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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 12.09.2007
Aktenzeichen: 8 LB 210/05
Rechtsgebiete: AufenthG, VwVfG


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 7
VwVfG § 51
Zur - hier bejahten - Gefahr einer Retraumatisierung bei Rückkehr nach Serbien (Kosovo).
NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG URTEIL

Aktenz.: 8 LB 210/05

Datum: 12.09.2007

Gründe:

Die am C. in Pristina (Kosovo), damals Jugoslawien, heute Serbien, geborene Klägerin begehrt mit ihrem vorliegenden Folgeschutzgesuch die Feststellung eines Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Serbiens.

Die Klägerin wohnte nach ihren Angaben im Asylerstverfahren zuletzt gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrem ältesten, 1988 geborenen Sohn in D.. Sie verließ das Kosovo am 15. Juli 1993 und reiste gemeinsam mit ihrem Sohn und ihrem Ehemann, der das Kosovo bereits am 15. Juni 1993 verlassen und sich zwischenzeitlich einen Monat in Mazedonien aufgehalten hatte, am 18. Juli 1993 in das Bundesgebiet ein. Dort wurde ihr Aufenthalt zunächst geduldet. Nachdem die ihnen erteilten Duldungen nicht mehr verlängert worden waren, stellte die Klägerin im Juli 1994 gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrem ältesten Sohn einen Asylerstantrag. Darin bezeichnete sie sich von Beruf als "Wirtschaftstechnikerin". Bei der Anhörung vor dem Bundesamt am 7. Juli 1994 gab die Klägerin auf die Frage nach ihren Asylgründen an, dass sie nur wegen ihres Mannes in die Bundesrepublik Deutschland gefahren sei. Persönlich habe sie keine Schwierigkeiten mit der Polizei oder Behörden in ihrem Heimatland gehabt. Allerdings sei im Juni letzten Jahres, also 1993, die Polizei eines Morgens um 9.00 Uhr zu ihnen nach Hause gekommen. Sie sei zu diesem Zeitpunkt im Hof gewesen. Die Polizei sei auf sie zugekommen und habe sie gefragt, wo sich ihr Ehemann befinde. Sie habe geantwortet, dass ihr Mann nicht da sei. Daraufhin habe sie ihren Schwiegervater geholt. Der sei gekommen und habe ihnen (den Polizisten) noch einmal die Abwesenheit ihres Ehemanns bestätigt. Daraufhin sei die Polizei gegangen. Auf Nachfrage gab die Klägerin an, Weiteres habe die Polizei nicht unternommen. Sie hätten nur gesagt, dass ihr Ehemann sich bei ihnen melden solle. Da ihr Ehemann sich nicht gemeldet habe, seien sie dann am nächsten Morgen ganz früh wiedergekommen und hätten erneut nach ihrem Mann gefragt. Ihr Schwiegervater habe gesagt, dass er (der Ehemann der Klägerin) nicht da sei. Nachdem auf Nachfrage eine Anwesenheit des Ehemannes durch den Schwiegervater erneut verneint worden sei, sei die Polizei dann gegangen. Die angedrohte Hausdurchsuchung habe nicht stattgefunden. Ein Grund für die Suche nach dem Ehemann sei nicht angegeben worden. Sie hätten jedoch vermutet, dass dies mit den Aktivitäten ihres Mannes in der LDK zusammenhänge. Er habe im Auftrag der LDK bei bessergestellten Leuten Gelder für insgesamt 16 bedürftige Familien gesammelt und diese Mittel bei einer zentralen Sammelstelle abgegeben. Auf Nachfrage, warum die Klägerin nicht zusammen mit ihrem Mann das Land verlassen habe, gab sie an, dass die Polizei nach ihr nicht gesucht habe und sie deshalb erst einmal nicht habe wegzugehen brauchen. Als die Polizei dann aber begonnen habe, auch ihr Kind nach seinem Vater zu befragen, seien sie selbst auch ausgereist. Sie (die Polizisten) hätten auch die Kinder ihres Schwagers befragt. Nach ihnen zu Hause seien sie (die Polizisten) nicht mehr gekommen.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte die Asylanträge der Klägerin, ihres Ehemannes und ihres ältesten Sohnes mit Bescheid vom 18. August 1994 ab und stellte ergänzend fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Die gegen die Ablehnung der Asylanträge erhobene Klage wurde in der Berufungsinstanz durch den 9. Senat des erkennenden Gerichts mit Urteil vom 13. Februar 1996, rechtskräftig seit dem 14. Juni 1996, abgewiesen. Da die negative Feststellung des Bundesamtes zu § 53 AuslG im gerichtlichen Verfahren ersatzlos aufgehoben worden war, erließ das Bundesamt am 15. August 1996 erneut einen Bescheid, in dem es feststellte, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Dieser Bescheid wurde am 17. März 1999 bestandskräftig.

