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Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 15.08.2005
Aktenzeichen: Ausl 13/05
Rechtsgebiete: IRG, EuAlÜbk
Vorschriften:
IRG § 16 Abs. 2 | |
EuAlÜbk Art 16 Abs. 4 |
2. Die Frist für die vorläufige Auslieferungshaft gemäß § 16 Abs. 2 IRG oder Art 16 Abs. 4 Satz 1, 2. Halbsatz EuAlÜbk. beginnt auch in Verfahren, die nach der Nichtigkeitserklärung des Bundesverfassungsgerichtes umgestellt werden mussten, mit der Ergreifung oder der vorläufigen Festnahme des Verfolgten und nicht erst ab dem Zeitpunkt der Nichtigkeitserklärung des Bundesverfassungsgerichts oder der Umstellungsentscheidung des OLG zu laufen.
Hanseatisches Oberlandesgericht 1. Strafsenat Beschluß
Geschäftszeichen: Ausl 13/05
In der Sache
betreffend die Auslieferung des iranischen und us-amerikanischen Staatsangehörigen A. R. geboren am
hat der 1. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 15. August 2005 durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Schudt den Richter am Oberlandesgericht Stephani den Richter am Amtsgericht Rußer
beschlossen:
Tenor:
Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 8. Juli 2005 sowie der die vorläufige Auslieferungshaft anordnende Senatsbeschluß vom 28. Juli 2005 werden aufgehoben.
Der Verfolgte ist am 16. August 2005 aus der Haft zu entlassen.
Tatbestand:
Der Verfolgte A. R. , der entweder iranischer oder us- amerikanischer Staatsangehöriger ist, sollte aufgrund eines Auslieferungsersuchens der spanischen Justizbehörden an das Königreich Spanien zum Zwecke der Strafverfolgung ausgeliefert werden. Gegen ihn besteht in Spanien der Verdacht der Geldwäsche und der Steuerhinterziehung. Aufgrund einer alle Anforderungen des § 83a Abs. 1 IRG erfüllenden Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) erließ das OLG gegen den am 7. Juli 2005 vorläufig festgenommenen Verfolgten einen endgültiger Auslieferungshaftbefehl gemäß §§ 1 Abs. 4, 15 Abs. 1 Nr. 1, 17 IRG. Nachdem das Bundesverfassungsgericht am 18. Juli 2005 die Bestimmungen über den Europäischen Haftbefehl (EuHbG) für nichtig erklärt hatte, stellte der Senat den endgültigen Auslieferungshaftbefehl am 28. Juli 2005 auf einen vorläufigen Auslieferungshaftbefehl gemäß Art. 16 EuAlÜbk. um. Die spanischen Behörden waren mit Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg vom 21. Juli 2005 über das BKA auf die geänderte Rechtslage hingewiesen worden. Sie wurden um Übersendung der in Art. 12 EuAlÜbk. bezeichneten Auslieferungsunterlagen in deutscher Sprache ersucht. Die spanischen Behörden wurden in dem Schreiben gleichzeitig auf die seit der vorläufigen Festnahme laufende Frist von 40 Tagen gemäß Art. 16 Abs. 4 Satz 1 EuAlÜbk. hingewiesen. Die Auslieferungsunterlagen gingen bis zum Ablauf der Frist am 15. August 2005 nicht beim Senat ein.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Fortdauer der vorläufigen Auslieferungshaft bis längstens zum 5. September 2005 zu beschließen. Nach ihrer Auffassung sei die 40- Tage Frist für die vorläufige Auslieferungshaft nicht ab dem Zeitpunkt der Festnahme, sondern ab dem Zeitpunkt der Umstellung auf den vorläufigen Haftbefehl (28. Juli 2005) zu berechnen.
Der Senat ist dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nicht gefolgt und hat den Auslieferungshaftbefehl vom 8. Juli 2005 und den vorläufigen Auslieferungshaftbefehl vom 28. Juli 2005 wegen Überschreitung der 40- Tage Frist aufgehoben und die Entlassung des Verfolgten aus der Auslieferungshaft angeordnet.
Gründe:
Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 28. Juli 2005 in der Fassung des Senatsbeschlusses vom 8. Juli 2005 ist gemäß Art. 16 Abs. 4 S. 1 HS 2 EuAlÜbk aufzuheben, weil die Frist von 40 Tagen, innerhalb der die in Art. 12 Abs. 2 EuAlÜbk erwähnten Unterlagen vorliegen müssen, mit Ablauf des 15. August 2005 endet, die Auslieferungsunterlagen jedoch (bisher) nicht eingetroffen sind.
