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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 28.03.2006
Aktenzeichen: 7 ME 159/04
Rechtsgebiete: BImSchG, GIRL, TA Luft 2002, VwGO


Vorschriften:

BImSchG § 5 I 1 Nr. 2
GIRL
TA Luft 2002
VwGO § 146 IV 6
1.) Auf die Heranziehung der Geruchsimmissionsrichtlinie - GIRL - kann regelmäßig verzichtet werden, wenn die immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlage einen nach der TA Luft sowie der VDI-Richtlinie 3471 ausreichenden Abstand zur Wohnbebauung wahrt.

2.) Im Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist im Fall der Darlegung durchgreifender Gründe gegen die erstinstanzliche Entscheidung durch den dort unterlegenen Antragsgegner und Beschwerdeführer auch das erstinstanzlich bis dahin unberücksichtigte Vorbringen des Antragstellers hinsichtlich weiterer möglicher Rechtsverletzungen zu würdigen. Die Beschränkung des Beschwerdegerichts auf die Prüfung der dargelegten Gründe steht dem nicht entgegen. Diese Beschränkung gilt nur für das Vorbringen des Beschwerdeführers.


Tatbestand:

Mit ihrer Beschwerde wenden sich der Antragsgegner und der Beigeladene gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss, mit dem das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die dem Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung wiederhergestellt hat.

Der Beigeladene ist Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebs. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des etwa 300 Metern entfernt gelegenen Grundstücks C., D., welches mit einem Wohnhaus bebaut ist. Das Grundstück liegt in einem allgemeinen Wohngebiet.

Am 27. Mai 2003 erteilte der Antragsgegner dem Beigeladenen eine immissionsschutzrechtliche Änderungsgenehmigung zum Neubau und Betrieb eines Stallgebäudes mit 480 Schweinemastplätzen auf dem Gelände des Betriebs. Die vorhandene und bezüglich der Tierzahl unverändert bestehen bleibende Genehmigung deckt bereits die Haltung von 133 Rindern und 75 Milchkühen in vorhandenen Ställen ab. Am 8. Juli 2003 ordnete der Antragsgegner auf Antrag des Beigeladenen die sofortige Vollziehung der Genehmigung an.

Am 17. Oktober 2003 erhob die Antragstellerin Widerspruch, über den - soweit ersichtlich - bislang nicht entschieden ist. Am 31. Oktober 2003 hat sie nach Ablehnung eines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs durch den Antragsgegner vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht beantragt. Zur Begründung hat die Antragstellerin im Wesentlichen ausgeführt, dass von dem Betrieb des Schweinemaststalls des Beigeladenen schädliche Umwelteinwirkungen ausgingen, die sie in ihren Nachbarrechten verletzten. Die Vorkehrungen zum Schutz vor den von der Anlage ausgehenden Gerüchen seien unzureichend. Die Entfernung zu ihrem Grundstück betrage nur ca. 290 Meter, so dass der Mindestabstand nach der TA Luft nicht eingehalten sei. Dieser Mindestabstand sei auch zu weiteren Wohnhäusern sowie zu einem Wald nicht gegeben. Das vom Antragsgegner eingeholte Geruchsgutachten auf der Grundlage der Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL) sei in wesentlichen Punkten nicht stimmig. So habe die Qualität der Gerüche (Hedonie), die bei der Schweinemast als penetrant und besonders störend zu bezeichnen seien, keine Berücksichtigung gefunden. In die Auflagen der Genehmigung seien überdies wesentliche Vorgaben der Gutachtens hinsichtlich der baulichen Ausführung der Lüftungsanlagen der vorhandenen Ställe und des neu zu errichtenden Stalls nicht übernommen worden. Es entspreche nicht dem Stand der Technik, dass keine Abluftreinigung vorgesehen sei. Fehlerhaft sei weiter, dass keinerlei Schutzvorkehrungen hinsichtlich der Staubbelastung vorgesehen seien. Obwohl nach Aussagen der Bezirksregierung Weser-Ems eine Vorbelastung mit Staub vorliege und die höchst zulässigen Werte bereits ohne das Vorhaben erreicht seien, sei offen, wie ihre diesbezüglichen Rechte gewahrt werden könnten. Es fehle bereits an hinreichenden Angaben, welche Staubbelastung das hier betroffene Vorhaben emittiere. Schließlich beziehe der Nachweis der Flächen zur Ausbringung der anfallenden Gülle auch Flächen ein, die unmittelbar an das allgemeine Wohngebiet, in dem sie, die Antragsstellerin, wohne, angrenzen. Dort sei eine Gülleausbringung unzulässig. Der Beigeladene benötige indes auch diese Flächen, um eine ordnungsgemäße Verwertung der Gülle sicherzustellen.

