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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 06.08.2003
Aktenzeichen: 1 U 139/02
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 520 III | |
ZPO § 529 |
2. Verfahrensfehler können nur dann Zweifel i. S. des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründen, wenn sie ordnungsgemäß gerügt worden sind (Anschluss an OLG Saarbrücken, Urteil vom 25. September 2002 - 1 U 273/02, OLGR 2002, 453 ff. = NJW-RR 2003, 139 f.).
3. Eine auf das Übergehen eines erstinstanzlichen Beweisangebots gerichtete Verfahrensrüge muss jenes wiederholen oder doch jedenfalls konkret nach Beweisbehauptung, Beweismittel und Aktenfundort bezeichnen.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am 06.08.2003
In dem Rechtsstreit
...
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Richter am Oberlandesgericht ... als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.7.2003 für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 25.7.2002 verkündete Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte, eine städtische Grundstücksgesellschaft, auf Schadensersatz mit der Begründung in Anspruch, die Verkaufsmitarbeiterin Dr. L. der Beklagten habe anlässlich der Verkaufsverhandlungen über die später von der Klägerin erworbene Penthouse-Eigentumswohnung angekündigt, ein Nachbargrundstück werde nur zweigeschossig bebaut werden, so dass der Taunusblick aus der klägerischen Wohnung frei bleiben werde. Tatsächlich wird das Nachbargrundstück viergeschossig bebaut. Eine angeblich außerdem anders angekündigte Einfahrt zu einem benachbarten Supermarkt spielt in der Berufungsinstanz keine Rolle mehr.
Das Landgericht hat Frau Dr. L. und den mit der Klägerin befreundeten, sie damals bei der Besichtigung der Wohnung begleitenden Rechtsanwalt W. ihren erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten als Zeugen vernommen und die Klage mit der ausführlich ausgeführten Begründung abgewiesen, der Inhalt der Vertragsverhandlungen sei angesichts der einander widersprechenden Zeugenaussagen nicht aufzuklären.
Zur Darstellung der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Antrag weiter. Sie beanstandet die landgerichtliche Beweiswürdigung. Glaubwürdig sei allein der Zeuge W. Jedenfalls hätten Zeugen gehört werden müssen, die sie zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit der Zeugin Dr. L. benannt gehabt habe.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Beklagte zur Zahlung von 47.613,80 zuzüglich 12,75 % Zinsen seit dem 18.10.1999 zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil die Klägerin für die dem Wohnungskaufvertrag angeblich voraus gegangenen Falschangaben der Zeugin Dr. L. beweisfällig geblieben ist. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob diese angeblichen Äußerungen der Zeugin als Zusicherungen zu werten und als solche beurkundungsbedürftig gewesen wären.
1. Der Klägerin ist es in der Berufungsinstanz nicht gelungen, konkrete Anhaltspunkte aufzuzeigen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Der Senat teilt im Ergebnis die Auffassung des Landgerichts, dass die Vernehmung der Zeugen W. und Dr. L. hinsichtlich deren angeblicher Falschangaben zur Nachbarbebauung und zur Aussicht der Klägerin auf den Taunus ein non liquet ergeben hat. