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Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 23.04.2001
Aktenzeichen: 1 U 41/00
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 711 | |
ZPO § 97 Abs. 1 | |
ZPO § 708 Nr. 10 | |
ZPO § 711 | |
ZPO § 713 | |
ZPO § 546 Abs. 1 | |
ZPO § 546 Abs. 2 |
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil
1 U 41/00 19 O 3837/99 LG Hannover
Verkündet am 23. April 2001
#######, Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 2. April 2001 durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts ####### als Vorsitzenden sowie die Richter am Oberlandesgericht ####### und #######
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 22. Juni 2000 verkündete Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung seitens der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 3.800 DM abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Sicherheit kann auch durch unbedingte, unbefristete, unwiderrufliche, selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, Volksbank oder öffentlichen Sparkasse erbracht werden.
Wert der Beschwer des Klägers: 11.928 DM.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der am 23. August 1983 geborene Kläger begehrt von der Beklagten, einer niedergelassenen Gynäkologin, die Freistellung von Unterhaltsansprüchen für ein nichteheliches Kind.
Der Kläger zeugte Ende Oktober 1998 mit der am 19. Dezember 1985 geborenen ############## ein Kind. ####### suchte am 19. Januar 1999 mit ihrer Mutter die Praxis der Beklagten auf, um sich über Empfängnisverhütung zu informieren. Über den Verdacht einer Schwangerschaft wurde dabei nicht gesprochen. Für eine Schwangerschaft gab es auch keine objektiven Anhaltspunkte. Die Beklagte untersuchte ####### gynäkologisch und verschrieb ihr die Anti-Babypille, eine sonografische Untersuchung oder ein Schwangerschaftstest wurden nicht vorgenommen. Bei einer erneuten Untersuchung am 18. Februar 1999 stellte die Beklagte fest, dass ####### in der 16. Woche schwanger war.
Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte hätte die Schwangerschaft von ####### bereits bei der Untersuchung am 19. Januar 1999 erkennen müssen. Dann wäre ein legaler Schwangerschaftsabbruch möglich gewesen. Die Beklagte habe auch Veranlassung gehabt, die Möglichkeit einer Schwangerschaft zu überprüfen, denn ####### habe der Beklagten auf Befragen gesagt, dass sie schon Geschlechtsverkehr gehabt habe, und die Frage nach der letzten Regel nicht genau beantwortet.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kläger falle als nichtehelicher Vater nicht in den Schutzbereich des Behandlungsvertrages zwischen ihr und #######. Am 19. Januar 1999 habe im Übrigen keine Veranlassung zu weiter gehenden Untersuchungen bestanden. ####### habe ihre Periode als regelmäßig angegeben, als Termin der letzten Regelblutung den 7. Januar 1999 genannt, Symptome für eine Schwangerschaft seinen von ihr nicht geäußert worden. Eine Sonografie oder ein Schwangerschaftstest seien daher nicht erforderlich gewesen. Auch wenn am 19. Januar 1999 die Schwangerschaft festgestellt worden wäre, wäre ein strafloser Schwangerschaftsabbruch nicht mehr möglich gewesen.
Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dem Kläger stünden keine Ansprüche aus dem Behandlungsvertrag zu, weil er weder Vertragspartner der Beklagten noch in den Schutzbereich des Behandlungsvertrages einbezogen worden sei.
Der Kläger macht mit seiner Berufung geltend, er sei in den Schutzbereich des ärztlichen Behandlungsvertrages einbezogen worden. ####### habe der Beklagten schon bei der ersten Konsultation gesagt, sie habe ungeschützten Verkehr gehabt, was im Übrigen auch offenkundig gewesen sei, denn sie habe sich über die Möglichkeit oraler Kontrazeptiva aufklären lassen wollen, woraus zu folgern gewesen sei, dass sie Geschlechtsverkehr ohne Verwendung von Präservativen habe ausüben wollen. Auch habe die ganz überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür gesprochen, dass der potenzielle Vater, also er, noch minderjährig sei. Zumindest hätte die Beklagte ####### hiernach befragen müssen. Diese hätte dann den Tatsachen entsprechend geantwortet. Bei der Erstuntersuchung am 19. Januar 1999 sei es 'im Sinne eines Reflexes' auch um seine, des Klägers, weiterreichenden (finanziellen) Interessen als möglicher Vater gegangen. Die Beklagte hätte auch bei fehlender Schwangerschaftssymptomatik zumindest in Erwägung ziehen müssen, dass sich Frau ####### im Frühstadium einer Schwangerschaft befunden habe. Im Übrigen sei es in jedem Fall Nebenpflicht der Beklagten gewesen, ####### über die Folgen einer nicht gewollten Schwangerschaft aufzuklären und hierbei auch den Erzeuger einzubeziehen. Verlässliche Anhaltspunkte dafür, dass bereits zum Zeitpunkt der ersten Untersuchung ein Schwangerschaftsabbruch legal nicht mehr möglich gewesen sei, gäbe es nicht.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des am 22. Juni 2000 verkündeten Urteils des Landgerichts Hannover - 19 O 3837/99 - festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn von sämtlichen Unterhaltsansprüchen des Kindes ##############, geboren am 20. August 1999, freizustellen,
für den Fall der Gewährung von Vollstreckungsnachlass ihm zu gestatten, Sicherheit in Form der Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Volksbank zu erbringen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise: als Sicherheit im Rahmen des § 711 ZPO die unwiderrufliche, unbedingte, selbstschuldnerische und schriftliche Bankbürgschaft einer Bank, die einem anerkannten Einlagensicherungsfonds angehört, oder einer öffentlichen Sparkasse zuzulassen.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Ansprüche aus einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte stünden dem Kläger nicht zu. Geschuldet habe sie eine gynäkologische Untersuchung und eine Beratung im Hinblick auf zukünftige schwangerschaftsverhütende Maßnahmen. In diesen Pflichtenkreis sei der Kläger nicht einbezogen worden. Im Übrigen sei selbst bei einem unterstellten Interesse des Klägers an einem Schwangerschaftstest für ####### dieses Interesse nicht schützenswert, weil es dem alleinigen Ziel gedient hätte, über einen Schwangerschaftsabbruch ihn als Vater von der Unterhaltslast freizustellen. Mangels Schwangerschaftssymptomatik habe auch kein Anlass für zusätzliche Schwangerschaftstests bestanden. Nach dem 19. Januar 1999 sei ein legaler Schwangerschaftsabbruch ohnehin nicht mehr möglich gewesen.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat keinen Erfolg.
