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Beginn der Entscheidung

Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 16.06.2006
Aktenzeichen: 9 LB 104/06
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG, EGV


Vorschriften:

AsylVfG § 28 II
AufenthG § 60 I
AufenthG § 60 VII
EGV Art. 234
1. Die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - entfaltet vor Ablauf der Umsetzungsfrist am 10. Oktober 2006 keine unmittelbare Wirkung.

2. Die Vorschrift des § 28 Abs. 2 AsylVfG i.d.F. vom 30. Juli 2004 befindet sich im Gleichklang mit Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004.


Tatbestand:

Der am 1. Februar 1966 geborene Kläger ist vietnamesischer Staatsangehöriger buddhistischer Religionszugehörigkeit. Er verließ sein Heimatland Ende 1989 und arbeitete bis zu seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 24. Mai 1991 in der damaligen CSFR. Zur Begründung seines Asylantrags trug er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 5. August 1991 vor: Er habe in Vietnam nach der Schule vier Jahre lang gearbeitet. Im August 1988 habe er an einem Streik in der Fabrik teilgenommen, in der er gearbeitet habe. Deswegen sei er fünf Tage lang festgenommen und anschließend entlassen worden. Danach habe er einen Fluchtversuch unternommen und sei dafür drei Monate im Gefängnis gewesen. Den Arbeitsplatz in der CSFR habe er durch Zahlung eines Bestechungsgeldes an den Büroleiter des Volkskomitees erhalten. Er habe sich im Übrigen weder in Vietnam noch in der CSFR politisch betätigt. In Vietnam herrsche Diktatur und es gebe dort keine Freiheit für den Einzelnen und keine Menschenrechte. Auch würden dort die Menschen von dem System ausgebeutet. Bei einer Rückkehr in seine Heimat müsste er als Vorbestrafter mit einer Gefängnisstrafe rechnen. In der CSFR habe er nicht bleiben können, weil Vietnamesen dort diskriminiert würden und er Schwierigkeiten am Arbeitsplatz und mit der Bevölkerung, insbesondere mit Skinheads gehabt habe.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte mit Bescheid vom 18. September 1991 den Asylantrag des Klägers ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht vorlägen. Unter dem 22. Oktober 1991 forderte der Landkreis Harburg den Kläger zur Ausreise auf und drohte ihm die Abschiebung an.

Die gegen beide Bescheide gerichtete Klage mit dem eingeschränkten Ziel nur der Gewährung von Abschiebungsschutz wies das Verwaltungsgericht Lüneburg durch Urteil vom 9. Dezember 1993 (1 A 848/91) mit der Begründung ab, dass dem Kläger bei einer Rückkehr nach Vietnam nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung wegen seines Asylantrags, illegalen Verbleibens im Ausland sowie wegen regimekritischen Aktivitäten drohe. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Am 5. Dezember 2001 stellte der Kläger beim Bundesamt einen Asylfolgeantrag, den er im Wesentlichen damit begründete, dass bei ihm beachtliche Nachfluchtgründe vorlägen. Er sei Mitglied in dem in vielen Ländern der Welt aktiven "Verein der vietnamesischen Flüchtlinge in Hamburg e.V.", der für die Freiheit, Demokratie und Religionsfreiheit in Vietnam kämpfe und dessen Mitglieder regelmäßig ihre politischen Ansichten und ihre Kritik am kommunistischen Vietnam in einer eigenen Zeitung veröffentlichten, die ebenfalls in vielen Ländern der Welt vertrieben werde. Vereinsmitglieder und Personen, die mit diesen Kontakt hätten, würden in Vietnam geschlagen, gefoltert oder in Gefängnissen inhaftiert. Er habe ferner an regimekritischen Veranstaltungen in Hamburg und Hannover teilgenommen und sei aktiv für die "Allianz freies Vietnam". Im März 1999 habe er für die Allianz an einer Kundgebung vor der Botschaftsaußenstelle Vietnams in Berlin teilgenommen und sei dabei vom Botschaftspersonal gefilmt und fotografiert worden.

Mit Bescheid vom 12. Dezember 2001 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab und stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Zugleich wurde der Kläger unter Fristsetzung zur Ausreise aufgefordert und wurde ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Vietnam angedroht.

Dagegen hat der Kläger am 18. Dezember 2001 Klage erhoben und suchte zugleich um Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes nach. Mit Beschluss vom 18. Januar 2002 ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage an (1 B 1/02).

Mit Urteil vom 11. Mai 2005 hat das Verwaltungsgericht das Verfahren hinsichtlich des Asylbegehrens nach Klagerücknahme eingestellt. Im Übrigen hat es die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 12. Dezember 2001 zu der Feststellung verpflichtet, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG hinsichtlich Vietnams vorliegen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:

Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 71 AsylVfG i.V.m. § 51 VwVfG seien mit der vom Kläger nachgewiesenen exilpolitischen Betätigung erfüllt. Die Regelung in § 28 Abs. 2 AsylVfG stehe der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG ausnahmslos nur bei rein subjektiven Nachfluchtgründen entgegen, nicht aber bei einem objektiven Nachfluchttatbestand, wenn sich - wie hier - die politische Einstellung des Heimatstaates gegenüber regimekritischen Betätigungen verändert habe. Unter Berücksichtigung der dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel hätten sich die Verhältnisse in Vietnam deutlich verschärft. Als überzeugter Anhänger einer demokratisch-freiheitlichen Gesellschaftsform sei der Kläger im Fall einer Rückkehr nach Vietnam in hohem Maße gefährdet. Aufgrund seines Demonstrationsverhaltens und seiner Asylantragstellung werde er in Vietnam als aktiver Regimegegner angesehen. Die politische Betätigung - ob nun im In- oder Ausland - werde in Vietnam nach wie vor regelmäßig verfolgt und hart bestraft. Für Verfolgungsmaßnahmen in Vietnam sei es unerheblich, in welchem Maße exilpolitische Betätigungen vorlägen und ob sie eine bestimmte - mehr oder weniger hohe - "Schwelle" überschritten. Allein entscheidend sei die abweichende, nicht mehr linientreue Gesinnung, die hinter den entsprechenden Aktivitäten stehe. Dabei seien unbekannte und weniger prominente Bürger - wie der Kläger - eher gefährdet als Personen, die im Licht der Öffentlichkeit stünden. Die Gefahr einer Bedrohung bestehe generell für Personen, die in Opposition zur gegenwärtigen Regierung und herrschenden Ideologie stünden und öffentlich Aktivitäten entfalteten bzw. wie der Kläger bereits unternommen hätten. Im Fall eines inhaltlich regimekritischen, von der Parteidoktrin abweichenden Verhaltens könne mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung ohne weiteres angenommen werden.

