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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 11.02.2002
Aktenzeichen: 4 AR 8/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36
ZPO § 38
Ein Verweisungsbeschluss, den das im Mahnbescheid bezeichnete und an sich zuständige Streitgericht nach Abgabe aufgrund übereinstimmenden Antrags beider Parteien erlässt, weil es die ihm angezeigte nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarung entgegen der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur irrig für zulässig gehalten hat, entfaltet gleichwohl Bindungswirkung, weil er jedenfalls nicht willkürlich ist.
4 AR 8/02

Beschluss

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Amtsgericht ####### am 11. Februar 2002 beschlossen:

Tenor:

Das Landgericht Hamburg wird als das zuständige Gericht bestimmt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Gründe:

I.

Durch Mahnbescheid vom 16. August 2001 (Bl. 2 GA) machte die Klägerin beim Amtsgericht Hamburg gegen den Beklagten eine Hauptforderung in Höhe von 24.530,17 DM geltend (Bl. 3 GA). Im Mahnbescheidsantrag gab die Klägerin als das für das streitige Verfahren zuständige Gericht das Landgericht Lüneburg an (Bl. 4 GA). Unter dem 29. August 2001 wurde der Mahnbescheid dem Beklagten ordnungsgemäß zugestellt. Der Beklagte legte gegen den Mahnbescheid Widerspruch ein (Bl. 6 GA). Unter dem 22. November 2001 gab das Amtsgericht Hamburg nach Eingang der Anspruchsbegründung (Bl. 8 ff. GA) das Verfahren an das Landgericht Lüneburg ab (Bl. 6 GA). Unter dem 15. Dezember 2001 teilte der Beklagtenvertreter mit, die Parteien hätten vereinbart gehabt, dass zur Durchführung des Rechtsstreits das Landgericht Hamburg berufen sei und dass der Rechtsstreit dort durchgeführt werden sollte. Der Beklagte beantragte, den Rechtsstreit an das Landgericht Hamburg zu verweisen und versicherte anwaltlich, dass er auch für die Klägerin ermächtigt sei, Verweisungsantrag zu stellen (Bl. 19 GA). Unter dem 20. Dezember 2001 teilte die Klägerin dem Landgericht Lüneburg mit, sie sei mit der Verweisung an das Landgericht Hamburg einverstanden (Bl. 16 GA).

Durch Beschluss vom 21. Dezember 2001 erklärte sich das Landgericht Lüneburg für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht Hamburg (Bl. 17 GA). Durch Beschluss vom 18. Januar 2002 lehnte das Landgericht Hamburg die Übernahme des Verfahrens ab, erklärte sich ebenfalls für örtlich unzuständig und legte die Sache gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO dem Oberlandesgericht Celle zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor (Bl. 24 GA).

II.

Nach der Kompetenzleugnung beider beteiligten Gerichte war das Landgericht Hamburg gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO als zuständiges Gericht zu bestimmen. Entgegen der Ansicht des Landgerichts Hamburg ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Lüneburg vom 21. Dezember 2001 nicht willkürlich.

Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses gemäß § 281 Abs. 2 Satz 5 ZPO entfällt ausnahmsweise dann, wenn die Verweisung willkürlich ist (Zöller/ Greger, ZPO, 22. Auflage, Rdnr. 17 zu § 281 ZPO). Dies ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats dann der Fall, wenn der Kläger im Mahnbescheid oder in der Klageschrift bereits ein ihm zustehendes Wahlrecht ausgeübt hat. Eine Verweisung infolge übereinstimmender Anträge der Parteien ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats jedoch nicht willkürlich (vgl. z. B. OLGR Celle 2000, 224 sowie zuletzt z. B. in 4 AR 3/02 und 4 AR 6/02).

Grundlage der Bindungswirkung ist § 281 Abs. 2 Nr. 5 ZPO, wonach der Verweisungsbeschluss an das Gericht, an welches verwiesen worden ist, bindend ist. § 281 Abs. 2 Nr. 5 ZPO ist dahingehend zu verstehen, dass grundsätzlich auch fehlerhafte Verweisungen bindend sind. Der Gesetzgeber will hiermit langwierige Streitigkeiten der Gerichte über ihre Zuständigkeit vermeiden und somit einen 'Zuständigkeitstourismus' von Akten verhindern. Hierbei wird in Kauf genommen, dass mitunter aufgrund einer fehlerhaften Verweisung ein an sich nicht zuständiges Gericht eine Akte bearbeitet, zumal sich dies im Laufe der Zeit, auch unter den Landgerichten Hamburg und Lüneburg, saldierend ausgleichen dürfte. Kompetenzkonflikte der beteiligten Gerichte nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO werden im Übrigen auch überwiegend auf dem Rücken der rechtsuchenden Bürger ausgetragen, welche vorrangig ein Interesse daran haben, dass ihr Rechtsstreit in angemessener Zeit und sachgerecht entschieden wird. Für Kompetenzkonflikte verschiedener Gerichte am Rechtsstreit beteiligter Gerichte haben sie in der Regel allenfalls ein untergeordnetes Interesse.

