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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 23.03.2009
Aktenzeichen: 9 LB 363/06
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 125
Eine von den Festsetzungen des Bebauungsplans geringfügig abweichende Herstellung der Erschließungsanlage schließt das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht nicht aus, wenn dadurch weder der Verlauf der Erschließungsanlage grundlegend verändert noch für die hergestellte Anlage mehr an Fläche in Anspruch genommen worden ist als nach dem Bebauungsplan vorgesehen (wie BVerwG, Urteil vom 10.11.1989 - 8 C 27/88 - BVerwGE 84, 80).
Gründe:

I.

Die Kläger wenden sich gegen die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für ihr an die J. Straße und obere H.-I.-Straße grenzendes 867 m² großes Hausgrundstück mit der Flurstücksbezeichnung K.. Die Beklagte stellte beide im Geltungsbereich des Bebauungsplans L. gelegene Straßen bis Mitte der 80er Jahre erstmals her. Die Schlussrechnung des Straßenbauunternehmens stammt vom 1. November 1985. Die letzte Unternehmerrechnung rührt vom 1. März 1990.

Die als Sackgasse ausgestaltete J. Straße mündet von Süden kommend bei einer Gesamtlänge von ca. 270 m - im Einmündungsbereich trichterförmig aufgeweitet - in die obere H.-I.-Straße ein. Im nordwestlichen Einmündungsbereich wurde die J. Straße abweichend von der nach dem Bebauungsplan vorgesehenen Verkehrsflächenbegrenzungslinie zusätzlich um eine dreieckige Straßenfläche erweitert. Die Längsachse der J. Straße wurde zwischen den Grundstücken J. Straße M. und N. gegenüber der seinerzeitigen Festsetzung im Bebauungsplan um ca. 50 cm nach Osten verschoben, so dass die Verkehrsfläche in diesem Umfang über die nach dem Bebauungsplan vorgesehene östliche Verkehrsflächenbegrenzungslinie hinausging; auf der gegenüberliegenden Straßenseite wurde die vom Bebauungsplan festgesetzte westliche Verkehrsflächenbegrenzungslinie im selben Umfang unterschritten, so dass dem Mehrausbau auf der einen Seite ein Minderausbau auf der anderen Seite entsprach. Entsprechendes fand im weiteren Verlauf der J. Straße zwischen den Grundstücken J. Straße O. und P. statt; dort erfolgte auf der westlichen Seite ein Mehrausbau, dem ein Minderausbau gleichen Umfangs auf der östlichen Straßenseite gegenüberstand. Im Bereich des kugelförmigen Endes der J. Straße wurde der Wendehammer auf der westlichen Seite weiter nach Osten ausgebaut als im Bebauungsplan vorgesehen, ohne dass dieser Minderausbau durch einen entsprechenden Mehrausbau auf der gegenüberliegenden Straßenseite ausgeglichen wurde.

Mit der 2. Änderung sowie mit der am 28. Juli 2000 rechtsverbindlich gewordenen 4. Änderung des Bebauungsplans L. passte die Beklagte die Festsetzungen im Bebauungsplan an den tatsächlichen Verlauf der J. Straße an. Auf der nachfolgenden Skizze markiert die Linie neben der tatsächlichen Verkehrsflächenbegrenzungslinie den Verlauf, den die Verkehrsfläche der J. Straße nach der ursprünglichen Fassung des Bebauungsplans haben sollte.

Durch Bescheid vom 4. November 2002 setzte die Beklagte für das Grundstück der Kläger einen Erschließungsbeitrag in Höhe von 7.363,22 € bezogen auf die Erschließungsanlage obere H.-I.-Straße fest und verlangte unter Anrechnung einer erbrachten Vorausleistung (5.283,54 DM = 2.701,43 €) eine Zahlung in Höhe von 4.661,79 €. Bezüglich der Erschließungsanlage J. Straße zog die Beklagte die Kläger mit weiterem Bescheid vom 4. November 2002 für ihr Grundstück zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 3.404,02 € heran. Unter Anrechnung der erbrachten Vorausleistung von ebenfalls 5.283,54 DM (2.701,43 €) ergab sich ein Leistungsgebot in Höhe von 702,59 €.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren haben die Kläger am 25. April 2003 gegen beide Erschließungsbeitragsbescheide Klage erhoben. Zur Begründung haben sie im Wesentlichen vorgetragen, die Beitragsforderung der Beklagten sei verjährt, weil die Beitragspflichten bereits 1985 erstmals entstanden seien. Soweit die Beklagte den Ausbau nicht nach den Planvorgaben durchgeführt habe, seien die Abweichungen mit den Grundzügen der Planung vereinbar. Die Beitragspflichtigen seien nicht mehr als bei einer plangemäßen Herstellung belastet worden. Es sei nicht ersichtlich, dass durch die Planabweichung Mehrkosten verursacht worden seien. Bereits 1985 habe die Beklagte von einer endgültigen Herstellung gesprochen, so dass die Beitragspflichtigen darauf hätten vertrauen können, dass die Beklagte die Abrechnungsweise für die seinerzeit entstandene Erschließungsanlage nicht mehr ändere.