Auf den Antrag der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 3. April 2006 (9 LA 191/05) die Berufung gegen das Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsache i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG zugelassen.

Die Beklagte führt zur Begründung der Berufung aus, die nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens erstmals erfolgte exilpolitische Tätigkeit könne unter Beachtung von § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht zur Feststellung führen, dass dem Kläger die in § 60 Abs. 1 AufenthG aufgeführten Gefahren drohten. In den regimekritischen Betätigungen des Klägers sei ein objektiver Nachfluchtgrund nicht zu erblicken, denn insoweit bedürfe es einer Anknüpfung an eine frühere politische Betätigung im Heimatland, die im vorliegenden Fall fehle. Eine einschränkende Auslegung des § 28 Abs. 2 AsylVfG sei auch nicht deshalb geboten, weil andernfalls eine Schutzlücke entstünde. Soweit bei einer Rückkehr für den Kläger konkrete Gefahren bestehen sollten, könnte der erforderliche Schutz im Rahmen der Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG gewährt werden, deren Anwendung durch § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht ausgeschlossen werde. Nach den Erkenntnissen des Bundesamtes könne im Übrigen nicht von einer verschärften Vorgehensweise vietnamesischer Stellen ausgegangen werden, die eine Verfolgungsgefahr begründen könnte. Laut Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. August 2005 drohe Rückkehrern grundsätzlich keine Verfolgung, insbesondere sei danach auch keine verschärfte Behandlung von Rückkehrern durch die vietnamesischen Behörden in strafrechtlicher oder sicherheitsrechtlicher Hinsicht erkennbar. Das Verwaltungsgericht habe in dem angefochtenen Urteil eine Verfolgungsgefahr für Rückkehrer wegen exilpolitischer Tätigkeiten auch nicht belegt. Die aufgeführten Belegfälle beträfen ausschließlich Inlandsvietnamesen. Obwohl allein aus Deutschland bis August 2004 insgesamt 10.692 Personen abgeschoben und weitere 3.115 vietnamesische Staatsbürger freiwillig ausgereist seien, seien keine Referenzfälle bekannt, in denen es aufgrund exilpolitischer Tätigkeiten zu Verfolgungsmaßnahmen durch die vietnamesischen Behörden gekommen sei.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof für eine Zwischenentscheidung darüber vorzulegen, ob Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates einer Regelung des nationalen Rechts entgegensteht, wie sie in Art. 28 Abs. 2 AsylVfG idF vom 30. Juli 2004 getroffen worden ist.

Er vertritt die Auffassung, das eine verfassungskonforme Auslegung von § 28 Abs. 2 AsylVfG nur dadurch gewährleistet sei, dass der Regelfall restriktiv ausgelegt und auf den Fall reduziert werde, in dem ein offensichtlicher Missbrauch vorliege. Weiter stelle sich die Frage der Vereinbarkeit des Ausschlusses des Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 1 AufenthG mit Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention. Da dort ausschließlich auf die Gefährdung bei Rückkehr abgestellt und damit der Opferschutz in den Vordergrund gestellt werde, verbiete sich eine Schlechterstellung nachträglich geschaffener Tatbestände und damit auch exilpolitischer Aktivitäten. Darüber hinaus lasse der Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie), die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, insbesondere einer Entscheidung vom 22. November 2005 (- Rs. C-144/04 [Mangold] -) bereits anwendbar sei, die Beurteilung nach der Genfer Flüchtlingskonvention gerade offen. Unabhängig davon sei festzustellen, dass weiter ein Schutzbedarf bestehe, weil Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorlägen. Im Folgeantragsverfahren müssten diese Hindernisse auch dann geprüft werden, wenn eine Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nicht möglich sei. Die Abschiebungshindernisse seien der Entscheidung nach § 60 Abs. 1 AufenthG immanent. Da es hierbei auf objektive Nachfluchttatbestände nicht ankomme, sei unstreitig, dass Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorlägen. Unabhängig von der Frage des § 28 Abs. 2 AsylVfG und der erheblichen objektiven Nachfluchttatbestände seien Abschiebungshindernisse gemäß 60 Abs. 2 bis 7 AsylVfG gegeben, denn die Einschätzung asylerheblicher Beeinträchtigungen oder Schädigungen sei durch das Verwaltungsgericht unangegriffen festgestellt worden.

Weiter sei eine Ausnahme vom Regelfall des § 28 Abs. 2 AsylVfG gegeben, da insoweit eine atypische Fallgestaltung vorliege. Denn es könne dem Kläger nicht vorgehalten werden, er habe den Verfolgungstatbestand bewusst im Aufnahmeland risikolos geschaffen, ohne vor der Ausreise aus seinem Heimatstaat eine zumindest ähnliche Überzeugung oder andere persönliche Merkmale besessen und gezeigt zu haben. Der Kläger habe vielmehr schon vor seiner Ausreise aus dem Heimatstaat eine zumindest ähnliche Einstellung gezeigt.

