle"). Unterlässt der abgelehnte Bewerber dies, kann sein Begehren auf Marktzulassung schon mangels verfügbarer Kapazität regelmäßig keinen Erfolg haben, weil mit der Vergabe des Kontingents der materielle Teilhabeanspruch erlischt. Ihn trifft daher insoweit eine Anfechtungslast. Ein ohne gleichzeitige Erhebung einer (Dritt-) Anfechtungsklage formulierter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung geht "ins Leere", wenn keine freie Kapazität (mehr) vorhanden ist, die der Behörde seine Zulassung zu der Veranstaltung ermöglichen würde. Ein (alleiniger) Verpflichtungsantrag kommt nur dann in Betracht, wenn der Bewerber die Marktzulassung - etwa bei nicht ausgeschöpfter Kapazität - ohne Verdrängung eines zugelassenen Mitbewerbers erstrebt.

b. Auf einen bloßen "Neubescheidungsantrag" - wie hier - über seine (abgelehnte) Bewerbung kann der nicht berücksichtigte Bewerber sich nur dann beschränken, wenn er darauf vertrauen will, dass die Behörde sich aufgrund der gerichtlichen Entscheidung über sein Rechtsschutzbegehren - von Amts wegen - entscheidet, die Auswahlentscheidung(en) über die Zulassung der Marktteilnehmer zu überprüfen und die - abgeschlossenen - Verwaltungsverfahren der Mitbewerber nach §§ 48, 49 VwVfG mit dem Ziel einer Aufhebung der (positiven) Zulassungsakte wieder aufzugreifen (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.10.1988 - 7 C 65.87 -, DÖV 1989, 270f. z. Güterverkehrsrecht; dagg. Nds. OVG Urt. v. 03.06.1991 - 7 L 43/89 -, GewArch 1992, 156ff.). Eine rechtliche Verpflichtung der Behörde zu einem umfassenden Wiederaufgreifen des Verfahrens wird indes durch den - im gerichtlichen Verfahren ausschließlich beantragten - Bescheidungsausspruch nicht begründet. Denn die Bindungswirkung der gerichtlichen Entscheidung reicht über den Gegenstand des konkreten Verfahrens, d.h. den gegenüber dem jeweiligen Antragsteller ergangenen Versagungsbescheid (der z.B. auch aus lediglich formellen Gründen rechtswidrig sein kann, §§ 28, 39, 40 VwVfG, ohne dass ein Zulassungsanspruch bestünde), nicht hinaus, während positive Zulassungsentscheidungen zu Gunsten von Mitbewerbern durch den bloßen Neubescheidungsantrag nicht zum Streitgegenstand des Verfahrens geworden sind und es - ohne Drittanfechtungsklage - auch nicht werden, auch nicht durch deren Beiladung (§ 65 VwGO) im gerichtlichen Verfahren. Durch einen Bescheidungsantrag vermag der übergangene Bewerber sich mithin nicht eine "anfechtungsgleiche" Rechtsstellung im Hinblick auf - sämtliche - (positiven) Zulassungsakte gegenüber konkurrierenden Bewerbern zu verschaffen, die ihm selbst bei einer erfolgten Drittanfechtung nur gegenüber dem jeweils angefochtenen Zulassungsakt zukommt. Die Frage, ob die zugrunde liegende Auswahlentscheidung rechtswidrig gewesen ist, ist als Vorfrage inzident zu prüfen - auch ihre Bejahung unterstellt, vermag die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit des Versagungsbescheides dem Kapazitätsmangel, der einer nachträglichen Zulassung entgegensteht, nicht abzuhelfen. Die abweichende Auffassung von Rennert (aaO, S. 1340) berücksichtigt nicht hinreichend, dass nicht die Auswahlentscheidung als solche, sondern nur deren (nachgelagerter) Umsetzungsakt streitbefangen ist und dass allein die - theoretische - Möglichkeit der Rücknahme der einem Konkurrenten erteilten Zulassung noch keine freie Kapazität schafft, zumal wenn eine erneute Abwicklung des Auswahlverfahrens aus zeitlichen Zwängen praktisch ausscheidet. Vor einer Rücknahme oder einem Widerruf der einem Konkurrenten erteilten Marktzulassung muss dieser aus Gründen rechtlichen Gehörs angehört, ihm oder einem aufgrund dieser Ankündigung bestellten Verfahrensbevollmächtigten ggf. Akteneinsicht gewährt und Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden. In materieller Hinsicht ist zu beachten, dass die Aufhebung eines Marktzulassungsbescheides nach §§ 48, 49 VwVfG eine behördliche Ermessensentscheidung voraussetzt, bei der Dispositionen des zugelassenen Bewerbers (etwa Vorhalten von Personal, Anschaffung von Waren, Verzicht auf anderweitige Standplatzbewerbungen) im Rahmen des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen sind. Stellt man weiter in Rechnung, dass der Rücknahme- oder Widerrufsbescheid seinerseits anfechtbar ist und eingelegte Rechtsmittel aufschiebende Wirkung haben, die nur durch die Anordnung des Sofortvollzuges überwunden werden kann, gegen den seinerseits gerichtlicher Rechtsschutz gegeben ist, und dass für die Abwicklung all dieser Vorgänge unter Rechtsschutzgesichtspunkten ausreichend Zeit zur Verfügung stehen sowie nach deren Abschluss auch noch eine Frist für den Aufbau des Fahrgeschäftes verbleiben muss, zeigt sich, dass schon aus faktischen Gründen bei einem solchen Verfahrensweg die Rechtsvereitelung droht. Der bloße "Neubescheidungsantrag" gewährt daher regelmäßig keinen gleichwertigen Rechtsschutz gegenüber einer Drittanfechtung, so dass der rechtsschutzsuchende Bewerber sich hierauf nicht verweisen lassen muss. Die von Rennert (aaO, S. 1336 unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 25.09.2009 - 3 C 35.07 -, DVBl. 2009, 44 ff) für wünschenswert gehaltene Konzentration des Rechtsschutzes auf einen Rechtsbehelf bietet "vollständigen Rechtsschutz" nur, wenn dieser - wie im beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren - als vorbeugender Unterlassungsantrag gegen die (noch nicht umgesetzte) Auswahlentscheidung gerichtet, der Rechtsschutz also vorverlagert wird, was allerdings faktisch die vorherige Bekanntgabe der beabsichtigten Zulassungsentscheidung an die nicht berücksichtigten Bewerber voraussetzt.

