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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 14.11.2002
Aktenzeichen: 3 U 129/01
Rechtsgebiete: UWG, AMG


Vorschriften:

UWG § 1
AMG § 11 Abs. 1 Nr. 5
Ist die Auslegung einer Gesetzesnorm zweifelhaft, so verhält sich ein Wettbewerber nicht unlauter (§ 1 UWG), wenn er seinem Verhalten die Auslegung zugrunde legt, die auch von der zuständigen Behörde gebilligt wird und nach der sein Verhalten rechtmäßig erscheint.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 129/01

Verkündet am: 14. November 2002

In dem Rechtsstreit

"Aurorix"

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter Brüning, v. Franque, Spannuth nach der am 24. Oktober 2002 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 12, vom 27. Februar 2001 abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung durch eine Sicherheitsleistung von 7.000 € abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 127.823 € (250.000 DM) festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beklagte bringt das aus Belgien parallel importierte Arzneimittel "Aurorix 150" in den Verkehr. Die Klägerin, deutsche Tochtergesellschaft der Markeninhaberin, produziert und vertreibt das Mittel in Deutschland.

Die Klägerin beanstandet die in der von der Beklagten stammenden Packungsbeilage (Anlage K 2) enthaltene Herstellerangabe als Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Nr. 5 AMG und hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, das aus Belgien importierte Arzneimittel "Aurorix 150" in der Bundesrepublik Deutschland mit Packungsbeilagen in den Verkehr zu bringen, die nur folgende Herstellerangabe enthalten:

"In Deutschland verantwortlicher Hersteller und pharmazeutischer Unternehmer (Import, Umpackung und Vertrieb): A. S. Unicare Pharma-Vertriebs-GmbH, Herzog-Georg-Str. 1, 89264 Weißenhorn".

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen,

da die Angabe dem Gesetz entspreche und behördlich geduldet werde.

Das Landgericht, auf dessen Entscheidung zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen wird, hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Hiergegen wendet sich diese mit ihrer Berufung, die sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet hat.

Sie greift das Urteil unter Ergänzung ihres Vorbringens an und beantragt,

die Entscheidung des Landgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.

1. Das Landgericht hat einen Verstoß der Beklagten gegen die Vorschrift des § 11 Abs. 1 Nr. 5 AMG und damit ein nach § 1 UWG unlauteres Wettbewerbsverhalten bejaht. Doch selbst wenn die Beklagte § 11 Abs. 1 Nr. 5 AMG verletzen sollte, ist ihr das nicht als unlauter anzulasten.

a. § 11 Abs. 1 Nr. 5 AMG schreibt vor, daß die Packungsbeilage "den Namen oder die Firma und die Anschrift des pharmazeutischen Unternehmers sowie des Herstellers, der das Fertigarzneimittel für das Inverkehrbringen freigegeben hat," enthalten muß. §4 Abs. 14 AMG definiert: "Herstellen ist das Gewinnen, das Anfertigen, das Zubereiten, das Be- oder Verarbeiten, das Umfüllen einschließlich Abfüllen, das Abpacken und das Kennzeichnen." Danach kann ein Arzneimittel mehrere Hersteller haben, womit nicht ausgeschlossen wird, daß ein Hersteller zugleich auch pharmazeutischer Unternehmer ist, sofern er das Mittel unter seinem Namen in den Verkehr bringt (§ 4 Abs. 18 AMG). Fällt beides zusammen, braucht der Name nicht doppelt genannt zu werden (Kloesel/Cyran A 1.0, § 11 AMG, Anm. 26).

