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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 08.04.2008
Aktenzeichen: 7 U 21/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 1004 Abs. 1 Satz 2
1. Auch in der Verbreitung einer echten Frage kann die Äußerung eines Verdachts liegen, auf die die Grundsätze über die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung Anwendung finden.

2. Die Anforderungen, die für die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung entwickelt worden sind, dienen dem Zweck, den Betroffenen vor einer Vorverurteilung durch die Medien im Sinne der Verhängung eines sozialen und moralischen, nicht aber eines juristischen Unwerturteils zu schützen. Daher scheidet die Anwendung der Grundsätze über die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung nicht deswegen aus, weil das in den Raum gestellte Verhalten des Betroffenen keine Straftat ist.

3. Jedenfalls dann, wenn öffentlich Vermutungen über das Vorliegen einer ehrenrührigen inneren Tatsache bei einer Person verbreitet werden, die erreichbar ist, setzt die Wahrung der pressemäßigen Sorgfalt voraus, dass das Publikationsorgan dem Betroffenen die Möglichkeit gibt, sich zu dem Vorwurf zu äußern.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftszeichen: 7 U 21/07

Verkündet am: 08.04.2008

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 7. Zivilsenat, durch den Senat nach der am 08.04.2008 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19. Januar 2007, Az. 324 O 608/06, wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

III. Das Urteil ist für den Kläger hinsichtlich des Verbotsausspruches gegen Sicherheitsleistung in Höhe von € 120.000,00 und hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung dagegen, dass das Landgericht sie zur Unterlassung der Verbreitung der von dem stellvertretenden Vorsitzenden der Fraktion der ... Partei im Deutschen Bundestag getätigten Äußerung "Wollte S. sein Amt loswerden, weil ihm lukrative Jobs zugesagt waren? Hatte er persönliche Motive, als er in politisch aussichtsloser Lage Neuwahlen herbeiführte?" verurteilt hat.

Der Kläger war seit 1998 Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland; er gehört der ... Partei ... an. In seiner Amtszeit förderte er politisch das Vorhaben der russischen Regierung, eine Erdgaspipeline - die "Ostsee-Pipeline" - für den Transport russischen Erdgases nach Westeuropa zu bauen. Am 11. April 2005 unterzeichneten Mitarbeiter des in Russland ansässigen und vom russischen Staat beherrschten Unternehmens "G." und der in Deutschland ansässigen B. eine Erklärung über die Erschließung von Erdgasvorkommen in Russland; bei der Unterzeichnung waren der Kläger und der - damalige - russische Präsident P. anwesend. Im Mai 2005 kündigte der Kläger, nachdem die ... Partei ... die Landtagswahl im Land Nn. verloren hatte, an, dass vorzeitig Neuwahlen zum Deutschen Bundestag stattfinden sollten. In diesem Wahlkampf setzte der Kläger sich mit Nachdruck dafür ein, dass die bisherige Regierungskoalition ihre Mehrheit im Deutschen Bundestag behalte. Die Wahl vom 18. September 2005 brachte nicht den zunächst erwarteten eindeutigen Wahlsieg der ... Oppositionsparteien, führte aber dazu, dass die die bisherige Bundesregierung tragenden Parteien ihre Mehrheit im Deutschen Bundestag verloren. Zwischen dem Wahltag und dem letzten Amtstag des Klägers als Bundeskanzler, dem 22. November 2005, wurde öffentlich bekannt, dass der Kläger den Vorsitz des Aufsichtsrats des in der Schweiz ansässigen Konsortiums N. übernehmen werde. Dieses Konsortium wird von dem Unternehmen "G." geführt und betreut den Bau der "Ostsee-Pipeline". Daraufhin kam es zu einer öffentlichen Diskussion in den Medien sowie im Deutschen Bundestag über dieses Verhalten des Klägers.

