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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 17.11.2005
Aktenzeichen: 20 W 231/05
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1907 I
FGG § 12
Eine Genehmigung der vom Betreuer ausgesprochenen Wohnraumraumkündigung kommt in Anbetracht des hochrangigen Schutzes der Wohnung erst dann in Betracht, wenn eine Rückkehr in die eigene Wohnung ausgeschlossen erscheint. In Zweifelsfällen bedarf es immer der Einholung eines Sachverständigengutachtens, das sich insbesondere mit der Rückkehrprognose befasst. Regelmäßig ist der Betroffene auch im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erneut persönlich anzuhören.
Gründe:

I.

Der Betroffene, zwischenzeitlich 55 Jahre alt, leidet seit seiner Jugend an einer Zwangsneurose, die in den Jahren 1970 bis 1975 zu mehreren - auch langfristigen - Klinikaufenthalten führte, jedoch medikamentös nicht wirksam behandelt werden konnte. Seit 1978 lebt er in einer eigenen Wohnung; die derzeitige Wohnung in der ...straße/O1 bewohnt er seit 1988. Da der Betroffene nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten eigenständig zu regeln, erfolgte eine Einstufung in Pflegestufe 2 durch die Pflegekasse. Die häusliche Unterstützung wurde seit seinem Auszug aus dem elterlichen Haushalt durch unterschiedliche Pflegedienste durchgeführt. Seit dem Jahr 2000 verschlechterte sich seine Situation, da eine Zusammenarbeit des Betroffenen mit den eingesetzten Pflegediensten kaum noch gegeben war. In der Wohnung häufte sich Unrat an und der Betroffene war mangelhaft ernährt. Auf Anregung des Gesundheitsamtes wurde für den Betroffenen unter anderen für die Aufgabenkreise Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung und Wohnungsangelegenheiten ein Betreuer bestellt. Von April bis Juni 2000 befand sich der Betroffene aufgrund eines Unterbringungsbeschlusses in stationärer Behandlung; während seiner Abwesendheit veranlasste der damalige Betreuer das Aufräumen und Säubern der Wohnung. Nach Rückkehr in seine Wohnung im Juni 2000 und Wechsel des Betreuers, mehrten sich seit November 2000 die Hinweise der nunmehrigen Betreuerin, dass der Betroffene erhebliche Schwierigkeiten bei der Organisation seines Lebens, seiner Nahrungsaufnahme und der Gesundheitssorge habe. Die Eltern des Betroffenen, die ihm in der Vergangenheit große Unterstützung zuteil werden ließen, sind beide im Jahr 2001 verstorben.

Im Juli 2003 beantragte die Betreuerin die Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen, da sie den Zustand der Wohnung als unbeschreiblich verwahrlost empfand und er eine dringende ärztliche Behandlung seines Auges nicht durchführte (Bl. 6 f Bd. II d.A.). Die hierauf erfolgte Anhörung des Betroffenen in seiner Wohnung durch den zuständigen Richter (Bl. 11 ff Bd. II d.A.) sowie das eingeholte Gutachten (Bl. 18 ff Bd. II d.A.) ergaben, dass eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung, die eine Unterbringung rechtfertigen würden, nicht gegeben sei.

Im März 2004 beantragte die Betreuerin erneut die Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen (Bl. 62 f Bd. II d.A.), da sich die Schwierigkeiten mit den eingesetzten Pflegediensten häuften und der Verdacht des Absterbens des - seit langem - durchblutungsgestörten linken Fußes bestand. Nach Anhörung des Betroffenen und mündlich erstattetem Gutachten (Bl. 65 f Bd II d.A.) durch die beigezogene Ärztin des Gesundheitsamtes, erfolgte die Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen bis 24.05.2004. Die hiergegen eingelegte Beschwerde blieb erfolglos.

Mit Datum vom 21.04.2004 beantragte die Betreuerin die Genehmigung der Wohnungskündigung des Betroffenen (Bl.121 Bd. II d.A.). Zur Begründung trug sie vor, dass ein Wechsel des Betroffenen von der geschlossenen Unterbringung in das C-Heim in O2 von ihr vorgesehen sei, dort sei die Betreuung des Betroffenen in weitaus besserem Umfang sichergestellt. Eine häusliche Pflege sei nicht realistisch, da sich gezeigt habe, dass es nach geraumer Zeit der häuslichen Versorgung mit jedem Pflegedienst Schwierigkeiten gebe.

