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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 11.01.2006
Aktenzeichen: 8 LC 56/05
Rechtsgebiete: BGB, Satzung der Rechtsanwaltsversorgung Niedersachsen, VersWerkG-RA, VwGO, VwVfG


Vorschriften:

BGB § 242
Satzung der Rechtsanwaltsversorgung Niedersachsen § 13
Satzung der Rechtsanwaltsversorgung Niedersachsen § 15
Satzung der Rechtsanwaltsversorgung Niedersachsen § 35
VersWerkG-RA § 7
VwGO § 130a
VwGO § 42
VwVfG § 36
Nach der Satzung für das Niedersächsische Versorgungswerk der Rechtsanwälte ist ein berufsunfähiges Mitglied bislang nicht verpflichtet, sich Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Berufsfähigkeit zu unterziehen.
Tatbestand:

Der 1952 geborene Kläger begehrt von der Beklagten die Bewilligung einer uneingeschränkten Berufsunfähigkeitsrente.

Der Kläger ist seit Jahresbeginn 1984 Mitglied der Beklagten. Zum Jahresende 1998 erlosch seine Zulassung als Rechtsanwalt. Im Mai 1999 stellte er bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung von Berufsunfähigkeitsrente mit der Begründung, seine behandelnden Ärzte hielten ihn seit dem August 1998 für berufsunfähig. Die Beklagte sah die dem klägerischen Antrag beigefügte ärztliche Stellungnahme zum Nachweis der Berufsunfähigkeit als unzureichend an und lehnte den Antrag deshalb mit Bescheid vom 16. Februar 2000 zunächst ab. Nachdem der Kläger im folgenden Widerspruchsverfahren ein aus Sicht der Beklagten ausreichendes ärztliches Gutachten über seine Berufsunfähigkeit vorgelegt hatte und der von der Beklagten ergänzend hinzugezogene Gutachter ebenfalls zu diesem Ergebnis gekommen war, gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 23. September 2002 die beantragte Berufsunfähigkeitsrente, allerdings mit zwei Einschränkungen. So wurde die Rente nur befristet bis zum 31. August 2003 bewilligt und ihr entsprechend den Empfehlungen des von der Beklagten bestellten ärztlichen Gutachters die "Auflage" beigefügt, dass sich der Kläger "nachweislich sowohl einer stationären Behandlung seines E. missbrauchs als auch einer konsequenten antidepressiven medikamentösen Behandlung neben einer Teilnahme an Selbsthilfegruppen für E. gefährdete, Kontaktaufnahme mit Suchtberatungsstellen und neben der Fortführung (der) bestehenden F. Behandlung als Möglichkeit einer Besserung des Beschwerdekomplexes unterziehen" müsse. Die Vorlage eines entsprechenden Nachweises müsse vierteljährlich, beginnend mit dem Dezember 2002 erfolgen. Entsprechend der diesem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung legte der Kläger am 23. Oktober 2002 Widerspruch ein und beantragte nachfolgend vorsorglich, ihm auch über den 31. August 2003 hinaus eine Berufsunfähigkeitsrente zu gewähren. Zur Begründung berief er sich darauf, dass es an der erforderlichen Rechtsgrundlage für die dem angefochtenen Bescheid beigefügten, ihn belastenden Nebenbestimmungen mangele. Der Kläger unterzog sich daher keiner stationären Behandlung seines E. missbrauchs, wobei er darauf verwies, dass seine Krankenversicherung es abgelehnt habe, die dafür erforderlichen Kosten zu übernehmen, da eine solche Maßnahme aussichtslos sei.

Die Beklagte stellte zum Monatsende August 2003 die Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente ein und wies mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2004 den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Es könne dahinstehen, ob dem angefochtenen Bescheid zu Recht Nebenbestimmungen beigefügt worden seien. Der Kläger habe dadurch jedenfalls keine Nachteile erlitten, da er die Möglichkeit gehabt habe, für die Zeit ab dem 1. September 2003 erneut Berufsunfähigkeitsrente zu beantragen. Den dazu erforderlichen Nachweis der Fortdauer seiner Berufsunfähigkeit habe er jedoch nicht erbracht. Darüber hinaus sei anzumerken, dass es der Versichertengemeinschaft nicht zuzumuten sei, unbegrenzt Leistungen zu erbringen, wenn ärztlich empfohlene Behandlungsmöglichkeiten mit der Chance einer Wiederherstellung der Berufsfähigkeit von vornherein ausgeschlagen würden.

