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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 03.06.2009
Aktenzeichen: 3 U 286/07
Rechtsgebiete: BGB, VVG


Vorschriften:

BGB § 123
VVG § 22
Keine Anfechtung des Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrages bei Nichtanzeige einer Asthma-Erkrankung, die Folge einer angezeigten Erkrankung sein kann.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main - 23. ZK - vom 9.11.2007 (2/23 O 40/07) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

I. Es wird festgestellt, dass die Risikolebensversicherung der Klägerin zur Versicherungsnummer ... bei der Beklagten entsprechend dem Nachtrag zur Versicherung vom 1.7.2006 fortbesteht,

II. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin aus der Berufsunfähigkeitsversicherung zur Versicherungsnummer ... für die Zeit vom Juni bis Dezember 2006 eine monatliche Rente in Höhe von € 1.048,82 bis Dezember nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (§ 288 BGB) aus dem Gesamtrentenwert in Höhe von € 7.341,74 seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

III. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von der Beitragszahlungspflicht für die Lebensversicherung und Berufsunfähigkeitszusatzversicherung Nr. ... für die Zeit vom 1.6. bis zum 31.12.2006 freizustellen,

IV. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von der Zahlung außergerichtlicher Anwaltsgebühren an die Rechtsanwälte Dr. A und Koll. in Höhe von € 1.274,84 freizustellen.

Die Beklagte trägt die Kosten beider Instanzen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Beschwer der Beklagten beträgt € 30.067,--.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten seit 1.7.2003 eine Risikolebensversicherung und eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung in Form der sogenannten Anpassungsversicherung. Im Versicherungsantrag vom 28.5.2003 (Bl. 13 ff d.A.) beantwortete sie Fragen nach Krankheiten in den ersten 5 Jahren bezüglich solcher der Atmungsorgane und Stoffwechsel-Erkrankungen mit "nein", die Frage nach Erkrankungen der Haut (auch Allergien) mit "ja". Verneint wurde die Frage nach regelmäßiger Medikamenteneinnahme in den letzten 5 Jahren sowie die Frage nach Behandlungen in den letzten 5 Jahren. Zu Frage 1.10 gab die Klägerin erläuternd an, sie leide seit Geburt an Neurodermitis und gab als Behandler Herrn B an sowie die Medikamente "F" und "G". Als denjenigen Arzt, der über ihre Gesundheitsverhältnisse am besten Auskunft geben könne, gab sie ihren Hausarzt Dr. C an.

Wegen der angegebenen Neurodermitis-Erkrankung verlangte die Beklagte eine Ausschlussklausel mit dem Inhalt "Neurodermitis einschließlich eintretender Folgen", die auch Vertragsinhalt wurde.

Im Mai 2006 wurde bei der Klägerin eine Brustkrebs-Erkrankung festgestellt. Sie wurde operiert, absolvierte eine Chemotherapie und Bestrahlungen und war vom 1.6. bis 31.12.2006 bedingungsgemäß berufsunfähig.

Nachdem sie Antrag auf entsprechende Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung gestellt hatte, holte die Beklagte Auskünfte ein, aus denen sich ergab, dass die Klägerin ab 1997 von Dr. D wiederholt wegen Eisenmangels und ab 1998 wegen Asthma bronchiale behandelt worden war, beides mit entsprechender Medikamentenverordnung.

Mit Schreiben vom 28.8.2006 (Bl. 11 ff d.A.) erklärte die Beklagte den Rücktritt von Risikolebensversicherung und Berufsunfähigkeitszusatzversicherung und focht beide Verträge wegen arglistiger Täuschung an.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Feststellung des Fortbestandes des Risikolebensversicherungs-Vertrages, Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung für den Zeitraum Juni bis Dezember 2006, Feststellung der Freistellung von der Beitragspflicht für diesen Zeitraum und die Freistellung von außergerichtlichen Anwaltsgebühren.

Sie hat die Auffassung vertreten, keine vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt zu haben. Frage 1.10 sei zutreffend und umfassend beantwortet. Denn Neurodermitis umfasse sämtliche Allergien, auch das sogenannte "allergische Asthma". Dass sie hierunter leide, davon sei sie ausgegangen. Die von Dr. D verordneten Medikamente hätten ebenfalls der Behandlung der Neurodermitis gedient. Ein anzeigepflichtiger Eisenmangel habe nicht vorgelegen, weil es sich um menstruationsbedingte Beschwerden handele.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Klägerin habe sie arglistig getäuscht, weil einige Gesundheitsfragen und die Frage nach dem best informierten Arzt falsch beantwortet gewesen seien. Die verschwiegenen Erkrankungen seien gefahrerheblich und die Beklagte hätte den Antrag bei Kenntnis nicht zu den gewährten Bedingungen angenommen.

