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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Beschluss verkündet am 08.08.2002
Aktenzeichen: 3 Ws 831/02
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 67 d Abs. 5
Allein der Umstand, dass der Verurteilte in der Entziehungsanstalt Schwierigkeiten bereitet, Rückfälle in sein Suchtverhalten erleidet oder Lockerungen zu Straftaten missbraucht, stellt noch keinen Anlass dar, ihn in den Strafvollzug zu überweisen.
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN BESCHLUSS

3 Ws 831/02

Verkündet am 08.08.2002

In der Strafvollstreckungssache

wegen Diebstahls

hier: Beendigung der Vollstreckung der Maßregel,

hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Limburg/Lahn vom 29.4.2002 am 8.8.2002 beschlossen.

Tenor:

1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

Durch Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 20. Juli 2001 wurde gegen den Verurteilten wegen neunfachen Diebstahls, räuberischen Diebstahls und anderer Delikte eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verhängt. Zusätzlich wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB angeordnet. Derzeit wird die Maßregel vollstreckt, der Halbstrafenzeitpunkt ist noch nicht erreicht.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer ausgesprochen, dass die Unterbringung nicht weiter zu vollziehen und der Verurteilte deshalb in den Strafvollzug zu überführen sei (§ 67d Abs. 5 StGB). Hiergegen richtet sich die zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten, die auch in der Sache Erfolg hat.

Die Kammer ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die mit Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 20. Juli 2001 angeordnete Unterbringung nach Maßgabe des § 67d Abs. 5 StGB in der Fassung, welche die Vorschrift nach der Teilnichtigkeitserklärung durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16.3.1994 (BVerfGE 91, 1 ff. = NStZ 1994, 578 ff. = StV 1994, 594 ff.) erhalten hat, nicht weiter vollzogen werden darf. Zwar ist vom weiteren Vollzug der Maßregel bereits dann abzusehen, wenn aus in der Person des Verurteilten liegenden Gründen, insbesondere wegen dauerhaft verfestigter Therapieunwilligkeit oder Therapieunfähigkeit keine konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg mehr besteht. Hierbei ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Beschl. v. 23.7.2002 - 3 Ws 753/02 m.w.N.) entscheidend, ob bei der gebotenen Gesamtschau des bisherigen Verhandlungsverlaufs eine mit therapeutischen Mitteln des Maßregelvollzugs nicht mehr aufbrechbare Behandlungsunwilligkeit oder Behandlungsunfähigkeit des Verurteilten vorliegt, namentlich eine realistische Chance auf das Erreichen des Maßregelzwecks (i.e. die zumindest zeitweilige Heilung von der Sucht) weder durch einen Wechsel der behandelnden Therapeuten und/oder der angewandten Therapie, noch durch ein Überwechseln des Verurteilten in den Vollzug einer anderen Maßregel oder einen teilweisen Vorwegvollzug der Strafe begründet werden kann. Diese Feststellung darf nur auf einer zuverlässigen Erkenntnisgrundlage erfolgen (BVerfG 91, 1, 15; Senat, Beschlüsse v. 11.6.2002 - 3 Ws 668/01 und v. 15.8.2001 - 3 Ws 785/01; Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 67d Rn. 7; Hörn, in: SK-StGB 1998, § 67d Rn. 7a), d.h. die dauerhafte Therapieunwilligkeit oder -fähigkeit muss sich ausreichend durch Tatsachen untermauern lassen. Insbesondere stellt der Umstand, dass der Verurteilte in der Anstalt Schwierigkeiten bereitet, Rückfälle in sein Suchtverhalten erleidet oder gar Lockerungen zu Straftaten missbraucht, als solches noch keinen Anlass dar, ihn in den Strafvollzug zu überweisen (vgl. Senat aaO).

Diese Auffassung des Senats korrespondiert mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Dieser hat mehrfach hervorgehoben, dass die Unterbringung auch und gerade dazu dient, die Ursache fehlender Therapiemotivation oder -fähigkeit zu beheben, namentlich fehlende Therapiebereitschaft überhaupt erst zu wecken, um so die Voraussetzungen einer erfolgsversprechenden Weiterbehandlung zu schaffen (BGH, NStZ-RR 1998, 70; NStZ-RR 1999,10; NStZ-RR 2002, 7 - jew. m.w.N.). Von daher geht auch die Annahme der Strafvollstreckungskammer, es bedürfe weder der Behandlung des Verurteilten im Maßregelvollzug über einen längeren Zeitraum, noch der Erprobung verschiedener therapeutischer Ansätze, bevor nach § 67d Abs. 5 StGB verfahren werde könne, in dieser apodiktischen Form fehl.