Der Kläger hat zur Begründung seiner bereits am 12. September 2003 erhobenen (Untätigkeits-)Klage seine Auffassung wiederholt und bekräftigt, dass es an der erforderlichen Rechtsgrundlage für die ihn belastenden Nebenbestimmungen fehle. Im Übrigen hätten die bislang durchgeführten F. Maßnahmen nicht zur Wiederherstellung seiner Berufsfähigkeit geführt. Hieran werde sich mutmaßlich auch in der Zukunft nichts ändern. Sein Arzt betrachte die Prognose als "infaust".

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2004 zu verpflichten, ihm unbefristet Berufsunfähigkeitsrente ab dem 1. Januar 1999 ohne die im Bescheid vom 23. September 2002 verfügten Auflagen zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die streitigen Nebenbestimmungen auch ohne ausdrückliche Regelung in der Satzung für rechtmäßig. Der Kläger sei als Mitglied einer Solidargemeinschaft verpflichtet, sich um die Wiederherstellung seiner Berufsfähigkeit zu kümmern.

Das Verwaltungsgericht hat eine kombinierte Anfechtungsklage - gegen die "Auflage" - und Verpflichtungsklage - gegen die Befristung - als zulässig angesehen und der so verstandenen Klage durch Urteil vom 16. März 2005 stattgegeben. Für die verfügten, den Kläger belastenden Nebenbestimmungen fehle es an der erforderlichen Rechtsgrundlage.

Die Beklagte hat gegen dieses - ihr am 23. März 2005 zugestellte - Urteil am 20. April 2005 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt und rechtzeitig begründet. Dass ein Mitglied wirksam aufgefordert werden könne, seine schädlichen Verhaltensweisen zu ändern, ergebe sich aus dem Grundgedanken des § 35 Abs. 1 der Satzung. Wenn danach derjenige, der seine Berufsunfähigkeit vorsätzlich herbeigeführt habe, nicht rentenberechtigt sei, so müsse es zumindest zulässig sein, die Rentengewährung an denjenigen, der zwar berufsunfähig sei, diesen Zustand aber durch eine zumutbare Behandlung beheben könne, davon abhängig zu machen, dass das Mitglied sich einer solchen Behandlung auch unterziehe. Der dadurch auf das Mitglied ausgeübte Druck liege in dessen ureigenstem Interesse, eine dauernde Berufsunfähigkeit zu vermeiden und sich nicht an eine Rentengewährung zu gewöhnen. Im Übrigen habe die Vertreterversammlung der Beklagten am 7. September 2005 beschlossen, in § 13 Abs. 1 der Satzung einen neuen Absatz einzufügen, wonach "die Berufsunfähigkeitsrente befristet und/oder unter Auflagen gewährt werden kann." Einen Beschluss über den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzungsänderung habe die Vertreterversammlung zwar nicht getroffen. Dies sei aber auch nicht erforderlich gewesen, da die Änderung mit ihrer Veröffentlichung wirksam werden solle. Diese Veröffentlichung stehe noch aus. Die weiterhin erforderliche aufsichtsbehördliche Genehmigung der vorgesehenen Änderung des § 13 Abs. 1 der Satzung sei am 8. Dezember 2005 erfolgt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 5. Kammer - vom 16. März 2005 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Klagantrag wie folgt gefasst wird:

Der Bescheid der Beklagten vom 23. September 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2004 wird hinsichtlich der darin enthaltenen Nebenbestimmungen (Befristung, Behandlungsauflage) aufgehoben.

Er vertieft noch einmal seine Auffassung, dass die Beklagte ohne - hier fehlende - ausdrückliche Rechtsgrundlage in ihrer Satzung nicht berechtigt sei, die Berufsunfähigkeitsrente unter belastenden Nebenbestimmungen zu bewilligen. Die von der Beklagten vorgetragenen Überlegungen zur Sinnhaftigkeit einer solchen Regelung ersetzten die fehlende Norm nicht. Im Übrigen sei fraglich, ob das primäre Krankheitsbild durch die angeordneten Behandlungsauflagen überhaupt zu verbessern sei.