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob sämtliche vom Landgericht erwogenen Gründe etwa die unterbliebene Nachfrage des Zeugen bei der Stadt bezüglich des Inhalts des Bebauungsplanes oder die Nichterteilung des Rates, die Angaben zur Nachbarbebauung in den Kaufvertrag aufzunehmen einen sicheren Schluss auf die Unglaubwürdigkeit des Zeugen W. zulassen, woran gewisse Zweifel bestehen mögen. Entscheidend ist vielmehr, dass es an zureichenden Gründen fehlt, allein der Aussage des Zeugen W. zu folgen und die Aussage der Zeugin Dr. L. als unglaubhaft zu bewerten. Beide Zeugen stehen dem Ausgang des Rechtsstreits nicht gleichgültig gegenüber. Der Zeuge W. ist mit der Klägerin befreundet; er hat es ersichtlich aus Verärgerung über das landgerichtliche Urteil für richtig gehalten, das Empfangsbekenntnis zu diesem trotz mehrfacher Erinnerung nicht zurück zu senden und auf die Erinnerungsschreiben nicht zu reagieren, so dass es ihm mit Postzustellungsurkunde zugestellt werden musste. Die Zeugin Dr. L. müsste mit dem Klagevortrag ein erhebliches Fehlverhalten einräumen. Dass sie zu einem solchen Anlass hatte, steht nicht fest. Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Angestellte einer städtischen Grundstücksgesellschaft, die vom Verkauf städtischen Grundeigentums anders als ein privater Verkäufer nicht unmittelbar profitiert, zu derart unlauteren Werbemethoden greift und sich dadurch erheblichen, möglicherweise auch strafrechtlichen Risiken aussetzt. Gegen die Richtigkeit des durch den Zeugen W. bestätigten Klagevortrages zur kaufentscheidenden Bedeutung des Taunusblicks für die Klägerin spricht, dass diese ausweislich ihres an die Beklagte gerichteten Bewerbungsschreibens vom 4.6.1999 (Bl. 221 d. A.) in einer ihre Berufsfähigkeit bedrohenden Weise sehbehindert ist, dass der Taunusblick aus der klägerischen Wohnung von vornherein durch eine unschöne Hochhaussiedlung namens "R..." beeinträchtigt war und dass zu erwarten gewesen wäre, dass die Klägerin ihres Zeichens Volljuristin die angeblich für ihren Kaufentschluss entscheidende Angabe der Beklagten in die Kaufvertragsurkunde hätte aufnehmen lassen.
2. Soweit die Klägerin Zweifel an der Vollständigkeit der landgerichtlichen Feststellungen auf das Übergehen eines Beweisangebots stützt, kann sie damit keinen Erfolg haben, weil sie die Rüge nicht ordnungsgemäß ausgeführt hat (§ 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO i. V. m. § 520 Abs. 3 ZPO).
a) Das Übergehen eines Beweisantritts ist auch unter dem Aspekt des rechtlichen Gehörs kein von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensfehler im Sinne des § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO (ebenso Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 529 Rn. 44; Musielak-Ball, ZPO, 3. Aufl., § 529 Rn. 9 f., 21 ff.; a. A. etwa Barth NJW 2002, 1702, 1703 Fn. 12; unklar Schumann/Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Aufl., Rn. 221, und Stackmann NJW 2003, 169, 170 f.). Damit sind Verstöße gegen Verfahrensregeln gemeint, die auch dem öffentlichen Interesse, nicht nur dem Interesse der Parteien dienen und auf deren Befolgung diese daher nicht verzichten können, zum Beispiel die Regeln über Prozessvoraussetzungen (vgl. zu den Einzelheiten Musielak-Ball, a. a. O., § 529 Rn. 21; auch Rimmelspacher NJW 2002, 1897, 1901 f.; Schellhammer MDR 2001, 1141, 1146; Zöller-Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 529 Rn. 13). Auf ein Beweisangebot kann die anbietende Partei sehr wohl verzichten. Auch im Revisionsrecht ist bislang nicht vertreten worden, das Übergehen eines Beweisantritts sei rügeunabhängig von Amts wegen zu berücksichtigen; vielmehr handelt es sich hierbei um den Musterfall einer notwendigen Verfahrensrüge (aus § 286 ZPO).
