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Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Urteil verkündet am 28.02.2007
Aktenzeichen: 1 U 64/06 b
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 180 Satz 1
Ein Gemeinschaftsbriefkasten in Form eines unbeschrifteten Schlitzes in der Hauswand eines Mehrfamilienhauses ermöglicht keine wirksame Zustellung gemäß § 180 Satz 1 ZPO.
Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Im Namen des Volkes URTEIL

Geschäftszeichen: 1 U 64/06 b

Verkündet am: 28. Februar 2007

In Sachen

hat der 1. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21.02.07 durch die Richter Neumann, Dr. Wittkowski und Dr. Röfer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird der Rechtsstreit unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Bremen - 8. Zivilkammer, Einzelrichter - vom 03.11.06 und des diesem zugrunde liegenden Verfahrens zur weiteren Verhandlung an das Landgericht Bremen zurückverwiesen.

Gründe:

I. Die Parteien streiten über die ordnungsgemäße Ersatzzustellung eines Mahnbescheides und eines Vollstreckungsbescheides, mit denen der Kläger vom Beklagten die Zahlung von 143.050 € verlangt. Beide Bescheide wurden durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Das Landgericht hat den Einspruch des Beklagten gegen den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Bremen vom 24.03.06 mit Urteil vom 03.11.2006 gemäß § 341 ZPO ohne mündliche Verhandlung als unzulässig verworfen und den zugleich gestellten Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung begehrt der Beklagte die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils sowie die Abweisung der Klage, hilfsweise die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht. Der Berufungsvortrag des Beklagten ergibt sich aus seiner Berufungsbegründung mit Schriftsatz vom 08.01.07 (Bl. 39 ff. d.A.). Insbesondere hat er nunmehr zu den örtlichen Verhältnissen an seiner Anschrift in der Süderstraße 55 in Bremen vorgetragen, dass dort von außen frei zugänglich nur ein Briefschlitz in der Hauswand vorhanden sei, der zu einem Sammelbriefkasten des Mehrfamilienwohnhauses gehöre und nicht mit seinem Namen gekennzeichnet sei. Ein gesonderter, für den Briefträger frei zugänglicher Briefkasten des Beklagten sei nicht vorhanden. Dieser Vortrag ist in der Berufungsinstanz unstreitig geblieben. Wegen der Einzelheiten der örtlichen Situation wird auf die mit der Berufungsbegründung vom 08.01.2007 eingereichten vier Fotos (Bl. 42, 43 d. A.) verwiesen.

Der Kläger beantragt Zurückweisung der Berufung.

Wegen des Vortrags des Klägers hierzu wird auf das Vorbringen in seinem Schriftsatz vom 02.02.07 (Bl. 57 - 59 d.A.) nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die statthafte (§ 511 ZPO) und auch im Übrigen zulässige (§§ 517, 519, 520 ZPO) Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bremen - 8. Zivilkammer, Einzelrichter - vom 03.11.06 führt zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und des diesem zugrunde liegenden Verfahrens sowie zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht zur weiteren Verhandlung der Sache.

Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung des Rechtsstreits nach § 538 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sind vorliegend erfüllt.

Das Landgericht hätte den Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid nicht als unzulässig durch Urteil gemäß § 341 ZPO verwerfen dürfen, da die für den Vollstreckungsbescheid gemäß § 700 Abs. 1 ZPO geltende Einspruchsfrist des § 339 Abs. 1 ZPO mangels ordnungsgemäßer Zustellung des Vollstreckungsbescheides vom 24.03.06 noch nicht zu laufen begonnen hat, so dass auch der Einspruch vom 04.10.06 nicht verspätet ist. Die Zustellungsmängel sind auch nicht gemäß § 189 ZPO geheilt worden.

Wie der Senat bereits im Beschluss vom 05.02.2007 über die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ausgeführt hat, fehlt es an einer ordnungsgemäßen Zustellung des Vollstreckungsbescheides. Im vorliegenden Fall konnte keine wirksame Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten gemäß § 180 ZPO vorgenommen werden. Denn es ist bei dem Wohnhaus des Beklagten kein für den Postzusteller frei zugänglicher Briefkasten vorhanden, der eindeutig aufgrund seiner Beschriftung gerade dem Beklagten zugeordnet werden kann. An einer "ähnlichen Vorrichtung" i.S.d. § 180 S. 1 ZPO, worunter z.B. der Briefschlitz in der Haustür eines Einfamilienhauses zu verstehen ist, fehlt es hier ebenfalls.

