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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 25.08.2004
Aktenzeichen: 9 ME 206/04
Rechtsgebiete: NBauO


Vorschriften:

NBauO § 12a I 1
NBauO § 13 I Nr 6
NBauO § 7 I 1
NBauO § 7 III
NBauO § 7a I 1
NBauO § 86 I Nr 1
Das Schmalseitenprivileg (§ 7a I 1 NBauO) kann nicht mit anderen Grenzabstandsausnahmeregelungen (hier: § 13 I Nr. 6 NBauO) kombiniert werden.

Von einem 40,60 m hohen Mobilfunkmast, der am Mastfuß einen Durchmesser von 1,40 m und einen Mastkopf aus zwei miteinander verbundenen Plattformen mit einem Durchmesser von 3,40 m aufweist, gehen Wirkungen wie von Gebäuden aus (§ 12a I 1 NBauO).


Gründe:

Die Antragsteller wenden sich als Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks D. (Flurstück E.) in F. gegen die vom Antragsgegner der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 26. Mai 2004 für den Neubau eines Mobilfunkmastes auf den beiden in südlicher Richtung gegenüberliegenden Flurstücken G. bzw. H.. Der einschlägige Bebauungsplan Nr. I. "J." setzt als Art der Nutzung "Mischgebiet" fest. Der Mobilfunkmast weist eine Höhe von 40,60 m auf. Der Durchmesser des Mastes unten ist 1,40 m; er verjüngt sich nach oben bis auf einen Durchmesser von etwa 70 cm. Der Funkmast ist mit einem Mastkopf aus zwei, durch sechs Streben (Halterungen) verbundene Plattformen (Bühne 1 und 2) mit einem Durchmesser von jeweils 3,40 m ausgestattet; an den Halterungen werden die Sendeeinrichtungen angebracht. Nach den mit dem Bauantrag eingereichten Lageplänen hält der Mobilfunkmast sowohl zur Mitte des K. (Norden) als auch zur Mitte des L. (Osten) einen Abstand von 20,30 m (= 1/2 H). Die Eigentümerin des westlich angrenzenden Grundstücks (Flurstücke M. und N.) hat ihre Zustimmung zu dem dort ebenfalls verringerten Grenzabstand von etwa 27,50 m erteilt.

Dem Antrag der Antragsteller auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. Juni 2004 mit der Begründung entsprochen, dass der genehmigte Mobilfunkmast, von dem Wirkungen wie von einem Gebäude ausgingen, nicht mit den nachbarschützenden Grenzabstandsvorschriften der Niedersächsischen Bauordnung vereinbar sei. Wegen der verwaltungsgerichtlichen Ausführungen im Einzelnen wird auf den Beschluss Bezug genommen.

Die dagegen gerichtete Beschwerde der Beigeladenen weist der Senat aus den Gründen des angegriffenen Beschlusses zurück (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die angegriffene Baugenehmigung vom 26. Mai 2004 für den Neubau des Mobilfunkmastes gegen die §§ 7 ff NBauO verstößt und die Antragsteller sich als Grundstücksnachbarn auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf diesen Verstoß berufen können.

Ausgangspunkt der rechtlichen Erwägungen ist zunächst § 7 Abs. 1 NBauO. Danach müssen Gebäude mit allen auf ihren Außenflächen oberhalb der Geländeoberfläche gelegenen Punkten von den Grenzen des Baugrundstücks Abstand halten (Satz 1); der Abstand beträgt 1 H (Abs. 3). Der 40,60 m hohe Mobilfunkmast hält den erforderlichen Grenzabstand nur gegenüber einer Grenze ein, nämlich nach Süden; nach Westen beträgt der Abstand - wenn auch mit Zustimmung der Grundstückseigentümerin - 27,50 m. Zur Mitte des L. bzw. des O., also in Richtung Westen bzw. Norden, wird ein Abstand von jeweils 20,30 m eingehalten. Damit wird der erforderliche Regel-Grenzabstand von 40,60 m auf drei Grundstücksseiten nicht beachtet. Dies lassen die Regelungen der Niedersächsischen Bauordnung über die Grenzabstände nicht zu.

