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Gericht: Oberlandesgericht Frankfurt
Urteil verkündet am 11.04.2001
Aktenzeichen: 7 U 85/00
Rechtsgebiete: AUB 94, AUB 88, AUB 61, BGB, ZPO
Vorschriften:
AUB 94 § 7 Abs. 2 | |
AUB 94 § 8 | |
AUB 88 § 8 | |
AUB 61 § 10 Abs. 1 | |
BGB § 284 | |
BGB § 286 | |
ZPO § 91 | |
ZPO § 281 Abs. 3 Satz 2 | |
ZPO § 708 Nr. 10 | |
ZPO § 711 | |
ZPO § 713 |
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am 11.4.2001
In dem Rechtsstreit ...
hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes in Frankfurt am Main durch die Richter ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. April 2001
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 29.2.2000 verkündete Urteil des Landgerichtes in Wiesbaden Az.: 2 O 215/99 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 25.000,00 DM nebst 4 v.H. Zinsen seit dem 1.9.1998 zu zahlen. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, jedoch fallen die durch das Anrufen des unzuständigen Landgerichtes Meiningen entstandenen Kosten vorab dem Kläger zur Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte ist mit 25.000,00 DM beschwert.
Tatbestand:
Der Kläger macht aus einer bei der Beklagten nach Maßgabe der AUB 94 abgeschlossenen Unfallversicherung die vereinbarten Übergangsleistungen in Höhe von 25.000.00 DM geltend. Er erlitt zunächst am 19.7.1997 einen schweren Fahrradunfall, der ausweislich des Arztberichtes des Dr. B. vom 27.11.1992 (Bl. 8 ff. d.A.) zu einer Hemiparese rechts und einer Minderung der Leistungsfähigkeit zu 100% vom 19.07.1997 bis zum 29.08.1997 und zu 40% ab 05.09.1997 führte. Allein bedingt durch die unfallbedingte Halbseitenparese stürzte der Kläger, als er am 16.08.1997 von einem Stuhl aufstehen wollte, mit seinem Körpergewicht auf den rechten Ellenbogen. Aufgrund der hierdurch erlittenen Verletzung war er gemäß dem Fachgutachten des Prof. Dr. G. vom 14.01.1999 (Bl. 10 ff. d.A.) vom 16.08. bis 05.01.1998 vollständig, bis zum 22.01.1998 zu 75% und von da an zu 25% in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Auf eine Zahlungsaufforderung des Klägers vom 17.08.1998 verweigerte die Beklagte mit Schreiben vom 01.02.1999 (Bl. 67 d.A.) und 21.03.1999 (Bl. 69 d.A.) die begehrte Versicherungsleistung.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, beide Stürze seien als einheitlicher Versicherungsfall anzusehen, so dass er, wie von § 7 Abs. 2 AUB 94 gefordert, nach Ablauf von 6 Monaten nach Eintritt des Versicherungsfalles noch zu mehr als 50% in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen sei. Zudem hat er behauptet, da aus medizinischer Sicht ein Fahrverbot bis in den Februar 1998 ausgesprochen worden sei, müsse von einer körperlichen Einschränkung der Leistungsfähigkeit von über 50% über den 16.02.1998 hinaus ausgegangen werden, da er als Handelsvertreter im Außendienst berufsbedingt zwingend auf sein Kraftfahrzeug angewiesen sei und die Unfähigkeit, seinen Beruf auszuüben, sich zweifellos auf seine körperliche Leistungsfähigkeit niederschlage. Zudem sei sein Sturz vom 16.08.1997 nicht durch einen Unfall, sondern durch seine Halbseitensymptomatik verursacht worden. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 25.000,00 DM nebst 4% Zinsen seit dem 1.9.1998 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat ihre Einstandspflicht verneint, da es sich um zwei selbständige Unfallereignisse handele, für die jeweils die Voraussetzungen der Zahlung eines Übergangsgeldes nicht gegeben seien. Selbst bei einer Gesamtveranlagung beider Unfallereignisse müsse der Mitwirkungsanteil aus dem ersten Unfallereignis, bei der Veranlagung des zweiten leistungsmindernd gemäß § 8 AUB 88 berücksichtigt werden, so dass auch aus diesem Grunde eine über 50% liegende Invalidität nicht angenommen werden könne.
