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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 25.09.2003
Aktenzeichen: 8 K 3109/00
Rechtsgebiete: GG, HKG


Vorschriften:

GG Art. 12 I
GG Art. 14 I
GG Art. 2 I
HKG § 33 I
HKG § 33 II
1. § 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 der Berufsordnung der Ärztekammer Niedersachsen in der Fassung vom 23. November 2002 ist nichtig.

2. § 33 Abs. 1 und 2 des Kammergesetzes für die Heilberufe - HKG - ermächtigt die Ärztekammer Niedersachsen nicht zur Begründung von Berufspflichten, die konkrete finanzielle Verpflichtungen für liquidationsberechtigte Ärzte mit sich bringen. Regelungen des kollegialen Verhaltens bei der Berufsausübung (§ 33 Abs. 2 Nr. 10 HKG) schließen Bestimmungen, die liquidationsberechtigte Ärzte dazu verpflichten, Mitarbeiter unabhängig von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls in einem bestimmten Mindestumfang und auf bestimmte Weise am Liquidationserlös zu beteiligen, nicht ein.

3. Die in § 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 der Berufsordnung der Ärztekammer Niedersachsen vorgeschriebene Beteiligung von Mitarbeitern liquidationsberechtigter Ärzte am Liquidationserlös wäre nicht zu beanstanden, wenn § 33 HKG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage enthalten würde. Die Beteiligung der ärztlichen Mitarbeiter liquidationsberechtigter Ärzte am Liquidationserlös ist durch vernünftige, auf das Gemeinwohl bedachte Erwägungen gerechtfertigt.


Gründe:

Die Beteiligten streiten über die Gültigkeit des § 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 der Berufsordnung der Antragsgegnerin.

Der Antragsteller ist Chefarzt der Chirurgischen Abteilung des Diakonie-Krankenhauses E. und Mitglied der Antragsgegnerin.

Die Kammerversammlung der Antragsgegnerin beschloss am 29. November 1997 die Berufsordnung der Ärztekammer Niedersachsen, die vom Niedersächsischen Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales durch Bescheid vom 11. Dezember 1997 genehmigt wurde.

§ 29 Abs. 3 dieser Berufsordnung hatte folgenden Wortlaut:

"Ärzte, die andere Ärzte zu ärztlichen Verrichtungen bei Patienten heranziehen, denen gegenüber nur sie einen Liquidationsanspruch haben, sind verpflichtet, diesen Ärzten eine angemessene Vergütung zu gewähren. Erbringen angestellte Ärzte für einen liquidationsberechtigten Arzt abrechnungsfähige Leistungen, so ist der Ertrag aus diesen Leistungen in geeigneter Form an die beteiligten Mitarbeiter abzuführen."

Die Kammerversammlung der Antragsgegnerin beschloss am 28. November 1998, § 29 Abs. 3 der Berufsordnung um folgende Bestimmungen zu ergänzen:

"Die Beteiligung erfolgt nach vertraglicher Abmachung oder in Form einer Poolordnung. Bemessungsgrundlage für die Mitarbeiterbeteiligung ist der Liquidationserlös vermindert um gesetzliche und vertragliche Abzüge. Die Beteiligung beträgt mindestens 20 % und mindestens 50 %, wenn die liquidationsfähigen Leistungen vom Mitarbeiter auf Dauer überwiegend selbst erbracht werden."

Diese Änderung der Berufsordnung wurde vom Niedersächsischen Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales durch Bescheid vom 20. Januar 1999 genehmigt und im Niedersächsischen Ärzteblatt vom März 1999 bekannt gemacht.

Daraufhin hat der Antragsteller am 29. August 2000 einen Normenkontrollantrag gestellt.

Im Laufe des Normenkontrollverfahrens hat die Antragsgegnerin die Berufsordnung mehrmals, zuletzt am 23. November 2002, geändert. Diese Änderungen betreffen § 29 Abs. 3 der Berufsordnung jedoch nicht.