Die Beigeladene kann sich in diesem Zusammenhang weder auf das sogenannte Schmalseitenprivileg des § 7a Abs. 1 Satz 1 NBauO noch auf die Antennenanlagen begünstigende Vorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 6 NBauO berufen. Das Verwaltungsgericht hat sich zutreffend auf die einschlägige Kommentarstelle bei Lindorf in: Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, Komm., 7. Aufl. 2002, § 7a Rdn. 13 und den diese Kommentarstelle wiedergebenden Beschluss des erkennenden Senats vom 2. September 2003 - 9 ME 452/02 - bezogen. Lindorf führt aus:

"Eine Kombination des Schmalseitenprivilegs mit einer Ausnahme (§ 13) oder Befreiung (§ 86), die dazu führt, dass der volle Abstand an mehr als zwei Grenzen unterschritten wird, widerspricht der Grundkonzeption des Schmalseitenprivilegs (vgl. Rdn. 1). Diese beruht u. a. darauf, dass die Nachteile durch zweimalige Abstandshalbierung an den "schmalen" Seiten zumindest teilweise wieder kompensiert werden durch (mindestens) vollen Abstand an den übrigen Seiten. Dieser Ausgleich würde bei weiteren Abstandsreduzierungen zu Lasten des Nachbarn nicht erreicht werden (Krit. Boeddinghaus, BauR 2001, 735)."

Dieser Auffassung ist auch unter Würdigung des Beschwerdevorbringens (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) weiterhin zu folgen. Ergänzend ist lediglich auf die umfänglichen Ausführungen des Bayerischen VGH, Beschl. des Großen Senats vom 17.4.2000 - GrS 1/1999 - BRS 62 Nr. 138 = BauR 2000, 1728, zu der insoweit vergleichbaren landesrechtlichen Vorschrift des Art. 6 Abs. 5 BayBO zu verweisen: Danach setzt das Verhältnis der allgemeinen Abstandsvorschrift von 1 H zum Schmalseitenprivileg stets voraus, dass es an zwei Grundstücksgrenzen bei 1 H verbleibt. Soll bei mehr als zwei Grundstücksgrenzen der erforderliche Grenzabstand nicht eingehalten werden, ist die Vorschrift über das Schmalseitenprivileg nicht anwendbar, m. a. W., das Schmalseitenprivileg ist mit anderen Ausnahmetatbeständen über einen geringeren Grenzabstand als dem Regelabstand von 1 H nicht kombinierbar. Abstandsausnahmeregelungen greifen nur, wenn zumindest an zwei Grundstücksgrenzen der Regelabstand von 1 H eingehalten wird. Diese auf das Schmalseitenprivileg bezogenen Ausführungen lassen sich unschwer auf die anderen Grenzabstands-Ausnahmetatbestände übertragen. Vergleichbares gilt also damit auch für § 13 Abs. 1 Nr. 6 NBauO.

Der Senat folgt auch der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass von dem genehmigten Mobilfunkmast Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen. Zwar äußert Lindorf (aaO, § 12a Rdn. 11 insoweit Zweifel, als von runden Masten als Antennenträger für Mobilfunk selten Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen dürften, weil es ihnen in der Regel an der dafür notwendigen Körperlichkeit fehlen würde. Jedenfalls könne das zumindest für schlanke Masten mit weniger als 50 cm Durchmesser angenommen werden, die sich nach oben verjüngen, keine Plattform oder horizontal ausladende Antennenteile tragen und an ihrem Standort vom optischen Erscheinungsbild her nicht den Eindruck einer dominierenden baulichen Anlage vermitteln. Hier handelt es sich um einen Mast mit einer Höhe von 40,60 m, der unten eine Seitenlänge von 1,40 m aufweist und oben mit einem Kopf aus zwei miteinander verbundenen Bühnen von 3,40 m Breite ausgestattet ist. Ein derartiger Mast ist, insbesondere von seiner Höhe her, eher als "turmartig" mit "dominierender Wirkung" zu beschreiben, mit dem zwar nicht die mit Gebäuden typischen Auswirkungen verbunden sind, die diesen aber abgestuft angenähert sind. Mehr fordert § 12a Abs. 1 Satz 1 NBauO nicht (in diese Richtung auch OVG Münster, Beschl v. 10.2.1999 - 7 B 974/98 - BRS 62 Nr. 133 = NVwZ-RR 1999, 714 = BauR 1999, 1172 zu einem 40 m hohen Stahlgittermast mit einer quadratischen Grundfläche von 2,50 m x 2,50 m; SächsOVG, Beschl. v. 17.12.1997 - 1 S 746/96 - BRS 59 Nr. 118 = DÖV 1998, 431 für einen am Boden 1 m breiten, sich bis auf 0,12 m verjüngenden und 31,4 m hohen Antennenträger).

Ende der Entscheidung

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