Bei der gebotenen Gesamtschau des bisherigen Behandlungsverlaufs lässt sich eine durch Tatsachen ausreichend untermauerte dauerhaft verfestigte Behandlungsunwilligkeit oder Therapieunfähigkeit des Verurteilten (derzeit noch) nicht feststellen.

Den Willen, sich einer Behandlung seiner Sucht und seiner die mitbedingenden und überlagernden Persönlichkeitsstörung zu unterziehen, hat der Verurteilte mehrfach bekundet. Kammer und Anstalt nehmen demzufolge auch an, der Abbruch des Maßregelvollzugs sei deshalb geboten, weil die Persönlichkeitsstörung des Verurteilten mit den Mitteln des Maßregelvollzugs nicht (mehr) behandelbar sei, was nach sich ziehe, dass auch die Suchtproblematik therapeutisch nicht (mehr) angegangen werden könne. Weder der angefochtene Beschluss noch die Anstalt verhalten sich aber dazu, ob - was mit Blick auf normverletzendes Verhalten des Verurteilten vor allem in Gruppensituationen sogar nahe liegt - durch eine intensivierte, über den normalen Einsatz dieser Therapieform im Behandlungsalltag der Anstalt hinausgehende Behandlung des Verurteilten in Einzeltherapie, ggf. bei gleichzeitigem Wechsel deren theoretischer Grundlage (z.B. tiefenpsychologisch statt bisher verhaltenstherapeutisch angeleitet) nachhaltigere Erfolge zu erzielen wären. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass die Anstalt und die Vollstreckungsbehörde gehalten sind, auch derartige - das Personal der Anstalt zugegebenermaßen stark beanspruchende - vom "Regelvollzug" abweichende Therapien zur Anwendung gelangen zu lassen, bevor sie geltend machen können, die behandlerischen Möglichkeiten des Maßregelvollzugs seien erschöpft. Notfalls muss das Personal aufgestockt oder die Verlegung des Verurteilten in eine geeignetere Anstalt, ggf. auch in den Vollzug einer anderen Maßregel (§ 67a StGB) vorgenommen werden. Es ist nämlich Aufgabe der für den Vollzug der Maßregel zuständigen Vollstreckungs- und Verwaltungsbehörden, hinreichend geeignete, auch auf die individuellen Besonderheiten des Untergebrachten abgestimmte Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen (vgl. BGH, NStZ-RR 2002, 7 - st. Rspr.).

Ferner wird die angenommene dauerhafte Resistenz des Verurteilten gegen therapeutische Bemühungen seitens der Anstalt nicht ausreichend durch Tatsachen untermauert. Immerhin ist es dem Verurteilten für die Dauer des gesamten bisherigen Maßregelvollzugs gelungen, Rückfälle in sein Suchtverhalten zu vermeiden, so dass zumindest ein zeitlich begrenzter Erfolg der Unterbringung vorliegt. Es kann auch dahinstehen, ob dem Verurteilten die ihm seitens der Anstalt zur Last gelegten Regelverstöße begangen hat oder nicht. Aus ihnen allein kann jedenfalls die Behandlungsresistenz nicht abgeleitet werden. Dass der Verurteilte, wie die Anstalt dargelegt hat, bisher bezüglich seiner Einsicht in die Notwendigkeit einer Behandlung und die Aufarbeitung seiner Delinquenz keine Fortschritte gemacht hat, ist hingegen ursächlich in seiner Persönlichkeitsstörung begründet. Dass diese in der oben beschriebenen Weise therapeutisch angegangen worden wäre, lässt sich den Stellungnahmen der Klinik indes nicht entnehmen.

Nach alledem reichen auch sämtliche von der Maßregeleinrichtung und der Strafvollstreckungskammer herangezogenen sogenannten Negativfaktoren nicht aus, um bereits jetzt von einer dauerhaft verfestigten Behandlungsunfähigkeit auszugehen. Angesichts der erst wenige Monate vollzogenen Unterbringung ist eine solche Schlussfolgerung ohne einen weiteren Beobachtungszeitraum und ohne Veränderung im therapeutischen Konzept vielmehr zur Zeit noch verfrüht.

Der angefochtene Beschluss war mithin mit der Kosten- und Auslagenfolge der §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 3 StPO in entsprechender Anwendung aufzuheben.

Ende der Entscheidung

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