Das Landgericht, auf dessen Urteil zur Darstellung des weiteren Sach- und Streitstandes verwiesen wird, hat die Klage abgewiesen, weil die von der Beklagten erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung durchgreife. Die Gesundheitsfragen seien falsch beantwortet worden, was die durch Dr. D durchgeführte Behandlung und die aus diesem Anlass erfolgte Medikamenteneinnahme betreffe. Auch die Nichterwähnung des allergischen Asthmas berechtige zur Anfechtung. Auf die eigene Einschätzung der Klägerin komme es nicht an. Ihre Angabe, Neurodermitis umfasse sämtliche Allergien, sei eine Schutzbehauptung. Dr. D sei nicht genannt worden, was Rückfragen der Beklagten verhindert habe. Erheblich sei im Zweifel alles, wonach die Beklagte gefragt habe. Das Verschweigen sei auch arglistig gewesen. Das betreffe insbesondere das komplette Krankheitsbild des "allergischen Asthmas" einschließlich Medikation und behandelndem Arzt. Wegen des Risikoausschlusses habe für die Beklagte kein Grund zu weiterer ärztlicher Nachfrage bestanden. Den Grund für das Verschweigen habe sie nicht plausibel dargetan, insbesondere fehle eine Erklärung, warum sie nicht wenigstens die Medikamente erwähnt habe. Von dem Sachvortrag der Beklagten, bei umfassender Kenntnis den Vertrag nicht zu den gewährten Bedingungen abgeschlossen zu haben, sei auszugehen. Auf die Frage des Rücktritts komme es nicht mehr an.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter und rügt die Wertungen des Landgerichts.

Sie beantragt,

wie erkannt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg und führt zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten. Deren Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§§ 22 VVG, 123 BGB) greift nicht durch. Denn sie setzt voraus, dass objektiv falsche Angaben in Täuschungsabsicht gemacht wurden, wobei die Beweislast für die Täuschungsabsicht der Versicherer trägt (BGH VersR 1991, 1404; OLG München, VersR 2000, 711). Von dem Versicherungsnehmer wird dabei verlangt, dass er plausible Angaben dazu machen muss, warum und wie es zu den falschen Angaben gekommen ist. Dies vorausgesetzt, hat die erklärte Anfechtung der Beklagten im Ergebnis keinen Erfolg.

Es ist zutreffend, dass die Klägerin die bei ihr vorhandene Asthma-Erkrankung unter der Frage nach Erkrankungen der Atmungsorgane (1.1) nicht angegeben hat. Ihre Auffassung, diese Asthma-Erkrankung sei eine Folge ihrer Neurodermitis-Erkrankung wird indessen durch den von der Beklagten vorgelegten Wikipedia-Auszug zur Neurodermitis (Bl. 207-210 d.A.) gestützt. Dort heißt es auf S. 2 unter der Überschrift "Symptome und Beschwerden":

"Neben den Hauterscheinungen sind Heuschnupfen oder Asthma bei Patienten mit atopischen Ekzemen in einigen Fällen ebenfalls vorhanden."

Auf S. 3 heißt es unter der Überschrift "Allergien":

"Ein Großteil der Patienten mit Neurodermitis leiden zusätzlich unter Allergien. ... Neurodermitis für sich betrachtet wird von der wissenschaftlichen Medizin zwar von den Allergien abgegrenzt, weist aber z.T. ähnliche Symptome wie gängige Allergien auf. Die Haut eines Neurodermitikers ist sehr empfindlich gegenüber äußeren Einflüssen. ..."

Auf Seite 4 heißt es unter der Überschrift "Ursache":

"Bei einem Teil der Betroffenen konnte auch ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Neurodermitis und einer Nahrungsmittel- oder Tierhaarallergie beobachtet werden. Deutliche Hinweise bestehen auch auf eine Miteinbeziehung des vegetativen Nervensystems (welches die nicht bewusst steuerbaren Funktionen wie Verdauung, Herzschlag usw. reguliert). Dieser Aspekt erklärt u.a., warum Betroffene bei Stress zu Ausschlagsschüben oder Verdauungsproblemen neigen."

Die Erklärung der Klägerin, sie habe eine Verbindung zwischen ihrer Neurodermitis und ihrem allergischen Asthma gesehen, ist daher plausibel, selbst wenn dabei kein medizinisch zwingender Zusammenhang bestehen mag. Überdies ist hervorzuheben, dass in Ziffer 1.10 des Antragsformulars nach Erkrankungen der Haut ( auch Allergien ) gefragt ist. Dann hat die Klägerin aber die Gesundheitsfragen nicht falsch beantwortet, sondern das bei ihr vorhandene allergische Asthma der falschen Rubrik zugeordnet. Diese Falschzuordnung musste sich ihr auch durch die Formulierung des Risikoausschlusses nicht als solche aufdrängen. Wenn die Klägerin aber dieser Auffassung war und den von der Beklagten geforderten Risikoausschluss für "Neurodermitis einschließlich eintretender Folgen" akzeptierte, spricht dies dafür, dass ihr jedenfalls spätestens zu diesem Zeitpunkt die Absicht fehlte, Einfluss auf die Entscheidung der Beklagten durch Verschweigen ihrer Asthma-Erkrankung zu nehmen, die nämlich dann nach ihrer Vorstellung vom Risikoausschluss umfasst war. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann somit nicht von einer Schutzbehauptung der Klägerin ausgegangen werden.