Nachdem das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz - EuHbG) vom 21. Juli 2004 durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 18. Juli 2005 für nichtig erklärt worden ist, richtet sich der Auslieferungsverkehr mit dem Königreich Spanien wieder nach den bis zum Inkrafttreten des EuHbG geltenden Vorschriften des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (EuAlÜbk). Nach Art. 16 Abs. 4 S. 1 HS 2 EuAlÜbk darf die vorläufige Haft in keinem Fall vierzig Tage vom Zeitpunkt der Verhaftung (hier: die vorläufige Festnahme am 7. Juli 2005; vgl. Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl., Art. 16 EuAlÜbk Rn. 7 m.w.N. zur Festnahme als rechtliche Verhaftung i.S.d. Art. 16 Abs. 4 EuAlÜbk) an überschreiten. Maßgeblich für den Fristbeginn ist nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Norm allein der Zeitpunkt der Verhaftung. Auf das Datum des Urteils des BVerfG kommt es nicht an. Das BVerfG hat das gesamte EuHbG für nichtig erklärt und auch keine Übergangsregelungen für laufende Auslieferungsverfahren getroffen, die auf das EuHbG gestützt worden sind. Damit ist rückwirkend die Grundlage für den Erlaß des Auslieferungshaftbefehls vom 8. Juli 2005 entfallen. Zwar steht die (erneute) Notwendigkeit der Übersendung der in Art. 12 Abs. 2 EuAlÜbk genannten Unterlagen erst seit der Entscheidung des BVerfG fest, so daß die mangelnde Einhaltung der Frist nicht auf ein verzögerliches Verhalten des ersuchenden oder des ersuchten Staates zurückzuführen ist. Dies ändert indes nichts an den strengen Anforderungen der Vorschrift des Art. 16 Abs. 4 EuAlÜbk, die einer erweiternden Auslegung zu Lasten des Verfolgten nicht zugänglich ist.
Allerdings gilt Art. 16 Abs. 4 EuAlÜbk nur für die vorläufige Auslieferungshaft. Im vorliegenden Verfahren hat der Senat die zunächst aufgrund der Ausschreibung des Verfolgten zur Festnahme und Auslieferung im Schengener Informationssystem (SIS), die alle in § 83a Abs. 1 IRG vorgeschriebenen Angaben enthielt und nach § 83a Abs. 2 IRG als Europäischer Haftbefehl galt, gemäß §§ 1 Abs. 4, 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG angeordnete formelle Auslieferungshaft erst durch Beschluß vom 28. Juli 2005 als vorläufige Auslieferungshaft fortdauern lassen. Gleichwohl begann die Frist des Art. 16 Abs. 4 S. 1 HS 2 nicht erst mit dem 28. Juli 2005 zu laufen. Vielmehr ist die vorangegangene - als formelle Auslieferungshaft bezeichnete - Haftzeit mitzuberücksichtigen. Die vorläufige unterscheidet sich von der formellen Auslieferungshaft im wesentlichen nur dadurch, daß bei Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft die Auslieferungsunterlagen noch nicht eingegangen sind, während diese bei Erlaß des (formellen) Auslieferungshaftbefehls vorliegen müssen. Nach der verbindlichen Entscheidung des BVerfG bilden die Vorschriften des EuHbG keine wirksame Rechtsgrundlage für die Auslieferung, so daß der Europäische Haftbefehl (bzw. die qualifizierte Ausschreibung im SIS) - bis zu einer den verfassungsgerichtlichen Vorgaben entsprechenden Neufassung des EuHbG - (jedenfalls vorerst) keine Auslieferungsgrundlage darstellt und deshalb auf die Übermittlung der in Art. 12 Abs. 2 EuAlÜbk genannten Unterlagen nicht verzichtet werden kann. Wegen der Rückwirkung der Nichtigerklärung des EuHbG fehlt es seit der Festnahme des Verfolgten durchgehend an den Voraussetzungen für den Erlaß eines (endgültigen formellen) Auslieferungshaftbefehls. Der Verfolgte ist deshalb so zu behandeln, als habe er sich seit seiner Festnahme am 7. Juli 2005 die ganze Zeit über in vorläufiger Auslieferungshaft befunden. Dann aber läuft die 40-Tagesfrist mit Ablauf der 15. August 2005 ab, so daß der Verfolgte am 16. August 2005 aus dieser Haft zu entlassen ist.
Ende der Entscheidung
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