Des weiteren würden seine vor dem 1. Januar 2005 eingereichten Unterlagen über seine exilpolitische Betätigung nicht von § 28 Abs. 2 AsylVfG ergriffen, da diese Regelung nur ab ihrer Einführung Wirkung entfalten könne und der Kläger nicht mit einer Einführung des § 28 Abs. 2 AsylVfG habe rechnen können, als er seine exilpolitischen Betätigungen vor 2005 entfaltet habe. Andernfalls würde sich die Anwendung des § 28 Abs. 2 AsylVfG als unzulässige Rückwirkung darstellen. Nach der Qualifiaktionsrichtlinie, die unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bereits jetzt Anwendung finde, sei es nicht zulässig, dass § 28 AsylVfG den § 60 Abs. 1 AufenthG aushebele und damit die Anerkennung als Flüchtling ausschließe. Die entscheidungserhebliche Frage, ob die Richtlinie einer Verschlechterung der Rechtsposition des Klägers durch § 28 Abs. 2 AsylVfG entgegenstehe, müsse durch eine Vorlage beim Europäischen Gerichtshof geklärt werden.

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich im Zulassungs- und Berufungsverfahren nicht zur Sache geäußert und keinen Antrag gestellt.

Den Beteiligten liegt die Liste der vom Senat in Asylverfahren vietnamesischer Staatsangehöriger zugrunde gelegten Erkenntnismittel (Stand: 8. Februar 2006) vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die in ihren wesentlichen Teilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

II.

Die zugelassene Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben.

Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen. Der im erstinstanzlichen Verfahren mit dem Klageantrag weiter geltend gemachte Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG, über den der Senat in der Berufungsinstanz zu entscheiden hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 19.96 - BVerwGE 104, 260 = InfAuslR 1997, 420 = NVwZ 1997, 1132 = AuAS 1997, 250), ist ebenfalls unbegründet.

Im Hinblick auf das begehrte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG ist dem Kläger - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - die Berufung auf die von ihm geltend gemachten Nachfluchtgründe gemäß § 28 Abs. 2 AsylVfG verwehrt. Nach § 28 Abs. 2 AsylVfG kann die Feststellung, dass die in § 60 Abs. 1 AufenthG bezeichneten Gefahren vorliegen, in einem Folgeverfahren in der Regel nicht getroffen werden, wenn der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt und diesen auf Umstände im Sinne des § 28 Abs. 1 AsylVfG stützt, die nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung des früheren Asylantrags entstanden sind.

Im Hinblick auf die Anwendbarkeit des nach Art. 15 Abs. 3 ZuwanderungsG am 1. Januar 2005 im Laufe des erstinstanzlichen Klageverfahrens in Kraft getretenen § 28 Abs. 2 AsylVfG bestehen keine Bedenken. Denn gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist in asylverfahrensrechtlichen Streitigkeiten die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich. Eine Übergangsregelung, die hinsichtlich des § 28 Abs. 2 AsylVfG Abweichendes regelt, enthält das Asylverfahrensgesetz nicht.

Entgegen der Auffassung des Klägers werden auch die verfassungsrechtlichen Maßstäbe der Rückwirkung bzw. der tatbestandlichen Rückanknüpfung von Gesetzen nicht dadurch verletzt, dass sich das vom Kläger bereits vor dem 1. Januar 2005 angestrengte Folgeverfahren nunmehr an der Regelung in § 28 Abs. 2 AsylVfG messen lassen muss. Das OVG Koblenz hat dazu in seinem Beschluss vom 5. Januar 2006 (- 6 A 10761/05 - AuAS 2006, 102) wie folgt ausgeführt:

"Hierin liegt insbesondere kein Fall von echter Rückwirkung, denn er zeichnet sich dadurch aus, dass der Beginn des zeitlichen Anwendungsbereichs der Norm auf einen Zeitpunkt festgelegt wird, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm gültig geworden ist (vgl. BVerfGE 72, 200 [241]; 97, 67 [78 f.]; 105, 17 [37 f.]). Gegenstand des Instituts der echten Rückwirkung ist mithin die Anordnung, dass eine Rechtsfolge schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitpunkt eintreten soll. Das ist hier aber nicht der Fall, denn die Rechtsfolgen des § 28 Abs. 2 AsylVfG treten offenkundig erst für einen Zeitraum ein, der nach dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegt. Freilich erfasst der Tatbestand des § 28 Abs. 2 AsylVfG auch Sachverhalte, die bereits vor der Verkündung der Norm "ins Werk gesetzt" worden sind (vgl. BVerfGE 31, 275 [292 ff.]; 72, 200 [242]), denn er bezieht fraglos den im Jahre 2004 vollzogenen Beitritt des Klägers zur Babbar Khalsa-International, Sektion Deutschland ebenso wie die für diese Gruppierung im Verlauf des Jahres 2004 entfalteten exilpolitischen Aktivitäten in den sachlichen Anwendungsbereich der Norm ein. Damit liegt insoweit ein Fall tatbestandlicher Rückanknüpfung (unechte Rückwirkung) vor, der allerdings vorbehaltlich der aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip sich ergebenden Grenzen, verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich ist (vgl. BVerfG 95, 64 [86]; 101, 239 [263]; 103, 392 [403]). Zu einer Überschreitung dieser Grenzen kommt es freilich erst dann, wenn die gesetzlich angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszweckes nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen.

