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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 26.10.2004
Aktenzeichen: 8 LA 146/04
Rechtsgebiete: AsylVfG, GG, VwGO
Vorschriften:
AsylVfG § 78 III Nr. 3 | |
GG Art. 103 I | |
VwGO § 138 Nr. 3 | |
VwGO § 87b III |
Tatbestand:
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg, weil der von den Klägern geltend gemachte Berufungszulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG nicht vorliegt. Die Berufung kann nicht wegen der von den Klägern behaupteten Versagung rechtlichen Gehörs zugelassen werden. Dieser in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO aufgeführte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) gebietet, dass das Urteil nur auf solche Tatsachen und Beweismittel gestützt werden darf, die von den Verfahrensbeteiligten oder vom Gericht im Einzelnen bezeichnet zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden sind und zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.7.2001 - 2 BvR 982/00 -, InfAuslR 2001, 463 ff., m. w. N.). Daraus folgt im gerichtlichen Asylverfahren grundsätzlich die Pflicht des Gerichts, die Erkenntnismittel, auf die es seine Entscheidung zu stützen beabsichtigt, in einer Weise zu bezeichnen und in das Verfahren einzuführen, dass für die Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit besteht, diese zur Kenntnis zu nehmen und sich zu ihnen zu äußern (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.5.1984 - 9 C 208/83 -, NVwZ 1985, 411). Die Übersendung einer Erkenntnismitteliste, in der die dem Gericht vorliegenden Auskünfte, Gutachten und sonstigen Unterlagen zur Lage im Herkunftsland listenmäßig zusammengefasst sind, und der Verweis hierauf in der mündlichen Verhandlung ist nur eine von mehreren Formen der Einführung von Erkenntnismitteln und damit der Wahrung des rechtlichen Gehörs (vgl. GK-AsylVfG, § 78 Rn. 342). Erkenntnismittel können auch in anderer Form als durch Übersendung einer Liste in das Gerichtsverfahren eingeführt werden, soweit die aus Art. 103 Abs. 1 GG abzuleitende Möglichkeit besteht, dass ein gewissenhafter Verfahrensbeteiligter die eingeführten Erkenntnismittel zur Kenntnis nehmen und sich sachgerecht dazu äußern kann. Dies gilt auch für den Zeitpunkt der Einführung der Erkenntnismittel (vgl. GK-AsylVfG, § 78 Rn. 340, m. w. N.).
Dementsprechend ist es grundsätzlich zulässig, Erkenntnismittel in der Weise in das gerichtliche Verfahren einzuführen, dass die vom Gericht geführte Erkenntnismittelliste auf einer allgemein zugänglichen, den Beteiligten mitgeteilten Internetseite veröffentlicht wird und denjenigen, die nicht über einen Internetzugang verfügen bzw. diesen nicht nutzen wollen, die Liste auf Anforderung gesondert zugeleitet und gleichzeitig angegeben wird, dass und wie die darin aufgeführten Erkenntnismittel beim Gericht eingesehen werden können. Diesen Anforderungen entspricht die in der gerichtlichen Verfügung vom 29. April 2004 mitgeteilte Verfahrensweise des Verwaltungsgerichts. Die auf der angegebenen Internetseite des Verwaltungsgerichts Braunschweig veröffentlichte Erkenntnismittelliste gibt nicht nur den aktuellen Stand der jeweiligen Liste wieder. Darin wird - nunmehr - zusätzlich das Datum der jeweiligen Aufnahme eines neuen Erkenntnismittels angeführt. Dadurch ist die Überprüfung sichergestellt, in welcher Fassung diese Erkenntnismittelliste jeweils für einzelne Verfahren gilt. Es ist dies nach der Verfügung vom 29. April 2004 "in Hauptsacheverfahren die Liste mit dem Stand vom Vortag der Entscheidung und im Übrigen die Liste mit dem Stand vom Zeitpunkt der Entscheidung." Ob die - geringe - Zeitspanne zwischen der maßgeblichen Fassung der Liste und dem Entscheidungszeitpunkt dem gewissenhaften Verfahrensbeteiligten noch die realistische Chance gibt, die eingeführten Erkenntnismittel einzusehen und sich sachgerecht zu äußern, erscheint fraglich, kann hier aber dahinstehen. Gleiches gilt für die Frage, ob auch aus der im Mai 2004, d.h. zum Entscheidungszeitpunkt des Gerichts, auf der angegebenen Internetseite veröffentlichten Erkenntnismitteliste hervorging, in welcher Fassung sie für dieses Verfahren maßgebend sein sollte.