Die Kläger haben beantragt,

die Bescheide der Beklagten vom 4. November 2002 in Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 25. April 2003 aufzuheben, soweit darin ein Erschließungsbeitrag von mehr als 10.567,06 DM (= 5.402,84 €) festgesetzt wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass sie durch die 4. Änderung des Bebauungsplans L., die am 28. Juli 2000 rechtsverbindlich geworden sei, einen durch § 125 Abs. 1 BauGB gedeckten Ausbau der J. Straße herbeigeführt habe. Mit der Überschreitung der ursprünglichen östlichen Verkehrsflächengrenze nach dem Bebauungsplan seien Mehrkosten verbunden gewesen, die bei einer plangemäßen Herstellung nicht entstanden wären. Der Annahme von Mehrkosten lasse sich nicht entgegenhalten, dass auf der Westseite der J. Straße jeweils die Straßengrenze bei der endgültigen Herstellung mit der Folge unterschritten worden sei, dass hier Herstellungsaufwand eingespart worden sei. Bei der Frage, ob ein planabweichender Ausbau von § 125 Abs. 3 BauGB gedeckt sei, scheide nämlich die Kompensation des Aufwands für den Mehrausbau durch den ersparten Aufwand für den Minderausbau aus. Soweit bei den Erschließungsanlagen J. Straße und obere H.-I.-Straße in den nördlichen Straßenteilen eine über die Festsetzung des Bebauungsplans hinausgehende Verlängerung bis zur Grenze des ursprünglichen Bebauungsplans erfolgt sei, sei diese Planüberschreitung durch die seit dem 26. Januar 1996 rechtsverbindliche 2. Änderung des Bebauungsplans gebilligt worden. Die durch die Verschiebung der Längsachse der J. Straße bedingte Planabweichung sei erst durch die 4. Änderung des Bebauungsplans beseitigt worden.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, eine Festsetzungsverjährung sei nicht eingetreten. Bei natürlicher Betrachtungsweise sei die Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass die J. Straße und die obere H.-I.-Straße jeweils erschließungsbeitragsrechtlich selbstständige Anlagen seien. Der Lauf der 4-jährigen Verjährungsfrist habe erst mit dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht begonnen, die mit dem Wirksamwerden der 4. Änderung des Bebauungsplans L. am 28. Juli 2000 eingetreten sei. Ursprünglich habe man die J. Straße und die obere H.-I.-Straße unter Überschreitung der früheren Bebauungsplanfestsetzungen hergestellt. Der damit einhergehende Verstoß gegen § 125 Abs. 1 BauGB, der nicht ausnahmsweise durch § 125 Abs. 3 BauGB gerechtfertigt gewesen sei, sei erst durch die 4. Änderung des Bebauungsplans geheilt worden. Eine Mehrbelastung der Beitragspflichtigen im Sinne von § 125 Abs. 3 Nr. 2 BauGB trete nur dann nicht ein, wenn die Kosten des Mehrausbaus real vom Aufwand abgesetzt würden, was vorliegend nicht der Fall sei. Eine Kompensation der Kosten des Mehrausbaus mit den durch den Minderausbau eingesparten Kosten reiche dafür nicht aus. Die Voraussetzungen des § 125 Abs. 1 BauGB seien erst mit dem Wirksamwerden der 4. Änderung des Bebauungsplans L. erfüllt worden, mithin hätten auch die sachlichen Beitragspflichten erst zu jenem Zeitpunkt gegenüber den Klägern als nunmehrigen Eigentümern entstehen können.