Zur Begründung seines Normenkontrollantrags trägt der Antragsteller Folgendes vor: § 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 der Berufsordnung sei nichtig, weil keine Ermächtigungsgrundlage für diese Bestimmung vorhanden sei. Als Ermächtigungsgrundlage komme § 33 Abs. 2 Nr. 10 des Kammergesetzes für die Heilberufe - HKG - nicht in Betracht, weil konkrete Bestimmungen über die Beteiligung von Mitarbeitern am Liquidationserlös nicht zu den Regelungen über das berufliche Verhalten gegenüber anderen Berufsangehörigen gehörten. Außerdem seien Regelungen, die wie § 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 der Berufsordnung in gewachsene Besitzstände der liquidationsberechtigten Ärzte eingriffen, dem Gesetzgeber selbst vorbehalten. § 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 der Berufsordnung der Antragsgegnerin verstoße weiterhin gegen die Grundrechte der liquidationsberechtigten Ärzte aus Art. 14 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG. Die Festlegung einer Mindestbeteiligung sei eine enteignungsgleiche Maßnahme. Sie verletze ferner die Berufsfreiheit, weil sie ohne sachlichen Grund in die Berufsausübung der liquidationsberechtigten Ärzte eingreife und eine Materie regele, die privatrechtlichen Vereinbarungen vorbehalten seien. Die Mindestbeteiligung von 20 % bzw. 50 % sei außerdem unangemessen hoch und daher unverhältnismäßig.

Der Antragsteller beantragt,

festzustellen, dass § 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 der Berufsordnung der Ärztekammer Niedersachsen in der Fassung vom 23. November 2002 nichtig ist.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen,

und erwidert: § 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 der Berufsordnung sei rechtlich nicht zu beanstanden. § 33 Abs. 2 Nr. 10 HKG ermächtige sie zur Regelung des Mindestumfangs der Beteiligung der Mitarbeiter liquidationsberechtigter Ärzte am Liquidationserlös. § 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 der Berufsordnung lasse zudem keinen Verstoß gegen die Grundrechte der liquidationsberechtigten Ärzte aus Art. 14 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG erkennen. Wenn Chefärzte ihre Mitarbeiter zu ärztlichen Leistungen bei der Behandlung von Privatpatienten heranzögen, würden diese als Erfüllungsgehilfen bei der Durchführung des Behandlungsvertrags tätig. Daher sei die Beteiligung der Mitarbeiter am Liquidationserlös sachlich gerechtfertigt. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit lasse sich ebenfalls nicht feststellen, weil die in § 29 Abs. 3 Satz 5 der Berufsordnung vorgeschriebene Mindestbeteiligung am Liquidationserlös nicht unangemessen hoch sei. Eine Mindestbeteiligung von 20 % sei durchaus zumutbar. Nichts anderes gelte für eine Beteiligung von mindestens 50 % in den Fällen, in denen der hinzugezogene Arzt Privatpatienten des liquidationsberechtigten Chefarztes auf Dauer überwiegend selbst behandele.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

II.

Der Normenkontrollantrag ist zulässig und begründet.

Der Antrag ist statthaft, weil § 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 der Berufsordnung - BO - der Antragsgegnerin gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 7 Nds. VwGG der Normenkontrolle durch das Oberverwaltungsgericht unterliegt.

Der Antrag erfüllt auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen. Er ist insbesondere innerhalb von zwei Jahren nach Bekanntmachung der Änderung der Berufsordnung und damit rechtzeitig gestellt worden (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Außerdem ist der Antragsteller nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt, weil er als Chefarzt eines Krankenhauses, der zur gesonderten Abrechnung wahlärztlicher Leistungen befugt und damit liquidationsberechtigt ist, durch § 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 BO beschwert wird und daher geltend machen kann, durch diese Bestimmungen in eigenen Rechten verletzt zu sein.

Der Normenkontrollantrag ist auch begründet, weil § 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 BO mangels ausreichender Ermächtigungsgrundlage nicht mit höherrangigem Recht im Einklang steht.

