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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 11.04.2002
Aktenzeichen: 3 U 171/01
Rechtsgebiete: UWG


Vorschriften:

UWG § 1
Ein Hersteller, der Kosmetika über ein selektives Vertriebssystem absetzt, spaltet seine Vertriebswege nicht im Sinne der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf (WRP 2001, 539, 541 - Kontrollnummerbeseitigung II), wenn er Ware, die er in seinem Vertriebssystem nicht zu den gewöhnlichen Bedingungen absetzen kann, in einem einmaligen Geschäft selbst in Millionenhöhe an einen ungebundenen Außenseiter verkauft.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS

3 U 171/01

Verkündet am: 11. April 2002

In dem Rechtsstreit

"Einzelverkauf an Außenseiter"

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter Brüning, v. Franqué, Spannuth nach der am 21. März 2002 geschlossenen mündlichen Verhandlung beschlossen:

Tenor:

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Streitwert wird für die zweite Instanz auf 613.550 € (1.200.000 DM) festgesetzt.

Gründe:

I. Die Klägerin ist Großhändlerin auf dem sog. "Grauen Markt" für Kosmetika. Sie beliefert Einzelhändler außerhalb der Vertriebssysteme der Hersteller mit Originalware. Die Beklagte ist eine bekannte Herstellerin von Kosmetika, zu denen Marken wie Davidoff und Joop gehören. Sie unterhält ein selektives Vertriebssystem, wobei ihren Depositären verboten ist, die Ware an unabhängige Händler weiterzuveräußern. Die Ware ist vielfach mit einem zehnstelligen Zahlencode versehen, der die Funktion einer Chargennummer nach § 4 KosmetikVO erfüllt, aber auch erlaubt, den Vertriebsweg der Ware zu verfolgen.

Am 4. Mai 2000 mahnte die Beklagte die Fa. M , eine Kundin der Klägerin, ab, weil sie ein Geschenk-Set der Marke Davidoff vertrieben hatte, auf dem sich zwar die sechsstellige Chargennummer befand, der Vertriebscode im übrigen aber entfernt worden war.

Nach einem Verkaufsgespräch am 12. Mai 2000 lieferte die Firma L Duty Free Group GmbH, eine 100 %ige Tochtergesellschaft der Beklagten, an die englische Firma U O Ltd., eine Restpostengroßhändlerin, "Overstock"-Ware, die der Vertriebsbindung unterlag, sich aber innerhalb des Vertriebssystems nur schwer absetzen ließ. Nach den von der Beklagten vorgelegten Rechnungen vom 31.05. und 21.06.2000 (Anlagenkonvolute B 9 und B 10) betrug der Verkaufspreis insgesamt 542.734,65 US-$, also etwa 1,2 Mio. DM. Die Klägerin schätzte den Einzelhandelswert auf 6 bis 8 Mio. DM. Die Ware gelangte an die mit der Klägerin verbundene Firma A & G Imports Ltd..

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, angesichts der Tatsache, daß die Beklagte ungebundene Händler mit ihrer Ware beliefern lasse, sei es rechtswidrig, Kunden der Klägerin wegen des Handelns mit decodierter Ware abzumahnen.

Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt,

I. es bei Meidung von Ordnungsmitteln zu unterlassen,

1. gegen Abnehmer der Klägerin Ansprüche geltend zu machen, weil diese mit Produkten, die von der Beklagten vertrieben werden, gehandelt haben, bei denen die Vertriebscodierung entfernt oder unleserlich gemacht wurde, soweit es sich um Codierungen handelt, die nicht gleichzeitig Chargennummern im Sinne von § 4 KosmetikVO sind;

2. Vertriebscodierungen, die gleichzeitig Chargennummern im Sinne von § 4 KosmetikVO sind, zur Identifikation von Unternehmen zu benutzen, die so gekennzeichnete Ware an die Klägerin liefern;

II. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang sie Handlungen gemäß Antrag I begangen hat, insbesondere unter Angabe der Namen und Anschriften der angegriffenen Abnehmer;

III. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser aus Handlungen gemäß Antrag I. bereits entstanden ist oder noch entstehen wird.