Nachdem das Landgericht Meiningen die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit verwiesen hatte, ist durch das angefochtene Urteil, auf das zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen worden. Es sei von zwei selbständigen Ereignissen auszugehen, die jedes für sich nicht zu einer hinreichenden Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit geführt hätten. Deren Folgen könnten nicht zusammengerechnet werden, da beide Stürze zu unterschiedlichen Beeinträchtigungen geführt hätten. Zudem sei die Ellenbogenfraktur nicht in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall vom 19.07.1997 eingetreten.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung, mit der er unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens sein Klagebegehren weiterverfolgt. Er macht geltend, weder das äußere Erscheinungsbild der jeweiligen Verletzungsfolgen noch das zeitliche Moment seien ausschlaggebend, sondern allein, dass eine adäquate Kausalität zwischen dem Unfallereignis und der eingetretenen Gesundheitsschädigung vorliege. Eine Kürzung nach § 8 UB komme nur in Betracht, wenn die Vorerkrankung zu mehr als 25% mitgewirkt habe, was die Beklagte zu beweisen habe. Der Kläger beantragt,
unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung nach dem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass es sich um zwei getrennt zu behandelnde Unfallereignisse handele.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist an sich statthaft und zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Der Kläger hat aufgrund des unstreitig bei der Beklagten abgeschlossenen Versicherungsvertrages wegen des während der Vertragslaufzeit am 19.07.1997 erfolgen Fahrradunfalles einen Anspruch auf Auskehr der beanspruchten Übergangsleistung in der vereinbarten Höhe von DM 25.000.- (§ 7 Abs. 2 AUB 94).
Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch ist nach den vereinbarten Vertragsbedingungen, dass nach Ablauf von 6 Monaten seit Eintritt des Unfalls ohne Mitwirkung von Krankheiten oder Gebrechen noch eine unfallbedingte Beeinträchtigung der normalen körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit von mehr als 50% besteht und dass diese Beeinträchtigung bis dahin ununterbrochen bestanden hat. Eine entsprechende Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit liegt unstreitig vor, wenn nicht nur die Folgen des Fahrradunfalles vom 19.07.1997, sondern auch die Folgen des weiteren Sturzes vom 16.08.1997 berücksichtigt werden. Zwar ist es richtig, dass mehrere Unfälle in der privaten Unfallversicherung grundsätzlich getrennt abzurechnen sind (vgl. OLG Köln RuS 89, 168). Die Besonderheit des hier zu entscheidenden Falles liegt jedoch in dem unstreitigen Umstand, dass der zweite Sturz, der einen weitergehenden Gesundheitsschaden zur Folge hatte, unstreitig darauf beruhte, dass aufgrund des ersten Unfallereignisses eine Halbseitenparese eingetreten war und der Kläger deswegen die Kontrolle über seine Körper verlor, als er mit dem bloßen Aufstehen von einem Stuhl eine ihm ohne die Behinderung einfach und gefahrlos mögliche Bewegung ausführen wollte. Diesen ohnehin auf der Hand liegenden und damit auch nicht inadäquaten - Ursachenzusammenhang hat die Beklagte nie abgestritten und damit zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Versichert nach der AUB aber ist der Gesundheitsschaden, der adäquat kausal durch das Unfallereignis herbeigeführt worden ist (vgl. Grimm, Unfallversicherung, 3. Aufl., Rn 49; Wussow/Pürckhauer, AUB, 6. Aufl, Rn 63, Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl. Rn 21, sämtlich zu § 1 AUB). Deshalb macht es insoweit keinen Unterschied, ob die unfallbedingte Verletzung unmittelbar oder erst über eine Kausalkette zu einem möglicherweise auch erst deutlich später eingetretenen Gesundheitsschaden führt (vgl. Wussow/Pürckhauer, a.a.O., Rn 62). Dementsprechend ist für eine Poliomyelitiserkrankung, die erst aufgrund einer durch eine Schlägerei erlittene Verletzung entstanden war, der erforderliche Kausalzusammenhang ohne weiteres bejaht worden (OLG Nürnberg, VersR 62, 773). Selbst für den Fall, dass weitergehende Gesundheitsschäden erst durch einen - nicht ganz außergewöhnlichen - ärztlichen Kunstfehler bei der Behandlung einer geringeren Unfallverletzung entstanden sind, wird Kausalität bejaht (vgl. Knappmann, a.a.O, Rn. 22). Auf die Frage, ob ein in der Kausalreihe liegendes Ereignis hier der Sturz vom Stuhl wiederum selbst als Unfallereignis zu qualifizieren ist oder nicht, kommt es damit nicht an. Auch der in der Folge aufgetretene Gesundheitsschaden ist mithin dem ersten Unfallereignis zuzurechnen.