Die Beklagte verlegt unter anderem die Tageszeitung "B.". In deren Ausgabe vom 12. Dezember 2005 berichtete sie unter der Überschrift "Was verdient er wirklich beim Gas-Pipeline-Projekt? - S. soll Russen-Gehalt offen legen!" auf der Titelseite über den Kläger (Anlage K 1). Die Berichterstattung wurde auf Seite 2 im Innenteil der Zeitung unter der Überschrift "Russen-Gehalt - Verdient S. mehr als eine Million Dollar im Jahr?" fortgesetzt (Anlage K 2); dort hieß es unter anderem:

"Wurde damals, gut sechs Wochen vor S.'s Ankündigung von Neuwahlen, schon über ein Engagement für den Gas-Multi gesprochen?

...-Fraktionsvize T.: 'Diese Frage muß man stellen!' T. hegt einen ungeheuerlichen Verdacht: 'Wollte S. sein Amt loswerden, weil ihm lukrative Jobs zugesagt waren? Hatte er persönliche Motive, als er in politisch aussichtsloser Lage Neuwahlen herbeiführte?'"

Der Neuwahl-Coup müsse 'heute in einem neuen Licht gesehen werden'."

Die zitierte Äußerung hatte der zitierte Politiker während eines Telefongesprächs mit Mitarbeitern der Beklagten getätigt.

Die Verbreitung der angegriffenen Äußerung ist der Beklagten zunächst im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt worden. Nachdem sie eine Abschlusserklärung nicht abgegeben hat, hat der Kläger Klage erhoben. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung verurteilt. Das Landgericht hat in der Wiedergabe des angegriffenen Zitats eine in Frageform gekleidete Vermutung gesehen, auf diese die für die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung entwickelten Grundsätze angewendet und auf dieser Grundlage wegen fehlender Anhörung des Klägers und nicht ausreichender Anknüpfungstatsachen die Verbreitung des Zitats als rechtswidrig angesehen.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. In der Berufung wiederholen und vertiefen die Parteien ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Verbreitung der angegriffenen Äußerung zulässig sei. Es handle sich um eine offene Frage, die bejaht, verneint oder dahingehend beantwortet werden könne, dass die Antwort ungewiss sei. Die Vielfalt möglicher Antworten ergebe sich bereits aus den verschiedenen Hypothesen über die Motive des damaligen Bundeskanzlers, die der zitierte Politiker in dem Bericht selbst angesprochen habe. Die - vom Landgericht vorgenommene - Anwendung der Maßstäbe der Verdachtsberichterstattung scheide aus, da sie nur auf Berichte über Straftaten Anwendung finden dürfe, die angegriffenen Zitate jedoch weder strafrechtliche Verdächtigungen behandelten noch auch nur ehrenrührig seien. Sie thematisierten vielmehr politische Entscheidungen von überragender Bedeutung und besonderer Brisanz. Deshalb bestehe ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Berichterstattung. Jedenfalls aber stehe die Äußerung des zitierten Politikers mit den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung in Einklang, weil der Ablauf der Geschehnisse hinreichende Beweistatsachen für die angegriffene Äußerung biete und die Darstellung des Sachverhalts hinreichend offen sei. Es sei nicht erforderlich gewesen, eine Stellungnahme des Klägers einzuholen, da dieser noch wenige Wochen vor dem Bericht amtierender Bundeskanzler gewesen sei und damit seine Sicht der Dinge und seine Motive jederzeit öffentlich hätte verbreiten können.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19. Januar 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger sieht in der angegriffenen Äußerung die Verbreitung einer Tatsachenbehauptung. Er habe, als er sich dazu entschieden habe, Neuwahlen herbeizuführen, keineswegs sein Amt "loswerden" wollen, noch seien ihm "lukrative Jobs" zugesagt worden.