Solche Ausnahmetatbestände greifen hier nicht ein. Die gesetzlich angeordnete unechte Rückwirkung ist zur Erreichung der vom Gesetzgeber vorgegebenen Zielsetzung ohne weiteres geeignet und erforderlich. Nach den Gesetzesmaterialien bezweckt die Neuregelung des § 28 Abs. 2 AsylVfG "den bislang bestehenden Anreiz zu nehmen, nach unverfolgter Ausreise und abgeschlossenen Asylverfahren aufgrund neu geschaffener Nachfluchtgründe ein Asylverfahren zu betreiben, um damit zu einem dauerhaften Aufenthalt zu gelangen" (vgl. BT-Drs. 15/420 S. 109). Durch diese gesetzliche Vorgabe und die ihr beigelegte unechte Rückwirkung soll zugleich "die hohe Anzahl der beim Bundesamt anhängigen Folgeverfahren langfristig reduziert werden" (vgl. BT-Drs. 15/420 S. 110). Die angesprochenen Zielsetzungen (Entlastungseffekt, Attraktivitätsminderung für Folgeverfahren) erfahren ohne Zweifel dadurch eine Wirkungssteigerung, dass sie nicht nur künftige Sachverhalte erfassen, sondern sich auch des Instituts der tatbestandlichen Rückanknüpfung bedienen.

Stellt man den so gekennzeichneten Änderungsgründen des Gesetzgebers das Bestandsinteresse des Klägers gegenüber, so erweist sich letzteres jedenfalls nicht als gewichtiger. Aufgrund der Versagung des kleinen Asyls im Folgeverfahren wegen der in den Zeitraum des Jahres 2004 fallenden Umstände ergibt sich für den Betroffenen im Vergleich zur Rechtslage vor der Gesetzesänderung kaum eine substantielle Minderung seiner aufenthaltsrechtlichen Position. Ihm bleibt nämlich in Ansehung dieser Umstände die Möglichkeit erhalten, worauf die amtliche Begründung zu § 28 Abs. 2 AsylVfG zu Recht hinweist (vgl. BT-Drs. 15/420 S. 109 f.), den erforderlichen Schutz im Rahmen der Prüfung von Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt zu erlangen, ohne den aufenthaltsrechtlichen Status zu verfestigen. Mit der Verweisung des Schutzsuchenden auf diese rechtlichen Optionen verletzt die Bundesrepublik Deutschland, entgegen der Auffassung des Klägers, nicht ihre völkervertragsrechtlich übernommenen Pflichten aus der Genfer Flüchtlingskonvention. Letztere schreibt nämlich den Staaten nur die Beachtung des Refoulement-Verbots gemäß Art. 33 GFK vor, dem insbesondere durch Abschiebungsschutz wegen der in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aufgezählten Schutzgüter Leib, Leben oder Freiheit hinreichend Rechnung getragen werden kann (so Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG § 28 Abs. 2 Rdnr. 48). Nach alledem wahrt die Regelung des § 28 Abs. 2 AsylVfG die verfassungsrechtlichen Schranken der tatbestandlichen Rückanknüpfung."

Der Senat tritt diesen Ausführungen bei.

Der vom Verwaltungsgericht dargelegten Auslegung, § 28 Abs. 2 AufenthG sei unter Berücksichtigung von Art. 5 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 (ABl. vom 30.9.2004, L 304/12) eng auszulegen und sperre nur ganz ausnahmsweise bei ausnahmslos rein subjektiven Nachfluchtgründen den Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 AufenthG folgt der Senat nicht.

Aus dem Sinn und Zweck der Regelung sowie aus dem gesetzlichen Regelungszusammenhang mit 28 Abs. 1 AsylVfG ergibt sich ein anderes Regel - Ausnahmeverhältnis, ohne dass auf Art. 5 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates zurückzugreifen ist. Mit dem § 28 Abs. 2 AsylVfG geht es dem Gesetzgeber ersichtlich darum, die Beachtlichkeit der subjektiven Nachfluchtgründe für die Gewährung des kleinen Asyls im sog. Nachfluchtverfahren einerseits und die für die Gewährung des großen Asyls andererseits, tatbestandlich so zu koordinieren, dass sie auch in ihren aufenthaltsrechtlichen Rechtsfolgen gleichgestellt werden können. Das in § 28 Abs. 1 AsylVfG angelegte Regel-Ausnahmeverhältnis sowie die für das Verständnis dieser Bestimmung maßgeblichen Grundsätze und Abgrenzungskriterien überträgt der Gesetzgeber im Rahmen des Ausschlusstatbestandes des § 28 Abs. 2 AsylVfG auf die Fälle, in denen über die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in einem Folgeverfahren zu entscheiden ist. Dieser Ansatz kommt in dem Willen des Gesetzgebers eindeutig zum Ausdruck. Denn in der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 15/420, S. 110) heißt es insoweit:

"Nach der bisherigen Fassung des § 28 AsylVfG wird ein Ausländer regelmäßig nicht als Asylberechtigter anerkannt, wenn er erst nach seiner Flucht Gründe aus eigenem Entschluss geschaffen hat, die eine Verfolgung auslösen. In diesen Fällen wird ihm aber bislang Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG ("Kleines Asyl") zuerkannt, da eine entsprechende Regelung für das Kleine Asyl fehlt. Mit der Neuregelung in § 28 Abs. 2 AsylVfG wird zukünftig auch die Zuerkennung des "Kleinen Asyls" regelmäßig ausgeschlossen, wenn nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages ein Folgeverfahren auf selbstgeschaffene Nachfluchtgründe gestützt wird. Damit wird der bislang bestehende Anreiz genommen, nach unverfolgter Ausreise und abgeschlossenen Asylverfahren auf Grund neugeschaffener Nachfluchtgründe ein Asylverfahren zu betreiben, um damit zu einem dauerhaften Aufenthalt zu gelangen."

