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Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 01.07.2005
Aktenzeichen: 2 Ss 173/05
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 338 Nr. 5 | |
StPO § 140 Abs. 2 |
Oberlandesgericht Dresden Im Namen des Volkes URTEIL
Aktenzeichen: 2 Ss 173/05
in der Strafsache gegen
wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden in der am 01. Juli 2005 durchgeführten Hauptverhandlung, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzender
Richter am Oberlandesgericht Richter am Landgericht als Beisitzer
Staatsanwältin als Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft Dresden
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten
Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 11. November 2004 wird als unbegründet verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Grimma verurteilte den Angeklagten am 29. Juni 2004 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Zugleich ordnete es an, dass dem Angeklagten vor Ablauf von zwölf Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden dürfe.
Am 11. November 2004 hob das Landgericht Leipzig auf die Berufung der Staatsanwaltschaft, die ihr Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hatte, die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung auf. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts beanstandet und zugleich eine Verfahrensrüge erhebt.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Leipzig zurückzuverweisen. Sie ist der Auffassung, der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO sei gegeben; die Mitwirkung eines Verteidigers sei im Berufungsverfahren erforderlich gewesen.
II.
Die Revision des Angeklagten ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
1. Soweit der Angeklagte die formelle Rüge der §§ 338 Nr. 5, 140 Abs. 2 StPO erhebt und geltend macht, er sei in der Hauptverhandlung trotz Vorliegens eines Falles der notwendigen Verteidigung nicht durch einen Verteidiger vertreten gewesen, führt dies nicht zur Aufhebung des Urteils.
a) Zwar genügt die Revisionsbegründung gerade noch den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, weil dem Senat aufgrund der gleichzeitig erhobenen Sachrüge und der darin liegenden stillschweigenden Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Urteils (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 344 Rdnr. 20 m.w.N.) die ergänzenden Tatsachen mitgeteilt werden, die in der Revisionsbegründungsschrift fehlen, aber zur Prüfung der Frage erforderlich sind, ob dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger hätte beigeordnet werden müssen. Erst aus den Urteilsgründen selbst (UA S. 5) ergibt sich nämlich, dass der Angeklagte am 18. März 2003 vom Amtsgericht Hainichen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt worden war, für die ein Widerruf der gewährten Strafaussetzung drohen kann, wenn der Angeklagte in vorliegender Sache verurteilt werden würde. Im Fall des § 140 Abs. 2 StPO muss die Revision aber gerade darlegen, warum die "Schwere der Tat" bzw. "die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage" oder die "Unfähigkeit zur Selbstverteidigung" die Mitwirkung eines Verteidigers erforderlich machen (OLG Hamm NStZ-RR 2001, 373).
b) Entgegen der Rechtsansicht des Beschwerdeführers und der Generalstaatsanwaltschaft liegt der geltend gemachte Verfahrensverstoß nicht vor. Ein Fall der notwendigen Verteidigung im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO war nicht gegeben.
aa) Nach dieser Vorschrift ist einem Angeklagten zunächst wegen der "Schwere der Tat" ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wobei sich diese Beurteilung nach ständiger Rechtsprechung der Obergerichte vor allem an der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung orientiert (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O. § 140 Rdnr. 23 f.; OLG Frankfurt StV 1995, 628 m.w.N.). Die "Schwere der Tat" im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO beurteilt sich dabei zwar vorrangig nach der Höhe der Strafe, die der Angeklagte in dem jeweiligen Strafverfahren zu erwarten hat, wobei die Grenze etwa bei einem Jahr Freiheitsstrafe zu ziehen ist (vgl. KG StV 1982, 412; BayObLG StV 1985, 447; Meyer-Goßner, a.a.O. § 140 Rdnr. 23 m.w.N.). Die "Schwere der Tat" kann sich aber auch aus den sonstigen Auswirkungen der verhängten Sanktion auf das Leben des Angeklagten ergeben, wenn diese Auswirkungen erheblich sind, wobei maßgeblich auf die Interessenlage des Angeklagten abzustellen ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 22. Mai 1995 - 4 Ws 96/95 -). Daher kann - was der Revision zuzugeben ist - auch bei einer Verurteilung zu weniger als einem Jahr Freiheitsstrafe die Beiordnung eines Verteidigers geboten sein, wenn als Folge dieser Verurteilung der Widerruf einer Strafaussetzung in anderer Sache droht, insbesondere wenn dieser Widerruf davon abhängt, ob bei der neuerlichen Verurteilung die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird oder nicht, und die Summe der im neuen Strafverfahren zu erwartenden Freiheitsstrafe und der von einem möglichen Widerruf der Strafaussetzung betroffenen Strafe ein Jahr erreicht oder darüber liegt.