Denn selbst wenn der Verweis auf die im Mai im Internet veröffentlichte Fassung der Erkenntnismittelliste des Verwaltungsgerichts Braunschweig den Anforderungen des rechtlichen Gehörs insoweit nicht genügen würde, greift die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht durch. Eine solche Gehörsrüge erfordert es nämlich regelmäßig, substantiiert darzulegen, was der Kläger bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgetragen hätte und inwieweit der weitere Vortrag seiner Klage zum Erfolg hätte verhelfen können. Außerdem kann eine Gehörsrüge keinen Erfolg haben, wenn der Kläger es versäumt hat, sich im Rahmen der gegebenen prozessualen Möglichkeiten Gehör zu verschaffen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.1.2000 - 9 B 2/00 -, Buchholz 310 § 133 (nF) VwGO Nr. 53, m. w. N.).
Die Gehörsrüge der Kläger greift hier deshalb nicht durch, da sie in dem Antrag auf Zulassung der Berufung nicht dargelegt haben und auch nicht ersichtlich ist, was die Kläger bei ausreichender Einführung der Erkenntnismittelliste zu der insoweit streitigen Behandlungsmöglichkeit der Klägerin zu 2) wegen einer Eisenmangelanämie, einer "Erkrankung des Kreislaufsystems" und einer Depression noch vorgetragen hätten und inwieweit der weitere Vortrag ihrer Klage zum Erfolg hätte verhelfen können. Darüber hinaus haben es die Kläger versäumt, sich im Rahmen der gegebenen prozessualen Möglichkeiten Gehör zu verschaffen. Dabei kann dahinstehen, inwieweit die - zu diesem Zeitpunkt nicht anwaltlich vertretenen - Kläger verpflichtet gewesen sind, von sich aus nach Erhalt des gerichtlichen Schreibens vom 29. April 2004 nachzufragen, welche Erkenntnismittel das Verwaltungsgericht nunmehr seiner Entscheidung zugrunde zu legen gedenkt. Die Kläger haben jedenfalls in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt, dass sie "im Einzelnen auf eine Erörterung und Benennung der Unterlagen zur medizinischen Behandlungsmöglichkeit im Kosovo verzichten." Wenn die Kläger aber selbst angeben, an der Erörterung und Benennung der von dem Verwaltungsgericht für entscheidungserheblich erachteten Erkenntnismittel nicht interessiert zu sein, so haben sie es versäumt, sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten Gehör zu verschaffen. Die Kläger können daher ihre Gehörsrüge nicht erfolgreich darauf stützen, dass das Verwaltungsgericht die insoweit der Entscheidung zugrunde gelegten Erkenntnismittel nicht ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt habe. Die Verletzung rechtlichen Gehörs kann auch nicht darauf gestützt werden, das Verwaltungsgericht habe den Vortrag der Klägerin zu 2) in der mündlichen Verhandlung, dass sie nach dem ärztlichen Attest vom 28. April 2004 an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, zu Unrecht unberücksichtigt gelassen. Insoweit kann dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen eine fehlerhafte Anwendung des § 87 b Abs. 3 VwGO zur Zurückweisung verspäteten Vorbringens zugleich auch einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs darstellt (vgl. zu den Präklusionsbestimmungen im Zivilprozess BVerfG, Beschl. v. 6.4.1999 - 2 BvR 325/99 -, m. w. N.). Jedenfalls sind vorliegend die auch im asylrechtlichen Verfahren anwendbaren (BVerwG, Beschl. v. 27.3.2000 - 9 B 518/99 -, Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60) Voraussetzungen des § 87 b Abs. 3 VwGO für die Zurückweisung verspäteten Vorbringens gegeben gewesen. Nach § 87 b Abs. 3 Satz 1 VwGO kann das Gericht Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach Absatz 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde, der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist. Diese Voraussetzungen waren vorliegend gegeben.