Berufsordnungen sind Satzungen autonomer Berufsverbände, die unmittelbar geltendes Recht darstellen (BVerfG, Beschl. v. 9.5.1972 - 1 BvR 518/62 u. 308/64 - BVerfGE 33, 125 (155)). Der Erlass derartiger Satzungen setzt eine entsprechende Ermächtigung durch den Gesetzgeber voraus, weil die Befugnis autonomer Berufsverbände, Berufsregelungen durch Satzungsrecht zu erlassen, nicht schon aus dem Akt der Autonomieverleihung folgt (BVerfG, Beschl. v. 28.11.1973 - 1 BvR 13/67 - BVerfGE 36, 212 (216)). Denn dieser berechtigt lediglich zur Regelung eigener Verbandsangelegenheiten, nicht aber zu einem Eingriff in Grundrechte der Mitglieder (BVerfG, Beschl. v. 28.11.1973, a.a.O.).

Der Gesetzgeber darf einen autonomen Berufsverband wie die Antragsgegnerin allerdings nicht unbeschränkt dazu ermächtigen, Berufsregelungen in der Gestalt von Satzungen zu erlassen (BVerfG, Beschl. v. 9.5.1972 - 1 BvR 518/62 u. 308/64 - BVerfGE 33, 125 (160); BVerfG, Beschl. v. 19.2.1975 - 1 BvR 38/68 u. 566/68 - BVerfGE 38, 373 (381)). Regelungen, die die Freiheit der Berufswahl berühren, sind grundsätzlich dem Gesetzgeber vorbehalten, so dass allenfalls Einzelfragen fachlich-technischen Charakters in dem vom Gesetzgeber gezogenen Rahmen durch Satzungsrecht eines Berufsverbandes geregelt werden können (BVerfG, Beschl. v. 9.5.1972, a.a.O.). Andererseits bestehen keine grundsätzlichen Bedenken dagegen, einen Berufsverband zur Normierung von Berufspflichten zu ermächtigen, die keinen statusbildenden Charakter haben, lediglich in die Freiheit der Berufsausübung der Verbandsmitglieder eingreifen und das Gesamtbild der beruflichen Tätigkeit nicht einschneidend prägen (BVerfG, Beschl. v. 9.5.1972, a.a.O.; BVerfG, Beschl. v. 19.2.1975, a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 12.12.1972 - 1 C 30.69 - BVerwGE 41, 261 (262 f.)). Geschieht dies, muss der Gesetzgeber den Berufsverbänden das Ausmaß der ihnen möglichen Regelungen aber deutlich vorgeben, weil das zulässige Maß der Beschränkungen der Berufsfreiheit durch Berufsordnungen vom Inhalt und vom Umfang der den Berufsverbänden erteilten Ermächtigung abhängt (BVerfG, Urt. v. 14.12.1999 - 1 BvR 1327/98 - BVerfGE 101, 312 (323); BVerfG, Beschl. v. 22.5.1996 - 1 BvR 744/88, 60/89 u. 1519/91 - BVerfGE 94, 372 (390); BVerfG, Beschl. v. 9.5.1972, a.a.O.; BVerfG, Beschl. v. 19.2.1975, a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 12.12.1972, a.a.O.). Diese Vorgaben müssen umso deutlicher sein, je empfindlicher die Freiheit der Berufsausübung beeinträchtigt wird (BVerfG, Beschl. v. 22.5.1996, a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 12.12.1972, a.a.O.).

§ 33 Abs. 1 und 2 des Kammergesetzes für die Heilberufe - HKG - vom 19. Juni 1996 (Nds. GVBl. S. 259), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. November 2001 (Nds. GVBl. S. 701), ermächtigt die Antragsgegnerin zum Erlass einer Berufsordnung, die die Berufspflichten der Ärzte näher regelt. Diese Ermächtigung begegnet keinen durchgreifenden Bedenken, weil sie sich auf einzelne, enumerativ aufgezählte Bereiche der Berufsausübung beschränkt. Zu diesen Bereichen gehören u. a. das berufliche Verhalten gegenüber anderen Berufsangehörigen (§ 33 Abs. 2 Nr. 10 HKG), die gemeinsame Ausübung der Berufstätigkeit (§ 33 Abs. 2 Nr. 6 HKG) und die Beschäftigung von Vertreterinnen, Vertretern, Assistentinnen, Assistenten und sonstigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (§ 33 Abs. 2 Nr. 11 HKG).

