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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 26.04.2007
Aktenzeichen: 9 LA 92/06
Rechtsgebiete: NKAG


Vorschriften:

NKAG § 6 Abs. 1
Bei Hinterliegergrundstücken (auch solchen, die noch an eine weitere als die abgerechnete Straße grenzen) liegt in den Fällen einer Eigentümeridentität hinsichtlich des Anliegergrundstücks ein beitragsrelevanter Vorteil im Sinne von § 6 Abs. 1 NKAG vor, wenn die abgerechnete Straße vom Hinterliegergrundstück aus dergestalt erreichbar ist, dass dessen bestimmungsgemäße Nutzung unter Inanspruchnahme des Anliegergrundstücks über die abgerechnete Straße realisiert werden kann.

Dies gilt ausnahmsweise nicht, wenn bei einem - an Stelle von Anlieger- und Hinterliegergrundstück gedachten - einheitlichen Buchgrundstück die Voraussetzungen für eine eingeschränkte Erschließungs- bzw. Vorteilswirkung vorlägen.


NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG BESCHLUSS

Aktenz.: 9 LA 92/06

Datum: 26.04.2007

Gründe:

Der Kläger wendet sich im Zulassungsverfahren (noch) dagegen, dass er auch hinsichtlich des ihm gehörenden, ein selbstständiges Buchgrundstück bildenden Flurstücks E. zu einem Straßenausbaubeitrag, und zwar in Höhe von 1.648,49 €, für den Ausbau der D. Straße herangezogen worden ist. Das mit einem Mehrfamilienhaus bebaute Flurstück E. grenzt im Westen an die F.straße und im Südosten an das ebenfalls im Eigentum des Klägers stehende und ein Buchgrundstück bildende Flurstück G.. Letzteres liegt nach Süden hin an der ausgebauten Straße.

In dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht auch das Flurstück E. als beitragspflichtig angesehen und zur Begründung ausgeführt: Für die Annahme eines beitragsrelevanten Vorteils reiche es nach dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. Juni 2000 (9 ME 1349/00 - NdsRpfl. 2000, 296 = NSt-N 2000/242) bei einer Eigentümeridentität hinsichtlich Anlieger- und Hinterliegergrundstück aus, dass vom Hinterliegergrundstück eine dauerhafte Möglichkeit zur Inanspruchnahme der ausgebauten Straße bestehe. Hiervon sei nicht nur bei einer einheitlichen Nutzung, sondern immer - und damit auch hier - auszugehen, wenn die ausgebaute Straße vom Hinterliegergrundstück aus erreicht werden könne.

Der dagegen gerichtete und auf § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Zur Begründung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils macht der Kläger geltend: Eine straßenausbaubeitragsrechtliche Vorteilslage könne bei einem (aus der Sicht der abgerechneten Straße) Hinterliegergrundstück, das dem selben Eigentümer gehöre wie das Anliegergrundstück und zugleich an eine weitere Straße angrenze, entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Erschließungsbeitragsrecht und des OVG Münster zum nordrhein-westfälischen Straßenausbaubeitragsrecht erst bei einer mehr als nur unterwertigen, hier aber fehlenden einheitlichen Nutzung beider Grundstücke angenommen werden. Die im Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. Juni 2000 getroffene Aussage, dass es auf eine einheitliche Nutzung selbst dann nicht ankomme, wenn das Hinterliegergrundstück anderweitig erschlossen werde als durch die abgerechnete Straße, bedürfe der inhaltlichen Überprüfung. Dieses Vorbringen des Klägers ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils hervorzurufen:

Der Senat hat in seinem Beschluss vom 13. Juni 2000 grundsätzlich entschieden und geht seither in ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt Beschl. v. 23.11.2006 - 9 LA 342/04 -, Beschl. v. 18.7.2006 - 9 ME 189/06 - und Beschl. v. 9.12.2005 - 9 ME 388/04 -) davon aus, dass ein Hinterliegergrundstück bei Eigentümeridentität mit dem Anliegergrundstück durch den Ausbau einer Straße im Sinne von § 6 Abs. 1 NKAG bevorteilt ist, wenn die Straße vom Hinterliegergrundstück aus dergestalt erreichbar ist, dass die bestimmungsgemäße Nutzung des Hinterliegergrundstücks unter Inanspruchnahme des Anliegergrundstücks über die ausgebaute Straße realisiert werden kann (vgl. zu Erreichbarkeitsanforderungen im Einzelnen z.B. Urt. v. 13.6.2001 - 9 L 1587/00 - KStZ 2001, 211 = NSt-N 2001, 291 sowie Beschl. v. 25.1.2007 - 9 LA 201/05 -). Eine einheitliche Nutzung von Anlieger- und Hinterliegergrundstück ist danach nicht Voraussetzung für die Annahme eines beitragsrelevanten Vorteils. Diese Rechtsprechung gilt nicht nur für Hinterliegergrundstücke, die auf die ausgebaute Straße angewiesen sind, weil sie nicht durch eine weitere Straße erschlossen werden. Sie greift auch in den Fällen, in denen Hinterliegergrundstücke - wie vorliegend - auch an eine andere Straße angrenzen, und zwar selbst dann, wenn sie ihre primäre Erschließung über diese andere Straße erhalten.