Bereits vor Beendigung des Unterbringungszeitraums wurde der Betroffene aus der Klinik entlassen und befindet sich seither im C-Heim im Bereich "Enthospitalisierung". Der Betroffene fand sich - in der Hoffnung einer Rückkehr in den häuslichen Bereich nach ca. 9 Monaten - hierzu freiwillig bereit.

Nach Einrichtung einer Verfahrenspflegschaft, Bericht der Betreuungsbehörde (Bl. 165 ff Bd. II d.A.), die einen weiteren Verbleib des Betroffenen in der Enthospitalisierungseinrichtung befürwortete, Stellungnahme der Heimeinrichtung (B. 173 ff Bd. II d.A.), die zu dem Schluss gelangt, eine Überprüfung ob und in welchem Rahmen der Betroffenen eigenständiger leben könne, müsse in einem halben Jahr erneut erfolgen, und Anhörung des Betroffenen (Bl. 177 ff Bd. II d.A.), teilte das Amtsgericht dem Betroffenen mit, dass die Einholung eines von ihm beantragten weiteren Sachverständigengutachtens für nicht erforderlich gehalten werde, man gleichwohl mit der Entscheidung bis zur Vorlage des von ihm in Aussicht gestellten Privatgutachtens warten wolle.

Im September 2004 erstellte der vom Betroffene beauftragte Gutachter, Herr D, Facharzt für psychotherapeutische Medizin, ein Gutachten (Bl. 221 ff Bd. II d.A.). Grundlage hierfür waren die Exploration und Untersuchung des Betroffenen sowie Angaben der Sozialarbeiterin des Enthospitalisierungsheimes. Der Gutachter kommt auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis, dass der Betroffene unter einer schweren Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit paranoiden Anteilen leide. Nach seiner Auffassung könne er bei strikter Erfüllung mehrerer Bedingungen in seiner eigenen Wohnung leben. Als Bedingungen führt er die ununterbrochene medikamentöse psychopharmakologische Behandlung mit regelmäßigen Kontrollterminen, Reinigung und Entrümpelung der Wohnung, möglichst ohne Anwesendheit des Betroffenen und die Kooperation mit den eingesetzten Pflegediensten an. Dieses Konzept solle zunächst sechs Monate erprobt werden. In seiner Stellungnahme zum Gutachten (Bl. 234ff Bd. II d.A.) teilte der Betroffene mit, dass sich in seinem Fall - wie sich in der Vergangenheit gezeigt habe - eine medikamentöse Behandlung nicht anbiete und er auch bei seinen letzten Klinikaufenthalten keine Medikamente bekommen habe, Grund hierfür sei, dass er nicht an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leide, sondern die zwanghafte Erkrankung im Vordergrund stehe, die mit Medikamenten schlecht oder gar nicht zu behandeln sei. Gleichwohl sei er bereit, sich bei einem Arzt seines Vertrauens in therapeutische Behandlung zu begeben und auch Psychopharmaka einzunehmen. Einer Entrümplung seiner Wohnung ohne sein Beisein könne er allerdings nicht zustimmen, er wolle beim Ordnen seiner Wohnung anwesend sein.

Mit Beschluss vom 13.12.2004 kündigte das Amtsgericht im Wege eines Vorbescheids an (Bl. 263 ff Bd. II d.A.), die Wohnraumkündigung vormundschaftsgerichtlich genehmigen zu wollen. Eine Rückkehr des Betroffenen in seine Wohnung sei nicht zu verantworten; es sei damit zu rechnen, dass er wieder in alte Verhaltensweise verfalle und keine Änderung seiner Lebensform eintrete. Die medizinische, pflegerische und ernährungsmäßige Versorgung des Betroffenen sei nicht gewährleistet. Die Bedingungen, die der Gutachter für eine Rückkehr aufgestellt habe, sei der Betroffene nicht vollständig bereit zu akzeptieren. Die Abwägung von Chancen und Gefahren führe dazu, dass der Betroffene nur in einem geschützten Rahmen mit entsprechender Fürsorge leben könne.

