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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 11.11.2003
Aktenzeichen: II - 104/03
Rechtsgebiete: StGB, StPO, SGB I


Vorschriften:

StGB § 13 Abs. 1
StGB § 263 Abs. 1
StPO § 264 Abs. 1
SGB I § 60 Abs. 1

Entscheidung wurde am 27.01.2004 korrigiert: Position von Verfahrensgang wurde korrigiert
1. Die Pflicht des Empfängers von Sozialleistungen zur Mitteilung von Änderungen der leistungserheblichen Verhältnisse (hier: Arbeitsaufnahme) nach § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB I ist erst erfüllt, wenn die Mitteilung den für die Leistungsbewilligung zuständigen Sachbearbeiter des Leistungsträgers erreicht hat.

2. Die Pflicht des Empfängers von Sozialleistungen zur Mitteilung von erstattungserheblichen Umständen (andauernder Eingang von Sozialleistungen) nach § 60 Abs. 1 S. 2 SGB I besteht jedenfalls dann nicht, wenn noch kein Verwaltungsverfahren zur Prüfung, ob der Empfänger erhaltene Sozialleistungen zu erstatten hat, eingeleitet ist.

3. Zur Frage, ob der gegen einen Empfänger von Arbeitslosengeld erhobene Betrugsvorwurf der pflichtwidrigen Nichtmitteilung der Arbeitsaufnahme an das Arbeitsamt dieselbe Tat im verfahrensrechtlichen Sinne wie die Nichtmitteilung des - trotz erfolgter Unterrichtung über die Arbeitsaufnahme - andauernden Einganges des Arbeitslosengeldes beinhaltet.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT 2.Strafsenat Beschluss

II-104/03

In der Strafsache

hier betreffend Revision des Angeklagten gegen das Urteil der Kleinen Strafkammer 10 des Landgerichts Hamburg vom 5. Mai 2003

hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 11. November 2003 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Harder den Richter am Oberlandesgericht Dr. Augner die Richterin am Landgericht Woitas

einstimmig gem. § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 10, vom 5. Mai 2003 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Hamburg zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Dem Angeklagten liegt aufgrund der Anklageschrift vom 29. November 2002 zur Last, einen Betrug begangen zu haben, in dem er "in der Zeit vom 04.08.2001 bis 24.02.2002" als Empfänger von Arbeitslosengeld dem Arbeitsamt unter Verletzung seiner ihm bekannten Anzeigepflicht nicht mitteilte, am 01. und 06. August 2001 entgeltliche Tätigkeiten bei zwei Unternehmen aufgenommen zu haben, und dadurch € 6.580,12 zu Unrecht gezahlt erhielt. Mit Eröffnungsbeschluss vom 03. Februar 2003 hat das Amtsgericht Hamburg die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 27. Februar 2003 wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt. Dagegen hat der Angeklagte am 04. März 2003 Berufung eingelegt.

Das Landgericht Hamburg hat am 05. Mai 2003 die Berufung des Angeklagten "unter Abänderung des Bewährungsbeschlusses und Ergänzung der Liste der Strafvorschriften" verworfen. Der Verurteilung wegen Betruges durch Unterlassen liegt zugrunde, dass nach der unwiderlegt gelassenen Einlassung des Angeklagten dieser am 4. August 2001 oder in den Tagen danach sowie Anfang September 2001 Mitarbeiter des Arbeitsamtes über die Arbeitsaufnahme vom 04. August 2001 unterrichtet hatte, aber - wie positiv festgestellt - nach im Juni 2002 erfolgter Kenntniserlangung von gleichwohl erfolgten Überweisungen von insgesamt € 6.580,12 Arbeitslosengeld für die Zeit vom 04. August 2001 bis zur Anspruchserschöpfung am 24. Februar 2002 er in Kenntnis von einer Offenbarungspflicht (§ 60 Abs. 1 S. 2 SGB I) das Arbeitsamt nicht über die Überweisungseingänge unterrichtete, sondern das Geld abhob und für die Befriedigung anderer Gläubiger verwendete. Die gegen das Berufungsurteil am 09. Mai 2003 eingelegte Revision des Angeklagten ist mit Verteidigerschriftsätzen am 09. Mai 2003 und - nach Urteilzustellung vom 02. Juli 2003 - am 12. August 2003 begründet worden; gestützt auf die Sachrüge, werden die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Sache beantragt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat auf Verwerfung der Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO angetragen.