Von diesen verschiedenen möglichen Herstellern muß ein einziger genannt werden, nämlich derjenige, der das Fertigarzneimittel für das Inverkehrbringen freigegeben hat. Nach der Wortwahl kommt nur einer der Hersteller in Betracht. Demnach kann es unter diesen verschiedenartigen Herstellern auch nur einen geben, der das Mittel im Sinne dieser Vorschrift freigibt. Die Auffassung von Rehmann (AMG, 1999, § 11, Rdnr. 5), wonach jeder Hersteller im Sinne des § 4 Abs. 14 AMG - gar "mit zusätzlichen klarstellenden Hinweisen, welche den Verantwortungsbereich des weiteren Herstellers (für das Umpacken, Kennzeichnen etc.) zutreffend beschreiben" - genannt werden muß, leuchtet nicht ein, weil ein solches Ergebnis wesentlich einfacher durch die Wahl eines Plurals zu erzielen gewesen wäre und die Verwendung der Einzahl in § 11 Abs. 1 Nr. 5 AMG ein Redaktionsversehen sein müßte, obwohl dies mit Art. 7 der Richtlinie 92/27/EWG über die Etikettierung und die Packungsbeilage von Humanarzneimitteln übereinstimmt.

Die Parteien streiten im Kern um die Frage, wen der Gesetzgeber mit dem "Hersteller, der das Fertigarzneimittel für das Inverkehrbringen freigegeben hat," meint, den Hersteller, der die Verantwortung dafür trägt, daß das Fertigarzneimittel erstmals in den Verkehr gebracht wird (so die Klägerin mit Rehmann, a.a.O.: "Anzugeben ist daher der Hersteller ..., der das Arzneimittel erstmals zum Verlassen seines Herrschaftsbereichs freigegeben hat und zwar unabhängig davon, ob der Hersteller seinen Sitz im Inland oder Ausland hat,"), oder den Hersteller (so die Beklagte), der die Verantwortung dafür trägt, daß das Fertigarzneimittel in Deutschland in den Verkehr kommt.

Für beide Auffassungen sprechen gute Gründe. Da das AMG den Begriff der Freigabe (vom Sonderfall des § 32 AMG abgesehen) nicht selbst definiert, bietet es sich an, ihn aus anderen Vorschriften herzuleiten. Dafür kommt die Betriebsverordnung für pharmazeutische Unternehmer (PharmBetrV) in Betracht, deren § 7 Abs. 1 Satz 1 bestimmt: "Arzneimittel dürfen als freigegeben nur kenntlich gemacht werden (Freigabe), wenn das Herstellungs- und das Prüfprotokoll ordnungsgemäß unterzeichnet sind." Das heißt, die Arzneimittel müssen nach §§ 5, 6 PharmBetrV hergestellt und geprüft worden sein, bevor sie freigegeben werden können, und das wiederum kann bedeuten, daß der Hersteller im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 5 AMG, "der das Fertigarzneimittel für das Inverkehrbringen freigegeben hat," an der Herstellung und Prüfung beteiligt sein muß (so ausdrücklich Kloesel/Cyran, § 7 PharmBetrV, Anm. 2), weil nur jemand, der in der Lage ist, Arzneimittel "nach anerkannten pharmazeutischen Regeln herzustellen" (§ 5 Abs. 1 PharmBetrV) und "nach anerkannten pharmazeutischen Regeln auf die erforderliche Qualität zu prüfen" (§ 6 Abs. 1 PharmBetrV) zu einer solchen Freigabe in der Lage ist. Ein Hersteller, der diesem Begriff nur deshalb unterfällt, weil er ein Arzneimittel umfüllt, abpackt oder kennzeichnet, käme danach als Hersteller, "der das Fertigarzneimittel für das Inverkehrbringen freigegeben hat," nicht in Betracht.

Der Begriff des Herstellens ist im AMG also umfassender als in der PharmBetrV, wo "Herstellen" im eigentlichen und ursprünglichen Sinne verstanden wird. Das läßt es als höchst fraglich erscheinen, ob man den Sprachgebrauch der PharmBetrV, der sich jedenfalls bei "Herstellen" von dem des AMG unterscheidet, ohne weiteres dort integrieren darf. Die Annahme liegt nicht fern, daß es dem deutschen Gesetzgeber eher darauf ankam, den Namen dessen erkennbar zu machen, der die in Deutschland erhebliche Verantwortung für die Freigabe trägt, und das brauchte als selbstverständlich nicht hervorgehoben zu werden.