Die Berufspflichten, die § 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 BO begründet, halten sich jedoch nicht in dem von § 33 Abs. 1 und 2 HKG gesetzten Rahmen.

Die vom Antragsteller beanstandeten Regelungen stehen im Zusammenhang mit § 29 Abs. 3 Satz 2 BO und verpflichten liquidationsberechtigte Ärzte dazu, angestellte Ärzte, die für sie abrechnungsfähige Leistungen erbringen, durch vertragliche Vereinbarung oder mittels einer Poolordnung mit mindestens 20 % oder - wenn die abrechungsfähigen Leistungen von den Mitarbeitern auf Dauer überwiegend selbst erbracht werden - mit mindestens 50 % an dem um die gesetzlichen und vertraglichen Abzüge verminderten Liquidationserlös zu beteiligen. Damit begründet § 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 BO konkrete finanzielle Verpflichtungen für liquidationsberechtigte Ärzte, weil er diesen unabhängig von den Umständen des Einzelfalls eine Mindestbeteiligung bestimmter Mitarbeiter am Liquidationserlös vorschreibt und sie dazu verpflichtet, die Mitarbeiterbeteiligung im Wege vertraglicher Vereinbarungen oder mittels einer Poolordnung vorzunehmen.

Diese Regelungen werden weder durch § 33 Abs. 2 Nr. 6, 10 und 11 HKG noch durch andere Bestimmungen des § 33 Abs. 1 und 2 HKG gedeckt.

Mit dem beruflichen Verhalten gegenüber anderen Berufsangehörigen, das nach § 33 Abs. 2 Nr. 10 HKG in der Berufsordnung geregelt werden kann, ist das kollegiale Verhalten der Ärzte bei der Berufsausübung gemeint. Regelungen des kollegialen Verhaltens bei der Berufsausübung schließen aber Bestimmungen, die liquidationsberechtigte Ärzte dazu verpflichten, Mitarbeiter unabhängig von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls in einem bestimmten Mindestumfang und auf bestimmte Weise am Liquidationserlös zu beteiligen, nicht ein. Regelungen, die konkrete finanzielle Verpflichtungen begründen, gehen nämlich weit über Regelungen für das berufliche Verhalten gegenüber anderen Berufsangehörigen hinaus. Hätte der Gesetzgeber die Antragsgegnerin auch zur Normierung derartiger Berufspflichten ermächtigen wollen, hätte er dies in § 33 Abs. 2 Nr. 10 HKG deutlich zum Ausdruck bringen und Maßstäbe für den Umfang der Mitarbeiterbeteiligung vorgeben müssen. Das gilt umso mehr, als die Begründung konkreter finanzieller Verpflichtungen einen weitgehenden Eingriff in die Freiheit der Berufausübung darstellt und der Gesetzgeber gehalten ist, den Berufsverbänden das zulässige Maß von Einschränkungen der Berufsausübungsfreiheit umso deutlicher vorzuschreiben, je empfindlicher die Berufsangehörigen in ihrer freien beruflichen Betätigung beeinträchtigt werden. Daher scheidet § 33 Abs. 2 Nr. 10 HKG als Ermächtigungsgrundlage für § 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 BO aus.