II.

Die Revision des Angeklagten ist zulässig (§§ 333, 341 Abs. 1, 344, 345 StPO); insbesondere ist die bei Einlegung des Rechtsmittels erfolgte Revisionsbegründung fristgerecht, wohingegen die am 12. August 2003 eingegangene ergänzende Revisionsbegründung verspätet ist.

Die Revision erweist sich aufgrund der allgemeinen Sachrüge als begründet und führt zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen sowie zur Zurückverweisung der Sache. Die bisher getroffenen Feststellungen tragen keine Verurteilung wegen Betruges (§ 263 StGB).

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts scheidet eine Verwirklichung des Betrugstatbestandes durch positives Tun aus.

a) Zwar hat der Angeklagte am 02. August 2001 - also zwei Tage vor der Arbeitsaufnahme (den Beginn eines weiteren Arbeitsverhältnisses, wie mit der Anklage zur Last gelegt, schon am 01. August 2001 hat das Landgericht nicht festgestellt) - beim Arbeitsamt wegen seines Anspruches auf Arbeitslosengeld vorgesprochen und dabei seine frühere Angabe zur Nummer des Kontos, auf das das Arbeitslosengeld überwiesen werden sollte, berichtigt. Das Landgericht hat jedoch weder eine schon am 02. August 2001 vorhandene Kenntnis des Angeklagten von dem am 04. August 2001 beginnenden Arbeitsverhältnis noch eine Bezugnahme des Angeklagten auf künftige Leistungsabschnitte - statt nur der Zeit vom 29. Juni bis 30. Juli 2001, für die die Überweisung gescheitert war - bei der Angabe der berichtigten Kontonummer festgestellt.

b) Auch hat der Angeklagte nicht dadurch aktiv getäuscht, dass er über die auf dem Bankkonto eingegangenen Geldbeträge - in Kenntnis der fehlenden Anspruchsberechtigung gegenüber dem Arbeitsamt - zu eigenen Zwecken bzw. zur Befriedigung anderer Gläubiger verfügt hat. Bei wirksamer, aber irrig motivierter (Fehl-)Überweisung beinhaltet die Abhebung des Geldes grundsätzlich keine Täuschung des Überweisenden (vgl. BGHSt 39, 392; Lackner/Kühl, StGB, 24. Aufl., § 263 Rdn. 9); speziell die Abhebung einer Unterstützungsleistung enthält keine konkludente Vortäuschung, dass die Voraussetzungen für die Unterstützung noch vorliegen bzw. vorgelegen haben (vgl. Tröndle/Fischer StGB, 51. Aufl., § 263 Rdn. 23). Vielmehr nutzt der Abhebende lediglich den bei den Mitarbeitern des Arbeitsamtes bereits bestehenden Irrtum aus; dieses Verhalten wird von § 263 StGB nicht erfasst (vgl. OLG Köln in NJW 1984, 1979 m.w.N.).

2. Der Angeklagte hat den Straftatbestand des Betruges nach den bisherigen Feststellungen auch nicht durch Unterlassen einer gebotenen Handlung verwirklicht (§§ 263 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB).

a) Eine Garantenpflicht kraft Gesetzes ergibt sich aus § 60 Abs. 1 S. 1 SGB I, wonach derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, unter anderem alle Änderungen in den leistungserheblichen Verhältnissen unverzüglich mitzuteilen hat.