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 17. Mai 2004, dem Antragsgegner und dem Beigeladenen zugestellt am 19. Mai 2004, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass sich bei summarischer Prüfung nicht hinreichend sicher feststellen lasse, ob die Änderungsgenehmigung die Rechte der Antragstellerin wahre. Daher sei eine von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige Interessenabwägung vorzunehmen, nach der das Interesse der Antragstellerin überwiege. Denn es bestünden erhebliche Zweifel, ob die Genehmigung sicherstelle, dass von der Anlage keine schädliche Umwelteinwirkungen, hier in Form von Gerüchen, ausgingen. Zwar seien die von der Anlage ausgehenden Geruchsimmissionen gutachterlich auf der Basis der Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL) ermittelt worden. Bei der nach der GIRL vorgeschriebenen Vorgehensweise sei jedoch zweifelhaft, ob die tatsächlichen Verhältnisse gerade für den landwirtschaftlichen Bereich mit hinreichender Genauigkeit beschrieben werden könnten. Die nach der GIRL vorgesehene Gebietseinteilung in Wohn-/Mischbebauung auf der einen und Gewerbe-/Industriegebiete auf der anderen Seite sei zu grob. Das führe zu Ergebnissen, die den Umständen des Einzelfalls nicht mehr gerecht würden. Im konkreten Gutachten sei überdies die Einteilung des Beurteilungsgebietes in Teilflächen gerade in Bezug auf das Grundstück der Antragstellerin nicht stimmig. Schließlich verzichte die GIRL auf eine Einbeziehung der Bewertungsfaktoren Hedonie und Intensität der Gerüche und berücksichtige nur den Faktor der Dauer. Hinzu komme, dass die Genehmigung die nach dem Gutachten vorausgesetzte bauliche Ausführung der Lüftungsanlagen der Ställe nicht oder nur unvollständig in den Auflagenkanon übernehme. Die nach dem Stand der Technik mögliche Installation einer Abluftreinigungsanlage sei dem Beigeladenen nicht aufgegeben worden.

Gegen den Beschluss haben der Antragsgegner und der Beigeladene am 1. Juni 2004 Beschwerde eingelegt und diese am 14. bzw. 17. Juni 2004 begründet. Sie tragen vor: Im Hinblick auf die Antragstellerin komme es auf die Aussagekraft der Begutachtung nach der GIRL nicht an. Hinsichtlich ihres Grundstücks sei der Mindestabstand nach der VDI-Richtlinie 3471 von 238 Metern und der TA Luft von 300 Metern eingehalten. In diesem Fall könne auf die Heranziehung der GIRL verzichtet werden. Die Begutachtung sei lediglich im Hinblick auf andere Wohngrundstücke erfolgt. Etwas anderes folge auch nicht aus einer erheblichen Vorbelastung des Gebiets. Im Umkreis von 500 Metern befinde sich lediglich ein weiterer landwirtschaftlicher Betrieb mit 107 Rinderplätzen. Überdies sei die GIRL als Grundlage der Begutachtung keineswegs unanwendbar. Hinsichtlich der Lüftungsanlagen sei die Genehmigung um dem Gutachten entsprechende Auflagen ergänzt worden, denen der Beigeladene nachgekommen sei. Abluftreinigungsanlagen entsprächen in der Tierhaltung schließlich noch nicht dem Stand der Technik. Alle Emissions- und Immissionsgrenzwerte seien auch ohne eine solche Anlage eingehalten. Ferner sei eine solche für nur 480 Mastschweine nahezu unwirtschaftlich. Der Beigeladene rügt überdies, dass sein wirtschaftliches Interesse in die Interessenabwägung nicht hinreichend eingeflossen sei. Er habe den bereits fertig gestellten Stall vollständig mittels langfristiger Kredite finanziert. Ein Hauptsacheverfahren könne er wirtschaftlich nicht überleben.

