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Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 20.02.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 77/08
Rechtsgebiete:
Vorschriften:
Oberlandesgericht Celle Beschluss
In der Strafsache
gegen A. K.,
geboren am 15. Dezember 1962 in T. / T., zzt. S., C.,
wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der 3. großen Strafkammer des Landgerichts H. vom 4. Dezember 2007 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch Richter am Oberlandesgericht #######, Richterin am Oberlandesgericht ####### und Richter am Landgericht ####### am 20. Februar 2008 beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluss und der Haftbefehl der Kammer betreffend den Angeklagten K. vom 9. August 2006 werden aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten K. insoweit entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse zu tragen.
Gründe:
I.
Der Angeklagte K. wurde in dieser Sache am 9. März 2006 festgenommen und befindet sich seither - mit einer Unterbrechung von 50 Tagen zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe in anderer Sache - in Untersuchungshaft zunächst aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts H. vom 7. März 2006, Az.: 276 Gs 24/06, und seit dem 9. August 2006 aufgrund des Haftbefehls der 3. großen Strafkammer des Landgerichts H. vom selben Tage.
Mit der am 23. August 2006 zugelassenen Anklage vom 19. Juni 2006 und dem Haftbefehl vom 9. August 2006 wird dem Angeklagten K. bewaffnetes unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, bandenmäßiges unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, Geldfälschung und unerlaubter Erwerb sowie Besitz einer Schusswaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Munition vorgeworfen.
Die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten und zwei Mitangeklagte begann am 20. November 2006. Seither hat die 3. große Strafkammer des Landgerichts wie folgt verhandelt:
Am 20. November 2006 von 09:00 Uhr bis 09:45 Uhr,
am 27. November 2006 von 10:45 Uhr bis 11:00 Uhr,
am 4. Dezember 2006 von 10:34 Uhr bis 12:00 Uhr,
am 21. Dezember 2006 von 09:05 Uhr bis 09:47 Uhr,
am 11. Januar 2007 von 13:33 Uhr bis 14:27 Uhr,
am 18. Januar 2007 von 09:15 Uhr bis 09:54 Uhr und von 11:34 Uhr bis 12:00 Uhr,
am 25. Januar 2007 von 13:13 Uhr bis 14:01 Uhr,
am 30. Januar 2007 von 10:00 Uhr bis 10:20 Uhr,
am 20. Februar 2007 von 13:03 Uhr bis 13:16 Uhr,
am 27. Februar 2007 von 10:20 Uhr bis 13:14 Uhr,
am 28. Februar 2007 von 11:00 Uhr bis 11:45 Uhr,
am 21. März 2007 von 10:13 Uhr bis 11:10 Uhr,
am 23. April 2007 von 11:15 Uhr bis 12:11 Uhr und von 13:00 Uhr bis 14:20 Uhr,
am 10. Mai 2007 von 10:00 Uhr bis 10:10 Uhr,
am 31. Mai 2007 von 10:25 Uhr bis 10:40 Uhr,
am 14. Juni 2007 von 10:24 Uhr bis 10:50 Uhr,
am 19. Juni 2007 von 13:05 Uhr bis 13:22 Uhr,
am 3. Juli 2007 von 10:05 Uhr bis 10:30 Uhr und von 13:00 Uhr bis 13:30 Uhr,
am 16. Juli 2007 von 12:10 Uhr bis 12:17 Uhr,
am 17. Juli 2007 von 09:15 Uhr bis 12:35 Uhr,
am 19. Juli 2007 von 09:57 Uhr bis 10:01 Uhr,
am 26. Juli 2007 von 08:37 Uhr bis 09:35 Uhr,
am 27. August 2007 von 13:05 Uhr bis 13:30 Uhr,
am 13. September 2007 von 13:05 Uhr bis 13:20 Uhr,
am 26. September 2007 von 13:05 Uhr bis 14:55 Uhr,
am 15. Oktober 2007 von 13:30 Uhr bis 14:41 Uhr,
am 5. November 2007 von 13:05 Uhr bis 14:04 Uhr,
am 6. November 2007 von 10:25 Uhr bis 10:45 Uhr,
am 13. November 2007 von 09:35 Uhr bis 09:50 Uhr und von 11:30 Uhr bis 11:45 Uhr,
am 14. November 2007 von 09:39 Uhr bis 11:35 Uhr,
am 27. November 2007 von 13:50 Uhr bis 14:15 Uhr,
am 4. Dezember 2007 von 13:45 Uhr bis 14:00 Uhr,
am 19. Dezember 2007 von 13:40 Uhr bis 14:07 Uhr,
am 10. Januar 2008 von 13:45 Uhr bis 14:06 Uhr,
am 22. Januar 2008 von 13:10 Uhr bis 13:43 Uhr,
am 24. Januar 2008 von 09:40 Uhr bis 11:19 Uhr,
am 4. Februar 2008 von 09:38 Uhr bis 12:02 Uhr.