Wegen der Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung und die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber in der Sache nicht begründet. Das Landgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Kläger gegen die Beklagte aus § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit § 823 Abs. 1 BGB und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Artt. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) ein Anspruch darauf zusteht, es zu unterlassen, die angegriffene Äußerung zu verbreiten; denn die Verbreitung des angegriffenen Zitats verletzt den Kläger bei fortbestehender Wiederholungsgefahr in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Klägers ergibt sich daraus, dass dem Leser nahe gelegt wird, der Entscheidung, Neuwahlen anzusetzen, die der Kläger in seiner Eigenschaft als Bundeskanzler getroffen hat, hätten private und eigennützige Motive zugrunde gelegen. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, der der Senat folgt und auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, hat das Landgericht seinen Erwägungen über die Zulässigkeit der Verbreitung der angegriffenen Äußerung die Grundsätze zugrunde gelegt, die für die Zulässigkeit der Verbreitung von Verdachtsäußerungen entwickelt worden sind, und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

1. Die Zulässigkeit der Verbreitung des angegriffenen Zitats richtet sich nach den Grundsätzen über die Verdachtsberichterstattung.

Dabei braucht nicht geklärt zu werden, ob es sich bei der beanstandeten Äußerung um eine echte - offene - Frage handelt oder um eine in Frageform gekleidete Tatsachenbehauptung; denn eine Verdachtsäußerung kann auch in die Form einer Frage, sogar einer echten, offenen Frage gekleidet werden. Da bei der Ermittlung des Inhalts von Äußerungen diese nicht isoliert betrachtet werden dürfen, sondern ihr Sinn aus dem Zusammenhang zu ermitteln ist, in dem sie stehen (BVerfG, Beschl. v. 9. 10. 1991, NJW 1992, S. 1442 ff., 1443 f.), kann es sich ergeben, dass auch in der Verbreitung einer echten Frage die Äußerung eines Verdachts liegt. Die Äußerungskategorien "Verdacht" und "Frage" können, wenn die Frage auf das Verhalten einer Person abzielt, inhaltlich eng beieinander liegen; der Sache nach kann umgekehrt auch die Aussage, gegen eine Person bestehe ein Verdacht, aufgefasst werden als Frage danach, ob die beschuldigte Person das getan hat, wessen sie verdächtigt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21. 3. 2007, NJW 2007, S. 2686 ff., 2688). Die Äußerung eines Verdachts in Form einer Frage ist daher nichts Ungewöhnliches; auch die Beklagte hat, worauf schon das Landgericht hingewiesen hat, in der Passage, in der die hier angegriffene Äußerung steht, die beiden Kategorien "Frage" und "Verdacht" explizit aufeinander bezogen, indem die Wiedergabe des angegriffenen Zitats wie folgt eingeleitet wird: "T.: 'Diese Frage muß man stellen!' T. hegt einen ungeheuerlichen Verdacht: ..." Auch in dem weiteren Zusammenhang der Berichterstattung der Beklagten erfüllt die Wiedergabe des angegriffenen Zitats die Funktion, dem Leser die Möglichkeit als naheliegend vor Augen zu stellen, dass der Kläger sich in vorwerfbarer Weise verhalten habe. Denn die Berichterstattung der Beklagten beschränkt sich nicht darauf, nur die Frage des zitierten Politikers wiederzugeben, die Frage bildet vielmehr den Bestandteil eines längeren Beitrags, der in seinem Aufbau die Gedanken des Lesers in eine bestimmte Richtung lenkt: Die Wiedergabe des beanstandeten Zitats wird eingeleitet mit der Mitteilung, dass der Kläger und der russische Präsident P. sich im April 2005 getroffen hatten und der daran anknüpfenden Frage, ob schon zu diesem Zeitpunkt über eine Tätigkeit des Klägers für G. gesprochen worden sei. Damit werden die Gedanken des Lesers gezielt dahin geleitet, es für möglich zu halten, dass der Kläger und der russische Präsident abgesprochen hätten, dass der Kläger nach dem Ausscheiden aus seinem Amt eine privatwirtschaftliche Stellung bei G. übernehmen werde und dass der Kläger - im Sinne einer inneren Tatsache - auf dieser Grundlage die Wahlniederlage in Nn. zum vorgeschobenen Anlass genommen habe, eine Entwicklung in Gang zu setzen, in deren Verlauf er sein Staatsamt verlieren würde. Dieser Gedankengang wird in den beiden Fragesätzen - deren Wiedergabe als Zitat eines Dritten ihnen zugleich eine Belegfunktion verleiht (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 21. 3. 2007, NJW 2007, S. 2686 ff., 2688) - akzentuiert, indem die erste der zitierten Fragen die beiden Komponenten - die äußere Tatsache des dem Kläger möglicherweise unterbreiteten Angebots und die innere Tatsache der auf einem solchen Angebot aufbauenden Planung ("Wollte S. sein Amt loswerden, weil ihm lukrative Jobs zugesagt waren?") - noch einmal auf den Punkt bringt und die zweite Frage das Verwerfliche eines solchen Verhaltens - das Treffen einer die Gesamtheit betreffenden politischen Entscheidung aus einem privat-persönlichen Motiv heraus ("Hatte er persönliche Motive, als er in politisch aussichtsloser Lage Neuwahlen herbeiführte?") - herausstellt. Bestärkt wird die Richtung, in die die Gedanken des Lesers geleitet werden, dadurch, dass das erörterte Verhalten des Klägers in dem folgenden Satz nicht nur mit der Vokabel "Neuwahl-Coup" bezeichnet wird, wodurch Assoziationen zu einer durch planvolle Täuschung der beteiligten Kreise vorbereiteten Überraschungstat geweckt werden, sondern auch gesagt wird, dass dieser "Coup" nunmehr "in einem neuen Licht gesehen werden" müsse.