Im Juni 1999 wurden, gestützt auf die allgemein schwierige Lage im Kosovo - dort hätten sie kein Haus und wüssten nicht, wovon sie den Lebensunterhalt bestreiten sollten - für die beiden jüngeren, 1995 und 1998 im Bundesgebiet geborenen Kinder der Klägerin Asyl(erst-)anträge gestellt, die mit Bescheid vom 4. Juni 2002, bestandskräftig seit dem 29. Juli 2004, abgelehnt wurden.

Ebenfalls im Juni 1999 wurde für die Klägerin, ihren Ehemann und den ältesten Sohn jeweils ein Asylfolgeantrag gestellt, und zwar unter Berufung auf eine Gruppenverfolgung zu Lasten albanischer Volkszugehöriger aus dem Kosovo. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 20. Oktober 1999 abgelehnt. Nach Klagabweisung durch das Verwaltungsgericht Göttingen wurde dieser Bescheid am 20. Februar 2002 bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 14. September 2004 beantragte die Klägerin gegenüber dem Bundesamt das Wiederaufgreifen des Verfahrens bezogen auf die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG. Der Antrag sei zulässig, da das Bundesamt jedenfalls gemäß § 51 Abs. 5 i. V. m. §§ 48, 49 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen über das Wiederaufgreifen zu entscheiden habe. Der Antrag sei auch begründet. Ausweislich des beigefügten Attestes des Neurologen und Psychiaters E. aus F. vom 22. Mai 2003 leide die Klägerin an einer "rezidivierenden Depression mit häufig begleitenden Ängsten, z. T. in Form von Panikattacken", nach dem Bericht des psychologischen Psychotherapeuten G. aus H. vom 13. Juli 2004 an "multiplen psychosomatischen Beschwerden, einer akuten Belastungsreaktion mit sozialer Phobie, einer dissoziativen Amnesie und einer schweren suizidal getönten depressiven Reaktion". Ferner bestehe der Verdacht auf ein posttraumatisches Belastungssyndrom. Im Falle einer Rückkehr in das Herkunftsland sei mit einer Retraumatisierung zu rechnen und im Übrigen dort, nämlich im Kosovo, nach der ebenfalls beigefügten Stellungnahme des Leiters der Abteilung für Psychiatrie im Universitätsklinikum I. vom 1. Juli 2004 die notwendige Psychotherapie nicht gewährleistet. Im Laufe des Verwaltungsverfahrens wurde von der Klägerin ergänzend eine Stellungnahme von Herrn J., Nebenstelle F. des Gesundheitsamtes für die Stadt und den Landkreis K., vom 1. November 2004, beigefügt. Darin wurde "nach Wertung der anamnestischen Angaben, der Eigen- und Fremdbefunde festgestellt, dass die Klägerin nach fachpsychiatrischer Beurteilung wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung als nicht reisefähig einzuschätzen" sei. In diesem Schreiben wurde die Klägerin u. a. mit den Angaben zitiert, dass sie seit 2000 in Anbetracht der durchlebten Kriegserlebnisse, die sie seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland 1993 auch über albanisches Satellitenfernsehen habe verfolgen können, unter Durchschlafstörungen, Kopfschmerzen, Angstzuständen und nervösen Zuständen leide. Sie sei in regelmäßiger Anbindung an den Hausarzt L. sowie im Zeitraum von 2001 bis 3/2003 an E.. Für eine fachpsychiatrische Behandlung habe sie keine Überweisung bekommen. Seit 2003 fahre sie alle zwei bis drei Wochen nach H. zu dem Psychotherapeuten G..