An der im Beschluss vom 13. Juni 2000 begründeten und seither fortgeführten Rechtsprechung hält der Senat auch nach Überprüfung fest. Sie ist sachgerecht, weil es beim Vorteilsbegriff (zumindest im Regelfall) nicht auf die - häufig auch leicht änderbare oder schwer feststellbare - tatsächliche Gestaltung der Grundstücksverhältnisse, sondern auf die Möglichkeit zur Inanspruchnahme der ausgebauten Straße vom Anlieger- oder Hinterliegergrundstück aus sowie darauf ankommt, dass die bestimmungsgemäße Grundstücksnutzung über die ausgebaute Straße realisiert werden kann. Wegen der Maßgeblichkeit dieser für Anlieger- und Hinterliegergrundstücke gleichermaßen geltenden Kriterien ist eine einheitliche Nutzung, bei deren Vorliegen eine Bevorteilung auch des Hinterliegergrundstücks allerdings in besonderem Maße deutlich wird, letztlich für die Annahme eines beitragsrelevanten Vorteils nicht erforderlich. Soweit das OVG Münster - wie vom Kläger behauptet - zum nordrhein-westfälischen Straßenausbaubeitragsrecht einen abweichenden Lösungsansatz verfolgen sollte, folgt der Senat dem für das niedersächsische Straßenausbaubeitragsrecht nicht.

Der Verweis des Klägers darauf, dass Hinterliegergrundstücke nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Mai 1997 (- 8 C 27/96 - NVwZ-RR 1998, 67) bei einer Eigentümeridentität mit dem Anliegergrundstück nur erschlossen seien, wenn die übrigen Beitragspflichtigen - etwa infolge einer einheitlichen Nutzung beider Grundstücke - schutzwürdig auch die Inanspruchnahme der Straße vom Hinterliegergrundstück aus erwarten könnten, beruht auf einem fehlerhaften Verständnis jedenfalls der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Danach gilt die Schutzwürdigkeitstheorie nur als "letzter Korrekturansatz" für den Fall, dass das Erschlossensein eines Grundstücks nach den - im Erschließungsbeitragsrecht maßgeblichen - bebauungsrechtlichen Kriterien zu verneinen wäre, dies aber zu mit der Interessenlage billigerweise nicht vereinbaren Ergebnissen führen würde (BVerwG, Urt. v. 27.9.2006 - 9 C 4.05 - ZMR 2007, 227). Überträgt man diesen Grundsatz auf das niedersächsische Straßenausbaubeitragsrecht, so entsteht der beitragsrelevante Vorteil nicht mit der - etwa durch eine einheitliche Nutzung veranlassten - schutzwürdigen Erwartung Dritter, sondern durch die auch für das Hinterliegergrundstück gegebene Möglichkeit zur Inanspruchnahme der ausgebauten Straße über das trennende Anliegergrundstück und die damit einhergehende Möglichkeit zur bestimmungsgemäßen Grundstücksnutzung. Gerade dieser Lösungsansatz entspricht aber der Rechtsprechung des beschließenden Senats.