Auf den Antrag der Kläger hat der Senat mit Beschluss vom 20. November 2006 (9 LA 334/04) die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen ernstlicher Zweifel an dessen Richtigkeit zugelassen.

Am 6. September 2007 hat der Rat der Beklagten beschlossen, die durch den planüberschreitenden Ausbau der oberen H.-I.-Straße entstandenen Mehrkosten in Höhe von 3.310,01 € nicht gegenüber den Beitragspflichtigen geltend zu machen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Beteiligten den Rechtsstreit daraufhin insoweit für erledigt erklärt, als es um die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für die obere H.-I.-Straße ging.

Zur Begründung ihrer aufrechterhaltenen Berufung machen die Kläger weiterhin geltend: Im Hinblick auf die Festsetzung des Erschließungsbeitrags für die J. Straße sei Verjährung eingetreten, weil die Beitragspflicht bereits mit der tatsächlichen Herstellung der Straße im Jahr 1985 erstmals entstanden sei. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bedeuteten die Abweichungen vom Bebauungsplan keinen Verstoß gegen § 125 Abs. 1 BauGB. Von ihrem ursprünglich geplanten Verlauf weiche der Straßenverlauf nur geringfügig ab. Der Beklagten sei insoweit ein Ermessensfehler unterlaufen, als sie bei der Entscheidung, die J. Straße und die obere H.-I.-Straße getrennt abzurechnen, ihr Ermessen nicht ausgeübt habe.

Die Kläger beantragen,

das angefochtene Urteil zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 4. November 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2003 in Bezug auf die J. Straße aufzuheben, soweit für diese Straße ein Erschließungsbeitrag von mehr als 5.283,54 DM (= 2.701,43 €) festgesetzt ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Sie hält hinsichtlich der J. Straße an ihrem bisherigen Vortrag fest. Die J. Straße sei planüberschreitend ausgebaut worden. Der planüberschreitende Ausbau, insbesondere auch die Längsachsenverschiebung, sei der Anlass für die 4. Änderung des Bebauungsplans L. gewesen. Die Überschreitung der im Bebauungsplan festgesetzten Verkehrsflächenbegrenzungslinie auf der einen Seite und die Unterschreitung dieser Linie an anderer Stelle könnten nicht gegeneinander aufgerechnet werden. Durch die - mit den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht deckungsgleiche - Herstellung der Erschließungsanlage seien Mehrkosten entstanden, die ohne die Überschreitung nicht entstanden wären und dementsprechend als Mehrkosten im Sinne von § 125 Abs. 3 Nr. 2 BauGB zu werten seien. Nach der Rechtsprechung des OVG Münster werde eine planüberschreitende Mehrkosten verursachende Herstellung nicht durch einen planunterschreitenden Ausbau an anderer Stelle derselben Straße kompensiert, da bereits eine Mehrkosten verursachende Planüberschreitung eine Beitragserhebung rechtswidrig mache.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

II.

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich der oberen H.-I.-Straße in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist in diesem Umfang für unwirksam zu erklären (§ 173 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO in entsprechender Anwendung).

Im Übrigen ist die Berufung der Kläger begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, soweit die Kläger mit dem angefochtenen Bescheid vom 4. November 2002 zu einem Erschließungsbeitrag für die J. Straße in Höhe von mehr als 2.701,43 € herangezogen worden sind. Denn dieser Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Wegen des nur eingeschränkten Klageantrags kann der erkennende Senat den Bescheid nur im Umfang der Anfechtung aufheben.

Zum Zeitpunkt der Heranziehung der Kläger mit Bescheid vom 4. November 2002 war hinsichtlich der Festsetzung eines Erschließungsbeitrags für die Erschließungsanlage J. Straße Festsetzungsverjährung eingetreten. Gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 b NKAG i. V. m. § 169 AO beträgt die Festsetzungsfrist einheitlich vier Jahre. Die Festsetzungsfrist für Erschließungsbeiträge beginnt nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 b NKAG i. V. m. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die sachliche Beitragspflicht entstanden ist. Sie entsteht mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage in deren Gesamtheit, aber noch nicht mit dem letzten Spatenstich, sondern knüpft an die durch die Anlegung der Erschließungsanlage ausgelösten beitragsfähigen Aufwendungen an. Die dafür erforderliche Feststellbarkeit des Erschließungsaufwands ist erst mit Vorliegen der letzten Unternehmerrechnung - hier mit Eingang der Rechnung vom 1. März 1990 - gegeben.