Mit Bescheid vom 23. Dezember 2004 lehnte das Bundesamt eine Änderung des Erstbescheides vom 18. August 1994 (richtig wohl: des Bescheides vom 15. August 1996) bezüglich der Feststellung zu § 53 (Abs. 6) AuslG ab. Der Klägerin stehe, so die Begründung des Bescheides, kein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach dem unmittelbar anwendbaren § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zu. Sie berufe sich auf angebliche Vorgänge, die sie bereits im Verlauf des früheren Verfahrens, zumindest aber innerhalb von drei Monaten ab Kenntnis hätte darlegen können. Dies habe sie nicht getan, so dass einem Anspruch der Klägerin auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG bereits die Regelungen in dessen Abs. 2 und 3 VwVfG entgegenstünden. Unabhängig davon stehe dem Ausländer zwar gemäß §§ 51 Abs. 5, 48 und 49 VwVfG ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung zu, ob das vorhergehende Verfahren im Interesse der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsverfahrens wieder eröffnet und die bestandskräftige frühere Entscheidung zurückgenommen oder widerrufen werde. Gründe, die vorliegend einen Widerruf der Entscheidung zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG rechtfertigen würden, lägen jedoch nicht vor. Die Behauptung der Klägerin, bei ihr liege bedingt durch Erlebnisse in Serbien und Montenegro eine posttraumatische Belastungsstörung vor, sei völlig unglaubhaft. Diese Einschätzung des Bundesamtes wurde im Einzelnen durch Gegenüberstellung der Angaben der Klägerin in ihrem Asylverfahren sowie gegenüber den behandelnden Ärzten und Psychotherapeuten und durch Vergleich mit den Angaben ihres Ehemanns im Asylerstverfahren näher begründet. Es sei deshalb davon auszugehen, dass die psychischen Probleme der Klägerin ursächlich mit ihrer unsicheren Aufenthaltssituation im Bundesgebiet zusammenhingen. Derartige Gefahren seien inlandsbezogen und deshalb von der zuständigen Ausländerbehörde gegebenenfalls im Vollstreckungsverfahren zu würdigen. Gleiches gelte für die der Klägerin attestierte Suizidalität.

Die Klägerin hat daraufhin am 29. Dezember 2004 den Verwaltungsrechtsweg beschritten. Der angefochtene Bescheid enthalte keine ordnungsgemäße Ermessensausübung hinsichtlich des Wiederaufgreifens des Verfahrens im weiteren Sinne. Im Übrigen sei verkannt worden, dass die der Klägerin vorgehaltenen Widersprüche und Auslassungen gerade auf ihre psychische Erkrankung zurückzuführen seien. Dazu ist ergänzend auf eine Bescheinigung von Frau M. aus N. vom 23. Januar 2005 Bezug genommen worden. Die Klägerin habe danach krankheitsbedingt und aufgrund der ablehnenden Haltung im Kosovo gegenüber psychisch Erkrankten und gegenüber in ihrer Ehre verletzten Frauen im vorangegangen Verfahren nicht über ihre Erlebnisse und Beschwerden sprechen können. Die für sie zwingend notwendige Psychotherapie werde im Kosovo nicht angeboten, wie sich u. a. aus einer Stellungnahme von Frau O. vom November 2004 entnehmen lasse. Schließlich drohe ihr (der Klägerin) allein schon bei einer Rückkehr in das Kosovo eine sog. Retraumatisierung.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 23. Dezember 2004 zu verpflichten festzustellen, dass bei der Klägerin ein Abschiebungshindernis gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.

Die Beklagte hat unter Bezugnahme auf die Begründung des angefochtenen Bescheides beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 3. Mai 2005 stattgegeben. Die gesundheitlichen Probleme der Klägerin hätten sich erst nach Abschluss des letzten Asylverfahrens ergeben und sich gravierend verschlechtert. Sie leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung, die auf Erlebnisse in ihrem Heimatland zurückzuführen sei. Im Falle einer Abschiebung nach Serbien und Montenegro einschließlich Kosovo würde sie mit den ihre Traumatisierung auslösenden Umständen nachhaltig konfrontiert und dadurch retraumatisiert, und zwar landesweit und unabhängig von den in Serbien und Montenegro bestehenden Behandlungsmöglichkeiten.