Die Klägerin hat im Senatstermin die Anträge auf Auskunft und Feststellung zurückgenommen. Die Unterlassungsanträge haben die Parteien übereinstimmend für erledigt erklärt.

II. Bei diesem Sach- und Streitstand entspricht es billigem Ermessen (§ 91 a ZPO), der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, soweit sie sie nicht nach § 269 Abs. 3 ZPO ohnehin zu tragen hat. Die Unterlassungsanträge waren von Anfang an unbegründet.

1. Unbeschadet weiterer Erfordernisse setzt der nach §§ 1 UWG, 823 BGB geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu 1) wegen Behinderung des klägerischen Unternehmens voraus, daß der Beklagten ihrerseits kein Unterlassungsanspruch nach § 1 UWG gegen Händler zustand, die decodierte (allerdings trotzdem § 4 KosmetikVO genügende) Ware der Beklagten vertrieben haben.

Nach der jüngsten Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs, insbesondere nach der Entscheidung vom 05.10.2000 (WRP 2001, 539, 541 - Kontrollnummerbeseitigung II), genießt ein Hersteller für ein selektives Vertriebssystem, das er durch eine Warencodierung absichert und das im übrigen aus kartellrechtlichen Gründen nicht zu beanstanden ist, den Schutz nach § 1 UWG, wenn er es diskriminierungsfrei handhabt, indem er seine Abnehmer im europäischen Wirtschaftsraum einheitlich bindet und seine Vertriebswege nicht spaltet. Soweit die Klägerin geltend gemacht hat, das Vertriebssystem der Beklagten sei kartellrechtswidrig, hat sie dies allein damit begründet, daß es nicht diskriminierungsfrei gehandhabt werde, nicht aber mit davon unabhängigen Gründen, so daß es nur darauf ankommt, ob die Beklagte beim Absatz ihrer Ware einen "gespaltenen Vertrieb" unterhalten hat.

Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Ein einzelner Verkauf, selbst wenn er einen so beträchtlichen Umfang hat wie der vom 12.05.2000, dürfte schon grundsätzlich ungeeignet sein, die Aufspaltung der Vertriebswege zu belegen. Mit Sicherheit gilt das für den Verkauf unter den hier gegebenen besonderen Umständen. Das ergibt sich aus der Argumentation des Bundesgerichtshofs, der einem durch Codierung gesicherten selektiven Vertriebssystem den Schutz versagt, wenn ein Teil eines einheitlichen Wirtschaftsraumes über gebundene Händler, der andere Teil ohne Vertriebsbindung versorgt wird, weil diese Tatsache erlaubte Querlieferungen gefährden und zur Abschottung der Märkte führen würde, denn die Codierung ermöglicht es dem Hersteller, solche Lieferanten zu erfassen und dadurch zu bestrafen, daß er sich weigert, sie weiter zu beliefern.

Diese Gefährdung setzt notwendig eine gewisse Dauer in den Beziehungen voraus, denn sie erfordert eine Reaktion des Herstellers auf Feststellungen zum Marktgeschehen auf Grund früherer Verkäufe. Diese Sicht stellt zudem auf den Regelverlauf ab, wie die Ware ganz allgemein abgesetzt wird. Hier jedoch ging es um "Overstocks", also um Ware mit Ausnahmecharakter, die deshalb an einen Außenseiter verkauft wurde, weil sie über das selektive Vertriebssystem im gesamten Absatzgebiet, das den einheitlichen europäischen Wirtschaftsraum umfaßt, nicht mehr recht absetzbar war: Eine Abschottung von Teilmärkten durch die Nichtbelieferung "preisaktiver" Händler war gar nicht zu besorgen.