Mit dem hier angegriffenen Beschluss vom 04.05.2005 (Bl. 322 Bd. II d.A.) wies das Landgericht die Beschwerde des Betroffenen zurück. Zwar dürfe eine Genehmigung der Wohnraumkündigung nur dann erteilt werden, wenn die Rückkehr in die Wohnung auf Dauer ausgeschlossen sei. Dies sei jedoch hier der Fall, da sich aus der umfangreich dokumentierten Lebens- und Krankengeschichte des Betroffenen ergebe, dass er auf Jahre hinaus nicht in der Lage sei, außerhalb einer engmaschigen Versorgung, wie sie ihm derzeit im Enthospitalisierungsbereich des Alten- und Pflegezentrums O2 zuteil werde, zu leben. Dies lasse sich daraus ableiten, dass der Zustand des Betroffenen trotz des stationären Aufenthalts vom April bis Juli 2000 kontinuierlich schlechter geworden sei und im April 2004 wieder zu einer stationären Aufnahme geführt habe. Hierbei bezog die Kammer sich auf das Gutachten der Ärztin für öffentliches Gesundheitswesen, die im Rahmen der Unterbringungsentscheidung dem Betroffenen im März 2004 eine schwere Zwangsneurose bescheinigte, die sich im Laufe der Jahre durch eine anhaltende depressive Störung verschlechtert habe. In seiner Urteils- und Kritikfähigkeit sei der Betroffene hochgradig krankheitsbedingt eingeschränkt. Die Richtigkeit dieser Einschätzung habe sich durch die persönliche Anhörung des Betroffenen durch den Kammervorsitzenden im Rahmen des Unterbringungsbeschwerdeverfahrens am 19.04.2004 bestätigt.

Dieser Einschätzung stehe auch das von Betroffenen eingeholte Gutachten nicht entgegen, denn der Betroffenen sei bereits nach seinen eigenen Angaben nicht bereit, sich den dort genannten Bedingungen für eine Rückkehr in seine Wohnung zu unterwerfen.

II.

Das von der Verfahrenspflegerin für den Betroffenen eingelegte Rechtsmittel ist gemäß §§ 27, 29 FGG zulässig, insbesondere formgerecht erhoben, und führt auch in der Sache zum Erfolg, da die Entscheidung des Landgerichts auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO).

Zur Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses bedarf der Betreuer der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung gemäß § 1907 Abs. 1 BGB. Hierfür maßgebend ist gemäß des auch hier geltenden § 1901 Abs. 2 BGB das Wohl und die Wünsche des Betroffenen. Eine Genehmigung der Kündigung kommt in Anbetracht des hochrangigen Schutzes der Wohnung jedoch erst dann in Betracht, wenn eine Rückkehr in die eigene Wohnung auf Dauer ausgeschlossen ist (OLG Oldenburg, NJW-RR 2003, 587 ff mwN.).

Das Vormundschaftsgericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob eine nach dem Gesetz erforderliche Genehmigung zu erteilen ist. Das Rechtsmittelgericht kann eine Ermessensentscheidung des Tatrichters nur eingeschränkt überprüfen; sie ist nur dann rechtsfehlerhaft, wenn der Tatrichter sich seines Ermessens nicht bewusst war, insbesondere von ungenügenden oder verfahrenswidrig zustande gekommenen Feststellungen ausgegangen ist oder wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat (Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Auflage, § 27 Rdnr. 23; BayObLG, FGPrax 1997, 227 mwN.)