Aus dieser Orientierung folgt, dass nach § 28 Abs. 2 AsylVfG auch die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG in der Regel entfallen soll, wenn nach Abschluss des ersten Asylverfahrens vom Asylbewerber aus eigenem Entschluss geschaffene Verfolgungsgründe mangels Kausalität zwischen Verfolgung und Flucht ihrerseits - der Regel entsprechend - asylrechtlich unbeachtlich bleiben müssten. Eine Ausnahme von der Regel der Unbeachtlichkeit des subjektiven Nachfluchtgrundes ist sowohl für den Anwendungsbereich des großen wie des kleinen Asyls jeweils nur dann zugunsten des Asylbewerbers zu machen, wenn dessen Nachfluchtaktivitäten sich als Ausdruck und Fortführung einer schon während des Aufenthalts im Heimatland vorhandenen und erkennbar betätigten Überzeugung darstellen oder wenn der Ausländer sich aufgrund seines Alters und Entwicklungsstandes im Herkunftsland noch keine feste Überzeugung bilden konnte (vgl. OVG Münster, Urteil vom 12. Juli 2005 - 8 A 780/04.A - ZAR 2005, 422 = EzAR-NF 63 Nr. 1).

Eine Ausnahme, welche die Rechtsfolge des § 28 Abs. 2 AsylVfG verhindern könnte, kann bei dem Kläger nicht festgestellt werden. Er hat sein Heimatland nach den rechtskräftigen Feststellungen des Verwaltungsgerichts im ersten Asylverfahren unverfolgt verlassen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sich der Kläger in Vietnam politisch auffällig verhalten oder gar eine feste regimekritische Überzeugung kundgetan hat. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt im August 1991 hat er angegeben, dass er sich in Vietnam (und in der CSFR) nicht politisch betätigt habe. Zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus Vietnam im Dezember 1989 war der Kläger 23 Jahre alt und daher aufgrund seines Lebensalters nicht gehindert, eine gefestigte politische Überzeugung zu entwickeln. Aber selbst wenn man eine solche zugunsten des Klägers unterstellen wollte, wäre damit ein Ausnahmefall nicht gegeben. Denn der Kläger hat seine exilpolitischen Aktivitäten erst nach einem langjährigen unpolitischen Aufenthalt in der CSFR und der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen. Dies lässt sich nicht mehr als Fortführung einer - hier zu seinen Gunsten unterstellten - im Heimatland vorhanden gewesenen und betätigten festen Überzeugung einordnen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 1988 - 9 B 65.88 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 89; Urteil vom 25. Oktober 1988 - 9 C 76.87 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 96; Urteil vom 2. August 1990 - 9 C 22.89 -, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 131).

Auch mit Blick auf die sog. Qualifikationsrichtlinie ist eine andere Beurteilung nicht geboten.

Diese Richtlinie ist erst nach Ablauf der Umsetzungsfrist, das ist der 10. Oktober 2006 (vgl. Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates), anwendbar. Vor Ablauf der Umsetzungsfrist entfaltet sie keine unmittelbare Wirkung. Ein Einzelner kann sich vor den nationalen Gerichten auf eine umzusetzende, aber noch nicht umgesetzte Richtlinie frühestens - sofern auch die übrigen Voraussetzungen dafür vorliegen - nach Ablauf der für ihre Umsetzung in das nationale Recht vorgesehenen Frist berufen (vgl. EuGH, st. Rspr. seit Urt. v. 5.4.1979 - Rs. 148/78 [Strafverfahren gegen Ratti] - Slg. 1979, 1629 = NJW 1979, 1764; OVG Münster, Beschluss vom 4. April 2006 - 9 A 3590/05.A - zitiert nach juris und vom 18. Mai 2005 - 11 A 533/05.A - ZAR 2005, 374 = AuAS 2006, 105, m. w. N.; OVG Hamburg, Beschluss vom 8.3.2006 - 4 Bf 406/98.A -; OVG Schleswig, Beschluss vom 13.7.2005 - 1 LA 68/05 - AuAS 2005, 262 = NordÖR 2005, 392; VGH Mannheim, Beschluss vom 12.5.2005 - A 3 S 358/05 - AuAS 2005, 163 = NVwZ 2005, 1098 = DÖV 2005, 747). Die Verpflichtung der Gerichte zur richtlinienkonformen Auslegung der innerstaatlichen Gesetze setzt grundsätzlich erst dann ein, wenn der Gesetzgeber bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist nicht tätig geworden ist und der Inhalt der Richtlinie insgesamt oder im angewendeten Bereich eindeutig ist (EuGH, st. Rspr. z.B. Urteil vom 17.9.1997 - Rs. C-54/96 [Dorsch Consult Ingenieurgesellschaft mbH/Bundesbaugesellschaft Berlin mbH] - Slg. 1997, I-4961 = NJW 1997, 3365 = BauR 1997, 1011 = NVwZ 1997, 1205 [nur Leitsatz]). Vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie besteht für die Bundesrepublik Deutschland und die nationalen Gerichte lediglich die Verpflichtung, die Ziele dieser Richtlinie nicht zu unterlaufen und durch eigenes Verhalten keine gleichsam vollendeten Tatsachen zu schaffen, die ihnen die Erfüllung ihrer erst später erwachsenen Vertragspflichten unmöglich macht (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.5.1998 - 4 A 9/97 - UPR 1998, 384, 387 m. w. N.). Die vom Kläger angeführte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 22. November 2004 (- Rs. C-144/04 [Mangold] - NJW 2005, 3695 = DVBl 2006, 107) besagt insoweit nichts anderes. Denn auch darin wird lediglich ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten während der Frist für die Umsetzung einer Richtlinie keine Vorschriften erlassen dürfen, die geeignet sind, die Erreichung des in dieser Richtlinie vorgeschriebenen Zieles ernstlich in Frage zu stellen (ebenso bereits: Urteil des EuGH v. 18.12.,1997 - Rs. C-129/96 [Inter-Environnement Wallonie] - Slg. 1997, I-7411 = NVwZ 1998, 385 = NJW 1998, 2809 [nur Leitsatz] = DVBl 1998, 600 [nur Leitsatz]). Diese Verpflichtung ist nach der hier vertretenen Auslegung des § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht verletzt.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn dem Verwaltungsgericht zu folgen wäre, dass die nationalen Gerichte schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist berechtigt seien, sich bei der Auslegung nationalen Rechts an den Bestimmungen einer Richtlinie zu orientieren. Nach Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates können die Mitgliedstaaten unbeschadet der Genfer Flüchtlingskonvention festlegen, dass ein Antragsteller, der einen Folgeantrag stellt, in der Regel nicht als Flüchtling anerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat. In dem ursprünglichen Richtlinienvorschlag der Kommission (vgl. Art. 8, KOM 2001/0510; ABl. C 51E/2002 S. 325) war Artikel 5 Abs. 3 der endgültigen Fassung nicht enthalten, sondern ist im Verlauf der Beratungen eingefügt worden. Damit ist für die Mitgliedstaaten eine Öffnungsklausel geschaffen worden, die ihnen Raum gibt für Regelungen wie in § 28 Abs. 2 AsylVfG. Soweit man Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates als Ausnahme zur Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe in Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates einordnen kann, folgt daraus nicht, dass Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates im Hinblick auf den dort allein angesprochenen Folgeantrag restriktiv auszulegen ist. Vielmehr wird damit den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, bei subjektiven Nachfluchtgründen im Rahmen von Folgeanträgen die Anerkennung als Flüchtling in der Regel zu versagen. Die Wortwahl "in der Regel" entspricht derjenigen in § 28 Abs. 2 AsylVfG, d. h. hier soll gerade bei selbstgeschaffenen Nachfluchtgründen nach Verlassen des Herkunftslandes im Regelfall die Versagung der Flüchtlingsanerkennung bzw. des Abschiebungsverbots erfolgen und nicht bloß im Ausnahmefall. Die Vorschrift des § 28 Abs. 2 AsylVfG befindet sich daher im Gleichklang mit Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates.