Die Anwendung der Grundsätze über die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung scheidet nicht deswegen aus, weil das in den Raum gestellte Verhalten des Klägers keine Straftat ist. Diese Grundsätze müssen vielmehr auch dann zur Anwendung kommen, wenn der Vorwurf, sich so, wie es in der Berichterstattung erörtert wird, verhalten zu haben, geeignet ist, das Ansehen des Betroffenen herabzusetzen (s. z.B. KG, Urt. v. 2. 7. 2007, AfP 2007, S. 576 f.); denn abgesehen davon, dass der Kreis dessen, was der Gesetzgeber als strafbar ansieht, sich beständig ändert und auch regionalen Unterschieden unterliegt, dienen die Anforderungen, die für die Zulässigkeit einer Verdachtsberichterstattung entwickelt worden sind, dem Zweck, den Betroffenen vor einer Vorverurteilung durch die Medien im Sinne der Verhängung eines sozialen und moralischen, nicht aber eines juristischen Unwerturteils zu schützen. Durch die angegriffene Äußerung wird der Kläger einer solchen Verdächtigung ausgesetzt, die in ihrem sozialen Unwertgehalt ganz erheblich ist. Die von der Beklagten mit der Wiedergabe des Zitats verbreitete Vermutung, der Kläger habe sich seines Amtes entledigen wollen, weil ihm für den Fall des Ausscheidens aus seinem Amt eine lukrative Stellung in der Privatwirtschaft angeboten worden sei, ist schon deshalb ehrenrührig, weil sie dem Leser sowohl nahe legt, dass der Kläger die Öffentlichkeit und die Wähler über seine Motive für die Herbeiführung von Neuwahlen belogen haben könnte, als auch, dass er das Gemeinwohl, dem er in seiner Stellung verpflichtet war (s. nur Art. 64 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 56 GG), aus eigenen finanziellen Interessen vernachlässigt habe. Ein solcher Vorwurf an den - ehemaligen - Inhaber eines höchsten Staatsamtes gehört zu den am schwersten wiegenden Vorwürfen, die gegen einen Amtsinhaber überhaupt erhoben werden können. Dass auch die Beklagte selbst das im Zeitpunkt der Veröffentlichung der angegriffenen Äußerung so gesehen hat, ergibt sich, worauf schon das Landgericht hingewiesen hat, daraus, dass die Beklagte das Äußern der zitierten Fragen in ihrem Beitrag selbst damit beschreibt, der zitierte Politiker hege einen "ungeheuerlichen" Verdacht.

