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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 23.08.2002
Aktenzeichen: 3 Ss 219/02
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 20
StGB § 21
StGB § 142
StGB § 315c Abs. 1 Ziff. 1 b
StPO § 349 Abs. 4
StPO § 353 Abs. 1
StPO § 353 Abs. 2
StPO § 354 Abs. 2
Die Berufung kann auf den Rechtsfolgeausspruch beschränkt werden, wenn eine getrennte Überprüfung dieses angefochtenen Teils aufgrund der Tatsachenfeststellungen möglich ist und zwischen der Erörterung der Schuld- und Straffrage keine zu enge Verbindung besteht.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

3 Ss 219/02

Verkündet am 23.08.2002

In der Strafsache

wegen fahrlässiger Tötung u. a.

hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 18. Dezember 2001

am 23. August 2002 gemäß § 349 Abs. 4 StPO

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den ihm zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Wiesbaden zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hatte den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung, fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung, Urkundenfälschung und einem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit Urkundenfälschung und einem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten (Einzelstrafen: ein Jahr und sechs Monate Freiheitsstrafe) verurteilt. Ferner hatte das Amtsgericht dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von zwei Jahren angeordnet und seinen PKW Renault-Rapid, Kennzeichen: WI-L-0703, eingezogen.

Gegen dieses Urteil hatte der Angeklagte Berufung eingelegt und diese auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

Das Landgericht hat die Beschränkung der Berufung, mit der der Angeklagte in erster Linie eine Strafaussetzung zur Bewährung begehrte, als wirksam angesehen und sie in vollem Umfang verworfen.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, der die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Das Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg.

Die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung (BGHSt 27, 70, 72; KK-Ruß, StPO, 4. Aufl., § 318 Rn. 11) führt zu dem Ergebnis, dass die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch wirksam war.

Eine solche Beschränkung des Rechtsmittels ist grundsätzlich möglich, sofern die Tatsachenfeststellungen eine ausreichende Grundlage darstellen, den Schuldspruch zu tragen und. zwischen den Erörterungen zur Schuld- und Straffrage keine zu enge Verbindung besteht, so dass eine getrennte Überprüfung, des angefochtenen Teils möglich ist, ohne dass der nicht angefochtene Teil mit berührt wird (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 318 Rn. 16 ff; KK-Ruß, a.a.O., § 318 Rn.7a).

Hiervon ausgehend ist die Entscheidung, ob der Täter schuldunfähig war (§ 20 StGB), von der Entscheidung, ob verminderte Schuldfähigkeit vorlag (§ 21 StGB), grundsätzlich trennbar. Während die Schuldfähigkeit zur Schuldfrage gehört, ist die verminderte Schuldfähigkeit zur Straffrage zu rechnen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 318 Rn. 15; Senatsbeschluss vom 09. Juni 1994 - 3 Ss 140/94). Doch kann die Grenze zwischen Schuldunfähigkeit und verminderter Schuldfähigkeit im Einzelfall undeutlich und zweifelhaft sein mit der Folge, dass die rechtliche Beurteilung, nicht auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werden kann (vgl. OLG Köln NStZ 1984, 379).

Die Unwirksamkeit einer Berufungsbeschränkung kann sich auch daraus ergeben, dass das Amtsgericht die Schuldunfähigkeit überhaupt nicht geprüft hat, obwohl der zugrunde liegende Sachverhalt Anlass zur Prüfung bot, (vgl. OLG Köln a.a.O.). Dies gilt jedoch nur dann, wenn aus revisonsrechtlicher Sicht nicht auszuschließen ist, dass bei Durchführung einer solchen Prüfung das Berufungsgericht zur Schuldunfähigkeit des Angeklagten gelangt wäre (vgl. Senatsbeschluss vom 25. Mai 1994 -3 Ss 163/94 - BGHSt 46, 257, 259).

Aufgrund der von dem Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen erscheint die Annahme einer Schuldunfähigkeit des Angeklagten vorliegend ausgeschlossen.