1. Ein unmittelbares Vertragsverhältnis der Parteien hat nicht bestanden. Auch stehen nicht absolut geschützte Rechtsgüter des Klägers in Frage, vielmehr verfolgt er lediglich Vermögensinteressen. Ansprüche des Klägers könnten sich daher allenfalls ergeben, wenn er in den Schutzbereich des ärztlichen Behandlungsvertrags zwischen der Beklagten und ####### einbezogen gewesen wäre. Dies ist aber nicht der Fall.
Ansprüche aus einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte sind an folgende Voraussetzungen geknüpft: Zunächst muss der Dritte bestimmungsgemäß mit der vertraglich geschuldeten Leistung in Berührung kommen und den Gefahren von Schutzpflichtverletzungen ebenso ausgesetzt sein wie der Gläubiger selbst ('Leistungsnähe'). Darüber hinaus muss der Vertragsgläubiger an einer sorgfältigen Ausführung der Leistungen nicht nur ein eigenes, sondern ein berechtigtes Interesse zu Gunsten des Dritten haben ('Gläubigernähe').Weiterhin muss dem Vertragsschuldner sowohl die Drittbezogenheit der Leistung als auch die Gläubigernähe erkennbar sein. Schließlich muss der Dritte selbst schutzbedürftig sein.
Die Rechtsprechung hat in verschiedenen Konstellationen im Arzthaftungsrecht das Vorliegen der Voraussetzungen eines Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte bejaht, so etwa die Einbeziehung des Ehemannes in einen ärztlichen Behandlungsvertrag über eine Sterilisation oder aber die Einbeziehung des verheirateten oder auch nicht verheirateten Vaters in einen ärztlichen Behandlungsvertrag bei falscher oder lückenhafter Auskunft über die Erforderlichkeit eines gebotenen Schwangerschaftstests zur Früherkennung pränataler Vorschäden (vgl. Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl., Rnrn. 271, 279, 293, 298, 300; zu den Voraussetzungen eines Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte im Einzelnen vgl. Münchener Kommentar-Gottwald, BGB, 3. Aufl., § 328 Rnrn. 86 f.; Palandt-Heinrichs, BGB, 59. Aufl., § 328 Rn. 13 f.).
Der vorliegende Fall liegt allerdings anders. Im Hinblick auf den Inhalt des ärztlichen Behandlungsvertrages - gynäkologische Untersuchung von ####### und Beratung im Hinblick auf künftige schwangerschaftsverhütende Maßnahmen - scheidet schon die Leistungsnähe des Klägers aus. Denn diese vertraglich geschuldeten Leistungen hat die Beklagte nur für ihre Patientin erbracht. Darüber hinaus bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte überhaupt erkennen konnte, dass ein Schutz Dritter im Hinblick auf eine bereits bestehende Schwangerschaft von ####### beabsichtigt gewesen sein könnte.
Zwar wusste die Beklagte, dass ####### bereits Verkehr gehabt hatte. Aber selbst wenn sie - wie der Kläger behauptet - gewusst haben sollte, dass dieser Verkehr ungeschützt war, musste sie nicht von einer bestehenden Schwangerschaft ausgehen, denn unstreitig wies ####### keinerlei Anzeichen einer bereits eingetretenen Schwangerschaft auf. Dass ####### die Beklagte wegen einer Beratung über empfängnisverhütende Mittel aufsuchte, musste ebenfalls nicht die Möglichkeit einer bereits bestehenden Schwangerschaft nahe legen. Dies könnte sogar eher für das Gegenteil sprechen. Denn wenn eine Patientin eine Ärztin oder einen Arzt um schwangerschaftsverhütende Mittel für die Zukunft bittet, darf dieser Arzt zumindest davon ausgehen, dass die Patientin selbst nicht ernsthaft eine bestehende Schwangerschaft in Betracht zieht.
Bei der ersten Untersuchung am 19. Januar 1999 ging es also für die Beklagte erkennbar ausschließlich um die eigenen Interessen von #######. Ob 'im Sinne eines Reflexes' auch Interessen des Klägers berührt sein könnten, kann dahinstehen. Denn dies würde nicht ausreichen, um den Kläger in den Schutzbereich des ärztlichen Behandlungsvertrages einzubeziehen.
2. Der Senat hat die Revision zugelassen. Denn er misst der soweit ersichtlich von der Rechtsprechung bislang noch nicht entschiedenen Frage grundsätzliche Bedeutung zu, ob ein minderjähriger Vater in den Schutzbereich eines ärztlichen Behandlungsvertrages zwischen einer minderjährigen Mutter und einer Frauenärztin einbezogen ist, der eine gynäkologische Untersuchung der Patientin und deren Beratung im Hinblick auf künftige schwangerschaftsverhütende Maßnahmen zum Gegenstand hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Festsetzung des Wertes der Beschwer und die Zulassung der Revision ergeben sich aus § 546 Abs. 1, 2 ZPO.
Ende der Entscheidung
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