§ 33 Abs. 2 Nr. 6 und 11 HKG stellt ebenfalls keine Ermächtigungsgrundlage für die vom Antragsteller beanstandeten Bestimmungen dar. Danach ist die Antragsgegnerin zwar befugt, Regelungen für die gemeinsame Ausübung der Berufstätigkeit und die Beschäftigung von Vertreterinnen, Vertretern, Assistentinnen, Assistenten und sonstigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu treffen. Diese Regelungen schließen aber allenfalls allgemeine Bestimmungen über die Beteiligung der Mitarbeiter liquidationsberechtigter Ärzte am Liquidationserlös ein, wie sie in § 29 Abs. 3 Satz 2 BO enthalten sind. Dagegen können Bestimmungen, die liquidationsberechtigte Ärzte konkret dazu verpflichten, Mitarbeiter unabhängig von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls in einer bestimmten Mindesthöhe durch vertragliche Vereinbarungen oder mittels einer Poolordnung am Liquidationserlös zu beteiligen, weder auf § 33 Abs. 2 Nr. 6 HKG noch § 33 Abs. 2 Nr. 11 HKG gestützt werden. Denn diese Bestimmungen lassen nicht erkennen, dass der Gesetzgeber die Antragsgegnerin auch zur Begründung von Berufspflichten ermächtigen wollte, die konkrete finanzielle Verpflichtungen mit sich bringen und damit die Berufsausübung der liquidationsberechtigten Ärzte wirtschaftlich nicht unerheblich tangieren.

Der Senat sieht sich in dieser Rechtsaufassung durch den Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Juni 1998 (- 1 ABR 67/97 - BAGE 89, 128) bestätigt. Das Bundesarbeitsgericht hat in dieser Entscheidung festgestellt, dass die Art. 17 bis 19 des Bayerischen Heilberufe-Kammergesetzes, die Vorschriften enthalten, die mit § 33 Abs. 2 Nr. 6, 10 und 11 HKG übereinstimmen, keineswegs die Begründung von Vergütungspflichten zulassen. Außerdem hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Ärztekammern aufgrund der ihnen verliehenen Satzungsgewalt keine Kompetenz zur Begründung zivilrechtlicher Ansprüche zukommt (Urt. v. 12. 3.1987 - III ZR 31/86 - MDR 1987 S. 911).

Folglich ist § 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 BO mangels ausreichender Ermächtigungsgrundlage nichtig.

Zur Vermeidung künftiger Rechtstreitigkeiten weist der Senat aber vorsorglich darauf hin, dass § 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 BO dann nicht zu beanstanden wäre, wenn § 33 HKG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage enthalten würde. Die anderen Einwände, die der Antragsteller gegen diese Bestimmung erhoben hat, sind nämlich unbegründet.

Der Antragsteller kann insbesondere nicht mit Erfolg geltend machen, dass die von ihm beanstandeten Regelungen dem Gesetzgeber vorbehalten seien. Nach der bereits zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts können Regelungen, die lediglich in die Freiheit der Berufsausübung eingreifen, von den Ärztekammern aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen werden. Davon ausgenommen sind lediglich einschneidende, das Gesamtbild der beruflichen Tätigkeit wesentlich prägende Vorschriften über die Berufsausübung, die vom Gesetzgeber in den Grundzügen selbst zu treffen sind (BVerfG, Beschl. v. 9.5.1972, a.a.O.; BVerwG, Urt. v. 12.12.1972, a.a.O.). Folglich sind Bestimmungen über die Beteiligung der Mitarbeiter liquidationsberechtigter Ärzte am Liquidationserlös nicht dem Gesetzgeber vorbehalten. Denn sie berühren ausschließlich die Freiheit der Berufsausübung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.11.1979 - 2 BvR 513/73 u. 558/74 - BVerfGE 52, 303 (345)) und gehören keineswegs zu den einschneidenden Bestimmungen, die das Gesamtbild der beruflichen Tätigkeit der Ärzte wesentlich prägen.