Das Amtsgericht hatte insoweit folgendes festsgestellt:

"Der Angeklagte arbeitete am 05.09.2000 zuvor von 7.00 Uhr bis 17.00 Uhr auf einer Baustelle der Firma F. in Bad Schwalbach und hielt sich noch bis ca. 19.00 Uhr in der Nähe der Baustelle auf. Er bewegte sich zu diesem Zeitpunkt aufgrund zwischenzeitlichen Alkoholeinflusses zu Fuß schwankend in der Nähe der Baustelle fort. Als er gegen 19.00 Uhr sein Fahrzeug bestieg, um nach Lorch zu seiner Wohnung zu fahren, war der Angeklagte stark übermüdet, da er die körperlichen Belastungen der Tätigkeit als Bauarbeiter nicht gewohnt war, sowie alkoholisiert. Der Angeklagte war zu diesem Zeitpunkt und während der nachfolgenden Fahrt infolge seiner Übermüdung verstärkt durch den Alkoholgenuss, nicht in der Lage sein Fahrzeug sicher zu führen. Obwohl ihm seine Übermüdung bewusstwar und ihm klar war, dass er nicht mehr in der Lage war, ein Fahrzeug im Straßenverkehr sicher zu führen, begann er seine Fahrt im Vertrauen darauf, dass nichts passieren werde. Ca. 1 km vor Ende seiner Fahrt auf der Bundesstraße L 3033 aus Richtung Geroldstein kommend in Richtung Lorch schlief der Angeklagte infolge seiner Übermüdung, verstärkt durch den Alkoholeinfluss, nach Passieren einer Kurve am Anfang einer Geraden ein und erwachte von einem Schlag auf der rechten Seite seines Fahrzeuges. Zu diesem Zeitpunkt herrschte kein Gegenverkehr. Der Angeklagte kollidierte in diesem Moment mit seinem Fahrzeug an der vorderen rechten Stoßstange mit dem Hinterrad des Fahrrads des geschädigten Herrn Nies weil er infolge des Schlafes die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte.

Hiernach hatte der Angeklagte den gegenständlichen Unfall dadurch herbeigeführt, dass er auf der Heimfahrt nach der Arbeit infolge starker Übermüdung, verstärkt durch nicht näher festgestellten Alkoholeinfluss, eingeschlafen und infolge des Schlafes die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte. Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen war der Angeklagte infolge des Zusammenwirkens von Übermüdung und Alkohol im Sinne des § 315c Abs. 1 Ziff. 1 b StGB zwar fahruntauglich (vgl. LK-König, StGB, 11. Aufl., § 315c Rn. 57). Nach den vom Amtsgericht festgestellten Begebenheiten bestand jedoch keine Veranlassung zur Erörterung von Schuldunfähigkeit wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung im Sinne des § 20 StGB. Denn unter den Begriff der tiefgreifenden Bewusstseinsstörungen falle nur solche, die in ihrer Wirkung für die Einsichtsbzw. Steuerungsfähigkeit den krankhaften seelischen Störungen im Sinne der ersten Alternative gleichwertig sind. Im Falle des § 20 StGB müssen diese daher so schwerwiegend sein, dass das seelische Gefüge des Betroffenen zerstört ist (vgl. Schönke-Schröder, 26. Aufl., § 20 Rn. 14; Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 20 Rn. 10a). Es muss sich also um Fälle extremer Übermüdung bzw. schwerer Erschöpfungszustände handeln. Hingegen haben dabei Bewusstseinsstörungen auszuscheiden, die noch im Bereich des Normalen liegen, wie die vom Amtsgericht festgestellte Übermüdung des Angeklagten aufgrund der nicht gewohnten körperlichen Belastungen seiner Tätigkeit als Bauarbeiter, die der Angeklagte nach den weiteren Feststellungen immerhin schon einige Wochen vor dem Unfall ausgeübt hatte. Die festgestellte Dauer seiner Tätigkeit auf der Baustelle am Unfalltag von 7.00 Uhr bis 17.00 Uhr, bei der es zu keinen Auffälligkeiten gekommen war, war nicht ungewöhnlich. Auch die die Übermüdung verstärkende Alkoholisierung bot keine Veranlassung zur Prüfung einer bestehenden Schuldunfähigkeit. Denn irgendwelche Feststellungen darüber, wann der Angeklagte vor dem Unfall welchen Alkohol und in welcher Menge getrunken hatte, konnte nicht getroffen werden. Soweit das Amtsgericht hinsichtlich des Grades der Alkoholisierung aufgrund der Aussage des Zeugen Fischer davon ausgegangen war, dass der Angeklagte um ca. 18.45 Uhr bis 19.00 Uhr in der Nähe der Baustelle schwankend gelaufen sei, kommt diesem einzigen Beweisanzeichen noch keine außergewöhnliche überdurchschnittliche Überzeugungskraft im Sinne offensichtlicher Betrunkenheit zu (vgl. OLG Köln NZV 1989, 358), so dass auch ausgeschlossen werden kann, dass der Angeklagte infolge des Zusammenwirkens von Alkohol und Übermüdung zur Tatzeit schuldunfähig war. Mithin ist das Landgericht zu Recht von der Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung ausgegangen.