Der Antragsgegner und der Beigeladene beantragen, den Beschluss der 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 17. Mai 2004 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 17. Oktober 2003 gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 27. Mai 2003 abzulehnen. Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Ergänzend trägt sie vor, dass nach Aussagen der Bezirksregierung Weser-Ems aus dem Jahr 2003 die Schwebstaubbelastung im gesamten Bezirk die Vorgaben der TA Luft deutlich überschritten habe. Dies habe der Antragsgegner unzulässigerweise unberücksichtigt gelassen.

Mit Bescheid vom 3. Juni 2004 hat der Antragsgegner die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 27. Mai 2003 dahingehend geändert, dass weitere Auflagen bezüglich der Abluftführung in die Genehmigung aufgenommen worden sind.

II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die von dem Antragsgegner und dem Beigeladenen dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) führen zur Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung und zur Ablehnung des Antrags der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs wiederherzustellen (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 80a Abs. 1 und 3 VwGO). Im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO bedarf es einer Abwägung der gegenseitigen Interessen der Beteiligten. Maßgeblich ist, ob das private Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsbehelfs oder das Interesse des Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung der Genehmigung überwiegt. Für das Interesse der Antragstellerin, einstweilen nicht dem Vollzug der behördlichen Maßnahmen ausgesetzt zu sein, sind die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache einzulegenden Rechtsbehelfs von besonderer Bedeutung. Ein überwiegendes Interesse der Antragstellerin an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel anzunehmen, wenn bereits die im Eilverfahren allein mögliche und gebotene summarische Überprüfung ergibt, dass der Verwaltungsakt voraussichtlich Rechte der Antragstellerin verletzt. Umgekehrt überwiegt bei voraussichtlicher Rechtmäßigkeit in der Regel das Interesse des Beigeladenen an der sofortigen Ausnutzung der Genehmigung. Gemessen daran überwiegt hier das Interesse des Beigeladenen.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts verletzt die auf § 16 Abs. 1 BImSchG i.V.m. § 6 Abs. 1 BImSchG in der Fassung vom 26. September 2002 (BGBl. I, S. 3830) gestützte Änderungsgenehmigung voraussichtlich keine Rechte der Antragsstellerin. Die Änderungsgenehmigung stellt hinreichend sicher, dass von der Anlage keine schädlichen Umwelteinwirkungen (§ 3 Abs. 1 BImSchG) ausgehen, die die Antragstellerin in ihrem Recht aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG verletzen. Es ist nicht ersichtlich, dass von der Anlage unzulässige Geruchsimmissionen in Bezug auf die Antragstellerin ausgehen (1.). Die von der Anlage ausgehenden Staubimmissionen sowie der Nachweis der Ausbringungsflächen für die in der Anlage anfallende Gülle verletzen ebenfalls keine Rechte der Antragstellerin (2.).

