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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 08.07.2002
Aktenzeichen: 1 U 155/01
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 160 Abs. 3 Nr. 2
ZPO § 161 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 539 a.F.
ZPO § 540 a.F.
ZPO § 551
ZPO § 551 Nr. 7
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
BGB § 839
BGB § 839 Abs. 2
In der Ablehnung, einen "Antrag" auf Protokoll aufzunehmen, liegt kein amtspflichtwidriges Verhalten der beteiligten Richter, weil es sich nicht um einen nach § 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO im Protokoll festzustellenden Sachantrag handelt, sondern prozessual nur als Anregung zu verstehen ist. Die Ablehnung der Zurückverweisung stellt eine richterliche Tätigkeit dar, für die eine Amtshaftung nur in Betracht kommt, wenn eine Pflichtverletzung vorliegt und diese in einer Straftat (Rechtsbeugung) besteht.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 155/01

Verkündet am 8. Juli 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main durch den Richter... als Einzelrichter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Juni 2002

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 19.09.2001 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet. Der Klägerin steht gegen das beklagte Land kein Amtshaftungsanspruch gemäß Artikel 34 GG, § 839 BGB wegen des als pflichtwidrig gerügten Verhaltens der Richter der... Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt bei der Verhandlung und Entscheidung der dort unter dem Aktenzeichen 6 S 444/96 anhängig gewesenen Zivilberufungssache zu. Der Sachvortrag der Klägerin ergibt kein amtspflichtwidriges Verhalten der beteiligten Richter.

Soweit die Klägerin rügt, dass der von ihr in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer des Landgerichts Darmstadt gestellte Antrag, die Sache an das Amtsgericht Offenbach zurückzuverweisen, nicht in das Protokoll aufgenommen worden sei, bezieht sich ihr Vorwurf nicht auf richterliche Tätigkeit "bei dem Urteil in einer Rechtssache" im Sinne des § 839 Abs. 2 BGB. Dem sogenannten Richterprivileg unterliegen zwar nicht nur Pflichtverletzungen, die gerade im Urteil als solchen, d.h. in der Sachentscheidung selbst und ggfls. in ihrer Begründung liegen. Vielmehr gehören zu diesem Bereich der Tätigkeit "bei dem Urteil" auch alle Maßnahmen, die darauf abzielen, eine Rechtssache durch ein Urteil zu entscheiden (BGHZ 50,14,17). Hierzu werden in der Rechtsprechung alle Maßnahmen gerechnet, die darauf gerichtet sind, die Grundlagen für die Sachentscheidung zu gewinnen. Hier hingegen geht es um richterliche Tätigkeit bei der Protokollführung, die der Gewinnung der Grundlagen für die Sachentscheidung nicht zugerechnet werden kann.

Im Bereich richterlicher Tätigkeit außerhalb des Richterprivilegs ist eine objektiv unrichtige Gesetzesauslegung oder Rechtsanwendung einem Amtsträger vor allem dann vorwerfbar, wenn sie gegen den klaren, bestimmten und eindeutigen Wortlaut der Vorschrift verstößt oder wenn die Zweifelsfragen durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt sind (BGH NJW-RR 1992, 919 m.w.N.; OLG Frankfurt, NJW 2001, 3270, 3271 m.w.N.).

Diese Voraussetzungen liegen hier ersichtlich nicht vor. Es war nicht verfahrensfehlerhaft, den von der Klägerin mündlich gestellten "Antrag" auf Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht nicht in das Protokoll der mündlichen Verhandlung aufzunehmen. Es handelte sich nicht um einen nach § 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO im Protokoll festzustellenden Sachantrag. Über eine Zurückverweisung nach § 539 ZPO a.F. ist von Amts wegen zu entscheiden. Der "Antrag" war deshalb prozessual nur als Anregung zu verstehen (Zöller/Gummer, 22. Aufl., ZPO § 539 Rn. 2, 24). Zumal die Klägerin die Berufungskammer bereits schriftsätzlich darauf hingewiesen hatte, dass aus ihrer Sicht die Zurückverweisung geboten war, war es nicht ermessensfehlerhaft, dass die in der mündlichen Verhandlung erneut vorgebrachte Anregung der Klägerin nicht in das Protokoll aufgenommen wurde.