Die Beklagte hat der teilweisen Rücknahme der Klage widersprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakte A) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten hat Erfolg, soweit das Verwaltungsgericht von der Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage auf unbefristete Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente ausgegangen ist. Da auch gegen die in dem Bescheid vom 23. September 2002 enthaltene Befristung aus den nachfolgend angeführten Gründen nur eine Anfechtungsklage zulässig ist, ist auf die Berufung der Beklagten das verwaltungsgerichtliche Urteil insoweit zu ändern und die weitergehende, auf Erlass eines neuen Rentenbescheides gerichtete Klage abzuweisen. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger seinen dahingehenden Klageantrag im Berufungsverfahren zurückgenommen hat. Diese Rücknahme ist unwirksam und daher unbeachtlich, da sie nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung (in der ersten Instanz) erfolgt ist, zu ihrer Wirksamkeit gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO der Einwilligung der Beklagten bedarf und diese Einwilligung nicht erteilt worden ist.

Im Übrigen ist die Berufung der Beklagten hingegen unbegründet, da das Verwaltungsgericht auf die Anfechtungsklage zu Recht die in dem Bescheid vom 23. September 2002 enthaltenen Nebenbestimmungen aufgehoben hat.

Der Senat trifft diese Entscheidung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss (§ 130 a Satz 1 VwGO), weil er die Berufung einstimmig für - in dem angeführten Umfang - teilweise begründet und im Übrigen für unbegründet (vgl. zur Zulässigkeit der Entscheidung durch Beschluss nach § 130a VwGO auch bei Teilstattgabe VGH Mannheim, Beschl. v. 17.3.1997 - 9 S 2553/95 -) und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die Klage ist nur als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO gegen die in dem Bescheid vom 23. September 2002 enthaltenen Nebenbestimmungen zulässig. Gegen belastende Nebenbestimmungen ist unabhängig von der Art der Nebenbestimmung grundsätzlich die Anfechtungsklage zulässig. Ob die Anfechtungsklage zur isolierten Aufhebung der Nebenbestimmung führen kann, ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des Anfechtungsbegehrens, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vornherein ausscheidet (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.11.2000 - 11 C 2/00 -, BVerwGE 112, 221; Senatsbeschl. v. 10.11.2005 - 8 LB 252/04 -). Ein solcher Ausnahmefall, in dem die isolierte Aufhebbarkeit der Nebenbestimmung offenkundig von vornherein ausscheidet, ist vorliegend nicht gegeben. Ein Rentenbescheid über die Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente ergeht nach § 13 Abs. 1 der maßgeblichen Satzung für das Niedersächsische Versorgungswerk der Rechtsanwälte (RVS) grundsätzlich uneingeschränkt, kann also auch ohne die angegriffenen Nebenbestimmungen Bestand haben. Soweit der Kläger beantragt hat, den Bescheid vom 23. September 2002 nicht nur hinsichtlich der Nebenbestimmungen, sondern darüber hinaus insgesamt aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine uneingeschränkte Berufsunfähigkeitsrente zu bewilligen, besteht daher für die weitergehende Klage kein Rechtsschutzbedürfnis. Insoweit ist das verwaltungsgerichtliche Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die nach § 42 Abs. 1 VwGO statthafte Anfechtungsklage gegen die in dem Bescheid vom 23. September 2002 enthaltenen Nebenbestimmungen ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat der Kläger den nach §§ 68, 70 VwGO vor Klageerhebung notwendigen Widerspruch sowohl gegen den Ausgangsbescheid vom 16. Februar 2000 als auch gegen den weiteren Bescheid vom 23. September 2002 jeweils fristgerecht eingelegt. Ob die Annahme des Verwaltungsgerichts zutrifft, dass der Kläger gegen den letztgenannten Bescheid keinen Widerspruch mehr hätte einlegen müssen, weil es sich um einen Abhilfebescheid im Sinne des § 68 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 VwGO gehandelt habe, der für ihn erstmalig eine Beschwer enthalten habe und gegen den er deshalb unmittelbar hätte Klage erheben müssen, braucht nicht geklärt zu werden. Dass in diesem Fall ein objektiv unnötiges Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 23. September 2002 durchgeführt worden wäre, würde nicht zur Unzulässigkeit der Anfechtungsklage führen. Insbesondere hätte der Kläger auch in diesem Fall noch fristgerecht Klage erhoben. Wegen der dann fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung in dem Bescheid vom 23. September 2002, wonach er vor Klageerhebung Widerspruch einzulegen habe, hätte die Klagefrist gemäß § 70 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO ein Jahr nach Bekanntgabe des Bescheides vom 23. September 2002 betragen. Der Kläger hat am 12. September 2003 und damit rechtzeitig binnen Jahresfrist Klage erhoben.