Im Hauptverhandlungstermin vom 27. November 2007 hatte der Angeklagte die Aufhebung bzw. hilfsweise die Außervollzugsetzung des gegen ihn bestehenden Haftbefehls beantragt. Der Antrag war sowohl mit Angriffen gegen die Annahme eines dringenden Tatverdachtes und eines Haftgrundes, als auch mit einem Verstoß gegen das in Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot begründet worden. Die Kammer hat diesen Antrag mit Beschluss vom 4. Dezember 2007 zurückgewiesen. Sie hat ausgeführt, nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme bestehe weiterhin dringender Tatverdacht gegen den Angeklagten. Wegen der näheren Einzelheiten der Würdigung der Kammer wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Nach Auffassung der Kammer ist auch weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr gegeben. Der Angeklagte habe mit einer langjährigen Gesamtfreiheitsstrafe und zudem mit dem Widerruf der Bewährungsaussetzung hinsichtlich der Restfreiheitsstrafe von ursprünglich sechs Jahren und sechs Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Ha. vom 8. März 2000 zu rechnen. Dem von dieser Straferwartung ausgehenden Fluchtanreiz stünden keine ausreichenden sozialen Bindungen in Deutschland gegenüber. Von seiner Ehefrau sei der Angeklagte geschieden, seine minderjährigen Kinder hätten schon vor seiner Inhaftierung nicht bei ihm gelebt. Schließlich hält die Kammer die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft auch für verhältnismäßig. Zur Frage der ausreichenden Verfahrensförderung führt sie aus:
"Das in Haftsachen geltende besondere Beschleunigungsgebot ist ebenfalls nicht verletzt. Ein Großteil der Zeugen ist in der Hauptverhandlung vernommen worden, ebenso sind die wesentlichen Urkunden in die Hauptverhandlung eingeführt worden.
Soweit einige sogenannte Kurztermine stattgefunden haben, ist dies auch auf die Verhinderung der Verteidiger zurückzuführen. Darüber hinaus hatte und hat die Strafkammer neben diesem Strafverfahren parallel noch diverse weitere Haftsachen zu verhandeln, sodass ihr mithin nicht beliebig viele Hauptverhandlungstermine zur Verfügung standen bzw. stehen werden.
Nur der Vollständigkeit halber weist die Kammer darauf hin, dass die Auflistung des Verteidigers über die Anzahl und Dauer der Verhandlungstermine teilweise unzutreffend ist. So hat der Termin am 04.12.2006 von 10.34 bis 12.00 Uhr gedauert. Weiter fanden am 17.07.2007 in der Zeit von 09.15 bis 12.35 Uhr und am 13.11.2007 in der Zeit von 09.35 bis 11.45 Uhr weitere Hauptverhandlungstermine statt."
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Angeklagte mit der Beschwerde, mit der er im Wesentlichen das Vorbringen aus der Antragsbegründung vom 27. November 2007 mit einigen Ergänzungen wiederholt.