Der Senat hat auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 2. November 2005 die Berufung zugelassen. Zur Begründung ihrer Berufung hat die Beklagte auf ihre Ausführungen im Zulassungsantrag Bezug genommen und ergänzend Kritik an der Annahme des Verwaltungsgerichts geübt, die Klägerin leide an einer auf Ereignisse in ihrem Heimatland zurückzuführenden posttraumatischen Belastungsstörung. Unabdingbare Voraussetzung für das Vorliegen einer solchen Erkrankung sei als sog. A-Kriterium das Vorhandensein eines traumatisierenden Ereignisses. Dieses müsse eindeutig festgestellt sein, und zwar nach kritischer Überprüfung seitens eines dazu befähigten Gutachters. Eine solche Überprüfung sei in keiner der zur Akte gereichten ärztlichen bzw. psychologischen Stellungnahmen erwähnt worden. Anlass zu einer solchen kritischen Überprüfung habe insbesondere wegen der wechselnden und zum Teil gesteigerten Angaben der Klägerin zu den vermeintlich das Trauma auslösenden Ereignissen im Jahr 1993 bestanden. In dieser Einschätzung sieht sich die Beklagte durch das im Laufe des Berufungsverfahrens von der Klägerin vorgelegte Gutachten der Diplom-Psychologen P. /Q. vom 29. Januar 2007 und das ergänzende Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen R. vom 13. August 2007 bestätigt. Die Gutachter hätten gerade nicht die notwendige Überzeugung gewinnen können, dass die Klägerin tatsächlich an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide und diese Erkrankung auf die von der Klägerin vorgebrachten Ereignisse im Kosovo zurückzuführen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 3. Mai 2005 - 1. Kammer (Einzelrichter) - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie räumt ein, dass die Gutachter P. und Q. bei ihr das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht eindeutig haben feststellen können. Ungeachtet dessen hätten sie ebenso wie der gerichtlich beauftragte Gutachter R. bei der Klägerin eine (schwere) depressive Episode festgestellt und weiterhin ausgeführt, dass sich bei einer Rückkehr der Klägerin in das Kosovo ihr Gesundheitszustand gravierend verschlechtern würde. Dort stünden nämlich keine hinreichenden Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Zumindest deshalb sei ein Abschiebungsverbot gegeben.

Das Gericht hat über den Gesundheitszustand der Klägerin Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Herrn R. erhoben. Insoweit wird auf sein Gutachten vom 13. August 2007 Bezug genommen. Die Klägerin ist in der mündlichen Verhandlung angehört worden. Insoweit wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung und wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der Beiakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet, da das Verwaltungsgericht die Beklagte zu Recht verpflichtet hat, ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (i. d. F. des Gesetzes vom 19.8.2007, BGBl. I. S. 1970) bezüglich Serbiens festzustellen.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht begründet worden. Die Beklagte konnte sich zur Begründung ihres Berufungsantrages auf die Begründung ihres Zulassungsantrages berufen, da darin bereits eine eingehende Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Urteils stattgefunden hat. Die demnach zulässige Berufung ist aber unbegründet, da das Verwaltungsgericht der zulässigen Verpflichtungsklage zu Recht stattgegeben hat.