1. Zu Unrecht äußert das Verwaltungsgericht Bedenken, dass von der Anlage in Bezug auf die Antragstellerin schädliche Umwelteinwirkungen in Gestalt von Geruchsimmissionen ausgehen. Dabei kann offen bleiben, ob die vom Verwaltungsgericht geäußerten Zweifel an einer Zugrundelegung der Verwaltungsvorschrift zur Feststellung und Beurteilung von Geruchsimmissionen vom 14. November 2000 (Geruchsimmissionsrichtlinie - GIRL, Nds. MBl., S. 224) im allgemeinen und hinsichtlich der Heranziehung des im konkreten Fall auf dieser Basis erstellten Immissionsgutachtens im besonderen zutreffend sind. Auf die Heranziehung der GIRL kann hier verzichtet werden. Denn die Anlage wahrt einen - orientiert an den Anforderungen der Nr. 5.4.7.1 der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft vom 24. Juli 2002 (TA Luft, GMBl. S. 511) sowie den Anforderungen der VDI-Richtlinie 3471 - ausreichenden Abstand zum Wohngrundstück der Antragstellerin. Gemäß Nummer 5.4.7.1 TA Luft 2002, welche der in der GIRL genannten Nummer 3.3.7.1.1 TA Luft 1986 entspricht, müssen Anlagen zur Haltung und Aufzucht von Nutztieren einen bestimmten Mindestabstand zur nächstgelegenen Wohnbebauung aufweisen. Dabei konkretisiert Nummer 5.4.7.1 TA Luft zwar - wie sich aus Nummer 5.1.1 TA Luft ergibt - lediglich die als solche nicht nachbarschützende Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, nicht aber die hier maßgebliche Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG. Gleichwohl stellt aber die Erfüllung der Vorsorgepflicht, die nicht der Abwehr konkreter Gefahren dient, sondern bereits im Vorfeld Wirkungen entfaltet, ein starkes Indiz dafür dar, dass auch der Schutzpflicht Genüge getan ist.

Die konkrete Berechnung des nach der TA Luft erforderlichen Abstands erfolgt anhand einer Mindestabstandskurve, die mit zunehmender Zahl von Großvieheinheiten (1 GV = 500 kg Tierlebendmasse) in der Anlage einen größeren Abstand verlangt. Einen Faktor zur Umrechnung der vorhandenen Anzahl an Tieren in Großvieheinheiten gibt die TA Luft allerdings lediglich für die Schweine-, nicht aber für die beim Beigeladenen ebenfalls vorhandene Rinderhaltung vor. Insofern ist es - wie die TA Luft in Ziffer 5.4.7.1 selbst andeutet - zwar grundsätzlich problematisch, die TA Luft in Bezug auf dort nicht genannte Tierarten heranzuziehen. Dies gilt in Bezug auf die Rinderhaltung allerdings vor allem deshalb, weil die Geruchsbelästigung bei Rindern erheblich geringer ist als bei Schweinen und die Geruchsschwelle, also die Grenze der Wahrnehmbarkeit, bereits bei deutlich kleineren Abständen unterschritten ist (vgl. dazu OVG Lüneburg, Beschluss vom 6. September 1999, - 1 M 2569/99 -; Urteil vom 30. Mai 2001 , - 1 K 389/00 -, NVwZ 2002, 98; Urteil vom 29. Januar 2003, - 1 KN 42/02 - = RdL 2003, 231). Eine Umrechnung in Großvieheinheiten auf der Basis der TA Luft ohne Korrektur führt aus diesen Gründen bei Rinderbeständen zu erheblich größeren Mindestabständen, als es im Hinblick auf die Vorsorge vor schädlichen Umwelteinwirkungen erforderlich ist. Die Umrechnung geht zu Lasten des Anlagenbetreibers und enthält gleichzeitig zu Gunsten der benachbarten Wohnbebauung erhebliche Sicherheitszuschläge.