Voraussetzung für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht ist ferner, dass die Erschließungsanlage rechtmäßig im Sinne von § 125 BauGB hergestellt worden ist. Grundsätzlich sind für die rechtmäßige Herstellung einer Erschließungsanlage und damit für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen ein gültiger Bebauungsplan sowie eine Übereinstimmung der tatsächlich hergestellten Erschließungsanlage mit den Festsetzungen im Bebauungsplan erforderlich (vgl. § 125 Abs. 1 BauGB).

Als eigenständige Erschließungsanlage hat das Verwaltungsgericht zu Recht die J. Straße angesehen. Insoweit schließt sich der Senat den Ausführungen des Verwaltungsgerichtes an, auf die er gemäß § 130 b Satz 2 VwGO verweist.

Indes folgt der Senat dem Verwaltungsgericht nicht in der Annahme, die sachliche Beitragspflicht habe im Jahr 1990 nicht entstehen können, weil die Festsetzungen des Bebauungsplans damals nicht eingehalten gewesen seien und damit dem erschließungsrechtlichen Planerfordernis nicht genügt gewesen sei. Liegt wie im vorliegenden Fall ein Bebauungsplan vor, hat sich die seinem Inkrafttreten nachfolgende Herstellung der Erschließungsanlage nach seinen Festsetzungen zu richten. Die vom Bebauungsplan kraft seiner Stellung als Rechtssatz ausgehende Bindung lösen allerdings lediglich die Festsetzungen des Bebauungsplans aus, die dessen Rechtssatzqualität teilen (vgl. § 9 Abs. 1 BauGB sowie BVerwG, Urteil vom 26.5.1989 - 8 C 6/88 - BVerwGE 82, 102 = NVwZ 1990, 165 = DVBl 1989, 1205). Für die Beurteilung einer Planabweichung maßgeblich können daher nur die nach § 9 Abs. 1 BauGB zulässigen Festsetzungen sein, also vor allem diejenigen hinsichtlich Verlauf und Fläche der Erschließungsanlage (vgl. Nr. 11). Unerheblich bleiben darüber hinausgehende nur nachrichtliche Angaben, z. B. über die Art und Weise des Straßenausbaus. Im Bebauungsplan L. sind entsprechend § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB die öffentlichen Verkehrsflächen durch Begrenzungslinien festgesetzt. Von der damit nicht nur nachrichtlich, sondern rechtssatzmäßig vorgegebenen Lage der Verkehrsfläche J. Straße ist bei deren Herstellung in mehrfacher Hinsicht abgewichen worden: Im nordwestlichen Einmündungsbereich der J. Straße ist - in allerdings flächenmäßig geringfügigem Umfang - zusätzlich eine dreieckige Straßenfläche geschaffen worden; im Bereich des kugelförmigen Endes der J. Straße ist weniger Straßenfläche ausgebaut worden als nach dem Bebauungsplan vorgesehen. Im Verlauf der J. Straße hat an zwei Stellen eine Längsachsenverschiebung um ca. 0,5 m stattgebunden, bei dem einem Mehrausbau auf der einen Straßenseite ein Minderausbau auf der anderen Straßenseite entspricht, zusätzliche Fläche also nicht in Anspruch genommen worden ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 10.11.1989 - 8 C 27/88 -, BVerwGE 84, 80 = NVwZ 1990, 569 = DÖV 1990, 284), der sich der Senat anschließt, zwingt nicht jede Abweichung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans zu der Annahme, dem erschließungsrechtlichen Planerfordernis sei nicht genügt. Vielmehr berühren geringfügige Abweichungen das Planerfordernis nicht. Diesem ist in Bezug auf Verlauf und Fläche der Verkehrsanlage erst dann nicht mehr Rechnung getragen, wenn der Verlauf grundlegend verändert worden ist und es sich deshalb bei der angelegten im Vergleich zu der ursprünglich konzipierten um eine andere Erschließungsanlage handelt, oder wenn die Abweichung zur Folge hat, dass für die hergestellte Anlage mehr an Fläche in Anspruch genommen worden ist als nach dem Bebauungsplan vorgesehen (BVerwG, Urteil vom 10.11.1989 - 8 C 27/88 - a. a. O.).