Leistungserheblich war hier die Arbeitsaufnahme. Deren Anzeige an das Arbeitsamt ist eine empfangsbedürftige Wissenserklärung. Der in § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB I normierten Mitwirkungspflicht ist erst genüge getan, wenn die Anzeige dem für Leistungsbewilligung und -widerruf zuständigen Mitarbeiter des Arbeitsamtes zugeht (vgl. OLG Köln, a.a.O.., und in NStZ 2003, 374). Deshalb ist eine in Lauf gesetzte Mitteilung gegebenenfalls zu wiederholen, wenn dem Leistungsempfänger - z.B. aufgrund fortdauernder Zahlungen - bewusst wird, dass die Mitteilung den zuständigen Sacharbeiter nicht erreicht hat (vgl. OLG Stuttgart in Justiz 1992, 185; siehe auch Ambs in Erbs-Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, SGB III § 404 Rdn. 186); wie häufig Anzeigen gegebenenfalls zu wiederholen sind, ist eine Frage der Zumutbarkeit im Einzelfall (OLG Stuttgart, a.a.O.).

Nach der durch das Landgericht unwiderlegt gelassenen Einlassung des Angeklagten hat dieser die Arbeitsaufnahme am 04. August 2001 oder "ein paar Tage später" einem Mitarbeiter am Informationsschalter des Arbeitsamtes mitgeteilt. Dass die Mitteilung nicht an den zuständigen Leistungssachbearbeiter gelangt ist, hat - nach dem Einlassungszusammenhang - auch der Angeklagte erkannt, denn er wiederholte die Mitteilung Anfang September 2001 telefonisch. Ob er dabei mit dem zuständigen Sachbearbeiter gesprochen hat, ist nicht festgestellt worden. Wegen dieser Lücke entzieht es sich der rechtlichen Bewertung, ob der Angeklagte seiner Pflicht aus § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB I zur Mitteilung der Arbeitsaufnahme genügt oder gegen seine Garantenpflicht in die Unterlassungstäterschaft begründender Weise verstoßen hat.

Entsprechendes gilt in subjektiver Hinsicht für die vom Landgericht unwiderlegt gelassene Einlassung des Angeklagten, er sei davon ausgegangen, sein Arbeitgeber habe die Arbeitsaufnahme am 11. September 2001 der Allgemeinen Ortskrankenkasse mitgeteilt und diese werde eine Kontrollmitteilung an das Arbeitsamt schicken.

b) Damit ist auch eine Garantenpflicht aus Ingerenz zur Mitteilung nunmehr nicht der Arbeitsaufnahme, sondern des Einganges weiteren Arbeitslosengeldes auf dem Bankkonto nicht dargetan. Ingerenz setzt eine durch vorausgegangenes eigenes Tun oder Unterlassen (mit)geschaffene Gefahrenlage voraus (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O.., § 13 Rdn. 11 m.w.N.). Eine Pflichtwidrigkeit des vorherigen Verhaltens ergibt sich jedoch aus den Feststellungen nicht. Der Angeklagte war zunächst wirklich arbeitslos und hatte bis 03. August 2001 Anspruch auf Arbeitslosengeld. Ob er anschliessend pflichtwidrig die Mitteilung der Arbeitsaufnahme unterlassen hatte, ist wegen der unter lit. a) aufgezeigten Feststellungslücke nicht ersichtlich.

c) Eine Garantenpflicht zur Mitteilung des im Juni 2002 vom Angeklagten bemerkten Einganges der € 6.580,12 auf dem Bankkonto ergibt sich entgegen der Auffassung des Landgerichts auch nicht aus § 60 Abs. 1 S. 2 SGB I.

aa) Diese Vorschrift bestimmt, dass die Anzeigepflicht nach § 60 Abs. 1 S. 1 SGB I entsprechend für denjenigen, "der Leistungen zu erstatten hat", gilt. Die Auslegung der Vorschrift ergibt, dass sie zumindest ein bereits eingeleitetes Verwaltungsverfahren zur Prüfung der Erstattungspflicht (Lüge in Aye/Bley/Göbelmann/Gurgel/Müller/Schroeter, SGB/Sozialversicherung, § 60 SGB I Anm. 4), wenn nicht sogar eine schon dem Grunde nach feststehende Erstattungspflicht (Hauck/Heines, SGB I, Stand 5/02, § 60 Rdn. 4, 21) voraussetzt.