Die vom Antragsteller beanstandeten Bestimmungen stehen auch - sieht man von der fehlenden Ermächtigung ab - mit Art. 12 Abs. 1 GG im Einklang. Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung sind mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der sie rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist (BVerfG, Beschl. v. 22.5.1996, a.a.O.; BVerfG, Beschl. v. 11.2.1992 - 1 BvR 1531/90 - BVerfGE 85, 248 (259)). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

Die Verpflichtung zur Beteiligung der Mitarbeiter am Liquidationserlös schmälert die Einkünfte der liquidationsberechtigten Ärzte aus dem ihnen zustehenden Liquidationsrecht. Der darin liegende Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung wird jedoch von Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 7. November 1979 (- 2 BvR 513/73 u. 558/73 - ,BVerfGE 52, 303 (338 ff.)) zur sachlichen Rechtfertigung eines Eingriffs in die durch Berufungsvereinbarungen zugesicherten Liquidationsrechte beamteter Chefärzte durch eine gesetzlich vorgeschriebene Abführungspflicht eines Teils des Liquidationserlöses zum Zwecke der Beteiligung der in Anspruch genommenen ärztlichen Mitarbeiter u. a. Folgendes ausgeführt:

"Das moderne Krankenhaus mit seinen medizinischen Disziplinen verlangt in wachsendem Umfang den Spezialisten; die Technisierung nimmt ständig zu. Gleichzeitig werden die Häuser größer; das heutige Krankenhaus ist eine hochspezialisierte, technisierte soziale Organisation und Funktionseinheit, die zunehmend einem "Großbetrieb" ähnlicher wird. Immer häufiger ist das arbeitsteilige Zusammenwirken mehrerer Ärzte bei der Behandlung eines Patienten geboten: Spezialisierung und Kollegialität bedingen und ergänzen sich gegenseitig. ... Unbeschadet der weiterhin herausgehobenen und besonderen verantwortlichen Stellung der leitenden Ärzte hat sich doch vieles an Gewicht und Beanspruchung auf die nachgeordneten Ärzte verlagert. Das frühere Bild des Chefarztes ... stimmt mit der Struktur und den Aufgaben des modernen Krankenhauses nicht mehr überein. ... Weit mehr als früher schafft heute erst das Krankenhaus als Institution die Voraussetzungen, unter denen der leitende Arzt seine "privaten" Einnahmen erzielt. Er ist in großem Umfang auf die Mitarbeit der nachgeordneten Ärzte angewiesen. ... Sie tragen mit ihm für das Funktionieren der gesamten Einrichtung Sorge, erbringen damit einen wesentlichen Teil zur Erfüllung des Sozialauftrags des öffentlichen Krankenhauses, in den auch die beamtenrechtliche Dienstpflicht des Chefarztes eingebunden ist, und ermöglichen und bewirken mit ihm im Zusammenhang erst die ärztliche Behandlung und Betreuung der Patienten, auf die sich das Recht zur Privatliquidation stützt . ... Auch soweit der liquidationsberechtigte Arzt - etwa in der ambulanten Praxis - Patienten ausschließlich allein behandelt, kann er dies angesichts seiner Hauptaufgabe - der Betreuung sämtlicher Kranken seiner Abteilung - im allgemeinen nur deshalb, weil er an anderer Stelle durch die ihm untergebenen Ärzte entlastet wird. ... In Anbetracht dessen war es verfassungsrechtlich unbedenklich, dass der Gesetzgeber seinem Reformvorhaben unter Beschränkung des krankenhausärztlichen Liquidationsrechts in Form der Begründung erweiteter Abführungspflichten den Vorrang gab gegenüber dem ungeschmälerten Fortbestand der mit den Beschwerdeführern getroffenen Berufungsvereinbarungen. Das Ziel, eine Steigerung der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Krankenhauses zu verwirklichen, hat Gewicht. ... Steigerung der Leistungsfähigkeit setzt in einer Funktionseinheit, wie sie sich im modernen Krankenhaus darstellt, die Förderung der Zusammenarbeit in jeder Form voraus, das Bemühen, die schutzwürdigen Interessen aller beteiligten Leistungsträger in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. ... Insoweit galt es, die krankenhausärztliche Tätigkeit auch für die nachgeordneten Kräfte anziehender zu gestalten. Dazu sollte nicht zuletzt auch der vorgesehene Einkommensausgleich beitragen. Befähigtem Nachwuchs soll hierdurch ein Anreiz geboten werden, in der Tätigkeit am Krankenhaus eine Berufsstellung und Lebenssicherung zu suchen; gleichzeitig galt es zu verhindern, dass nachgeordnete, tüchtige Ärzte das Krankenhaus verlassen, weil sie eine Arbeit in freier Praxis - aus welchen Gründen auch immer - vorziehen."