Der Antragsgegner hat eine solche Umrechnung gleichwohl vorgenommen und den Umrechnungsfaktor Rind-Schwein der im Entwurfsstadium befindlichen VDI-Richtlinie 3474 entnommen. Dabei hat er darauf verzichtet, den in Tabelle 6 der VDI-Richtlinie 3474 auf Grund der geringeren Geruchsrelevanz der Rinderhaltung vorgesehenen Geruchsäquivalenzfaktor und den auf Grund der geringeren Lästigkeit von Rindergerüchen zusätzlich anzusetzenden hedonischen Faktor korrigierend heranzuziehen. Diese Faktoren, die eine Vergleichbarkeit von Schweine- und Rinderhaltung gewährleisten sollen, betragen 0,2 bzw. 0,7 und drücken aus, dass die Geruchsbelästigung einer Rinderhaltung und folglich auch der erforderliche Mindestabstand im Vergleich zu einer Schweinehaltung erheblich niedriger anzusetzen sind. Ungeachtet der grundsätzlichen Problematik einer solchen Umrechnung begegnet dies in Bezug auf diesen Fall keinen Bedenken, weil sich die Umrechnung ausschließlich zu Gunsten der Antragstellerin auswirkt. Gleichwohl wird der Mindestabstand trotz der für den Beigeladenen nachteiligen und für die Antragstellerin vorteilhaften Berechnung deutlich überschritten. Die Berechnung ergibt einen Wert von 223,9 Großvieheinheiten in der gesamten Anlage des Beigeladenen. Daraus folgt ein erforderlicher Mindestabstand nach der TA Luft von etwa 300 Metern.

Ein erforderlicher Mindestabstand von etwa 300 Metern folgt auch aus der entsprechenden Anwendung der VDI-Richtlinie 3471, deren Vorgehensweise der TA Luft in Teilen entspricht. Die VDI-Richtlinie 3471 ist zwar rechtlich unverbindlich, stellt aber gleichwohl eine brauchbare Orientierungshilfe dar (BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1993, -4 C 19.90 -, NVwZ 1993, 1184; Urteil vom 28. Februar 2002, - 4 CN 5.01 -, NVwZ 2002, 1114; OVG Lüneburg, Urteil vom 30. Mai 2001, - 1 K 389/00 -, NVwZ-RR 2002, 98). Sie bezieht sich allerdings ebenso wie die TA Luft unmittelbar lediglich auf die Schweine-, nicht aber auf die Rinderhaltung. Die daraus resultierenden Bedenken bestehen aber ebenfalls nur deshalb, weil die erforderlichen Mindestabstände bei einer Umrechnung entsprechend der VDI-Richtlinie 3474 regelmäßig erheblich zu groß ausfallen.

Im Vergleich zur TA Luft erfolgt die Abstandsberechnung nach der VDI-Richtlinie 3471 differenzierter und bezieht insbesondere die Beschaffenheit des Stalls in die Betrachtung ein. Bei einem geruchstechnisch optimierten sog. 100-Punkte-Stall, der von der dem Beigeladenen erteilten Änderungsgenehmigung in den Auflagen 13-17 vorgeschrieben wird, und einem Wert von ebenfalls 223,9 Großvieheinheiten ist ein Mindestabstand von ebenfalls etwa 300 Metern erforderlich.

Bezieht man diese Vorgaben auf das Grundstück der Antragstellerin, sind schädliche Umwelteinwirkungen in Form von Geruchsimmissionen nicht zu erwarten. Das Grundstück der Antragstellerin liegt - wie der Auszug aus der Liegenschaftskarte ergibt - etwa 320 Meter von dem vom Antragsgegner errechneten Emissionsschwerpunkt der Anlage und etwa 350 Meter von dem Abluftaustritt des Schweinemaststalls entfernt. Der bereits einen deutlichen Sicherheitszuschlag enthaltende Mindestabstand von etwa 300 Metern ist damit um etwa zehn Prozent überschritten.

Besondere Umstände des Einzelfalls, etwa eine Geruchsvorbelastung, die nach den einführenden Anmerkungen der GIRL auch bei Einhaltung des Mindestabstands eine Sonderbeurteilung der Geruchsimmissionen erforderlich machen, sind nicht ersichtlich. Zwar befindet sich im Umkreis von 500 Metern ein weiterer landwirtschaftlicher Betrieb. Dessen Tierhaltung beschränkt sich jedoch auf 40 Milchkühe und 67 Rinder, die eine nennenswerte Vorbelastung des etwa 300 Meter entfernt liegenden Grundstücks der Antragstellerin nicht begründen. Angesichts der vergleichsweise geringen Geruchsintensität von Rindern fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass die Geruchsschwelle auch nur näherungsweise erreicht ist (vgl. dazu OVG Lüneburg, Urteil vom 30. Mai 2001, - 1 K 389/00 -, NVwZ-RR 2002, 98).