2. Die Beklagte hat bei Verbreitung der angegriffenen Äußerung die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung nicht hinreichend beachtet.

Eine zulässige Verdachtsberichterstattung setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 7. 12. 1999, BGHZ 143, 199 ff. = NJW 2000, 1036 ff., 1036 f.) voraus, dass ein Mindestbestand an Beweistatsachen gegeben ist, die Darstellung des Sachverhalts in einer objektiven Darstellung erfolgt, die sowohl die den Betroffenen belastenden Umstände wiedergibt wie die ihn entlastenden, dass grundsätzlich eine Stellungnahme des Betroffenen zu dem gegen ihn erhobenen Vorwurf eingeholt worden ist, dass ein berechtigtes öffentliches Interesse an dem Gegenstand der Berichterstattung besteht sowie dass eine den Anforderungen an die pressemäßige Sorgfalt genügende Recherche stattgefunden hat.

Tatsächlicher Gegenstand des von der Beklagten verbreiteten Verdachtes ist eine innere Tatsache, nämlich das Motiv des Klägers dafür, im Mai 2005 vorzeitige Neuwahlen zum Deutschen Bundestag anzusetzen. Daran, dass ein hinreichendes öffentliches Interesse an diesem Gegenstand der Berichterstattung besteht, kann mit dem Landgericht nicht gezweifelt werden. Die Hintergründe wichtiger politischer Entscheidungen durch die Inhaber höchster Staatsämter sind selbstverständlich tauglicher Gegenstand öffentlicher Erörterungen. Der Beklagten ist weiter zuzugestehen, dass auch Tatsachen gegeben sind, die es rechtfertigen, über einen Verdacht der von der Beklagten verbreiteten Art zu berichten; hierfür bot der äußere Geschehensablauf einen geeigneten Anlass, nachdem der Kläger sich in seiner Amtszeit für den Bau der "Ostsee-Pipeline" eingesetzt hatte, sich im April 2005 mit dem russischen Präsidenten P. anlässlich eines eigentlich privatwirtschaftlichen Aktes des vom russischen Staat beherrschten Unternehmens G. getroffen hatte, im Mai 2005, als die ... Partei ... sich aufgrund des Ausgangs der Landtagswahlen im Bundesland Nn. in einem Stimmungstief befand, entschied, dass vorzeitig Neuwahlen zum Deutschen Bundestag angesetzt werden sollen, das Ergebnis dieser Wahlen dazu führte, dass der Kläger sein Amt verlieren würde, und schließlich nach den Wahlen, aber noch vor dem Ende der Amtszeit des Klägers im November 2005 bekannt wurde, dass der Kläger eine - hoch dotierte - Stellung in einem von dem Unternehmen G. beherrschten Konsortium erhalten würde. Dies alles rechtfertigt es umso mehr, die Frage zu stellen, wie es dazu kam, dass der Kläger diese Stellung antreten konnte, als - worauf die Beklagte zu Recht hinweist - diese Vorgänge den originären Bereich politischer Willensbildung betreffen. In diesem Bereich dürfen die Anforderungen an das Vorliegen von eine hinterfragende Berichterstattung rechtfertigenden Umständen nicht zu hoch angesetzt werden, weil anderenfalls die Gefahr bestünde, dass den Medien in der Darstellung und Beurteilung der Verhaltensweisen von Politikern so enge Grenzen gezogen würden, dass die öffentliche Diskussion, die zu artikulieren eine wesentliche Aufgabe der Massenmedien ist, eingeengt würde auf die Fälle, in denen sich Verdachtsmomente bereits verdichtet haben. Das aber ist in diesem Bereich nicht angezeigt; denn wer, wie das bei Politikern der Fall ist, öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zieht, muss sich auch gefallen lassen, dass die Schwelle, ab der sein Verhalten hinterfragt wird, niedriger liegt, als bei einer Person, die ihr Verhalten nicht auf ein öffentliches Wirken anlegt.