Die Anfechtungsklage gegen die in dem Bescheid vom 23. September 2002 enthaltenen Nebenbestimmungen ist auch begründet, da dem Kläger gemäß § 13 Abs. 1 RVS ab dem 1. Januar 1999 eine Berufsunfähigkeitsrente ohne einschränkende Nebenbestimmungen zu bewilligen ist.

Nach § 13 Abs. 1 RVS erhält jedes Mitglied, das mindestens für einen Monat seine Versorgungsabgabe geleistet hat und das infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufes unfähig ist und deshalb seine berufliche Tätigkeit einstellt, auf Antrag eine Berufsunfähigkeitsrente, wenn die Berufsunfähigkeit länger als 90 Tage dauert. Der Anspruch auf Rentenzahlung beginnt mit dem Folgemonat der Einstellung der beruflichen Tätigkeit, wenn der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach Einstellung der beruflichen Tätigkeit gestellt wird (§ 13 Abs. 3 Satz 1 RVS). Die Feststellung der Berufsunfähigkeit erfolgt auf der Grundlage von zwei voneinander unabhängigen ärztlichen Gutachten durch den Verwaltungsausschuss der Beklagten (§ 13 Abs. 4 Satz 1 und 2 RVS). Diese Voraussetzungen für die Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente erfüllt der Kläger.

Er ist spätestens seit dem Jahresende 1998 aufgrund G. zur Ausübung seines Rechtsanwaltsberufes unfähig. Dies ergibt sich aus den gemäß § 13 Abs. 4 Satz 2 RVS im Verwaltungsverfahren eingeholten ärztlichen Gutachten.

Spätestens mit dem Erlöschen seiner Rechtsanwaltszulassung zum Jahresende 1998 hat der Kläger auch seine berufliche Tätigkeit als Rechtsanwalt eingestellt und keine andere volljuristische Tätigkeit mehr ausgeübt.

Der Kläger, der für mehr als einen Monat seine Versorgungsabgabe geleistet hat, ist auch weiterhin Mitglied der Beklagten. Zwar ist gemäß §§ 7, 10 Abs. 1 RVS die Mitgliedschaft bei der Beklagten grundsätzlich an die Mitgliedschaft in einer Rechtsanwaltskammer in Niedersachsen gekoppelt, d. h. mit dem Ausscheiden aus der Rechtsanwaltskammer erlischt grundsätzlich auch die Mitgliedschaft bei der Beklagten. Dies gilt jedoch - von weiteren hier nicht erheblichen Ausnahmen abgesehen - gemäß § 7 Satz 1 Alternative 2 RVS nicht für Rechtsanwälte, die beim Eintritt des Versorgungsfalls einer Rechtsanwaltskammer angehört haben. In diesem Fall bleibt die Mitgliedschaft bei der Beklagten unabhängig von dem Fortbestand der Mitgliedschaft in einer niedersächsischen Rechtsanwaltskammer aufrechterhalten. Dies ist bei dem Kläger der Fall, da sein Versorgungsfall der Berufsunfähigkeit bei seinem Ausscheiden aus der Rechtsanwaltskammer Celle zum Jahresende 1998 gegeben war.

Da der Kläger auch binnen sechs Monaten nach diesem Zeitpunkt, nämlich im Mai 1999, einen Antrag auf Berufsunfähigkeitsrente gestellt hat, steht ihm der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente ab dem 1. Januar 1999 gemäß § 13 Abs. 1 RVS zu.