Der Postzusteller hat sich - wie bereits das Landgericht ausgeführt hat - vor der Durchführung einer Zustellung durch Einlegen in den Briefkasten davon zu überzeugen, ob ein dem Zustellungsempfänger zuzuordnender Briefkasten in ordnungsgemäßem Zustand vorhanden ist. Er kann daher keine Ersatzzustellung gemäß § 180 ZPO vornehmen, wenn nur ein Gemeinschaftsbriefkasten für eine Mehrzahl von Mietparteien eines Hauses erreichbar ist (Wolst in: Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 180 Rn. 2; Roth in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 180 Rn. 3; Hartmann in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 180 Rn. 5).

Aufgrund des in der Berufungsinstanz mit vier Fotos unterlegten unstreitigen Vortrags des Beklagten in der Berufungsbegründung vom 08.01.2007 ist davon auszugehen, dass an dem vom Beklagten bewohnten Mehrfamilienhaus kein Briefkasten von außen zugänglich ist, der nur für ihn, den Beklagten, bestimmt ist. Vielmehr gibt es insoweit nur einen Gemeinschaftsbriefkasten in Form eines unbeschrifteten Schlitzes in der Hauswand.

In der mündlichen Verhandlung vom 21.02.2007 hat der informatorisch angehörte Beklagte noch einmal diese örtliche Situation geschildert und darauf hingewiesen, dass die Hauseingangstür immer geschlossen gehalten werde, so dass ein Postzusteller keine Möglichkeit habe, den für jede Mietpartei innerhalb des Hausflures zusätzlich montierten separaten Briefkasten zu erreichen.

Angesichts dieser Verhältnisse vor Ort hätte der Postzusteller keine Zustellung gemäß § 180 ZPO vornehmen dürfen, sondern nur eine solche durch Niederlegung gemäß § 181 ZPO.

Eine Heilung des Zustellungsmangels gemäß § 189 ZPO ist auch nicht anderweitig eingetreten, da der Vollstreckungsbescheid dem Beklagten tatsächlich nicht zugegangen ist.

Aus den vom Kläger mit Schriftsatz vom 02.02.2007 vorgelegten Protokollen des Gerichtsvollziehers vom 07.06.06, 05.07.06 und 15.08.06 ergibt sich nur, dass dieser den Beklagten an allen drei Terminen nicht zu Hause angetroffen hat. Es ist den Protokollen dagegen nicht zu entnehmen, dass der Vollstreckungsbescheid dem Beklagten anlässlich eines dieser Termine tatsächlich zugegangen ist. Ein solcher Zugang war außerdem nach dem am 28.03.06 erfolgten Einlegen des Vollstreckungsbescheides im Original in den Gemeinschaftsbriefkasten des Hauses Süderstr. 55 gar nicht mehr möglich.

Durch die Akteneinsicht, die der vom Beklagten bevollmächtigte Prozessvertreter genommen hat und in deren Rahmen der Vollstreckungsbescheid hätte kopiert werden können, wurde ebenfalls nicht der tatsächliche Zugang im Sinne des § 189 ZPO bewirkt (vgl. Stöber in: Zöller, ZPO, 26. Aufl., § 189 Rn. 4).

Für eine eigene Sachentscheidung durch den Senat ist bei der vorliegend zu beurteilenden Fallgestaltung gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 2 ZPO kein Raum, da eine weitere Verhandlung zur Sache nötig und der Rechtsstreit noch nicht ohne Eingehen auf den in erster Instanz vorgebrachten, dort aber nicht entschiedenen Prozessstoff spruchreif ist (Reichold in: Thomas/Putzo, ZPO, 27.A., § 538 Rn. 5).

Schließlich hat der Beklagte die Zurückverweisung der Sache an das LG auch beantragt (§ 538 Abs. 2 ZPO).

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst; diese ist dem erstinstanzlichen Schlussurteil vorbehalten (OLG Köln NJW-RR 87, 1152).

Ende der Entscheidung

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