Nach diesen Maßstäben erweist sich die planabweichende Herstellung der Erschließungsanlage J. Straße als geringfügig und schließt das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht daher nicht aus. Die dargestellten Abweichungen führen ersichtlich nicht dazu, dass der Verlauf der J. Straße im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts "grundlegend verändert" worden ist. Die Längsachsenverschiebung der Verkehrsfläche um lediglich ca. 0,5 m sowie das leichte Verschwenken der Verkehrsfläche an den Enden der J. Straße haben nicht zur Folge, dass sich der Verlauf der Verkehrsfläche für den unbefangenen Beobachter tatsächlich anders darstellt als im ursprünglichen Bebauungsplan festgesetzt. Dass das tatsächliche Verlaufsbild der J. Straße sich praktisch nicht von den Vorgaben des Bebauungsplans unterscheidet, kommt nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck, dass selbst die Beklagte nach Fertigstellung der Straße für mehrere Jahre davon ausgegangen ist, die hergestellte J. Straße decke sich mit den bauplanerischen Festsetzungen. Unter diesen Umständen kann von einer grundlegenden Veränderung nicht die Rede sein.

Ebenso wenig ist durch die planabweichende Herstellung der Erschließungsanlage ein Mehr an Fläche in Anspruch genommen worden. Soweit im nordwestlichen Einmündungsbereich der J. Straße zusätzliche Fläche in Anspruch genommen worden ist, wird dieses Mehr vollständig ausgeglichen durch das Weniger an Fläche beim Minderausbau am kugelförmigen westlichen Ende der J. Straße; nach den Feststellungen des Senats entspricht das flächenmäßige Ausmaß des Minderbaus demjenigen des Mehrausbaus im nordwestlichen Einmündungsbereich. Durch die Längsachsenverschiebungen im Verlauf der J. Straße ist ebenfalls zusätzliche Fläche nicht in Anspruch genommen worden, weil dem Mehr an Fläche auf der einen Straßenseite jeweils ein Weniger an Fläche auf der gegenüberliegenden Straßenseite entspricht.

Aus dem Fehlen eines Mehrverbrauchs an Fläche insgesamt folgt zugleich dass das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht und damit der Beginn des Laufes der Verjährungsfrist im Jahr 1990 entgegen der Auffassung der Beklagten nicht durch § 125 Abs. 1 BauGB ausgeschlossen gewesen waren. Unerheblich ist demgegenüber, dass an einzelnen Stellen der J. Straße bei punktueller Betrachtung durch jeweils geringfügige Planabweichungen zusätzliche Fläche in Anspruch genommen worden ist. Zur Vermeidung nicht mehr vermittelbarer Ergebnisse darf nicht auf einzelne Stellen der Erschließungsanlage abgestellt, sondern muss im Rahmen einer Gesamtschau geprüft werden, ob bei Gegenüberstellung des flächenmäßigen Mehrausbaus und eines etwaigen Minderausbaus insgesamt mehr Fläche benötigt wurde als nach dem Bebauungsplan vorgesehen. Allein diese Sichtweise entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 10. November 1989 (a. a. O.), in dem ausdrücklich darauf abgestellt wird, dass "für die hergestellte Anlage", also für die Erschließungsanlage insgesamt und nicht nur für Teilflächen derselben, mehr an Fläche in Anspruch genommen worden ist. Nur eine solche Betrachtung trägt dem Sinn und Zweck des § 125 BauGB Rechnung, weil sich das Planerfordernis ausschließlich auf Verlauf und Fläche einer Straße bezieht und nicht darüber hinaus auch gewährleisten soll, dass die Erschließungsanlage in jeder Hinsicht exakt entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans hergestellt wird.

Damit bleibt festzuhalten, dass die planabweichende Herstellung der J. Straße das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht mit Eingang der Schlussrechnung vom 1. März 1990 nicht gehindert hat. Folglich begann der Lauf der Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 1990. Die vierjährige Festsetzungsfrist endete danach mit Ablauf des 31. Dezember 1994. Mithin war bei Erlass des angefochtenen Bescheids vom 4. November 2002 Festsetzungsverjährung hinsichtlich der Beitragserhebung für die J. Straße eingetreten.

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