Die Annahme des Senats, dass bei einer Eigentümeridentität Hinterliegergrundstücke selbst dann, wenn sie auch an eine andere als die ausgebaute Straße angrenzen, im Sinne von § 6 Abs. 1 NKAK bevorteilt sind, gilt nur für eng begrenzte Ausnahmefälle nicht. Sie ist - wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 13. Juni 2000 (a.a.O.) angedeutet hat - zum einen nicht anwendbar, wenn es unter wirtschaftlichen oder sonstigen tatsächlichen Gesichtspunkten oder aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist, die ausgebaute Straße vom Hinterliegergrundstück aus über das trennende Anliegergrundstück in einer die bestimmungsgemäße Nutzung des Hinterliegergrundstücks ermöglichenden Weise zu erreichen; diese Voraussetzungen können etwa bei einer weitgehenden Überbauung des Anliegergrundstücks oder deshalb erfüllt sein, weil Zufahrt oder Zugang zum Hinterliegergrundstück nicht angelegt werden dürfen. Zum anderen liegt eine beitragsrelevante Bevorteilung eines auch an eine andere als die ausgebaute Straße angrenzenden Hinterliegergrundstücks ausnahmsweise nicht vor, wenn nach den Grundsätzen über die eingeschränkte Erschließungs- bzw. Vorteilswirkung bei einem - an die Stelle von Anlieger- und Hinterliegergrundstück tretenden und vom Eigentümer jederzeit durch Vereinigung begründbaren - einheitlichen Buchgrundstück anzunehmen wäre, dass der (von der ausgebaute Straße gesehen) hintere Grundstücksteil nicht mehr erschlossen bzw. bevorteilt ist. Die für einheitliche Buchgrundstücke entwickelten Grundsätze der eingeschränkten Erschließungs- bzw. Vorteilswirkung sind in solchen Fällen schon aus Gründen der Gleichbehandlung vorrangig gegenüber den Grundsätzen zum Erschlossensein bzw. zur Bevorteilung von Hinterliegergrundstücken. Denn "die Anforderungen an das Erschlossensein des rückwärtigen Teils eines an eine Anbaustraße angrenzenden Buchgrundstücks können nicht höher sein als die Anforderungen an das Erschlossensein eines Hinterliegergrundstücks, wenn dieses und das trennende Grundstück im Eigentum derselben Person stehen" (BVerwG, Urt. v. 3.2.1989 - 8 C 78.88 - DVBl 1989, 675 = KStZ 1990, 31 = NVwZ 1989, 1072; ebenso zum Straßenausbaubeitragsrecht Beschl. des Senats vom 3.3.2004 - 9 ME 45/04 -). Dies bedeutet, dass bei aneinander angrenzenden Grundstücken desselben Eigentümers, die zwischen zwei in etwa parallel verlaufenden Straßen liegen, das jeweilige Hinterliegergrundstück regelmäßig nicht vom Straßenausbau bevorteilt ist, wenn die zu durchlaufenden Buchgrundstücken in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 27.6.1985 - 8 C 30.84 - BVerwGE 71, 363 = ZMR 1985, 426, 428, Urt. v. 22.4.1994 - 8 C 18.92 - Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 91 = KStZ 1995, 209 = NVwZ-RR 1994, 869, daran festhaltend BVerwG, Beschl. v. 26.4.2006 - 9 B 1.06 - ZMR 2006, 971) entwickelten Voraussetzungen für eine eingeschränkte Erschließungswirkung bei spiegelbildlicher Bebauung in Bezug auf das Hinterliegergrundstück erfüllt sind. Nach dieser Rechtsprechung ist lediglich eine Teilfläche des durchlaufenden Grundstücks erschlossen, wenn sich die von jeder Straße ausgehende Erschließungswirkung erkennbar eindeutig nur auf jeweils diese Teilfläche erstreckt, weil jede der beiden Teilflächen selbstständig und ungefähr gleichgewichtig bebaubar ist, so dass sich der Eindruck aufdrängt, bei den Teilflächen handele es sich um zwei voneinander völlig unabhängige Grundstücke. Die Annahme einer eingeschränkten Erschließungs- bzw. Vorteilswirkung kommt schließlich auch in Betracht, wenn Anlieger- und Hinterliegergrundstück insgesamt als "übergroßes" Grundstück anzusehen sind, ihrem Charakter nach völlig unterschiedlich genutzt werden und hinsichtlich dieser unterschiedlichen Nutzungen zu verschiedenen Anlagen hin ausgerichtet sind (vgl. z.B. Beschl. v. Senats vom 12.1.2006 - 9 ME 245/05 - zu einem zwischen einer Innerortsstraße und einer Außenbereichsstraße durchlaufenden, teilweise landwirtschaftlich und im Übrigen zu Wohnzwecken genutzten Grundstück).

Diese Voraussetzungen für die Annahme einer eingeschränkten Vorteilswirkung sind vorliegend bei Zugrundelegung der mit Zulassungsrügen nicht angefochtenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts in Bezug auf das Flurstück E. nicht erfüllt. Ferner ist es weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen, die bestimmungsgemäße Nutzung des Flurstücks E. auch über die ausgebaute und abgerechnete D. Straße zu realisieren. Demnach hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die streitige Beitragserhebung für das Flurstück E. rechtmäßig ist.

Der vorliegenden Rechtssache kommt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung nicht zu. Der Kläger hält für klärungsbedürftig, ob "die Heranziehung eines Hinterliegergrundstücks bei Eigentümeridentität keinen Nachweis eine einheitlichen Nutzung voraussetzt". Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht, weil sie sich auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens ohne Weiteres beantworten lässt.

Ende der Entscheidung

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