Die Klage ist zulässig, insbesondere besteht für sie auch jetzt noch ein Rechtsschutzbedürfnis, nachdem der Klägerin nach § 23 Abs. 1 AufenthG i. V. m. der Niedersächsischen Bleiberechtsregelung vom 6. Dezember 2006 (Nds. MBl. 2007, S. 43) eine bis zum 30. September 2007 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist und diese danach mutmaßlich nach § 23 AufenthG, hilfsweise nach § 104a AufentG verlängert werden wird. Denn sowohl eine auf § 23 Abs. 1 AufenthG gestützte als auch eine nach § 104a AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis wird jeweils nur befristet und bei zumindest überwiegender Sicherung des Lebensunterhalts aus eigenen Mittel gewährt. Diese Form der Aufenthaltserlaubnis vermittelt der Klägerin also nur ein vorläufiges, unsicheres Aufenthaltsrecht. Die von ihr in diesem Verfahren begehrte Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entfaltet hingegen grundsätzlich Dauerwirkung, ist gemäß § 42 Abs. 1 AsylVfG für die Ausländerbehörde bis zu einer etwaigen bestandskräftigen Aufhebung durch das Bundesamt gemäß § 73 Abs. 3 AsylVfG bindend und führt daher gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG zwar ebenfalls "nur" zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, die aber aus den vorher genannten Gründen jedenfalls hier "dauerhafter" als eine solche nach §§ 23 oder 104 a AufenthG ist. Dies begründet ein fortdauerndes Rechtsschutzbedürfnis für die vorliegende Klage (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.7.2001 - 1 C 5/01 -, BVerwGE 115, 1 ff., u. a. mit Bezugnahme auf OVG Münster, Urt. v. 28.6.2000 - 1 A 1462/96 -). Die demnach zulässige Klage ist auch begründet. Voraussetzung für die von der Klägerin begehrte Feststellung eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Serbiens ist zunächst, dass das Verfahren insoweit nach § 51 VwVfG wieder aufzugreifen ist bzw. wirksam vom Bundesamt wiederaufgegriffen worden ist. Denn mit Bescheid vom 15. August 1996, bestandkräftig seit dem 17. März 1999, ist für die Klägerin festgestellt worden, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Nachdem das Aufenthaltsgesetz an die Stelle des Ausländergesetzes getreten ist, bezieht sich diese Feststellung nunmehr auf das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, und zwar bezogen auf den Heimatstaat der Klägerin, d. h. das heutige Serbien, zu dem das Kosovo unverändert zählt (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.12.2001 - 1 C 11/01 -, BVerwGE 115, 267 ff.). Rechtsgrundlage für das demnach notwendige Wiederaufgreifen des Verfahrens ist § 51 VwVfG einschließlich dessen § 51 Abs. 5 VwVfG. Die in Absatz 5 gesetzlich anerkannte, grundsätzlich im Ermessen der Behörde stehende Wiederaufgreifensmöglichkeit wird hier nicht durch die auf § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG beschränkte Verweisung des § 71 AsylVfG ausgeschlossen. Die letztgenannte Verweisung bezieht sich nämlich lediglich auf erneute Asylanträge im Sinne des § 13 Abs. 1 AsylVfG. Bei dem vorliegend in Rede stehenden Begehren, (erneut) das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu überprüfen und dann ein entsprechendes Abschiebungshindernis festzustellen, handelt es sich jedoch nicht um einen Asylantrag im Sinne des § 13 Abs. 1 AsylVfG (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.9.1999 - 1 C 6/99 -, NVwZ 2000, 204 ff.). Dem Wiederaufgreifen des Verfahrens und einer nachfolgenden Feststellung der geltend gemachten Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch das Bundesamt steht schließlich auch nicht die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Göttingen vom 23. Februar 1999 entgegen, mit dem die Klage gegen die vom Bundesamt mit Bescheid vom 15. August 1996 getroffene, negative Feststellung zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG abgewiesen worden ist (vgl. nochmals BVerwG, Urt. v. 7.9.1999, a. a. O., m. w. N.).

Die Voraussetzungen für einen - vorrangig - zu prüfenden Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG sind nicht gegeben. Die Klägerin beruft sich mit der von ihr geltend gemachten Erkrankung sinngemäß auf eine Änderung der Sachlage "zu ihren Gunsten" im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Nach den von ihr eingereichten Unterlagen befindet sie sich spätestens seit dem Juni 2002 in ambulanter nervenärztlicher Behandlung. Bereits im Mai 2003 hat ihr der behandelnde Facharzt E. bescheinigt, an einer rezidivierenden Depression mit häufig begleitenden Ängsten, zum Teil auch in Form von Panikattacken zu leiden. Als Ursache führte er psychisch traumatisierende Erlebnisse im Rahmen des Kosovo-Krieges an. Diese Stellungnahme war "zur Vorlage bei der Ausländerbehörde" bestimmt. Sie nahm deshalb ausdrücklich zu etwaigen gesundheitlichen Folgen bei einer Rückkehr der Klägerin in ihr Heimatland bzw. in das Kosovo Stellung. Spätestens ab Ausstellung dieser Bescheinigung hatte die Klägerin daher im Sinne des § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG Kenntnis von dem nunmehr in Anspruch genommenen Wiederaufgreifensgrund. Sie hätte ihn demnach binnen drei Monaten geltend machen müssen. Tatsächlich ist der Wiederaufgreifensantrag jedoch viel später, nämlich erst im September 2004 und damit nach Ablauf der 3-Monats-Frist, beim Bundesamt eingereicht worden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Wiederaufgreifensantrag eine weitere Stellungnahme zum Gesundheitszustand der Klägerin beigefügt war, nämlich ein sogenannter psychologischer Bericht des psychologischen Psychotherapeuten G. aus H., und dass dieser erst unter dem 13. Juli 2004 gefertigt worden ist. Dessen Ausführungen vertiefen den zuvor genannten ärztlichen Bericht, beinhalten jedoch keine darüber hinausgehenden, substantiell neuen Tatsachen. Insbesondere wird auch in dieser Stellungnahme das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung bei der Klägerin nicht festgestellt, sondern lediglich ein dahingehender Verdacht geäußert.