Der Wortlaut der Vorschrift stellt darauf ab, dass der Pflichtige Leistungen zu erstatten "hat". Ob damit die materiell-rechtliche Erstattungspflicht gemeint ist (so möglicherweise Kretschmer in Kretschmer/von Maydell/Schellhorn, GK-SGB I, 3. Aufl., § 60 Rdn. 7: Leistungsempfänger, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zur Rückgewähr einer Sozialleistung verpflichtet sind) oder ein Verwaltungsakt im Sinne des § 50 Abs. 3 SGB X - wonach die zu erstattende Leistung durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen ist, der, sofern die Leistung aufgrund eines Verwaltungsaktes erbracht worden ist, mit der Aufhebung dieses Verwaltungsaktes verbunden werden soll - vorausgesetzt wird, erschliesst sich aus dem Wortsinn nicht eindeutig.

Die Gesetzesmaterialien sind unergiebig. Der Satz 2 des § 60 Abs. 1 SGB I ist durch § 28 Nr. 2 Bundeserziehungsgeldgesetz vom 6. Dezember 1985 (BGBl I, 2154) eingefügt worden aufgrund einer Beschlussempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit zum Regierungsentwurf des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BT-Drs. 10/4148, S. 18). Zum Zweck der Gesetzesergänzung führt der Ausschussbericht aus (BT-Drs. 10/4212, S. 7), es werde klargestellt, dass die Mitwirkungspflichten auch für den Fall von Erstattungen gelten.

Dem Schrifttum zufolge beinhaltet § 60 Abs. 1 S. 2 SGB I eine restriktiv handzuhabende Ausnahmevorschrift (Hauck/Haines, a.a.O., Rdn. 21). - Der systematische Vergleich mit Satz 1, der "entsprechend" anzuwenden ist, bestätigt, dass jedenfalls ein schon laufendes Verwaltungsverfahren gefordert wird. Satz 1 setzt einen Antrag auf Sozialleistungen oder deren Empfang ("erhält"; gemeint sind Fälle, in denen eine Leistung bereits erbracht oder festzustellen ist, so Begründung zum Regierungsentwurf eines SGB-AT in BT-Drs. 7/868 S. 33) voraus, also ein schon laufendes Leistungs(prüfungs)verfahren. Dem korrespondiert es, zu Satz 2 gleichfalls ein schon laufendes Erstattungs(prüfungs)verfahren zu verlangen.

Folglich ist § 60 Abs. 1 S. 2 SGB I nicht dazu bestimmt, durch eine Pflicht zur Anzeige dem Leistungsträger erst diejenigen Informationen zu vermitteln, die er zur Einleitung eines Erstattungsverfahrens benötigt (vgl. Hauck/Haines, a.a.O., Rdn. 4 a. E.), sondern dient allenfalls dazu, in einem schon laufenden Erstattungsverfahren eine Mitteilungspflicht zu begründen. Diesem Verständnis steht die im Revisionsverfahren ergangene Entscheidung des OLG Hamm vom 13. Januar 1987 (in NJW 1987, 2245) nicht entgegen; dort ist die Anwendung des § 60 Abs. 1 S. 2 SGB I dahingestellt geblieben, weil der zu beurteilende Sachverhalt zeitlich vor Inkrafttreten der Ergänzung lag.

Der eingeschränkte Anwendungsbereich des § 60 Abs. 1 S. 2 SGB I mag wegen der in Verfahren wegen sogenannten Unterstützungsbetruges verbreiteten Behauptung, die Änderung der Verhältnisse noch während des Leistungszeitraumes mitgeteilt zu haben, und der praktischen Schwiergkeiten, eine solche Einlassung zu widerlegen, rechtspolitisch unbefriedigend sein. Insoweit wäre aber der Gesetzgeber statt des Rechtsanwenders zur Abhilfe aufgerufen.

bb) Vorliegend hat das Landgericht ein schon laufendes Verwaltungsverfahren zur Prüfung einer Erstattungspflicht ebensowenig wie einen die Erstattung zumindest dem Grunde nach regelnden Verwaltungsakt festgestellt.