Ist damit aber auf den gesamten durch das erste Unfallereignis entstandenen Gesundheitsschaden abzustellen, so bleibt es entgegen der Bewertung der Beklagten ohne Einfluss nach § 8 AUB 94, dass der zweite Unfall" durch erst zu diesem Zeitpunkt bestehende Vorerkrankungen mitbeeinflusst worden ist. Dementsprechend sind Krankheiten, die sich ein Versicherungsnehmer erst während der durch einen Unfall verursachten Liegezeit zugezogen hat, nicht als Kürzungsgrund i.S. des § 10 Abs. 1 AUB 61 gewertet worden (LG Köln, VersR 86, 84). Vorerkrankungen und Gebrechen führen in der Unfallversicherung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH r+s 91, 143) ohnehin nur dann zu einer Einschränkung der Leistungspflicht, wenn eine unmittelbare Mitursächlichkeit besteht. Sie bleiben unberücksichtigt, wenn die Krankheit wie hier den (zweiten) Unfall selbst ausgelöst hat (Grimm, a.a.O., Rn 6 zu § 8 AUB) bzw. erst durch den (ersten) Unfall neu entstanden sind (Wussow/Pürckhauer, a.a.O., Rn 7 zu § 8 AUB).
Schließlich ist zwar der Hinweis der Beklagten richtig, dass für die hier geltend gemachte Übergangsleistung die Einbuße der Leistungsfähigkeit in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfallereignis eintreten muss (OLG Hamm, r + s 89, 203; 93, 359; Grimm, a.a.O. Rn 43; Knappmann, a.a.O., beide zu § 7 AUB). Dieses Argument würde aber nur zum Tragen kommen, wenn der Kläger erstmals aufgrund des zweiten Sturzes in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt worden wäre. Tatsächlich hatte sich bei ihm jedoch bereits unmittelbar nach dem ersten Sturz unstreitig umfangreiche Gesundheitsschäden eingestellt, die seine Leistungsfähigkeit um 100 % reduzierten. Wie ausgeführt sind alle auf das Unfallereignis adäquat verursachten Gesundheitsschäden zu berücksichtigen. Diese führen in ihrer Gesamtheit zu einer sechs Monate ununterbrochen anhaltenden und einen Grad von 50 % überschreitenden Leistungseinbuße, die unmittelbar im Anschluss an den Sturz vom Fahrrad begonnen hat. Der geltend gemachte Versicherungsanspruch ist mithin gegeben.
Die zugesprochenen Zinsen rechtfertigen sich aus dem Gesichtspunkte des Verzuges gemäß §§ 284, 286 BGB.
Die Nebenentscheidungen zu Kosten und vorläufiger Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 91, 281 Abs. 3 Satz 2, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Beschwer der Beklagten entspricht dem zuerkannten Betrag. Eine grundsätzliche Bedeutung, die es rechtfertigen würde, die Revision zuzulassen (§ 546 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO), ist der Streitsache nicht beizumessen.
Ende der Entscheidung
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