Sind somit jedenfalls seit Jahresbeginn 1999 die Voraussetzungen für die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente nach § 13 Abs. 1 RVS gegeben, so ist diese Berufsunfähigkeitsrente dem Kläger zeitlich unbefristet zu bewilligen. Die RVS zählt abschließend die Gründe auf, aus denen die Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente zu beenden oder zu beschränken ist. Eine solche ausdrückliche Regelung der Voraussetzungen für die Einstellung der Rentenzahlung ist auch erforderlich, da diese Einstellung einen erheblichen Eingriff in die Rechtsstellung des Berechtigten bedeutet und deshalb einer Rechtsgrundlage bedarf (vgl. Senatsbeschl. v. 27.10.1992 - 8 L 4407/91 -). Eine zeitliche Befristung ist jedoch nur gemäß § 13 Abs. 2 RVS vorgesehen, und zwar für den - hier nicht gegebenen - Fall, in dem die Vertreterversammlung der Beklagten auf Vorschlag des Verwaltungsausschusses zur Vermeidung einer besonderen Härte in begründeten Einzelfällen die Berufsunfähigkeitsrente auch unter abweichenden Voraussetzungen ganz oder teilweise zuerkannt hat. Im Übrigen endet die Berufsunfähigkeitsrente in den in § 13 Abs. 5 RVS aufgeführten Fällen, d. h. mit Wegfall ihrer Bewilligungsvoraussetzungen (a), mit der Überleitung in die Altersrente (b), mit dem Tode des Bezugsberechtigten (c), wenn der Bezugsberechtigte sich einer angeordneten Nachuntersuchung nicht unterzieht (d) oder wenn eine Nachuntersuchung ergeben hat, dass keine Berufsunfähigkeit mehr besteht und das Mitglied eine volljuristische Tätigkeit ausüben kann (e). Auch diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Findet sich somit für die hier streitige Befristung der Rentenzahlung in der RVS keine Rechtsgrundlage, so ist dem Kläger die Berufsunfähigkeitsrente zeitlich unbefristet zu bewilligen.

Die vom Widerspruchsausschuss der Beklagten vertretene Ansicht, sie könne Berufsunfähigkeitsrenten jedenfalls deshalb befristet bewilligen, weil es dem betroffenen Mitglied möglich sei, nach Ablauf der Frist einen erneuten Antrag zu stellen, und es daher durch die Befristung nicht in seinen Rechten verletzt würde, trifft nicht zu. Diese Auffassung widerspricht schon § 13 Abs. 1 RVS, der aus den dargelegten Gründen bewusst die unbefristete Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente bestimmt. Zudem ist die von der Beklagten für zulässig erachtete Befristung für den betroffenen Berufsunfähigkeitsrentner auch rechtlich nachteilig, da er nach Ablauf der Frist einen Folgeantrag auf Anerkennung als Berufsunfähigkeitsrentner stellen sowie dazu auf seine Kosten erneut ein ärztliches Gutachten zum Nachweis seiner Berufsunfähigkeit vorlegen müsste und im Streitfall für das Vorliegen der Berufsunfähigkeit auch die materielle Beweislast tragen würde.

Ebenso mangelt es an der erforderlichen Rechtsgrundlage für die Aufforderung an den Kläger, sich den ihm aufgegebenen Maßnahmen zu unterziehen. Dem Kläger ist die Berufsunfähigkeitsrente daher nicht nur zeitlich unbefristet, sondern auch im Übrigen uneingeschränkt zu bewilligen. Denn die RVS enthält - im Gegensatz zu den Satzungen anderer niedersächsischer berufsständischer Versorgungswerke - zur Zeit keine Regelung, wonach die Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente oder deren Weitergewährung von Bedingungen oder Auflagen (so § 30 Abs. 5 Satz 2 der Satzung des Versorgungswerks der Psychotherapeutenkammer Niedersachsen) oder davon abhängig gemacht werden kann, ob das Mitglied geeignete Maßnahmen zur Wiedererlangung der Berufsfähigkeit ergriffen hat (so § 13 Abs. 7 Satz 5 der Alterssicherungsordnung der Zahnärztekammer Niedersachsen). Ebenso wenig folgt sie dem Beispiel der Satzung für das Versorgungswerk der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Hamburg, die in § 16 umfangreich die insoweit bestehenden Obliegenheiten des Mitglieds und die Folgen bei einer fehlenden Mitwirkung benennt.