d) Ob über § 60 Abs. 1 SGB I hinaus zusätzliche ungeschriebene Mitwirkungspflichten als Nebenpflicht aus dem Sozialleistungsverhältnis - etwa wegen dessen jedenfalls bei sich wiederholendem Bezug von Leistungen gegebenen Charakters als Dauerschuldverhältnis (eher anders wohl OLG Köln in NJW 1984, 1979, 1980 mit Verneinung eines besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitsamt und Leistungsempfänger; siehe auch BGHSt 39, 392, 399) - bestehen, erscheint für den hier in Rede stehenden Zusammenhang wegen der in § 60 Abs. 1 S. 1 und S. 2 SGB I ausdrücklich getroffenen Normierungen fraglich und kommt allenfalls bei Rechtsmissbrauch in Betracht (ebenso Seewald in KassKomm, Sozialversicherungsrecht, vor §§ 60 - 67 SGB I Rdn. 10, 11). Für einen Rechtsmissbrauch geben die Feststellungen nichts her.

e) Auch andere Garantenstellungen scheiden hier aus, etwa aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. näher OLG Köln, a.a.O.; siehe auch BGHSt 39, 392, 400 f).

1. Der Senat hebt das Urteil mit den Feststellungen auf (§§ 353 Abs. 1, Abs. 2 StPO). Für eine eigene Sachentscheidung (§ 354 Abs. 1 StPO) ist kein Raum, da in Betracht kommt, dass das Tatgericht - hätte es nicht rechtsirrtümlich § 60 Abs. 1 S. 2 SGB I für anwendbar gehalten - die nach § 60 Abs. 1 S. 1 SGB I bedeutsame Einlassung des Angeklagten zur Mitteilung der Arbeitsaufnahme nicht unter Verzicht auf jegliche Beweiswürdigung unwiderlegt gelassen und somit zum Bestandteil seiner Feststellungen gemacht hätte. Es bedarf einer neuen tatrichterlichen Hauptverhandlung zur Aufklärung insbesondere der Frage, ob, wann und gegenüber wem der Angeklagte die Arbeitsaufnahme mitgeteilt hat, unter Beachtung der unter obigem Gliederungspunkt II. 1. a) und 2. a) dargelegten rechtlichen Maßstäbe.

2. Sollte das neu entscheidende Tatgericht dazu gelangen, dass der Angeklagte in einem festzustellenden Erstattungsverhältnis Angaben falsch gemacht oder unterlassen hat, wäre es an einer Aburteilung ohne Nachtragsanklage (§ 266 StPO) nicht dadurch gehindert, dass in der zugelassenen Anklage die Nichtanzeige der Arbeitsaufnahme statt der Nichtmitteilung des weiteren Einganges von Arbeitslosengeld zugrundegelegt worden ist.

Gegenstand der Urteilsfindung ist gemäß § 264 Abs. 1 StPO die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt. Eine Tat in diesem prozessualen Sinn ist definiert als einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Straftatbestand verwirklicht ist bzw. sein soll; maßgeblich ist, ob nach natürlicher Auffassung ein einheitlicher Lebensvorgang vorliegt (vgl. BGHSt 32, 215, 216; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 264 Rdn. 1, 2 m.w.N.).