c. In jedem Fall ist in der Situation der "Konkurrentenverdrängungsklage" die Beiladung des begünstigten Konkurrenten (§ 65 Abs. 2 VwGO) geboten. Das versteht sich für die "Drittanfechtungsklage" von selbst. Aber auch bei der Verpflichtungsklage oder der vorbeugenden Unterlassungsklage und den entsprechenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren sind - zugelassene - Mitbewerber, die für den Rechtsbehelfsführer weichen müssten, notwendig beizuladen. Denn die Entscheidung des Verwaltungsgerichts und deren tragende Gründe würden sonst im Rücknahme- bzw. Widerrufsverfahren gegenüber dem Konkurrenten keine Bindungswirkung entfalten, so dass die Gefahr widersprechender Beschlüsse oder Urteile und verwaltungsbehördlicher Entscheidungen entstünde.

2. Die dargestellte "Kapazitätserschöpfung" und die regelmäßig faktische Unmöglichkeit, einem Konkurrenten durch Rücknahme oder Widerruf die erteilte Zulassung zu entziehen, steht auch dem Erfolg des vorliegenden Antrages entgegen. Der nach dem Vortrag des Antragstellers "... einzig für die Größe seines Kinderkarussells infrage kommende Standplatz" ist auf dem Weihnachtsmarkt 2009 ist an einen Konkurrenten vergeben worden. Dessen Zulassungsbescheid ist als Verwaltungsakte wirksam (§§ 35, 43 VwVfG) und vollziehbar, da er vom Antragsteller nicht mit einer (Dritt-) Anfechtungsklage angegriffen worden ist. Er bindet daher die Antragsgegnerin und hindert sie, den - bereits vergebenen - Standplatz dem zugelassenen Bewerber ohne rechtsförmiges Verfahren einfach zu entziehen und nachträglich dem Antragsteller zuzuweisen. Die Durchführung eines Rücknahme- oder Widerrufsverfahrens scheidet bei realistischer Betrachtung inzwischen aus zeitlichen Gründen aus. Nachdem das Verwaltungsgericht am 29. Oktober 2009 über den bei ihm am 7. September 2009 eingegangenen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz entschieden hat, ist die Beschwerde bei dem Oberverwaltungsgericht am 9. November 2009 per Fax eingegangen. Der Markt soll am 25. November 2009 beginnen, die Aufbauarbeiten für das Kinderkarussell sollen bereits in der laufenden Woche stattfinden. Bei dieser Ausgangslage kommt die "Verdrängung" des Konkurrenten und die Freimachung eines Standplatzes auf dem Weihnachtsmarkt durch ein Rücknahme- oder Widerrufsverfahren, was letztlich Ziel der im gerichtlichen Verfahren begehrten Verpflichtung zu einer erneuten Entscheidung über die Bewerbung des Antragstellers ist, schon im Hinblick auf den gegebenen zeitlichen Rahmen nicht mehr in Betracht. Daher ist das erforderliche Bescheidungsinteresse des Antragstellers (nunmehr) entfallen, so dass die Beschwerde bereits aus diesem Grund ohne Erfolg bleiben muss.

3. Der Senat weist darauf hin, dass eine den Grundrechtsschutz sichernde Verfahrensgestaltung für alle Bewerber auf Zulassung zu einer festgesetzten Veranstaltung (§ 70 Abs. 1 - 3 GewO) ein gerichtlich überprüfbares Verfahren verlangt (Nds. OVG, Urt. v. 16.06.2005 - 7 LC 201/03 -, NVwZ-RR 2006, 177, 179). Zu einer "fairen" Verfahrensgestaltung gehört auch, dass behördliche Vergaberichtlinien transparent sind und den Bewerbern so rechtzeitig bekanntgegeben werden, dass sie sich darauf einstellen können. Behördeninterne Vermerke einzelner Sachbearbeiter, die von der Verwaltungsspitze erlassene Richtlinien "ergänzen" oder "neufassen" sollen, genügen dem Transparenzgebot regelmäßig nicht. Die bei der Ablehnung einer beantragten Marktzulassung erforderliche Ermessensbegründung (§§ 39, 40 VwVfG) ist dem erfolglosen Bewerber rechtzeitig, grundsätzlich spätestens mit dem Abschluss des verwaltungsbehördlichen Verfahrens zu geben (Nds. OVG, Beschl. v. 05.08.2009 - 7 ME 80/09, juris mwN). Hat die Behörde ihre Ermessensbetätigung durch Vergaberichtlinien weitestgehend vorstrukturiert, ist es aufgrund der hierdurch eingetretenen Selbstbindung der Verwaltung und zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes tunlich, wenn das Verwaltungsgericht - auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren - auf der Grundlage der behördlichen Vergabepraxis über den Zulassungsanspruch des Bewerbers eindeutig entscheidet und sich nicht auf einen Bescheidungsausspruch beschränkt.

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