Das Landgericht ist bei seiner Entscheidung von ungenügend ermittelten Feststellungen ausgegangen; ob im vorliegenden Fall die Rückkehr des Betroffenen auf Dauer nicht mehr möglich sein wird, ist aufgrund mangelnder Aufklärung des Sachverhaltes unklar geblieben, so dass der Verpflichtung zur Entmittlung des Sachverhalts nicht hinreichend nachgekommen wurde (§12 FGG). Es kann hier dahinstehen, ob im Rahmen der Genehmigung einer Wohnraumkündigung regelmäßig ein Gutachten zur Frage der Auswirkungen der Wohnraumkündigung auf den Betroffenen, zum Krankheitsverlauf und den verbliebenen Möglichkeiten selbständiger Lebensgestaltung einzuholen ist (in diesem Sinne OLG Oldenburg aaO.; Jürgens-Marschner, Betreuungsrecht, 3. Auflage, § 1907 Rdnr. 8; a.A. Knittel, Betreuungsrecht, §1907 Rdnr. 10; Damrau-Zimmermann, Betreuungsrecht, 3. Auflage, § 1907 Rdnr. 20), jedenfalls wäre im vorliegenden Fall die Einholung eines Sachverständigengutachtens unverzichtbar gewesen. Gemäß § 12 FGG hat das Gericht alle erforderlichen Ermittlungen zur Feststellung des Sachverhaltes zu treffen und die geeignet erscheinende Beweise aufzunehmen (Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Auflage, § 12 Rdnr. 54). Da der Betroffene bis zu Zeitpunkt des Antrags auf Genehmigung der Wohnraumkündigung 26 Jahre in einer eigenen Wohnung gelebt hatte und es trotz auftretender Schwierigkeiten immer wieder gelungen war, ihm sein gewohntes Wohnumfeld zu erhalten, wäre es Aufgabe der erkennenden Gerichte gewesen, genauestens zu ermitteln, welche neuen Umstände hinzugetreten sein könnten, die dies in Zukunft unmöglich erscheinen ließen. In Anbetracht der Komplexität und Dauer der Erkrankung des Betroffenen konnte dies nicht ohne Hilfestellung eines Sachverständigen, der Angaben zum voraussichtlichen Verlauf der Erkrankung und der weiteren Möglichkeiten des Betroffenen zur Verselbständigung machen konnte, erfolgen. Dies Verpflichtung konnte auch nicht dadurch entfallen, dass der Betroffene ein Sachverständigengutachten auf eigene Initiative hat erstellen lassen. Das vom Betroffenen vorgelegte Gutachten weist erhebliche Mängel auf und war als Entscheidungsgrundlage ungeeignet. Der Gutachter hat sich bei seiner Beurteilung lediglich auf die Exploration des Betroffenen sowie die Angaben der Sozialarbeiterin des C-Heimes stützen können. Dies war im Hinblick auf den Krankheitsverlauf des Betroffenen keine ausreichende Grundlage für ein Prognosegutachten. Dem Gutachter war Art und Umfang der Erkrankung des Betroffenen offensichtlich nicht hinreichend bekannt, auch die Krankheitsgeschichte sowie die Entwicklung des Betreuungsverfahrens konnten keinen Eingang in die Begutachtung finden. Ebenso hätten die Erfahrungen der Pflegedienste mit dem Betroffenen in der Vergangenheit Eingang in der Begutachtung bzw. bei der Entscheidung der Gerichte finden müssen.

Auch ist als Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz zu werten, dass das Landgericht den Betroffenen nicht erneut persönlich angehört hat. Die Anhörung des Betroffenen, auf die die Kammer in ihrer Entscheidung Bezug nimmt, lag zum Entscheidungszeitpunkt bereits mehr als ein Jahr zurück und hatte nicht die Frage der Wohnraumkündigung bzw. die Rückkehr in die eigene Wohnung zum Gegenstand. Gerade weil es sich um eine Prognoseentscheidung handelt, die insbesondere die Entwicklung des Betroffenen unter dem Eindruck der stationären Behandlung sowie der nachfolgenden Enthospitalisierung einzubeziehen hatte, konnte auf eine zeitnahe Anhörung des Betroffenen nicht verzichtet werden.

Für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Anwaltes bestand kein Anlass, da das Rechtsmittel von der auch für das Verfahren der weiteren Beschwerde zu bestellenden Verfahrenspflegerin eingelegt wurde und eine zusätzliche anwaltliche Vertretung des Betroffenen nicht erforderlich war.

Ende der Entscheidung

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