Das Urteil hält jedoch einer Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs deshalb nicht Stand, weil aufgrund des vom Amtsgericht festgestellten körperlichen Zustandes des Angeklagten vor Fahrtantritt Anhaltspunkte dafür bestanden, dass dieser hinsichtlich der von ihm verursachten fahrlässigen Tötung, der fahrlässigen Körperverletzung und der fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung nicht (voll) schuldfähig war. Die Strafkammer hätte deshalb von Amts wegen die Frage einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit nach § 21 StGB prüfen und dazu - bei Fehlen der erforderlichen eigenen Sachkunde, die im Urteil darzulegen ist- einen Sachverständigen hinzuziehen müssen (vgl. Schönke-Schröder, .a.a.O., § 20 Rn. 45).

Auf den fehlenden Feststellungen zu 21 StGB kann das angefochtene Urteil auch beruhen.

Das Landgericht hat im Rahmen seiner Strafzumessungserwägungen hinsichtlich der ersten Tat, für die es eine Einzelstrafe von einem Jahr verhängt hat, u. a. strafschärfend das besonders hohe Maß an Pflichtwidrigkeit und der Schuld des Angeklagten sowie die äußerst schwerwiegenden Folgen seines Verhaltens berücksichtigt. Diese Erwägungen beziehen sich nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ersichtlich vor allem auf den Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung. Es erscheint deshalb nicht ausgeschlossen, dass die Strafkammer bei verminderter Schuldfähigkeit bzw. einer nicht auszuschließenden verminderten Schuldfähigkeit bei den das Schwergewicht der tateinheitlich begangenen ersten Tat bildenden Gesetzesverstöße die verhängte Einzelstrafe gemildert hätte. Denn eine solche Milderung darf nur dann unterbleiben, wenn die in der Einschränkung der Schuldfähigkeit liegende Schuldminderung durch andere schulderhöhende Umstände wieder ausgeglichen wird. Davon kann bei dem in erster Linie infolge starker Übermüdung herbeigeführten Unfall aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht ohne weiteres ausgegangen werden.

Der aufgezeigte Fehler im Einzelstrafausspruch bezüglich der ersten Tat zwingt vorliegend auch zur Aufhebung des Einzelstrafausspruchs hinsichtlich der zweiten Tat. Auch wenn bei der zweiten Tat eine Schuldminderung hinsichtlich des Schuldspruchs nach § 142 StGB nach § 21 StGB nicht in Betracht kommt, weil der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt nach den Feststellungen des Amtsgerichts von einem Schlag auf der rechten Seite seines Fahrzeugs erwacht war und er sich sodann zur Weiterfahrt entschlossen hatte, nachdem er es nach einem Blick in den Rückspiegel für möglich gehalten hatte, dass infolge des Schlages ein Tier oder eine Person in der Wiese neben der rechten Fahrbahn lag, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Festsetzung der zweiten Einzelstrafe durch den Fehler bei der Verhängung der Einsatzstrafe für die erste Tat beeinflusst worden ist, zumal die Strafkammer dieser doppelt so hohen Schuld- und Unrechtsgehalt beigemessen hat (UAS. 10).

Die Aufhebung der beiden Einzelstrafaussprüche führt nicht nur zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe, die unter Heranziehung dieser Einzelstrafen gebildet worden ist und auch zur Aufhebung des Maßregelausspruchs, vielmehr war vorliegend auch die allein auf die vom Angeklagten begangenen vorsätzlichen Taten der Urkundenfälschung und des unerlaubten Entfernens vom Unfallort gestützte Einziehung aufzuheben, da nicht festgestellt werden kann, dass diese unabhängig von der Höhe der erkannten Strafen angeordnet wurde (vgl. KK-Kuckein, StPO, 4. Aufl., § 353 Rn. 21).

Daher war das angefochtene Urteil insgesamt im Rechtsfolgenausspruch mit dem diesem zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen aufzuheben §§ 353 Abs. 1, 2 StPO) und die Sache an eine andere Kammer des Landgerichts Wiesbaden zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).

Ende der Entscheidung

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