b) Verfahrensfehler können nur dann Zweifel i. S. d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründen, wenn sie ordnungsgemäß gerügt worden sind (OLG Saarbrücken OLGR 2002, 453, 454; MünchKomm-ZPO-Aktualisierungsband-Rimmelspacher § 529 Rn. 14, 38; ders. NJW 2002, 1897, 1902; Gehrlein MDR 2003, 421, 428; wohl auch Crückeberg MDR 2003, 199, 200 f.; Zöller-Gummer, a. a. O., § 529 Rn. 2 unter 2.; a. A. Hannich/Meyer-Seitz a. a. O., § 529 Rn. 20, 27, 43). Die Gegenansicht bemüht zu Unrecht eine gegenteilige Absicht des Gesetzgebers, die im Gesetz keinen erkennbaren Niederschlag gefunden hat. Dem Wortlaut des 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist keine Einschränkung des Inhalts zu entnehmen, dass die Tatsachenfeststellung betreffende Verfahrensfehler keiner Rüge bedürfen. Da es sich hierbei erfahrungsgemäß um die häufigsten Verfahrensfehler handelt, liefe die Vorschrift in diesem Fall weitgehend leer. Das Berufungsgericht wäre doch wieder gehalten, die gesamte Akte nach derartigen Verfahrensfehlern zu durchforsten. Dies widerspräche der grundlegenden Intention des Gesetzgebers, die Berufung von einer vollwertigen zweiten Tatsacheninstanz zu einer Kontrollinstanz umzugestalten. Eine derartige Einschränkung des Rügeerfordernisses wäre auch nicht systemgerecht (vgl. MünchKomm-ZPO-Aktualisierungsband-Rimmelspacher, § 529 Rn. 38): Für Verstöße gegen § 139 ZPO ist außer Streit, dass diese nur auf Rüge zu berücksichtigen sind. Es kann verfahrensrechtlich nicht darauf ankommen, ob der Sachverhalt wegen unterbliebener Hinweise oder wegen des Übersehens eines Beweisangebotes lückenhaft festgestellt worden ist.
c) Eine auf das Übergehen eines erstinstanzlichen Beweisangebots gerichtete Verfahrensrüge muss jenes wiederholen oder doch jedenfalls konkret nach Beweisbehauptung, Beweismittel und Aktenfundort bezeichnen (vgl. Musielak-Ball a. a. O. § 520 Rn. 32; Doukoff, Die zivilrechtliche Berufung nach neuem Recht, 2. Aufl., 122; Fellner MDR 2003, 721, 722; Stackmann NJW 2003, 169, 171 f.; Zöller-Gummer a. a. O. § 520 Rn. 41; wohl auch Schumann/Kramer, a. a. O., Rn. 223). Hierfür spricht neben der vom Gesetzgeber intendierten Begrenzung des Berufungsverfahrens auf eine Fehlerkontrolle, dass das sich aus §§ 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO ergebende Rügeerfordernis deutliche Ähnlichkeite mit dem aus §§ 551 Abs. 3 Nr. 2 b), 557 Abs. 3 Satz 2 ZPO hat (vgl. Doukoff, a. a. O., 121; Schnauder JuS 2002, 68, 74 f.; ders., OLGR 2002, K 9, 12; allgemeiner Hartmann NJW 2001, 2577, 2590). Für die Revisionsrüge sind entsprechende Anforderungen seit dem Urteil des BGH vom 8.7.1954 (IV ZR 67/54, BGHZ 14, 205, 209 f.) anerkannt.
Aus dem von der Klägerin heran gezogenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2.1.1995 (1 BvR 234/94, NJW-RR 1995, 828) ergibt sich nichts Anderes. Diese Entscheidung ist noch zum alten Berufungsrecht ergangen, das insbesondere die Notwendigkeit einer innerhalb der Berufungsbegründungsfrist anzubringenden Verfahrensrüge nicht vorsah. Art. 103 Abs. 1 GG erlaubt es anerkanntermaßen, die Berücksichtigung des Parteivortrags von der Einhaltung gesetzlicher Verfahrensregeln abhängig zu machen. Die Entscheidung betrifft zudem den hier ausweislich der Begründung des angefochtenen Urteils nicht vorliegenden Fall, dass das Erstgericht einen Vortrag für unerheblich gehalten hat.
Diesen Anforderungen genügt die von der Klägerin auf Seite 5 der Berufungsbegründung (Bl. 281 d. A.) ausgeführte Rüge nicht. Es fehlt jedenfalls an der Bezeichnung der angebotenen Zeugen und der Angabe, wo das Beweisangebot zu finden ist; auch die Beweisbehauptung ist allenfalls mühevoll zu erschließen.
3. Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der unter II 2 angesprochenen, durch die ZPO-Reform aufgeworfenen Rechtsfragen zuzulassen (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Ende der Entscheidung
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