So liegt der Fall hier indes nicht.
Im vorliegenden Verfahren war erstinstanzlich eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verhängt worden, wobei die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung keine höhere Strafe angestrebt hat. Zusammen mit der durch Urteil des Amtsgerichts Hainichen vom 18. März 2003 zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe (von zwei Monaten) drohte dem Angeklagten hier ein Freiheitsentzug von höchstens zehn Monaten. Eine solche Erwartung gibt aber in der Regel noch keine Veranlassung zur Beiordnung eines Verteidigers.
bb) Auch war die Beiordnung eines Verteidigers nicht wegen der "Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage" geboten.
Zwar hat 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe in seinem Beschluss vom 20. März 2001 - 1 Ss 259/00 - bei einem nahezu gleichgelagerten Sachverhalt die Ansicht vertreten, dass eine schwierige Rechtslage im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO vorliege, sofern zwei Gerichtsinstanzen aus Rechtsgründen (hier: Anwendung von § 56 Abs. 1 StGB) in einer für die Entscheidung erheblichen Rechtsfrage zu unterschiedlichen Rechtsansichten kommen (vgl. NStZ-RR 2002, 336 f.).
Dieser bereits auf den ersten Blick sehr allgemein gefassten Entscheidung ist allerdings - ohne dass es für den vorliegenden Fall entscheidungserheblich wäre - nicht undifferenziert zu folgen. Erst recht nicht indiziert schon allein die Einlegung der Berufung der Staatsanwaltschaft zu Ungunsten eines Angeklagten eine solche "Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage", wie die Revision und - ihr beitretend - die Generalstaatsanwaltschaft meinen.
cc) Gleichwohl besteht eine Verpflichtung des Senats zur Divergenzvorlage gemäß § 121 Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) an den Bundesgerichtshof nicht.
Der Ansicht des Oberlandesgerichts Karlsruhe könnte zwar grundsätzlich zugestimmt werden, soweit Rechtsfragen betroffen wären und von zwei Instanzgerichten unterschiedlich beantwortet würden; allerdings handelt es sich bei der hier gegebenen Fragestellung nicht um unterschiedliche Rechtsansichten verschiedener Instanzgerichte, vielmehr liegen den Entscheidungen unterschiedliche (tatsächliche) Sachlagen, zugrunde, an die dann unterschiedliche Prognoseentscheidungen der Tatgerichte geknüpft werden. Dies verkennt das Oberlandesgericht Karlsruhe, weshalb es sich auch in der dortigen Entscheidung nicht um eine Rechtsfrage im Sinne des § 121 Abs. 2 GVG, sondern in Wahrheit um eine Tatfrage gehandelt hat (vgl. hierzu BGH NJW 1995, 3129).
Für die Entscheidung, ob die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird, sind maßgeblich tatsächliche Umstände festzustellen, zu bewerten und in die Prognose künftig straffreier Lebensführung (oder erneuter Straffälligkeit) einzubeziehen (vgl. dazu Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 56 Rdnrn.18 bis 24 c). Dabei handelt es sich nicht um (schwierige) Rechtsfragen, die zu beantworten sind, sondern um eine Prognoseentscheidung in der Sache, die für den jeweiligen Einzelfall - auch aufgrund weiterer Tatsachenerkenntnisse in der Berufungsinstanz - zu treffen ist. Allein das Erforderlichsein dieser (Sach)entscheidung gebietet aber noch nicht die Beiordnung eines Verteidigers von Amts wegen, selbst wenn erste und zweite Instanz zu unterschiedlichen Prognoseentscheidungen kommen.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich der gerichtserfahrene Angeklagte nicht sachgerecht selbst verteidigen konnte.
2. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund des Revisionsvorbringens auch unter Berücksichtigung der jüngsten Entscheidung des Bundesgerichtshofes zu § 69 StGB (Az.: GSSt 2/04) keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Ende der Entscheidung
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