Die Richter der... Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt handelten auch nicht dadurch amtspflichtwidrig, dass sie mit dem Berufungsurteil gemäß § 540 ZPO a.F. von einer Zurückverweisung absahen und in der Sache selbst entschieden. Insoweit bezieht sich der Vorwurf der Klägerin auf richterliche Tätigkeit "bei dem Urteil in einer Rechtssache" im Sinne des § 839 Abs. 2 BGB. Eine Amtshaftung kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Hierfür liegen keine Anhaltspunkte vor.

Als Straftat kommt allein Rechtsbeugung in Betracht. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH stellt nicht jede unrichtige Rechtsanwendung eine Rechtsbeugung dar. Nur der Rechtsspruch als elementarer Verstoß gegen die Rechtspflege soll unter Strafe gestellt sein. Rechtsbeugung begeht daher nur der Amtsträger, der sich bewusst in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt. Selbst die (bloße) Unvertretbarkeit einer Entscheidung begründet eine Rechtsbeugung nicht (BGH NJW 1998, 248, 249 m.w.N.).

Hier kann die eigene Sachentscheidung der... Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt im Berufungsurteil schon nicht als unvertretbar angesehen werden. Die eigene Sachentscheidung durch die Berufungskammer erscheint vielmehr naheliegend.

Allerdings litt das Urteil des Amtsgerichts Offenbach, auf das sich die Berufung der Klägerin vor dem Landgericht Darmstadt bezog, an einem wesentlichen Mangel im Sinne des § 539 ZPO a.F. Denn die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils übergehen - wie schon der Tatbestand - das von der Klägerin geltend gemachte arglistige Verschweigen von Mängeln bei der Renovierung der Wohnung und damit das zentrale Angriffsmittel der Klage. Ein solcher Fall steht gänzlich fehlenden Entscheidungsgründen gemäß § 551 Nr. 7 ZPO gleich (BGH NJW 1989, 773; BGHZ 39, 333; Zöller/Gummer, 22. Aufl., ZPO § 551 Rn. 8). Urteilsmängel im Sinne des § 551 ZPO sind stets ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne des § 539 ZPO a.F. (BGH NJW 1992,2099). Danach kam zwar die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht in Betracht. Daraus folgt indessen nicht, dass die Selbstentscheidung der Berufungskammer des Landgerichts Darmstadt fehlerhaft war. Vielmehr ist eine Selbstentscheidung des Berufungsgerichts als Tatsacheninstanz immer möglich (Zöller/Gummer, a.a.O., § 539 Rn. 24). Auch ohne ausdrückliche Begründung für das Absehen von einer Zurückverweisung ergibt sich aus der Selbstentscheidung konkludent, dass die Berufungskammer deren Sachdienlichkeit im Sinne des § 540 ZPO a.F. bejahte. Ein Ermessensfehler kann darin nicht ersehen werden, weil die Sache nach Vernehmung eines Zeugen ohne zeitliche Verzögerung entscheidungsreif war, so dass der Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit die Selbstentscheidung nahe legte. Die eigene Sachentscheidung der Berufungskammer kann auch nicht deshalb als amtspflichtwidrig angesehen werden, weil das Berufungsgericht nach § 161 Abs. 1 Nr. 1 ZPO davon abgesehen hat, den Inhalt der Zeugenaussage in das Protokoll aufzunehmen. Entgegen der Auffassung der Klägerin wurde ihr Recht zu einer kritischen Beweiswürdigung nicht dadurch beeinträchtigt, dass die Berufungskammer von der nach der Zivilprozessordnung mögliche Vereinfachung des Beweisaufnahmeverfahrens Gebrauch machte.

Danach ist ein amtspflichtwidriges Verhalten der Richter der... Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt nicht zu erkennen.

Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen, da ihr Rechtsmittel keinen Erfolg hat (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erforderlich (§ 543 Abs. 2 ZPO n.F.). Da der Wert der Beschwer 20.000,- Euro nicht übersteigt, ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ausgeschlossen (§ 26 Nr. 8 EGZPO).

Das Urteil ist somit rechtskräftig. Demgemäß beruht die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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