Der Senat sieht weder einen Anlass, noch besteht für ihn gar eine Verpflichtung, nach Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft - EGV - eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs darüber einzuholen, ob Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates einer Regelung des nationalen Rechts entgegensteht, wie sie in Art. 28 Abs. 2 AsylVfG in der Fassung vom 30. Juli 2004 getroffen worden ist. Denn der Senat ist nicht gehindert, selbst über die Auslegung europarechtlichen Sekundärrechts zu befinden. Der Hilfsantrag kann deshalb keinen Erfolg haben.

Der Europäische Gerichtshof ist nicht zuständig für die Anwendung von Gemeinschaftsrecht auf den jeweiligen Sachverhalt (vgl. z. B. EuGH, Urteil vom 28.03.1979 - Rs. 222/78 [ICAP/Beneventi] - Slg. 1979, I-1163, Rdnrn. 10-12 = NJW 1979, 1763 Geiger, EG-Vertrag, 1995, Art. 177 Anm. 5; Wegener, in: Callies/Ruffert - Hrsg. -, EUV/EGV, 1999, Art. 234 Anm. 3; Borchardt, in: Lenz/ Borchardt (Hrsg.), EUV/EGV, 3. Aufl. 2003, Art. 234 RdNr. 11). Er entscheidet im Wege einer Vorabentscheidung u.a. über die Gültigkeit und die Auslegung von Handlungen der Organe der Gemeinschaft (Art. 234 Abs. 1 lit. b EGV). Dies beinhaltet die Auslegung und Prüfung der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen (EuGH, Urteil vom 17.07.1997 - Rs. C-28/95 [Leur-Bloem / Inspecteur der Belastingdienst/Ondernemingen Amsterdam 2] - Slg. 1997, I-4161 = EuZW 1997, 658 = DB 1997, 1851). Dazu gehören die vom Rat erlassenen Richtlinien. Gem. Art. 234 Abs. 3 EGV besteht eine Pflicht des einzelstaatlichen Gerichts, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, zur Vorlage, wenn eine von ihm im Einzelfall zu treffende Entscheidung von der Gültigkeit und/oder der Auslegung der Richtlinie abhängt. Andere nationale Gerichte können sich mit einer solchen Vorlage an den Europäischen Gerichtshof wenden. In Deutschland trifft die Pflicht zur Vorlage regelmäßig nur die obersten Bundesgerichte, weil auch die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision allgemein als Rechtsmittel im Sinne von Art. 234 EGV gewertet wird (vgl. BVerwG, Beschluss v. 15.5.1990 - 1 B 64/90 - InfAuslR 1990, 293), das Oberverwaltungsgericht mithin nicht letztinstanzlich entscheidet. Die Erforderlichkeit einer Vorlage sowie die Erheblichkeit der vorzulegenden Fragen haben die nationalen Gerichte, bei denen der Rechtsstreit anhängig ist und die allein die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung tragen, im Hinblick auf die Besonderheiten jedes Einzelfalles zu beurteilen (vgl. EuGH, Urteil vom 17.07.1997 - Rs. C-28/95 - a. a. O.; vgl. dazu auch Borchardt, a.a.O., Art. 234 RdNr. 11).

Nach diesen Maßstäben besteht auch ein Anlass zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nicht. Zum einen hat der Senat an der Richtigkeit der von ihm vertretenen Auslegung des Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates - wie dargelegt - nicht die erforderlichen Zweifel. Zum anderen erweist sich die Auslegungsfrage nicht als entscheidungserheblich. Denn selbst wenn man die vom Verwaltungsgericht vertretene Auslegung zu § 28 Abs. 2 AsylVfG als richtig unterstellen würde, würde die sich daran anschließende Prüfung des § 60 Abs. 1 AufenthG ergeben, dass dem Kläger ein solches Abschiebungsverbot nicht zusteht. Dies deshalb, weil der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung, Vietnam habe seine Vorgehensweise gegenüber im Ausland exilpolitisch und regimekritisch in Erscheinung getretenen Rückkehrern seit dem Zeitpunkt des angefochtenen Bescheids des Bundesamtes verschärft, nicht gefolgt werden kann.