Woran es der angegriffenen Veröffentlichung fehlt, ist indessen das Erfordernis der Objektivität und Ausgewogenheit der Darstellung. Die Darstellung des Sachverhalts, aus dem der Vorwurf gegen den Betroffenen abgeleitet wird, darf keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten. Das ist nicht erst dann der Fall, wenn sie durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erweckt, dass feststehe, dass der Betroffene getan habe, was ihm vorgeworfen werde, sondern schon dann, wenn die Berichterstattung im Wege einer auf Sensationen ausgehenden, bewusst einseitigen oder verfälschenden Darstellung erfolgt, in der die für den Betroffenen sprechenden Umstände und Argumente nicht berücksichtigt werden (BGH aaO.). Letzteres trifft, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, auf die angegriffene Berichterstattung zu. In dieser werden die gegen die Berechtigung des Verdachts und für den Betroffenen sprechenden Umstände ausgeblendet, indem in ihr ausschließlich die - oben aufgelisteten - gegen den Kläger sprechenden Verdachtsmomente wiedergegeben und in dem angegriffenen Zitat gewissermaßen fokussiert werden. Umstände, die darauf hindeuten, dass die Motivation des Klägers eine andere gewesen sein kann als die, die in dem angegriffenen Zitat insinuiert wird, werden in der Berichterstattung nicht erwähnt, so etwa, dass der Ausgang der Wahlen zum nn.'schen Landtag das Ansehen der Regierungsmehrheit auf Bundesebene erheblich geschwächt hatte und daher als Anlass, die Wähler auf Bundesebene entscheiden zu lassen, ob sie die bestehende Mehrheit im Bundestag weiterhin wollten, in Betracht kam. Unerwähnt bleibt weiter, dass der Kläger sich im Wahlkampf nicht resignativ, sondern aktiv und kämpferisch gezeigt hatte und dass Hinweise von dem Kläger politisch oder persönlich nahe stehenden Personen darauf, dass ihn gleichsam sachfremde Erwägungen dazu veranlasst hätten, Neuwahlen anzusetzen, zu keinem Zeitpunkt bekannt geworden sind. Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass diese Umstände den Lesern im Zeitpunkt der Veröffentlichung der angegriffenen Äußerung noch so präsent gewesen wären, dass ihre Wiedergabe nicht notwendig gewesen sei; dem steht schon entgegen, dass die Berichterstattung, die die angegriffene Äußerung enthält, in ihrer Gesamtheit - wie ausgeführt - darauf angelegt war, die Gedanken des Lesers von einem etwaigen Vorwissen weg zu führen und ihm in solcher Weise einen Sachverhalt nahe zu legen, in dem alle Umstände gegen den Kläger sprechen, dass der Leser keinen Anlass mehr zu einer eigenen Reflexion darüber sah, ob nicht außerhalb des ihm von der Beklagten geschilderten Geschehens Umstände vorliegen könnten, die die ihm präsentierte Sichtweise in Frage stellen könnten. Von dem Erfordernis einer ausgewogenen Schilderung des Sachverhalts darf auch nicht deshalb abgesehen werden, weil es sich bei dem Gegenstand der Berichterstattung um eine Frage handelt, die in hohem Maße öffentliche Interessen berührt. Der Beklagten bleibt es ja unbenommen, das Verhalten des Klägers zu kritisieren; wenn sie aber ihre Kritik, die mit der Erhebung eines äußerst schweren Vorwurfs verbunden ist, an einen bestimmten Sachverhalt knüpft - wie die Erwägung, der Kläger habe eine wichtige politische Entscheidung aus eigennützigen wirtschaftlichen Interessen getroffen -, ist sie in ihrer Tätigkeit als Massenmedium nicht erheblich beeinträchtigt, wenn von ihr verlangt wird, in ihrer Darstellung auch hinreichend deutlich machen, dass offen ist, ob dieser Sachverhalt tatsächlich gegeben ist.