Vorliegend erwähnt bereits der Anklagesatz auch den Eingang der zu Unrecht erbrachten Leistungen des Arbeitsamtes bei dem Angeklagten ("insgesamt 6.580,12 DM ... zu Unrecht gezahlt erhielt"). Das vorgeworfene Verhalten ist jeweils die Unterlassung einer Mitteilung an das Arbeitsamt, der Anklage zufolge betreffend die Arbeitsaufnahme, den gegebenenfalls in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen zufolge betreffend den Eingang des Arbeitslosengeldes; inhaltlich besteht eine Verknüpfung dergestalt, dass das empfangene Arbeitslosengeld gerade wegen der Arbeitsaufnahme dem Verurteilten nicht zustand, die er der Anklage zufolge nicht mitgeteilt hatte. Die durch das täuschende Unterlassen bewirkten Vermögensverfügungen der Arbeitsamtsmitarbeiter sind zum einen der Nichterlass eines den Leistungsbescheid aufhebenden Verwaltungsaktes und zum anderen der Nichterlass eines Erstattungsbescheides, der gemäß § 50 Abs. 3 SGB X aber gerade mit der Aufhebung des Leistungsbescheides verbunden werden soll. Der nach der Anklage sich ergebende Tatzeitraum erfasst entgegen dem durch den Obersatz ("vom 04.08.2001 bis 24.02.2002") gesetzen Anschein auch die für eine Nichtmitteilung des Geldeinganges maßgebliche Zeit ab Juni 2002, weil die der Anklage zufolge verletzte Mitteilungspflicht gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 SGB I objektiv nicht mit dem 24. Februar 2002 endete, sondern bis zur Kenntniserlangung des Arbeitsamtes von der Arbeitsaufnahme andauerte, also auch in die nach § 60 Abs. 1 S. 2 SGB I maßgebliche Zeit ab Juni 2002 hineinreichte.

Nach allem läge eine einheitliche Tat im verfahrensrechtlichen Sinne vor.

3. Die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) und die materiell-rechtliche Pflicht zur Beweiswürdigung (§ 261 StPO) hindern den Tatrichter daran, bestreitende Einlassungen des Angeklagten ungeprüft und ohne Beweiswürdigung als Feststellung zu übernehmen. Das neu entscheidende Tatgericht wird sich deshalb insbesondere damit auseinanderzusetzen haben, ob der Angeklagte wirklich die Arbeitsaufnahme bei einer Vorsprache am Informationsschalter und telefonisch mitgeteilt hat sowie von einer - zudem unverzüglichen, § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB I, an das zuständige Arbeitsamt weitergeleiteten - Mitteilung des Arbeitgebers an die Allgemeine Ortskrankenkasse ausgegangen ist. Gleiches gilt für die Behauptung des Angeklagten, von den über sieben Monate hinweg laufenden Eingängen des Arbeitslosengeldes in Höhe von insgesamt € 6.580,12 auf dem Bankkonto erst rund zehn Monate nach deren Beginn erfahren zu haben; das gilt umso mehr nach den bisher festgestellten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten.

4. Die Feststellungen des aufgehobenen Urteils zu dem für die Zeit vom 4. August 2001 bis 24. Februar 2002 bewilligten und gezahlten Arbeitslosengeld sind mehrfach rechnerisch und sachlich unschlüssig.

5. Weiter wird das neu entscheidende Tatgericht darauf hingewiesen, dass entgegen der im aufgehobenen Urteil vertretenen Auffassung kein "Härteausgleich wegen der Verurteilung vom 20. November 2001" veranlasst ist. Ein sogenannter Härteausgleich kommt in Betracht, wenn trotz ursprünglich bestanden habender Gesamtstrafenlage eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB nicht mehr möglich ist (vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 55 Rdn. 21 ff. m.w.N.). An einer solchen Gesamtstrafenlage fehlt es hier, da die verfahrensgegenständliche Tat gemäß Anklage und bisherigen Feststellungen nicht im Sinne des § 55 Abs. 1 StGB vor der früheren Verurteilung vom 20. November 2001 begangen worden wäre, sondern selbst bei vorherigem Beginn des Unterlassens nicht bis zum 20. November 2001 beendet gewesen wäre (zur Maßgeblichkeit der Beendigung vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., § 55 Rdn. 7 m.w.N.).

6. Über die Gestaltung der Strafaussetzung zur Bewährung gemäß §§ 56 a ff StGB ist gemäß § 268 a Abs. 1 StPO ausschliesslich durch Beschluss und nicht in der Urteilsformel zu entscheiden.

Die Liste der angewendeten Vorschriften ist gemäß § 260 Abs. 5 S. 1 StPO nicht Teil der Urteilsformel, sondern ist im schriftlichen Urteil ihr anzufügen.

Ende der Entscheidung

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