Gegen die Genehmigung lässt sich auch nicht mehr einwenden, dass keine Schutzvorkehrungen zu Gunsten der Nachbarschaft, etwa in Form einer Abluftreinigungsanlage, getroffen worden sind. Mit Änderungsbescheid vom 3. Juni 2004 hat der Antragsgegner die Genehmigung um weitere Auflagen ergänzt. Diese betreffen insbesondere die Anordnung der Lüftungskamine der verschiedenen Ställe und tragen auch den Anforderungen des auf der Basis der GIRL erstellten Gutachtens Rechnung. Ausreichende Vorkehrungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen sind damit getroffen. Ob der Einbau einer Abluftreinigungsanlage dem Stand der Technik entspricht, kann dahinstehen. Die Antragstellerin kann einen solchen Einbau nur dann verlangen, wenn andernfalls schädliche Umwelteinwirkungen auf ihr Wohngrundstück zu befürchten sind. Dies ist auf Grund des Abstands des Grundstücks der Antragstellerin von der Anlage und der getroffenen Vorkehrungen nicht zu erwarten.

Soweit die Antragstellerin rügt, dass der Mindestabstand nach der TA Luft zu einem Wald sowie zu weiteren Wohnhäusern anderer Eigentümer nicht eingehalten ist, fehlt es bereits an entsprechenden subjektiven Rechten. Die Antragstellerin ist lediglich zur Geltendmachung eigener Rechte befugt.

2. Die stattgebende Entscheidung des Verwaltungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar.

Solche Gründe im Hinblick auf die Staubemissionen und die Gülleverwertung haben die Beteiligten in der ersten Instanz vorgebracht. Das Verwaltungsgericht hat diese Gründe jedoch - vom seinem Standpunkt aus folgerichtig - mangels Entscheidungserheblichkeit unberücksichtigt gelassen. Da aber der die erstinstanzliche Entscheidung tragenden Annahme, dass von der Anlage wahrscheinlich schädliche Umwelteinwirkungen in Form von Geruchsimmissionen ausgehen, nicht beigetreten werden kann, kommt es nunmehr auch auf das weitere erstinstanzliche Vorbringen der Beteiligten an.

Der Berücksichtigung dieses Vorbringens steht § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nicht entgegen. Die Vorschrift beschränkt zwar den Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts auf die dargelegten Gründe. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO richtet sich jedoch an den Beschwerdeführer, nicht an den Beschwerdegegner. Den Beschwerdeführer trifft gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO die Obliegenheit, in der Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung die Gründe darzulegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist. Hat der Beschwerdeführer dies mit Erfolg getan und wäre bereits aus diesem Grund der Beschwerde stattzugeben, wäre der Rechtsschutz des Beschwerdegegners unvertretbar verkürzt. Die Folge wäre nämlich, dass der Beschwerdegegner bzw. Antragsteller mit in der ersten Instanz ordnungsgemäß vorgebrachten und möglicherweise durchgreifenden Argumenten ungehört bliebe. Ihm ist es nicht zuzumuten, im Beschwerdeverfahren erneut diejenigen Argumente anzuführen, die die erstinstanzliche Entscheidung über die Argumentation das Gerichts hinaus stützen, zumal insoweit die von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO geforderte Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht möglich ist. Dazu zwingt auch § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO trotz des insoweit möglicherweise missverständlichen Wortlauts nicht. Denn die Vorschrift bezieht sich ausweislich ihrer systematischen Einbettung in § 146 Abs. 4 VwGO, der die Anforderungen an die Beschwerde enthält, allein auf den Beschwerdeführer. Die Beschwerde kann - wie die Zusammenschau von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO und § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO ergibt - nur erfolgreich sein, wenn die vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe durchgreifen. Vorschriften, die sich an den Beschwerdegegner richten, enthält § 146 Abs. 4 VwGO nicht. Daraus folgt, dass das Beschwerdegericht im Fall der Darlegung durchgreifender Gründe gegen die erstinstanzliche Entscheidung durch den Antragsgegner auch das erstinstanzlich bislang unberücksichtigte Vorbringen des Antragstellers bezüglich weiterer möglicher Rechtsverletzungen in seine Prüfung einbeziehen muss, um zu einer Entscheidung in der Sache zu gelangen. (OVG Münster, Beschluss vom 18. März 2002, - 7 B 315/02 -, NVwZ 2002, 1390; VGH Mannheim, Beschluss vom 25. November 2004, - 8 S 1870/04 -, NVwZ-RR 2006, 75).