Wie sich aus der in den Urteilsgründen enthaltenen Bezugnahme auf das gerichtliche Schreiben vom 23. März 2004 ergibt, wurde die Zurückweisung auf den Tatbestand des § 87 b Abs. 2 VwGO gestützt. In dem Schreiben vom 23. März 2004 waren die Kläger aufgefordert worden, "als erheblich angesehene neue Tatsachen und Beweismittel bis zum 20. April 2004 ... anzugeben." Diese Frist haben sie mit ihrem neuen Vortrag und der Vorlage des Attests vom 28. April 2004, wonach die Klägerin zu 2) an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, in der mündlichen Verhandlung am 5. Mai 2004 versäumt. Der Vortrag war neu, weil die Klägerin zu 2) sich zuvor im Gerichtsverfahren nicht auf das Vorliegen einer solchen Erkrankung berufen hatte. Dass sie zuvor ihr Vorbringen auf eine entsprechende Verdachtsdiagnose gestützt hatte, steht dem nicht entgegen. Der Verdacht - zumal einer psychischen - Erkrankung ist nicht mit dem Nachweis der Erkrankung gleichzusetzen. Außerdem konnte der im März 2003 geäußerte Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung bei einem mehrwöchigen stationären Aufenthalt der Klägerin zu 2) von April bis Mai 2003 nach dem von ihr selbst in das Gerichtsverfahren eingeführten ärztlichen Attest vom 1. Juli 2003 nicht "bewiesen werden, zumal weitere diverse Belastungen und Versorgungsinteressen der Klägerin zu berücksichtigen" waren. In dem Schreiben vom 23. März 2004 waren die Kläger ferner ordnungsgemäß über die Rechtsfolgen eines nicht fristgerechten neuen Vorbringens belehrt worden. Dass die Berücksichtigung der geltend gemachten Erkrankung die Erledigung des Rechtsstreits aus Sicht des Verwaltungsgerichts verzögert hätte, ist in den Urteilsgründen gleichfalls dargelegt worden. Dass die früheren Bevollmächtigten der Kläger sich nicht rechtzeitig um einen entsprechenden Vortrag unter Vorlage eines Attestes gekümmert haben sollen, stellte aus den im Urteil genannten Gründen keine hinreichende Entschuldigung dar.
Der Einwand der Kläger, dass das in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Attest vom 28. April 2004 stamme, deshalb nicht bereits bis zum 20. April 2004 habe vorgelegt werden können und deshalb auch die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach § 87 b Abs. 3 VwGO nicht gegeben sein könnten, geht fehl. Denn schon der entsprechende Vortrag (und nicht erst die Vorlage des in Bezug genommenen Beweismittels) ist zurückgewiesen worden. Dass die Klägerin zu 2) sich darauf, dass ihre Erkrankung nunmehr festgestellt worden sei, nicht fristgerecht hätte berufen können, macht sie jedoch selbst nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich. Im Übrigen ist das in Bezug genommene fachärztliche Attest erkennbar auf Antrag der Kläger "zur Vorlage beim Verwaltungsgericht" ausgestellt worden. In dem Attest wird der Klägerin zu 2) bescheinigt, sich seit Januar 2003 in der ambulanten nervenärztlichen Behandlung des Herrn C. zu befinden. Wenn die Klägerin zu 2) sich aber bereits seit Januar 2003 bei Herrn C. in nervenärztlicher Behandlung befindet und sich auf dessen Angaben zur Begründung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG beruft, so liegt es auf der Hand, dies unter Vorlage eines Attestes unverzüglich, spätestens aber innerhalb der von dem Gericht zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung bis zum 20. April 2004 gesetzten Frist gegenüber dem Gericht geltend zu machen. Hierfür bestand insbesondere deshalb Anlass, weil den Klägern aus dem ablehnenden Bescheid des beklagten Bundesamtes vom 30. Juni 2003 und dem Beschluss des Verwaltungsgerichts in dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren vom 11. Juli 2003 - 6 B 273/03 - bekannt war, dass sich aus ihrem bisherigen Vorbringen und den dazu vorgelegten ärztlichen Attesten kein hinreichender Anhaltspunkt für ein Abschiebungshindernis im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ergab. In diesem Beschluss hatte das Verwaltungsgericht auch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass hinsichtlich des geltend gemachten Verdachts auf eine posttraumatische Belastungsstörung nach der ärztlichen Bescheinigung aus der Klinik D. vom 1. Juli 2003 kein weiterer gerichtlicher Aufklärungsbedarf mehr bestand. Bei dieser Sachlage ist es auch nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht das ihm bei einer Zurückweisung von verspätetem Vorbringen nach § 87 b Abs. 3 VwGO zustehende Ermessen dahingehend ausgeübt hat, das neue Vorbringen nicht zu berücksichtigen und die Klägerin zu 2) stattdessen auf ein weiteres - grundsätzlich mögliches - Wiederaufnahmeverfahren hinsichtlich der Voraussetzungen des § 53 AuslG zu verweisen.
Ende der Entscheidung
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