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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 11.06.2001
Aktenzeichen: 1 Ws 44/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 112
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig. Sie hat in der Sache teilweise Erfolg. Sie führt zur Haftverschonung unter Sicherheitsleistung und Auflagen, wie aus der Beschlussformel ersichtlich.

Der Angeklagte ist der ihm im Haftbefehl nach Maßgabe des - noch nicht rechtskräftigen - Urteils des Landgerichts Fulda vom 9.4.2001 zur Last gelegten Straftat des Totschlags im minder schweren Fall (§ 213 StGB) dringend verdächtig. Der dringende Tatverdacht gründet sich auf die Feststellungen des genannten Urteils. Hinreichende Anhaltspunkte für ein dem Angeklagten günstigeres Ergebnis als Folge der von ihm eingelegten Revision sind nicht ersichtlich.

Da der Haftgrund des § 112 Abs.3 StPO für den Fall des § 213 StGB nicht gilt (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44.Aufl, RN 36, h.M.) bedarf es der Prüfung, ob ein Haftgrund im Sinne des § 112 Abs. 2 StPO vorliegt. In Betracht kommt hier allein der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Er ist indessen nur ansatzweise gegeben, wobei sich der Fluchtanreiz aus der Höhe der - nicht rechtskräftig - gegen den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten ergibt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für den nicht vorbestraften Angeklagten die Möglichkeit einer bedingten Entlassung nach Verbüßung von 2/3 der verhängten Strafe (52 Monate) nicht fern liegt und dass er seit dem 30.9.2000 im Falle der Rechtskraft des Urteils anzurechnende Untersuchungshaft von mehr als 8 Monaten erlitten hat, woraus sich für ihn aus heutiger Sicht und nach derzeitigem Sachstand eine nicht unrealistische Straferwartung von noch 3 Jahren und 8 Monaten ergibt. Da der geständige Angeklagte nach dem Antrag seines Verteidigers durchaus mit einer - wenn auch geringeren - zu verbüßenden Freiheitsstrafe rechnete, laufen hier letztlich die Erwägungen zum Haftgrund der Fluchtgefahr auf die Frage hinaus; ob die Differenz zwischen der erwarteten und der verhängten Freiheitsstrafe - jeweils unter Berücksichtigung bedingter Entlassung und anzurechnender Untersuchungshaft - den Angeklagten veranlassen könnten, sich im Falle der Freilassung dem weiteren Verfahren bis hin zur Strafvollstreckung zu entziehen. Dafür, diese Frage zu bejahen, spricht die vom Landgericht (UA S. 23) erwähnte erhöhte Strafempfindlichkeit des Angeklagten, auch der Umstand, das er durch seine Tat den Verlust einer familiären Bindung im engeren Sinne und die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses herbeiführte. Dagegen spricht das von der Kammer positiv gewürdigte Nachtatverhalten: Er hat sich nach Tatbegehung der Strafverfolgung nicht durch die Flucht entzogen, vielmehr für die Benachrichtigung der Polizei gesorgt und dieser gegenüber die Tat sofort umfassend eingestanden. Er hat dabei auch für ihn nachteilige Umstände eingeräumt und das Geschehen ehrlich bereut (UA S. 22). Hinzu kommen die familiären Bindungen im weiteren Sinne (Mutter, Geschwister und Kinder). Ein Bruder und die ältere Tochter A mit Mann und 2 Kindern wohnen in unmittelbarer Nachbarschaft. Er hat einen festen Wohnsitz im eigenen Haus, von 1972 bis 1974 (vielfach in Eigenhilfe) erstellt. Es erscheint deswegen glaubhaft, dass das Haus nur gering hypothekarisch belastet ist (s. Stellungnahme der Verteidigung vom 30.5.2001, S. 2, Bl. 383), und jedenfalls im Hinblick auf familiäre Hilfe als übertriebene Befürchtung, wenn der Angeklagte in der Hauptverhandlung meinte, er werde es vielleicht nicht halten können. Sollte er nach endgültigem Verlust des Arbeitsplatzes keine neue Beschäftigung in seinem erlernten Beruf finden, blieben ihm soziale Leistungen und nach Strafverbüßung die Aussicht auf eine in einem langen Berufsleben seit 1960 erworbene Rente, die er durch Flucht oder Untertauchen aufs Spiel setzen würde. Auch die von ihm benötigte ärztliche (kardiologische) Betreuung dürfte ein Anreiz für ihn sein, hier zu bleiben.

Unter diesen Umständen und Berücksichtigung der aus der Beschlussformel ersichtlichen weniger einschneidenden Maßnahmen spricht bei der gebotenen Gesamtabwägung aller Lebensumstände des Angeklagten eine größere Wahrscheinlichkeit dafür, er werde sich - auf freien Fuß gesetzt - dem weiteren Verfahren einschließlich Strafvollstreckung zur Verfügung halten, als für die Erwartung, er werde sich ihm durch Flucht oder Untertauchen entziehen.

Das Schreiben des Angeklagten an Freunde (B und C) vom 24.4:2001 (Bl. 370) gibt keinen hinreichenden Anlass zu einer gegenteiligen Beurteilung. Auch die Äußerung, am besten werde er auswandern, erscheint eher als Ausdruck seiner Enttäuschung über ein als zu hoch empfundenes Strafmaß, dem durch Revision zu begegnen er sich entschlossen hat, denn als Ergebnis realistischer Zukunftsplanung auf der Grundlage der zuvor beschriebenen persönlichen Verhältnisse.

Auch möglicherweise noch andauernde negative Reaktionen in seiner Heimatgemeinde auf seine Tat und Verurteilung können für den Angeklagten, der die Tat vorbehaltlos gestanden und ehrlich bereut hat, kein ernsthafter Grund sein, alle noch vorhandenen Bindungen abzubrechen und sich in eine in jeder Hinsicht ungewisse Zukunft abzusetzen.

Unter diesen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft auch durch die aus der Beschlussformel ersichtlichen weniger einschneidenden Maßnahmen nach § 116 StPO erreicht werden.

Soweit sich die Beschwerde darüber hinaus auch gegen den Bestand des Haftbefehls richtet, ist das Rechtsmittel angesichts dringenden Tatverdachts und ansatzweise bestehender Fluchtgefahr zu verwerfen.

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