Auch eine analoge Anwendung des § 13 Abs. 7 Satz 5 der Alterssicherungsordnung der Zahnärztekammer Niedersachsen oder des § 66 Abs. 2 SGB I über die Folgen der fehlenden Mitwirkung an der Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit im Anwendungsbereich des SGB I kommt nicht in Betracht. Voraussetzung für eine analoge Anwendung ist das Vorliegen einer ungewollten Regelungslücke. Eine solche Lücke kann zudem nur dann von der Behörde und vom Richter ausgefüllt werden, wenn aufgrund der gesamten Umstände festgestellt werden kann, welche Regelung der Normgeber getroffen haben würde, wenn er den zu regelnden Sachverhalt bedacht hätte (vgl. Senatsurt. v. 29.9.2004 - 8 LB 73/03 - unter Bezugnahme u.a. auf das Urt. des BVerwG v. 13.12.1978 - 6 C 46/78 -, BVerwGE 57, 183, 186, m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Zwar fehlt in der RVS eine Regelung über Mitwirkungsobliegenheiten der berufsunfähigen Mitglieder und die Folgen bei einer Obliegenheitsverletzung. Es kann aber nicht festgestellt werden, dass die RVS insoweit die für eine analoge Anwendung zusätzlich erforderliche ungewollte Regelungslücke enthält. § 15 Abs. 1 RVS bestimmt nämlich, dass ein Mitglied des Versorgungswerks, das berufsunfähig ist, ein Zuschuss zu den Kosten notwendigerweise besonders aufwendiger Rehabilitationsmaßnahmen gewährt werden kann, wenn seine Berufsfähigkeit infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte ausgeschlossen ist und sie durch diese Rehabilitationsmaßnahme voraussichtlich wiederhergestellt werden kann. Der Satzungsgeber hat damit von der bereits in § 7 Abs. 2 des Gesetzes über das Niedersächsische Versorgungswerk der Rechtsanwälte vom 14. März 1982 - VersWerkG-RA - (Nds. GVBl. S. 66) vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, in der Satzung Zuschüsse für Maßnahmen zur Wiederherstellung der Berufsfähigkeit vorzusehen. Er hat also durchaus das Problem erkannt, dass ein berufsunfähiges Mitglied seine Gesundheit gegebenenfalls durch Rehabilitationsmaßnahmen wiederherstellen kann. Ungeachtet dessen ist in die RVS keine Bestimmung aufgenommen worden, wonach das Unterlassen entsprechender Rehabilitations- oder Heilmaßnahmen zum Wegfall einer bewilligten Berufsunfähigkeitsrente führt bzw. führen kann. Als Ausschlussgründe sind lediglich die - bereits zuvor genannte - Verweigerung einer angeordneten Nachuntersuchung (§ 13 Abs. 5 d RVS) sowie in § 35 Abs. 1 RVS das - hier ebenfalls nicht gegebene - "absichtliche sich berufsunfähig machen" angeführt.

Bei dieser Rechtslage kann nicht verlässlich angenommen werden, der Satzungsgeber habe es schlicht vergessen, als weiteren (fakultativen) Beendigungsgrund für die Berufsunfähigkeitsrente auch das Unterlassen entsprechender Rehabilitations- oder Heilmaßnahmen anzuordnen. Stattdessen kann ihm auch vor Augen gestanden haben, dass sich ein berufsunfähiges Mitglied schon aus eigenem Interesse um die Wiederherstellung seiner Arbeitskraft bemüht und hierzu allenfalls eines Zuschusses bedarf. Im Übrigen lassen sich im Wege der Analogie auch nicht hinreichend genau die Voraussetzungen und die Folgen einer solchen Mitwirkungsobliegenheit bestimmen. Dass dem Satzungsgeber hier ein nicht unerheblicher Entscheidungsspielraum verbleibt, zeigt schon der Vergleich mit den umfangreichen Regelungen, die dazu in §§ 63 und 66 SGB I und nunmehr auch in dem neu eingefügten § 16 Abs. 1, Unterabsatz 5 der Alterssicherungsordnung der Ärztekammer Niedersachsen (vgl. dazu Senatsbeschl. v. 10.11.2005 - 8 LB 252/04 -) enthalten sind. So kann der Satzungsgeber etwa bestimmen, welche Behandlungen und sonstigen Maßnahmen dem Betroffenen zuzumuten sind, mit welchem Wahrscheinlichkeitsgrad die in Betracht kommenden Maßnahmen zur Wiederherstellung der Berufsfähigkeit geeignet sein müssen, damit das Mitglied sich ihrer unterziehen muss, und wer die dafür notwendigen Kosten trägt. Schließlich versteht es sich nicht von selbst, dass als Folge der fehlenden Mitwirkung die Berufungsunfähigkeitsrente bis zur Nachholung der Mitwirkung zwingend ganz zu versagen oder zu entziehen ist. Die in Betracht kommende Regelung ist also viel zu komplex, als dass sie von der Verwaltung der Beklagten oder dem Gericht ohne Übergriffe in die Rechtssetzungskompetenz des Satzungsgebers entwickelt werden könnte.