Anhaltspunkte für eine verschärfte strafrechtliche oder sicherheitsrechtliche Behandlung von Rückkehrern aus Deutschland sind nach den dem Senat zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln nicht festzustellen. Der Senat vertritt in Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (BayerVGH, Beschluss vom 17.03.2005 - 8 ZB 04.31079 - ; HessVGH, Urteil vom 3.9.2003 - 11 UE 1011/01.A -; OVGNRW, Urt. v. 22.9.2000 - 1 A 2531/98.A -) in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa Beschluss vom 11.9.2001 - 9 LA 2942/01) - zuletzt in seinem Beschluss vom 24.10.2003 - 9 LA 256/03 - die Auffassung, eine Verfolgung wegen exilpolitischer Aktivitäten drohe bei einer Rückkehr nach Vietnam nur solchen Personen, deren besonders auffällige regimekritische Betätigung in ihren Wirkungen nicht im Wesentlichen auf das Ausland begrenzt geblieben ist und deren oppositionelle Aktivitäten als Ausdruck ernstzunehmender, nicht bloß asyltaktisch motivierter Opposition von Seiten vietnamesischer Behörden gewertet werden. Der Senat sieht auch unter Auswertung der aktuell vorliegenden Erkenntnismittel keinen Anlass, diese Rechtsprechung aufzugeben.

Das Auswärtige Amt führt in seinen Lageberichten über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Vietnam (vom 3.8.2000; 9.7.2001; 1.4.2003; 4.3.2004; 12.2.2005; 31.3.2006) und in seinen Auskünften (vgl. etwa Auskünfte vom 6.1.2000 an das Verwaltungsgericht Freiburg sowie vom 3.7.2002 und vom 20.8.2002 jeweils an das Verwaltungsgericht Darmstadt) beständig aus, dass eine oppositionelle Betätigung im Ausland grundsätzlich zu keinen asylrelevanten Konsequenzen im Falle einer Rückkehr nach Vietnam führe. Dem Auswärtigen Amt seien bislang keine Fälle bekannt geworden, in denen Rückkehrer wegen exilpolitischer Aktivitäten Repressalien der vietnamesischen Behörden ausgesetzt gewesen seien. Es seien weiterhin auch keine Fälle bekannt, in denen in Vietnam lebende Angehörige exilpolitisch tätiger Vietnamesen durch die dortigen Behörden unter Druck gesetzt worden seien. Unter den 11.773 Personen, die bis zum 31.12.2005 auf der Grundlage des Deutsch-Vietnamesischen Rückübernahmeabkommens nach Vietnam zurückgekehrt seien (vgl. Lagebericht vom 31.3.2006), hätten sich auch Personen befunden, die in Deutschland exilpolitisch aktiv gewesen seien. Die in Vietnam tätigen Nicht-Regierungs-Organisationen und andere Beobachter der Menschenrechtslage gingen davon aus, dass die vietnamesische Regierung der Auffassung sei, Auslandsaktivitäten berührten die vietnamesische Gesellschaft nur begrenzt. Die Auslandsaktivitäten der Opposition würden - so das Auswärtige Amt - von der breiten vietnamesischen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Die unversöhnliche Kritik der Auslandsvietnamesen finde in Vietnam oft keine Resonanz. In Einzelfällen berichteten vietnamesische Presseorgane allgemein über "Straftaten" vietnamesischer Exilanten im Ausland. Rückkehrern könne allerdings im Einzelfall eine Bestrafung wegen Propaganda gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung drohen. Dies hänge vom Inhalt der jeweiligen politischen Aktivitäten ab. Sollte der Betreffende aufgrund seiner Tätigkeit im Ausland Bekanntheit in Vietnam erlangt haben, sei allerdings eine Einreiseverweigerung wahrscheinlicher als eine strafrechtliche Verfolgung in Vietnam. Im Jahr 2001 sei dem Auswärtigen Amt ein Fall bekannt geworden, in dem die vietnamesische Botschaft einem Vietnamesen schriftlich bescheinigt habe, wegen seiner exilpolitischen Betätigung werde ihm die Einreise nach Vietnam verweigert. Dies sei allerdings ein Einzelfall. Repressionen seien allerdings dann zu befürchten, wenn sich der Rückkehrer während seines Aufenthaltes im Ausland öffentlich und nachhaltig in besonders exponierter Weise politisch oppositionell gegen das in Vietnam herrschende Regime betätigt bzw. geäußert habe. Im Einzelfall könne eine Bestrafung gem. Art. 82 VStrGB wegen Propaganda gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung drohen. Dies hänge vom Inhalt der jeweiligen politischen Aktivitäten und von deren Öffentlichkeitsgrad ab. So habe nach bisheriger Beobachtung die Kritik an der im Verwaltungsapparat verbreiteten Korruption regelmäßig keine Repressionen ausgelöst.