a) Gegen die Genehmigung kann nicht angeführt werden, dass die Vorkehrungen zum Schutz der Antragstellerin vor schädlichen Umwelteinwirkungen in Form von Staub unzureichend sind. Konkretisiert werden die Anforderungen der diesbezüglichen Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG durch Nr. 4 der TA Luft. Nach Nr. 4.2.2 der TA Luft bestehen besondere Anforderungen an die Genehmigung, wenn die Gesamtbelastung durch einen luftverunreinigenden Stoff an einem Beurteilungspunkt den Immissionswert überschreitet. Diese Vorgabe findet jedoch hinsichtlich der Anlage des Beigeladenen keine Anwendung. Gemäß Nr. 4.6.1.1 durfte der Antragsgegner auf die Ermittlung der Gesamtbelastung verzichten, weil die Emissionen des hier allein maßgeblichen geänderten Teils der Anlage, des Schweinemaststalls, den Bagatellmassenstrom von 1 kg Staub/h für entsprechend Nr. 5.5 TA Luft abgeleitete Emissionen nicht einmal annähernd erreichen. Nach der vom Antragsgegner vorgelegten und plausiblen Berechnung anhand der für Deutschland von Dr. Seedorf, Tierärztliche Hochschule Hannover, ermittelten typischen Emissionsraten beträgt die Gesamtbelastung durch Staub in Bezug auf den allein zu betrachtenden Schweinemaststall etwa 33,1 g/h. Dies entspricht nur etwa 3,3 Prozent des Bagatellmassenstroms. Angesichts dieser zu vernachlässigenden Staubzusatzbelastung durch die Änderung der Anlage ist voraussichtlich auch nicht von einer besonderen örtlichen Lage oder besonderen Umständen (Nummer 4.6.1.1 TA Luft) auszugehen, die gleichwohl eine Ermittlung der Gesamtbelastung erforderlich machen könnten. Das bedarf gegebenenfalls der weiteren Aufklärung im Hauptsacheverfahren. Selbst wenn man im Übrigen die gesamte Anlage berücksichtigen wollte, ergäbe sich kein anderes Bild. Nach den nachvollziehbaren Berechnungen des Antragsgegners betragen die Gesamtstaubemissionen lediglich 48,4 Prozent des Bagatellmassenstroms.

b) Ohne Erfolg wendet die Antragstellerin ein, dass der Flächennachweis für die schadlose Verwertung der in der Anlage anfallenden Gülle insofern fehlerhaft sei, als er an das Wohngebiet grenzende Flächen einbezieht. Dabei kann dahinstehen, ob die Fehlerhaftigkeit eines Flächennachweises von der Antragstellerin überhaupt geltend gemacht werden kann. Eine allgemeine Regel, wonach Gülle auf solche Flächen nicht aufgebracht werden darf, gibt es nicht. Immissionen, die mit landwirtschaftlicher Nutzung typischerweise verbunden und durch zumutbaren Aufwand nicht verhindert oder verringert werden können, sind von der umliegenden Wohnbevölkerung hinzunehmen, auch wenn diese - wie im Fall der Ausbringung von Gülle - kurzfristig erhebliche Belästigungen hervorrufen können. Maßgeblich ist allein, dass im konkreten Einzelfall die für die Ausbringung von Gülle geltenden Bestimmungen und technischen Regeln eingehalten werden (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 30. Mai 2001, - 1 K 389/00 -, NVwZ-RR 2002, 98).

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