Aus den vorgenannten Gründen kann auch nicht im Wege der Rechtsfortbildung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben der in der RVS fehlende Rechtssatz entwickelt werden, dass ein Mitglied der Beklagten geeignete (und zumutbare) Maßnahmen zur Wiedererlangung seiner Berufsfähigkeit zu ergreifen habe; anderenfalls könne/müsse die Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente eingestellt werden. Über die Aufstellung und Ausgestaltung eines solchen Rechtssatzes hat vielmehr die dafür nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 VersWerkG-RA zuständige Vertreterversammlung der Beklagten zu entscheiden.

Ob die Vertreterversammlung mit ihrem am 7. September 2005 gefassten Beschluss zur Änderung des § 13 Abs. 1 RVS diesem Regelungsauftrag in der gebotenen Weise nachgekommen ist, kann hier dahinstehen. Diese Satzungsänderung bedarf nämlich zum In-Kraft-Treten gemäß § 12 Abs. 3 VersWerkG-RA der Veröffentlichung in der "Niedersächsischen Rechtspflege". Diese Bekanntmachung steht noch aus. Selbst wenn sie erfolgt ist, stellt der dann in § 13 Abs. 1 RVS neu eingefügte Absatz, wonach "die Berufsunfähigkeitsrente befristet und/oder unter Auflagen gewährt werden kann", jedenfalls für den Erlass der hier streitigen Nebenbestimmungen keine hinreichende Rechtsgrundlage dar. Denn diese Änderung galt weder zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides am 23. September 2002 und des nachfolgenden Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2004 noch lässt sich dem - maßgeblichen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 7.4.2004 - 4 B 25/04 -, Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziffer 1 VwGO Nr. 28 m. w. N.; Senatsbeschl. v. 10.11.2005 - 8 LB 252/04 -) - materiellen Recht, d.h. der RVS und dem VersWerkG-RA, entnehmen, dass § 13 Abs. 1 RVS in seiner geänderten Fassung nach seinem In-Kraft-Treten auch Grundlage für bereits zuvor verfügte Maßnahmen sein soll. Dagegen spricht schon, dass die vorgesehene Änderung des § 13 Abs. 1 RVS zwar durch das vorliegende Verfahren veranlasst worden ist, ungeachtet dessen aber ohne Übergangsregelung in Kraft gesetzt werden soll. Außerdem steht es nach der beschlossenen Ergänzung des § 13 Abs. 1 RVS im Ermessen der Beklagten, ob die Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente befristet oder unter Auflagen erfolgen soll. Dieses Ermessen konnte schwerlich bereits vor Erlass der geänderten Norm ordnungsgemäß nach den nunmehr geltenden Vorgaben ausgeübt werden. Da der geplanten Rechtsänderung keine Rückwirkung zukommen soll, kann sie schließlich ohnehin keine Rechtsgrundlage dafür darstellen, dem Kläger - wie hier erfolgt - eine Berufsunfähigkeitsrente nur bis zum August 2003, d.h. einem Zeitpunkt vor dem In-Kraft-Treten des § 13 Abs. 1 RVS in der beschlossenen neuen Fassung, befristet zu gewähren und von dem Kläger bereits ab Dezember 2002 die Vorlage von Nachweisen zu verlangen, dass er der ihm auferlegten Mitwirkungsobliegenheit hinreichend nachgekommen ist.

Daher kann hier offen bleiben, ob durch die vorgesehene Ergänzung des § 13 Abs. 1 ASO hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, dass ein berufsunfähiges Mitglied zukünftig nach Aufforderung durch die Beklagte die Obliegenheit treffen soll, sich Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Berufsfähigkeit zu unterziehen. Ebenso wenig ist vorliegend zu klären, ob es zur Bestimmung des Zeitpunktes des In-Kraft-Tretens dieser Satzungsänderung eines ausdrücklichen Beschlusses der Vertreterversammlung bedurft hätte (vgl. Senatsurteil vom 29.9.2004 - 8 KN 4142/01 -), ob die mit Schreiben des Niedersächsischen Justizministeriums vom 8. Dezember 2005 erfolgte teilweise Genehmigung der am 7. September 2005 beschlossenen Satzungsänderung mit § 12 Abs. 2 VersWerkG-RA in Einklang steht und ob nach In-Kraft-Treten der beschlossenen und "genehmigten" Änderung des § 13 Abs. 1 ASO der dem Kläger bereits bewilligten Berufsunfähigkeitsrente nachträglich Nebenbestimmungen der hier streitigen Art beigefügt werden können.

Ende der Entscheidung

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