Diese Überlegungen finden eine Stütze in § 13 PharmBetrV. Dessen ersten beide Absätze lauten:

(1) Ein pharmazeutischer Unternehmer darf ein Arzneimittel, das er nicht selbst hergestellt hat, erst in den Verkehr bringen, wenn es im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes nach § 6 geprüft und die erforderliche Qualität von der für die Prüfung verantwortlichen Person im Prüfprotokoll bestätigt ist.

(2) Bei einem Arzneimittel, das aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum eingeführt wurde, kann von der Prüfung nach Absatz 1 abgesehen werden, wenn es in dem Mitgliedsstaat oder in dem anderen Vertragsstaat nach den dort geltenden Rechtsvorschriften geprüft und dem Prüfprotokoll entsprechende Unterlagen vorliegen.

Danach kennt der Gesetzgeber eine Verantwortlichkeit für das Inverkehrbringen, ohne daß der Verantwortliche selbst in der Lage ist, Arzneimittel "nach anerkannten pharmazeutischen Regeln herzustellen" und "nach anerkannten pharmazeutischen Regeln auf die erforderliche Qualität zu prüfen". Er muß sich nur vergewissern, daß es mit dem Arzneimittel seine Richtigkeit hat (§ 13 Abs. 4 PharmBetrV).

Ob hingegen der Umstand, daß mit dem jedenfalls zu nennenden pharmazeutischen Unternehmer ein Haftungssubjekt zur Verfügung steht, das wegen der verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung nach §§ 84 ff. AMG in erster Linie und mit vermutlich größerer Aussicht auf Erfolg in Anspruch genommen werden kann, so daß die Haftung des ausländischen Herstellers im Regelfall keine Rolle spielt, ein besonders schlagendes Argument ist, wie die Beklagte meint, erscheint zweifelhaft, weil dies zum einen bei einer Insolvenz des pharmazeutischen Unternehmers nicht zum Tragen käme und zum anderen für jeden Hersteller unabhängig von der Frage gelten würde, ob er das Arzneimittel erstmals überhaupt oder erstmals in Deutschland in den Verkehr gebracht hat.

b. Obwohl der Senat eher zur Auffassung der Beklagten neigt, muß er sich nicht festlegen, denn selbst wenn die Auffassung der Klägerin richtig sein sollte, bedeutet das nicht, daß die Beklagte mit einem Verstoß gegen § 11 AMG auch § 1 UWG verletzt.

Die Regelungen des AMG, die dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung dienen, sind zwar wertbezogene Normen, deren Verletzung regelmäßig den Vorwurf unlauteren Verhaltens begründet (Köhler/Piper, UWG, 2. Auflage, 2001, § 1, Rdnr. 647). Das darf aber nicht im Sinne eines Automatismus mißverstanden werden, der jede weitere Prüfung entbehrlich macht (BGHZ 140, 134, 139 - Hormonpräparate; GRUR 2002, 269 f. - Sportwetten-Genehmigung).

Das gilt erst recht, wenn die Anwendbarkeit eines Gesetzes, gegen das der Wettbewerber verstoßen haben soll, zweifelhaft erscheint (v. Ungern-Sternberg, Wettbewerbsbezogene Anwendung des § 1 UWG und normzweckgerechte Auslegung der Sittenwidirigkeit, in: Festschrift für Willi Erdmann, S. 749). Die Lauterkeit des Wettbewerbs verlangt zwar auch, daß ein Wettbewerber nicht ohne weiteres auf Kosten seiner Mitbewerber das Risiko rechtswidrigen Handelns eingehen darf. Es wäre jedoch grundsätzlich eine Überspannung der Pflicht zu lauterem Wettbewerbshandeln und ein unzulässiger Eingriff in die Wettbewerbsfreiheit, von den Gewerbetreibenden zu verlangen, sich vorsichtshalber stets nach der strengsten Gesetzesauslegung zu richten, wenn die zuständigen Behörden sein Verhalten ausdrücklich als rechtlich zulässig bewerten (BGH GRUR 2002, 269, 270-Sportwetten-Genehmigung).

Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Die Beklagte hat einen Verlängerungsbescheid vom 08.01.2002 des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vorgelegt (Anlage B 2), das für die Einhaltung des AMG zuständig ist. Dort heißt es ausdrücklich unter 1.1.2: Weiterhin sind der Name und die Anschrift des Herstellers, der das Fertigarzneimittel für das Inverkehrbringen in der Bundesrepublik Deutschland freigibt, in der Gebrauchsinformation anzugeben (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 AMG). ... Der ursprüngliche Hersteller des Importarzneimittels im Herkunftsland darf in der Gebrauchsinformation als "weitere Angabe" genannt werden (§ 11 Abs. 1 Satz 5 i. V. mit §11 Abs. 5 Satz 2 AMG)." Danach versteht das BfArM unter dem "Hersteller, der das Fertigarzneimittel für das Inverkehrbringen freigegeben hat," ausdrücklich denjenigen, der es in Deutschland freigibt. Es unterscheidet ihn unmißverständlich von dem ursprünglichen Hersteller des Importarzneimittels im Herkunftsland", der nicht, wie § 11 Abs. 1 Nr. 5 AMG verlangt, angegeben werden muß, sondern als zulässige "weitere Angabe" genannt werden darf.

Dieser Bescheid gilt zwar nicht für das Mittel "Aurorix", die Beklagte hat aber unwidersprochen vorgetragen, daß es sich um einen standardisierten Hinweis handelt, den das BfArM seit mehreren Jahren verwendet. Sein Sinn ist eindeutig. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob das BfArM zunächst nur an den Fall gedacht hat, daß der Hersteller im engeren Sinne und der Freigebende zum gleichen Konzern gehören, wie die Klägerin vorgetragen hat. Es ist im übrigen auch nicht erkennbar, warum die Konzernzugehörigkeit zu einer Differenzierung nötigen sollte.

2. Andere Anspruchsgrundlagen kommen für ein Verbot nicht in Betracht.

§ 3 UWG scheidet nicht nur aus, weil dem Verbraucher das Arzneimittel in einer Umverpackung begegnet, auf dem unstreitig der Hersteller im engeren Sinne genannt ist. Selbst wenn man auf die angegriffene Angabe allein abstellt, kann ein durchschnittlich verständiger, aufmerksamer und informierter Verbraucher nicht glauben, daß ein pharmazeutischer Unternehmer, der das Arzneimittel erklärtermaßen importiert, umpackt und vertreibt, gleichwohl damit sagen will, er habe das Mittel im Ausland hergestellt, wenn er seine Verantwortlichkeit ausdrücklich auf Deutschland beschränkt.

Auf markenrechtliche Ansprüche kann sich die Klägerin nicht berufen. Sie hat im Schriftsatz vom 08.01.2001 dem Landgericht gegenüber ausdrücklich erklärt, sie mache Ausschließlich einen Verstoß der Beklagten gegen § 11 Abs. 1 Nr. 5 AMG i.V.m. § 1 UWG geltend1, und auch nur darüber hat das Landgericht befunden. Wenn sie nunmehr ihre Markenrechte in den Rechtsstreit einführt, eröffnet sie ein völlig neues Streitfeld mit einem neuen Streitgegenstand. Die Beklagte hat dem widersprochen, und auch der Senat hält dies nicht für sachdienlich (§ 263 ZPO), weil es in erster Linie seine Aufgabe ist, die angefochtene Entscheidung zu überprüfen, die auf einem Verfahren beruht, in dem Markenrechte keine Rolle spielten. Die Verteidigung gegen markenrechtliche Ansprüche erfordert grundlegend andere Einlassungen, als sie gegenüber dem Vorwurf begründet sind, gegen AMG und UWG zu verstoßen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 a. F. und § 543 Abs. 2 n. F. ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, die Entscheidung beruht auf den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

Ende der Entscheidung

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