Die Staatsanwaltschaft H. hat in ihrer Stellungnahme vom 13. Februar 2008 u. a. darauf hingewiesen, dass der Vorsitzende nunmehr mit Verfügung vom 4. Februar 2008 über bereits vorgesehene Termine am 12. Februar, 5. März und 13. März hinaus weitere Termine für den 31. März sowie für den 4., 8., 11., 17. und 22. April 2008 anberaumt hat. Hierzu ergibt sich aus einem Schriftsatz des Verteidigers des Angeklagten vom 7. Februar 2008, dass diese Hauptverhandlungstermine nicht mit der Verteidigung abgestimmt waren und fast durchgängig auf Seiten des Verteidigers Kollisionen mit anderen Terminsverpflichtungen gegeben sind. Aus einem Vermerk des Vorsitzenden vom 4. Februar 2008 ergibt sich zudem, dass eine der beteiligten Schöffinnen sich am 15. Februar 2008 einer Operation unterziehen musste, weshalb ein zehntägiger Krankenhausaufenthalt mit anschließender mehrwöchiger Rehabilitation erforderlich ist, wobei unklar ist, inwieweit die Schöffin während der Rehabilitationsphase zur Verfügung steht.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde zu verwerfen.
II.
Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss und der Haftbefehl gegen den Angeklagten sind aufzuheben, weil die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr verhältnismäßig ist.
1. Allerdings ist nach den Ausführungen der Kammer im angefochtenen Beschluss davon auszugehen, dass jedenfalls im Wesentlichen weiterhin dringender Tatverdacht gegen den Angeklagten hinsichtlich der ihm mit Haftbefehl und Anklage zur Last gelegten Taten besteht. Denn während einer laufenden Hauptverhandlung, zumal wenn diese seit geraumer Zeit andauert, unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachtes durch das erkennende Gericht im Haftbeschwerdeverfahren nur einer erheblich eingeschränkten Überprüfung (BGH StV 2004, 143; BGH bei Becker NStZ-RR 2003, 2; OLG Hamm StV 2006, 191, 192). Denn allein das die Beweisaufnahme durchführende Gericht ist in der Lage, die Ergebnisse der nicht dokumentierten Beweisaufnahme umfassend zu würdigen und auf dieser Grundlage die Frage nach dem Fortbestand des dringenden Tatverdachtes zu beantworten. Dem Beschwerdegericht fehlen die dafür erforderlichen Erkenntnisse. Deshalb kann das Beschwerdegericht nur prüfen, ob die Entscheidung des erkennenden Gerichts auf Tatsachen gegründet ist und ob sie auf einer vertretbaren Bewertung des mitgeteilten Beweisergebnisses beruht (vgl. OLG Hamm a. a. O.). Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Beschluss der Strafkammer hinsichtlich der Annahme des dringenden Tatverdachts auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht zu beanstanden.
Auch die Erwägungen der Kammer zum Haftgrund der Fluchtgefahr treffen zu. Letztlich kommt es darauf aber vorliegend nicht entscheidend an.
2. Der Haftbefehl und die Haftfortdauerentscheidung sind nämlich aufzuheben, weil der weitere Vollzug von Untersuchungshaft nicht mehr verhältnismäßig ist und den Angeklagten in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzen würde.
Der erkennende Senat hat wiederholt ausgesprochen, dass in Untersuchungshaftsachen das Interesse des Staates an einer wirksamen Strafverfolgung ständig gegenüber dem Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten abzuwägen ist und dass mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft der Freiheitsanspruch des Beschuldigten stetig an Gewicht gewinnt (zuletzt Senatsbeschluss vom 7. Januar 2008, 2 Ws 403/07; vgl. auch BVerfG Beschluss vom 23.01.2008, 2 BvR 2652/07; BVerfG StV 2006, 703, 704; OLG Hamm, a. a. O., 193).
Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt (BVerfG a. a. O.) ausgeführt, dass der Vollzug von Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr vor Erlass eines Urteils nur in besonderen Ausnahmefällen seine Rechtfertigung finden kann. Das setzt aber jedenfalls voraus, dass das Verfahren mit der gebotenen Beschleunigung betrieben worden ist und dass alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen durch die Justizbehörden ergriffen worden sind, um eine schnelle Erledigung sicherzustellen (vgl. BVerfG Beschluss vom 23.01.2008, 2 BvR 2652/07). Das lässt sich hier hinsichtlich des gerichtlichen Verfahrens nicht feststellen.
Die Anklage ist am 26. Juni 2006 beim Landgericht eingegangen, die Hauptverhandlung begann dann am 20. November 2006, was allenfalls vor dem Hintergrund des besonders zügig geführten Ermittlungsverfahrens noch vertretbar erscheint. In der Folge hat dann die Kammer, wie sich der Darstellung unter I. entnehmen lässt, in der rund 14,5 Monate andauernden Hauptverhandlung lediglich an 37 Tagen verhandelt, was einer durchschnittlichen Verhandlungsdichte von rund 2,5 Sitzungstagen pro Monat entspricht. Dabei ist an 27 Sitzungstagen kürzer als eine Stunde, wiederholt auch nur zehn Minuten oder weniger verhandelt worden. Nicht an einem einzigen Sitzungstag ist auch nur annähernd durchgehend ganztägig verhandelt worden.
Es kann dahinstehen, ob eine solche Verhandlungsführung wegen ihrer Zerrissenheit nicht schon per se mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht mehr vereinbar ist. Sie ignoriert jedenfalls die Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht gerade für umfangreiche Haftsachen aufgestellt hat. Danach ist eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung mit mehr als einem Verhandlungstag pro Woche gefordert (BVerfG Beschluss vom 23.01.2008, 2 BvR 2652/07; BVerfG NStZ 2006, 295 ff.; StV 2006, 318 f.).
Es ist auch nicht erkennbar, dass die durch die aufgezeigte Terminierung eingetretenen Verfahrensverzögerungen auch bei weiträumiger Planung unvermeidbar gewesen wären. Sowohl dem Landgericht als auch dem erkennenden Senat ist bekannt, dass die in diesem Strafverfahren tätigen Verteidiger zu den bekannten und vielbeschäftigten Strafverteidigern im hiesigen Raum zählen, mit denen jedenfalls kurzfristige Terminsabstimmungen schwierig sind. Dem ist bei den Terminsbestimmungen in diesem Verfahren nicht Rechnung getragen worden. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass selbst nach über 14-monatiger Verhandlungsdauer erst kurzfristig Verhandlungstermine für März und April - noch dazu ohne Abstimmung mit der Verteidigung - anberaumt worden sind.
Angesichts der Dauer der Untersuchungshaft und des Ausmaßes der Verfahrensverzögerung vermag auch die dem Senat bekannte Belastung der Kammer die Verzögerungen nicht mehr zu rechtfertigen. Denn von einer vorübergehenden Überlastung der Kammer kann schon angesichts der Dauer der Hauptverhandlung und der durchgehend unzureichenden Terminierung nicht mehr ausgegangen werden. Auch sonst ergeben sich weder aus den Akten noch aus der Entscheidung der Kammer Gründe, die ausnahmsweise die eingetretenen Verfahrensverzögerungen rechtfertigen und deshalb die Fortdauer der Untersuchungshaft noch weiter verhältnismäßig erscheinen lassen könnten (vgl. zu ähnlichen Fallkonstellationen auch OLG Hamburg StraFo 2006, 372 f.; OLG Hamm a. a. O.). Das gilt vorliegend umso mehr, als angesichts der sich abzeichnenden Terminskollisionen für die Monate März und April sowie die mindestens eingeschränkte Verfügbarkeit einer Schöffin auch künftig nicht mit einem zügigen Fortgang und baldigen Abschluss des Verfahrens zu rechnen ist. Insgesamt zwingen die dargestellten Umstände deshalb zur Aufhebung des Haftbefehls aus Gründen der Verhältnismäßigkeit.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO entsprechend.
Ende der Entscheidung
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