Ebenso wenig kann ein Anspruch auf Wiederaufgreifen erfolgreich auf § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, d. h. auf das Vorliegen eines neuen Beweismittels, gestützt werden. Ein Beweismittel fällt nur dann in den Anwendungsbereich des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, wenn es sich auf den im ersten Verfahren geltend gemachten Sachverhalt bezieht (vgl. GK-AsylVfG, § 71, Rn. 134). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, da von der Klägerin in ihrem vorhergehenden "Asylerstverfahren" und auch im Asylfolgeverfahren keine krankheitsbedingten Abschiebungshindernisse geltend gemacht worden sind.

Besteht somit zwar kein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG, d. h. auf ein sogenanntes Wiederaufgreifen im engeren Sinne, so steht dem betroffenen Ausländer aber darüber hinaus ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG i. V. m. § 49 Abs. 1 VwVfG zu. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. zum Folgenden Urt. v. 20.10.2004 - 1 C 15/03 -, BVerwGE 122, 103 ff.) ist in der hier zu beurteilenden Fallgestaltung von Amts wegen zu klären, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen oder nicht; bei der gerichtlichen Feststellung eines Ermessensfehlers darf nicht stehengeblieben und allein deshalb zur Neubescheidung verpflichtet werden. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die geltend gemachten neuen Tatsachen die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG nicht rechtfertigen, so ist die Verpflichtungsklage in jedem Fall abzuweisen. Denn in diesem Fall ist nach § 49 Abs. 1 VwVfG von Rechts wegen eine Aufhebung der vorhandenen negativen Feststellung ausgeschlossen. Umgekehrt ist eine abschließende gerichtliche Entscheidung zu Gunsten des Ausländers dann geboten, wenn ein Festhalten an der bestandskräftigen negativen Entscheidung zu § 60 Abs. 7 AufenthG zu einem schlechthin unerträglichen Ergebnis führen würde und das Ermessen der Behörde (deshalb) auf Null reduziert ist. Dafür reicht es nicht aus, dass bei dem Betroffenen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Er muss sich vielmehr darüber hinaus in einer besonderen Gefahr befinden, die von dem Bundesverwaltungsgericht als extreme individuelle Gefahrensituation und als der Schwere nach vergleichbar mit einer extremen allgemeinen Gefahrensituation im Sinne der Rechtsprechung zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bezeichnet wird. Selbst beim Vorliegen einer solchen extremen individuellen Gefahrensituation ist das Ermessen der Behörde schließlich nicht ausnahmslos auf Null reduziert. So ist dem Bundesamt ungeachtet des Vorliegens einer solchen besonderen Gefahrensituation etwa dann Ermessen eröffnet, wenn die Abschiebung des Betroffenen aktuell nicht ansteht, er etwa aufgrund tatsächlicher Hindernisse oder der Erlasslage ohnehin zur Zeit nicht abgeschoben werden kann.

Gemessen an diesen Vorgaben ist die Beklagte hier zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu verpflichten, weil sich die Klägerin krankheitsbedingt bei einer Rückkehr nach Serbien in einer "extremen individuellen Gefahrensituation" befinden würde und deshalb vorliegend das Ermessen der Beklagten zu Gunsten der Klägerin auf Null reduziert ist.