Grenze der Bindungswirkung von Verweisungsbeschlüssen ist jedoch, wie dargelegt, eine Willkür. Vor Willkür sollen jedoch vorrangig die Prozessparteien und nicht das Gericht, an welches verwiesen wird, geschützt werden. So entspricht es, wie dargelegt, ständiger Rechtsprechung des Senats, eine Willkür zu verneinen, wenn eine Verweisung infolge übereinstimmender Anträge der Parteien erfolgt. Für den rechtsuchenden Bürger wäre es auch nur schwer nachvollziehbar, wieso ein Gericht gegenüber den Prozessparteien willkürlich handeln sollte, wenn dieses aufgrund übereinstimmender Anträge der Parteien einen Rechtsstreit an das von ihnen gewünschte Gericht verweist, solange jedenfalls Anhaltspunkte für eine 'Gerichtsstandserschleichung' aus sachfremden Gründen fehlen. Dieses Gericht soll es nach der Intention des § 281 Abs. 2 Satz 5 ZPO gegebenenfalls mit Fassung tragen, dass es auch einmal einen Rechtsstreit entscheiden muss, für welchen es nach den Zuständigkeitsregelungen eigentlich nicht zuständig ist.

Entgegen der Anregung des Landgerichts Hamburg war auch eine Vorlage des Rechtsstreits an den Bundesgerichtshof gemäß § 36 Abs. 3 ZPO nicht erforderlich. Die Unterschiede in den Ansichten des Oberlandesgerichts Schleswig und des Oberlandesgerichts Celle sind im vorliegenden Sachverhalt nicht entscheidungserheblich. Auch das OLG Schleswig ist der Ansicht, dass, wenn bei Vorliegen einer ausschließlichen Zuständigkeit eines anderen Gerichts kein Wahlrecht bestand, der Angabe des im Mahnbescheidsantrags angegebenen Gerichts keine Bindungswirkung zukommt (OLG Schleswig NJW-RR 2001, 646). Mit einer Gerichtsstandsvereinbarung, welche die Parteien vorliegend getroffen haben, kann eine ausschließliche Zuständigkeit vereinbart worden sein (Zöller/Vollkommer a. a. O., Rdnr. 3 und 42 zu § 38 ZPO). Im vorliegenden Sachverhalt spricht einiges dafür, dass die Parteien eine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Hamburg vereinbart haben. Der Verweisungsantrag wurde zunächst vom Beklagten gestellt, welcher seinen Wohnsitz in Lüneburg hat. Es ist kein Grund ersichtlich, wieso der Beklagte ohne die Vereinbarung einer ausschließlichen Zuständigkeit des Landgerichts Hamburg auf die für ihn regelmäßig günstigere Wohnsitzzuständigkeit verzichten sollte.

Aber selbst wenn man der Ansicht sein sollte, eine ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Hamburg sei erst nach Abgabe an das Landgericht Lüneburg vereinbart worden, so wäre dennoch eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 36 Abs. 3 ZPO nicht erforderlich. Auch dann läge zumindest keine Willkür vor, wenn neben den übereinstimmenden Anträgen der Parteien zusätzlich auch noch eine nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarung getroffen worden ist. Mit dieser Frage hat sich das OLG Schleswig in seinem Beschluss vom 27. September 2000 (OLG Schleswig NJW-RR 2001, 646) nicht befasst. Die Frage, ob nach Rechtshängigkeit ein anderes Gericht durch Prorogation bestimmt werden kann, wenn die Klage bei einem zuständigen Gericht erhoben worden ist, wird nach h. M. zwar verneint, es gibt aber auch beachtliche Gegenmeinungen, wonach eine solche 'nachträgliche' Prorogation doch zulässig sein soll (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 22. Auflage, § 38, Rdnr. 12 mit Nachweisen und in Rdnr. 12 a mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass auch nach Abgabe eine Verweisung bei Prorogation mit bindender Wirkung möglich sei). Deshalb ist ein Verweisungsbeschluss, den ein Gericht in der - nach überwiegender Ansicht - irrigen Auffassung erlässt, die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts könne auch noch nach Rechtshängigkeit durch Gerichtsstandsvereinbarung beseitigt werden, dennoch bindend (OLG Düsseldorf OLGZ 76, 475). Ob dies auch dann gilt, wenn Anhaltspunkte für eine sachwidrige 'Gerichtsstandserschleichung' bestehen, kann dahin gestellt bleiben, weil es hier solche Anhaltspunkte schon deswegen nicht gibt, weil die Initiative zur Verweisung von der Seite des Beklagten ausgegangen ist.

Ende der Entscheidung

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