In welchem Umfang sich die Beklagte darüber hinaus im Mai 2000 bemüht hat, einen Verkauf der Overstock-Ware im europäischen Wirtschaftsraum durch mündliche Absprachen zu verhindern, ist nicht entscheidend. Vollends unerheblich wird der Verkauf, wenn man bedenkt, daß der Vorfall mittlerweile anderthalb Jahre zurückliegt und seine Eignung, die gegenwärtige Vertriebspolitik der Beklagten zu charakterisieren, so gut wie ganz geschwunden ist.

Es hätte also weiteren Vorbringens der Klägerin bedurft, um den Schluß zu begründen, die Beklagte spalte ihren Vertrieb im damaligen Zeitpunkt und in Zukunft auf. Es sind indessen keine Tatsachen dafür erkennbar, daß die Beklagte den Vertrieb auf unterschiedlichen, auf einer willkürlichen Spaltung beruhenden Absatzwegen durchgeführt und deshalb keinen Schutz für ihr Codierungssystem verdient hat. Auf eine "Wiederholungsgefahr" kann sich die Klägerin nicht berufen, weil der Verkauf im Mai 2000 auch ohne Bindungsverpflichtung nicht rechtswidrig gewesen wäre, sondern allenfalls ein Indiz dafür hätte sein können, daß die Beklagte kein schutzwürdiges Vertriebsbindungssystem besaß, was aber - wie sich gezeigt hat - nicht einmal zutrifft.

Soweit die Beklagte Ware außerhalb des europäischen Wirtschaftsraums absetzt, indem sie etwa ihre überzähligen Lagerbestände über die L Duty Free Group GmbH an außereuropäische Abnehmer verkauft, ohne sie ausdrücklich zu verpflichten, nicht in den europäischen Wirtschaftsraum zu liefern, ergibt sich daraus für den europäischen Wirtschaftsraum keine Spaltung der Vertriebswege. Nachdem der Grundsatz der weltweiten Erschöpfung nicht mehr gilt, kann die Beklagte ihr Vertriebssystem ohne weiteres über ihre Markenrechte gegen Reimporte schützen (BGH, a.a.O., p. 541 f.).

Aus internen Anweisungen, die die Beklagte in der Vergangenheit gegeben hat, um die Belieferung von Graumarkthändlern mit ihrer Ware zu unterbinden, läßt sich nicht entnehmen, daß in zahlreichen Fällen Konzernunternehmen ohne Vertriebsbindung unabhängige Händler beliefert haben. Der Versuch, undichte Stellen zu schließen oder gar nicht erst entstehen zu lassen, kann nicht den Vorwurf erhärten, die Beklagte öffne ihren Vertrieb auch ungebundenen Händlern. Die unsubstantiierte Behauptung, es seien große Mengen von L -Ware auf dem Graumarkt verfügbar, erlaubt nicht den Schluß, die Beklagte unterhalte einen gespaltenen Vertrieb. Da die Klägerin keine Zahlen nennt, braucht nicht vertieft zu werden, daß sich das Vorkommen solcher Ware auf dem Graumarkt durchaus mit dem Verhalten untreuer Depositäre erklären läßt, was kein Beweis für die Vertriebspolitik der Beklagten wäre.

Darf die Beklagte ihr selektives Vertriebssystem durch eine Codierung schützen, ist es unlauter, mit decodierter Ware zu handeln, und die Beklagte durfte Händler, die das tun, abmahnen, ohne im Verhältnis zur Klägerin rechtswidrig zu handeln. Dieser stand deshalb kein Unterlassungsanspruch zu.

2. Unbeschadet der Frage, ob die Anspruchsvoraussetzungen im übrigen erfüllt gewesen wären, setzt auch das Verbot zu 2), Vertriebscodierungen, die gleichzeitig Chargennummern im Sinne von § 4 KosmetikVO sind, zur Identifikation von Unternehmen zu benutzen, die so gekennzeichnete Ware an die Klägerin liefern, voraus, daß die Beklagte unlauter handelt, wenn sie die Codierung zur Überprüfung und Sicherung ihres selektiven Vertriebssystems verwendet. Das ist - wie dargelegt - nicht der Fall.

Ende der Entscheidung

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