Zu Antragsfrage 1.5 (Stoffwechsel-Erkrankungen) behauptet die Klägerin menstruell bedingten Eisenmangel. Die in dem Arztbericht von Dr. D/Dr. E vom 17.7.2006 aufgeführten Medikament-Verordnungen, die sich auf das Jahr 1997 beziehen, liegen indessen bereits außerhalb des antragsrelevanten 5-Jahreszeitraums. Der Antrag wurde am 28.5.2003 gestellt. Auch die letzte Behandlung zu diesem Komplex am 30.4.1998 fällt nicht hierunter. Antragsrelevant könnte allenfalls ein Kontrollbericht vom 13.7.1999 sein. Eine Kontrollbedürftigkeit im 5-Jahreszeitraum steht damit allerdings nicht fest. Dabei ist hervorzuheben, dass die Klägerin immerhin bis zum Jahre 2002 bei Dr. D in Behandlung war.

Die Antragsfrage Nr. 3 nach regelmäßiger Medikamenteneinnahme in den letzten 5 Jahren hat die Klägerin ebenfalls mit "nein" beantwortet, obwohl ihr im Zeitraum zwischen dem 26.9.1998 und dem 19.11.2002 die Medikamente "H und "I" verordnet worden waren. Dabei handelt es sich jeweils um ein Antihistaminikum gegen Allergien. Bei den Erläuterungen zu Antragsfrage 1.10 (Erkrankungen der Haut) hat die Klägerin indessen die Medikamente "F" und "G" angegeben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat sie hierzu erklärt, das Medikament "F" sei an die Stelle der beiden erstgenannten Medikamente getreten. Auch hier kann somit nicht von einem Verschweigen einer Medikation in Täuschungsabsicht ausgegangen werden.

Zutreffend ist indessen, dass die Klägerin die Antragsfrage Nr. 6 nach Behandlungen und Untersuchungen in den letzten 5 Jahren objektiv falsch mit "nein" beantwortet hat. Hier fehlen die von Dr. D durchgeführten Asthma-Behandlungen. Andererseits hat die Klägerin erläuternd zu Frage 1.10 angegeben, sie leide "seit Geburt" an Neurodermitis und die bereits genannte Medikation mitgeteilt. Wenn die Klägerin aber angab, sie leide "seit Geburt" unter Neurodermitis und der von der Beklagten vorgelegte Wikipedia-Auszug hierzu ausführt, Neurodermitis gelte als nicht heilbar, musste sich der Beklagten aufdrängen, dass Frage 6 von der Klägerin unzutreffend beantwortet sein musste. Wenn sie ungeachtet dessen einen klärenden Hinweis oder eine klärende Nachfrage unterließ, kann sie sich in dieser Hinsicht nicht auf ihr gesetzliches Rücktritts- oder Anfechtungsrecht berufen (BGH VersR 1995, 80). So liegt der Fall hier.

Letztlich ist auch die Frage, nach dem Arzt, der "am besten" über die Gesundheitsverhältnisse der Klägerin Auskunft geben kann, nicht falsch beantwortet. Der von der Klägerin angegebene Arzt Dr. C war der zum Zeitpunkt der Antragstellung für die Klägerin tätige Hausarzt. Herr Dr. D, auf den sich die Beklagte beruft, war für die Klägerin zuvor als Hausarzt tätig. Warum die Angabe des Dr. C als des bestinformierten Arztes deshalb falsch sein soll, ist weder vorgetragen noch sonstwie ersichtlich.

Auch der fristgerecht erklärte Rücktritt der Beklagten (§§ 17, 20 Abs. 1 VVG) führt nicht zum Erfolg. Soweit es den Klageantrag zu 2) auf Leistung der vereinbarten Berufsunfähigkeitsrente betrifft, fehlt es bereits an einer Relevanz etwaiger Falschangaben für den vorliegenden Versicherungsfall (§ 21 VVG). Im übrigen ist das Rücktrittsrecht aus den vorgenannten Gründen ausgeschlossen, weil davon auszugehen ist, dass die Beklagte bei einer Nachfrage zu Frage 1.10 im Hinblick auf die Falschbeantwortung zu Frage 6 sowohl von der Behandlung durch Dr. D als auch von dessen Medikation und dem Vorliegen allergischen Asthmas erfahren hätte.

Angesichts dessen hatte die Klage Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils ist §§ 708 Ziffer 10, 711 ZPO entnommen.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen ihrer Zulassung (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht gegeben sind.

Ende der Entscheidung

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