§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG fordert für die Feststellung eines Abschiebungshindernisses, dass in dem Zielstaat der Abschiebung für den Betroffenen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine Gefahr ist "erheblich", wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Konkret wäre die Gefahr, wenn diese Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen nach Serbien einschließlich des Kosovo einträte (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.7.1999 - 9 C 2/99 -, m. w. N.). Die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, ist in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfen ist. Erforderlich, aber auch ausreichend ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d. h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Krankheit alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Ein strengerer Maßstab gilt in Krankheitsfällen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausnahmsweise nur dann, wenn zielstaatsbezogene Verschlimmerungen von Krankheiten als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 (jetzt: Satz 3) AufenthG zu qualifizieren sind. Dies kommt allerdings bei Erkrankungen nur in Betracht, wenn es - etwa bei Aids - um eine große Anzahl Betroffener im Zielstaat geht und deshalb ein Bedürfnis für eine ausländerpolitische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG besteht. In solchen Fällen kann Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei verfassungskonformer Anwendung nur dann gewährt werden, wenn im Abschiebezielstaat für den Ausländer landesweit eine extreme zugespitzte Gefahr wegen einer notwendigen, aber nicht erlangbaren medizinischen Versorgung zu erwarten ist, wenn mit anderen Worten der betroffene Ausländer im Fall seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (vgl. zuletzt Urt. d. BVerwG v. 17.10.2006 - 1 C 18/05 - m. Anm. Beck, juris-PR, BVerwG 9/2007, Anm. 5). Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt ist, ist unerheblich. Bedarf der Betroffene zur Abwendung einer im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erheblichen Gefahr einer notwendigen ärztlichen Behandlung oder Medikation und ist diese in dem Zielstaat der Abschiebung wegen des geringen Versorgungsstandes generell nicht verfügbar, so führt dies zum Vorliegen der Voraussetzungen der bezeichneten Vorschrift. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis kann sich darüber hinaus nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Urt. v. 29.10.2002 - 1 C 1/02 -, DVBl. 2003, 463 ff.) trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung aber auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann. Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. Aus der seit dem 10. Oktober 2006 unmittelbar anwendbaren und nunmehr durch das o. a. Bundesgesetz vom 17. August 2007 umgesetzten europarechtlichen "Qualifikationsrichtlinie" 2004/83/EG ergibt sich für die hier zu beurteilende Frage nach einem Schutz vor krankheitsbedingten Gefahren im Abschiebezielstaat kein abweichender Prüfungsmaßstab (vgl. Beck, a. a. O.).

Krankheitsbedingte Gefahren, die sich allein als Folge der Abschiebung bzw. wegen des Verlassens des Bundesgebietes, nicht aber wegen der spezifischen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung ergeben können, begründen hingegen kein Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG und sind deshalb nicht vom Bundesamt im Asylverfahren, sondern als sogenannte inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse von der Ausländerbehörde zu prüfen (vgl. Urt. d. BVerwG v. 15.10.1999 - 9 C 7/99 -, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 24 sowie Beschl. v. 3.3.2006 - 1 B 126/05 -, DVBl. 2006, 850 f.).

Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann sich bei einer psychischen Erkrankung auch wegen einer dort zu erwartenden sog. Retraumatisierung aufgrund der Konfrontation mit den Ursachen des Traumas ergeben. Dass in diesem Fall an sich im Zielstaat vorhandene Behandlungsmöglichkeiten unerheblich sind, wenn sie für den Betroffenen aus für ihn in der Erkrankung selbst liegenden Gründen, nämlich wegen der Gefahr der Retraumatisierung, nicht erfolgversprechend sind, ist inzwischen überwiegend in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt (vgl. Beschluss des 11. Senats des erkennenden Gerichts v. 26.6.2007 - 11 LB 398/05 - juris, unter Bezugnahme u. a. auf VGH Kassel, Urt. v. 26.2.2007 - 4 UE 1125/05 -; OVG Koblenz, Urt. v. 9.2.2007 - 10 A 10952/06 -; OVG Schleswig, Beschl. v. 28.9.2006 - 4 LB 6/06 -; einschränkend, nämlich gegen die Annahme einer generellen Unmöglichkeit der PTBS - Behandlung im Herkunftsland: OVG Münster, Urt. v. 21.11.2005 - 21 A 1117/03 - m. w. N. auf die Rspr. des OVG Münster).

Nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass eine Rückkehr nach Serbien für die psychisch erkrankte Klägerin zu einer solchen Retraumatisierung und damit für sie zu einer "extremen individuellen Gefahrensituation" führen würde. Wie zutreffend in dem von der Klägerin vorgelegten Psychologisch-Psychotraumatologischen Fachgutachten vom 29. Januar 2007 (S. 49) und auch von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen R. mit Schreiben vom 13. August 2007 (S. 13) dargelegt worden ist, muss der Erkrankte ein Trauma, d.h. ein Ereignis, erlebt oder beobachtet haben oder mit ihm konfrontiert gewesen sein, das tatsächlich den drohenden Tod, eine ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder für andere Personen beinhaltete; er muss dadurch intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen erfahren haben. Als eine solche Situation kommt grundsätzlich auch eine erlittene oder unmittelbar bevorstehende Vergewaltigung in Betracht. Der Senat ist insbesondere unter Berücksichtigung des persönlichen Eindrucks von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung davon überzeugt, dass sie im Juni 1993 im Kosovo einer solchen Situation ausgesetzt gewesen ist, wobei dahin stehen kann, ob es zu einer vollendeten Vergewaltigung gekommen oder der Geschehensablauf im Versuchsstadium geblieben ist. Denn bereits letzteres stellt für eine kosovo-albanische Frau eine schwerwiegende, grundlegende Tabuverletzung verbunden mit der Gefahr dar, aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden (vgl. Mattern, Bedeutung der Tradition im heutigen Kosovo, S. 11 f., m. w. N.). Daraus erklärt sich für den Senat auch, warum die Klägerin bis zuletzt trotz wiederholter Andeutungen keine detaillierten Angaben zu dem im Juni 1993 erlebten Übergriff gemacht hat. Dem stehen die Angst und die Scham der Klägerin vor den Folgen eines solchen Bekenntnisses in der durch traditionelle Konventionen geprägten Familie insbesondere ihres Ehemannes entgegen. Der Senat befindet sich insoweit auch in Übereinstimmung mit dem Fachgutachten vom 29. Januar 2007, in dem dieser - sinngemäß bereits in der Bescheinigung von Frau M. aus N. vom 23. Januar 2005 angeführte - Grund (auf S. 45) ausdrücklich als eine mögliche Erklärung für das Verhalten der Klägerin benannt worden ist und dem sich auch der Sachverständige R. angeschlossen hat.

Bei dieser Sachlage befände sich die Klägerin - wie von den Diplom-Psychologen P. / Q. und R. am Schluss ihrer jeweiligen Gutachten beschrieben - bei einer Rückkehr in das Kosovo in einer aussichtslosen Lage. Auf Grund ihrer schweren Depression bedarf sie nicht nur sachkundiger medizinischer Hilfe, sondern vor allem der Unterstützung in ihrem sozialen und familiären Umfeld. Im Kosovo kann sie damit aber nicht rechnen, sondern muss im Gegenteil eher Ablehnung und Ausgrenzung befürchten. Die diesbezüglichen, sehr plausiblen Einlassungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung erschienen dem Senat absolut glaubhaft. Der Senat nimmt es der Klägerin daher auch ab, dass sie, wenn die Rückkehr unausweichlich wäre, ganz ernsthaft daran denken würde, aus dem Leben zu treten. Daher besteht für die Klägerin bei einer Rückkehr in das Kosovo ungeachtet der dortigen Behandlungsmöglichkeiten die ganz konkrete Gefahr eines psychischen Zusammenbruchs, wenn nicht gar des Suizids, und damit eine "extreme individuelle Gefahrensituation".

In andere Landesteile von Serbien kann die Klägerin schon deshalb nicht ausweichen, weil dort ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage nicht gesichert wäre (vgl. Senatsbeschl. v. 3.11.2005 - 8 LA 322/04 - InfAuslR 2006, 63 f. = ZAR 2006, 30 f. = EZAR-NF 51 Nr. 10).

Bei dieser Sachlage steht der Beklagten daher keine andere Entscheidungsmöglichkeit als die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG mehr offen.

Ende der Entscheidung

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