Zu Recht hat das Landgericht weiter beanstandet, dass der Berichterstattung durch die Beklagte die hinreichende Recherche fehlt. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob der von der Beklagten zitierte Politiker verpflichtet gewesen sein mag, vor der Formulierung seiner Fragen entsprechende Recherchen anzustellen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 9. 10. 1991, NJW 1992, S. 1442 ff., 1444; zu Verdachtsäußerungen von Privatpersonen s. nunmehr auch BVerfG, Beschl. v. 21. 3. 2007, NJW 2007, S. 2686 ff., 2688). Jedenfalls dann, wenn - und sei es durch Wiedergabe von Äußerungen Dritter - in einem redaktionell gestalteten Presseorgan wie der von der Beklagten verlegten Tageszeitung der schwere Vorwurf eines erheblichen Fehlverhaltens öffentlich erörtert werden soll, erfordert es die pressemäßige Sorgfalt, den Sachverhalt vor der Veröffentlichung im Rahmen des Möglichen weiter aufzuklären (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21. 3. 2007, NJW 2007, S. 2686 ff., 2688). Anknüpfungspunkte für solche Recherchen waren in ausreichender Zahl vorhanden, indem durch Nachfragen an das - in der Schweiz ansässige - Konsortium, in dessen Aufsichtsrat der Kläger eingetreten ist, an Mitarbeiter des Klägers oder den Kläger selbst hätte versucht werden können zu ermitteln, wann die von dem Kläger eingenommene Stellung überhaupt geplant und geschaffen worden ist, wann der Kläger von der Existenz einer solchen Stellung erfahren hat und wann und von wem ihm tatsächlich in Aussicht gestellt worden ist, dass er diese Stellung würde einnehmen können. Dass Verdächtigungen ähnlichen Inhalts auch in anderen Medien geäußert worden sein mögen, vermochte die Beklagte - wie sonst auch - nicht von eigener Recherchetätigkeit zu entlasten. Unzureichend war die Recherche auch deswegen, weil die Beklagte nicht eine Stellungnahme des Klägers selbst eingeholt hat. Ob dies in jedem Fall einer Verdachtsberichterstattung erforderlich ist (möglicherweise hieran zweifelnd BVerfG, Beschl. v. 21. 3. 2007, NJW 2007, S. 2686 ff., 2688), kann dahinstehen. Jedenfalls in einem Fall, in dem öffentlich Vermutungen über das Vorliegen einer inneren Tatsache bei einer Person verbreitet werden, die erreichbar ist, ist die Anfrage bei dem Betroffenen selbst unverzichtbar, wenn das Publikationsorgan den Grundsätzen der pressemäßigen Sorgfalt genügen will; denn in diesem Fall bildet das Wissen des Betroffenen selbst die einzige primäre Erkenntnisquelle. Auch der Umstand, dass der von der Beklagten mit Verbreitung der angegriffenen Zitate geäußerte Verdacht besonders schwer wiegend ist, lässt es als zwingend erscheinen, vor seiner Verbreitung dem Betroffenen die Möglichkeit zu geben, sich hierzu zu äußern.

3. Das Landgericht hat schließlich zu Recht das Verbot auf die konkrete Äußerung beschränkt. Denn die von der Beklagten verbreiteten Zitate enthielten in konzentrierter Form alle Elemente, die die Unzulässigkeit der konkreten Verdachtsberichterstattung ausmachen, nämlich die Beschreibung der (inneren) Tatsache, auf deren Vorliegen sich der geäußerte Verdacht bezieht ("Wollte S. sein Amt loswerden, weil ihm lukrative Jobs zugesagt waren? Hatte er persönliche Motive ...?"), die Beschränkung auf die ausschließlich gegen den Kläger sprechenden Sachverhaltselemente und deren tendenziöse Darstellung ("lukrative Jobs zugesagt", "in politisch aussichtsloser Lage Neuwahlen") sowie das Fehlen der Wiedergabe entlastender Momente und einer Stellungnahme des Klägers.

4. Die den Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB auslösende erforderliche Wiederholungsgefahr ist durch die bereits erfolgte Rechtsverletzung indiziert.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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