Diese Erwägungen gelten auch im vorliegenden Fall. Daher ist die Beteiligung der ärztlichen Mitarbeiter liquidationsberechtigter Ärzte am Liquidationserlös durch vernünftige, auf das Gemeinwohl bedachte Erwägungen gerechtfertigt (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 29.8.1996 - 2 C 16/95 - BVerwGE 102, 29 (32 f.)).

Eine Mitarbeiterbeteiligung, die § 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 BO entspricht, ist auch nicht unverhältnismäßig. Denn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs in die Freiheit der Berufsausübung und dem Gewicht der sie rechtfertigenden Gründe ist die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt. Das gilt auch in Bezug auf die Höhe der Mitarbeiterbeteiligung an dem um die gesetzlichen und vertraglichen Abzüge verminderten Liquidationserlös. Eine Mindestbeteiligung von 20 % ist keineswegs unangemessen hoch, da die von den liquidationsberechtigten Ärzten hinzugezogenen Mitarbeiter regelmäßig in erheblichem Umfang abrechnungsfähige Leistungen erbringen und die liquidationsberechtigte Ärzte damit nennenswert entlasten. Eine Mindestbeteiligung von 50 % in den Fällen, in denen abrechnungsfähige Leistungen von den Mitarbeitern auf Dauer überwiegend selbst erbracht werden, hält sich ebenfalls im Rahmen des Zumutbaren, weil den liquidationsberechtigten Ärzten bis zu 50 % des Liquidationserlöses verbleiben, obwohl sie stark entlastet werden und sich daher anderen Aufgaben widmen können.

Der Antragsteller kann auch nicht mit Erfolg einwenden, dass die Verpflichtung zur Beteiligung der Mitarbeiter am Liquidationserlös sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletze. Betreffen Bestimmungen die Handlungsfreiheit im Bereich des Berufsrechts, scheidet Art. 2 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab nämlich aus (BVerfG, Beschl. v. 14.5.1985 - 1 BvR 449/82 - BVerfGE 70, 1 (32); BVerfG, Beschl. v. 6.10.1987 - 1 BvR 1086/82 - BVerfGE 77 (84)).

§ 29 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 BO wäre bei Vorliegen einer ausreichenden gesetzlichen Ermächtigung auch nicht wegen Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 1 GG zu beanstanden. Dabei kann unerörtert bleiben, ob Art. 14 Abs. 1 GG neben Art. 12 Abs. 1 GG überhaupt als Prüfungsmaßstab in Betracht zu ziehen wäre. Gelten die Grundrechtsgarantien der Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG nebeneinander, weil gesetzliche Regelungen sowohl in die Berufsausübung als auch in das durch den Beruf Erworbene eingreifen, weisen die Schrankenregelungen beider Grundrechte nämlich eine weitgehende Identität auf, weil sie funktionell aufeinander bezogen sind. Daher kann die Prüfung am Maßstab der Eigentumsgarantie grundsätzlich zu keinem anderen Ergebnis als die Prüfung am Maßstab der Berufsfreiheit führen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.2.1973 - 1 BvR 426/72 - BVerfGE 34, 252 (257); BVerfG, Beschl. v. 27.6.1972 - 1 BvL 34/70 - BVerfGE 33, 240 (247); BVerfG, Urt. v. 17.2.1998 - 1 BvR 1/91 - DVBl. 1998 S. 393 (397); BVerfG, Urt. v. 1.3.1979 - 1 BvR 532/77 - BVerfGE 50, 290 (365); BGH, Beschl. v. 3.3.1986 - AnwZ (B) 1/86 - NJW 1986 S. 2499 (2500); Maunz-Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Art. 14, Rn. 222; v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner Grundgesetz, Kommentar, 4. Aufl., Art. 14, Rn. 99).

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