Diese Einschätzung wird von Prof. Dr. Weggel in seiner Auskunft an das Verwaltungsgericht Darmstadt vom 10.8.2003 bestätigt. Man gehe in Vietnam davon aus, dass jeder im Ausland lebende Vietnamese das eine oder andere Mal mit Oppositionsgruppen Kontakt gehabt habe und dass viele ferner aus asyltaktischen Gründen die eine oder andere regimekritische Bemerkung fallen ließen. Solche Äußerungen einiger im fernen Deutschland lebenden Exilvietnamesen würden in Vietnam als vergleichsweise nebensächlich betrachtet, sie stünden längst nicht mehr im Scheinwerferlicht der vietnamesischen Sicherheits- und Verfolgungspolitik. Die Reformbestrebungen mit ihren marktwirtschaftlichen Überlegungen seien weit genug fortgeschritten, um auf sicherheitsrechtlichem Gebiet nicht mehr in die Verfolgungspolitik der achtziger Jahre oder gar der siebziger Jahre zurückzufallen. Regimekritisches Verhalten erscheine daher nur noch dann wirklich eine Verfolgung wert, wenn eine offensichtliche Beteiligung an "terroristischen" Aktionen vorliege oder wenn die Verfolgungsbehörden Witterung aufgenommen und sich auf das Fehlverhalten bestimmter Personen oder Gruppierungen eingeschossen hätten. Amnesty International geht davon aus, dass bei einer Rückkehr nach Vietnam Personen, die namentlich und prominent im Ausland aufgetreten seien, mit Verfolgung rechnen müssten (an VG Darmstadt vom 22.11.2003).

Demgegenüber führt zwar der Sachverständige Dr. Will (an VG Darmstadt vom 1. 8.2002) aus, ihm sei kein Fall bekannt, dass eine Staatsbürgerin bzw. ein Staatsbürger Vietnams, der im Ausland offen regimekritische Aktivitäten unternommen habe, nach der Rückkehr in die Heimat keine strafrechtliche Verfolgung oder andere Repressalien zu erdulden gehabt habe. Diese Stellungnahme rechtfertigt nach jedoch nicht den Schluss, alle exilpolitisch tätigen Vietnamesen seien unabhängig vom Ausmaß ihres politischen Engagements und ihres dadurch gewonnenen Bekanntheitsgrades regelmäßig nach einer Rückkehr strafrechtlicher Verfolgung oder anderen erheblichen Behelligungen ausgesetzt. Der Äußerung des Sachverständigen ist insbesondere nicht zu entnehmen, in welcher Größenordnung zurückkehrende Vietnamesen einer strafrechtlichen Verfolgung unterlagen bzw. welche "offen regimekritischen Aktivitäten" Repressalien nach sich zogen.

Angesichts der damit vage gebliebenen Aussage des Sachverständigen Dr. Will und der vom Auswärtigen Amt nunmehr über Jahre hinweg beobachteten Entwicklung anhand einer Fallzahl von über 11.000 zurückgekehrten Vietnamesen gibt es keinen Anlass, die Gefährdungslage für exilpolitisch aktive Vietnamesen abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Senats und sämtlicher Obergerichte zu beurteilen. Der Senat zieht aus den Erkenntnismitteln weiterhin die Schlussfolgerung, dass exilpolitisch tätige Rückkehrer nach Vietnam solange nicht gefährdet sind, wie sie hier in der Bundesrepublik Deutschland exilpolitische Aktivitäten lediglich untergeordneter Bedeutung entfalten, z.B. die bloße Mitgliedschaft in Exilorganisationen, die Teilnahme an Veranstaltungen dieser Organisationen, die Ausübung von Funktionen in örtlichen und regionalen Exilgruppen und Unterorganisationen größerer Exilorganisationen sowie die bloße Veröffentlichung regimekritischer Beiträge in Zeitschriften oder anderen Medien. Eine Verschärfung der Situation für Rückkehrer, wie sie das Verwaltungsgericht anhand der Behandlung vietnamesischer Oppositioneller im Inland durch das vietnamesische Regime annehmen will, lässt sich gerade nicht feststellen.

Dies gilt auch für den Kläger. Denn trotz seiner vielfältigen Tätigkeiten für unterschiedliche Exilgruppierungen gehen die Aktivitäten des Klägers nicht über das hinaus, was in gleicher Weise von vielen Exilvietnamesen in der Bundesrepublik Deutschland praktiziert wird. Es erscheint ausgeschlossen, dass es sich - aus vietnamesischer Sicht - bei dem Kläger um eine besonders herausgehobene Persönlichkeit handelt, deren Aktivitäten und veröffentlichte politische Äußerungen in seinem Heimatland nennenswerte Aufmerksamkeit finden könnten. Dem Kläger könnte daher selbst bei einem durch Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates eingeschränkten Anwendungsbereich des Art. 28 Abs. 2 AsylVfG ein Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 1 AufenthG nicht zuerkannt werden. Folglich ist die Auslegung dieser Bestimmung der Richtlinie 2004/83/EG des Rates im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich.

Der Kläger kann auch den von ihm im erstinstanzlichen Klageantrag begehrten Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG nicht mit Erfolg beanspruchen. Nach § 60 Abs. 7 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für ihn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht; Gefahren in diesem Staat, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, werden bei Entscheidungen gemäß § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt.

Bei dem Kläger ist eine sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles ergebende erhebliche individuell-konkrete Gefahr nicht festzustellen. Insbesondere drohen ihm solche Gefahren nicht mit Blick auf seine in der Bundesrepublik entfaltete exilpolitische Betätigung. Selbst wenn man zu seinen Gunsten unterstellt, dass er tatsächlich an den von ihm angeführten exilpolitischen Veranstaltungen persönlich teilgenommen hat, ist - wie oben bereits ausgeführt - nicht einmal ansatzweise ersichtlich, dass eine bloße Teilnahme des Antragstellers an den genannten Veranstaltungen eine gesteigerte Aufmerksamkeit in Vietnam erlangt haben könnte mit der ausnahmsweisen Folge, dass sich das dortige Regime im Falle der Rückkehr des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu Leib, Leben oder Freiheit gefährdenden Maßnahmen gegen ihn veranlasst sehen könnte.

Ende der Entscheidung

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