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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 11.02.2003
Aktenzeichen: 1 VAs 94/02
Rechtsgebiete: EGGVG, StVollzG
Vorschriften:
EGGVG § 23 | |
StVollzG § 8 |
Beschluss Justizverwaltungssache betreffend den Strafgefangenen U.R., wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden, (hier: Übernahme des Strafvollzuges durch die Justizverwaltung des Landes NRW).
Auf den Antrag des Betroffenen vom 28. Oktober 2002 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen die Entscheidung des Justizministeriums des Landes NRW vom 16. September 2002 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11. 02. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Justizministeriums des Landes NRW beschlossen:
Tenor:
Der Bescheid des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 16. September 2002 wird aufgehoben.
Das Justizministerium wird angewiesen, den Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen werden bei einem Gegenstandswert von 2.500,- € der Landeskasse auferlegt.
Gründe:
Der Betroffene verbüßt zurzeit in der Justizvollzugsanstalt Butzbach eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren wegen Betruges für die Staatsanwaltschaft Darmstadt, anschließend sind noch 446 Tage aus einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren neun Monaten zu verbüßen, so dass das Gesamtstrafenende auf den 19. Juli 2007 terminiert ist. 2/3 der Strafen werden am 28. August 2004 verbüßt sein.
Der Betroffene hat seine Verlegung in eine Justizvollzugsanstalt des Landes Nordrhein-Westfalen beantragt. Er hat seinen Antrag damit begründet, dass er nach seiner Haftentlassung einen gemeinsamen Wohnsitz mit seiner Lebensgefährtin, Frau Berner, in Recklinghausen begründen will. Darüber hinaus ist die Tochter des Antragstellers aus einer früheren Beziehung in der Nachbargemeinde Marl wohnhaft, unter dieser Anschrift ist der Antragsteller seit dem 28. Februar 2001 ebenfalls gemeldet.
Die Justizvollzugsanstalt Butzbach und das Hessische Ministerium der Justiz haben den Antrag unterstützt und das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen ersucht, der Verlegung zuzustimmen.
Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat unter dem 16. September 2002 eine Übernahme des Verurteilten abgelehnt und zur Begründung folgendes angeführt:
"Unter Berücksichtigung des Vollstreckungsstandes ist davon auszugehen, dass konkrete Maßnahmen zur Wiedereingliederung des Gefangenen im hiesigen Geschäftsbereich derzeit nicht zu veranlassen sind.
Sollte die Entlassung absehbar sein und die Beziehung zu Frau Berner dann noch bestehen, mag der Gefangene erneut eine Verlegung in den hiesigen Geschäftsbereich beantragen."
Gegen diese Entschließung richtet sich der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG. Er ist zusammenfassend der Auffassung, die Entschließung des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen widerspreche dem Resozialisierungsprinzip sowie dem Eingliederungsgrundsatz. Wenn im Übrigen die Eingliederung in eine Anstalt in Heimatnähe besser gefördert werden könne, komme dem Eingliederungsgrundsatz bei der Verlegungsentscheidung unabhängig vom Entlassungszeitpunkt besonderes Gewicht zu. Der Hinweis auf die Restvollzugsdauer könne daher die Ablehnung nicht rechtfertigen.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nach den §§ 23 ff. EGGVG zulässig.
Für die hier beantragte Verlegung eines Gefangenen von einem Bundesland in ein anderes gibt es bislang keine gesetzliche Regelung. Es bedarf in diesem Falle stets einer Einigung der obersten Behörden und der beteiligten Justizverwaltungen (§ 26 S. 4 StrVollstrO). Verweigert aber die zuständige oberste Aufsichtsbehörde über die Vollzugsanstalten eines Bundeslandes die von einem anderen Bundesland beantragte Aufnahme eines Strafgefangenen, so ist dann dem betroffenen Gefangenen dagegen der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet (vgl. KG, ZfStrVo 1995, 112; Senatsbeschluss vom 30. August 2001 - 1 VAs 40/2001 -).
Der Antrag des Betroffenen hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg.
Die Verlegung eines Gefangenen von einem Bundesland in ein anderes erfolgt unter vergleichbaren Kriterien, wie sie auch aus § 8 StVollzG ersichtlich sind. Daraus folgt, dass auch hier dem Wiedereingliederungsprinzip und dem Resozialisierungsgrundsatz erhebliches Gewicht beizumessen ist. Dem betroffenen Gefangenen, der zwar keinen Rechtsanspruch auf eine Verlegung hat, steht ein Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch zu, d.h. die beteiligten Behörden müssen alle in Betracht kommenden sachlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls berücksichtigen, den insoweit bedeutsamen Sachverhalt von Amts wegen erforschen und die dabei angestellten Erwägungen in der getroffenen Entschließung darlegen. Dem Senat ist es dabei verwehrt, eigenes Ermessen auszuüben; vielmehr beschränkt sich die Überprüfung auf die Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung durch die beteiligten Behörden (Senatsbeschluss vom 30. August 2001 - 1 VAs 40/2001 -).
Die Erwägungen, die zur Ablehnung der Übernahme des Betroffenen in den nordrhein-westfälischen Strafvollzug geführt haben, halten einer Ermessensüberprüfung nicht stand. Die Verlegung in ein anderes Bundesland kann nicht mit dem Hinweis auf die Restvollzugsdauer abgelehnt werden. Wiedereingliederungsbemühungen setzen nicht erst am Tage der Entlassung ein. Die Kontaktpflege zu Angehörigen und anderen, dem Gefangenen nahestehenden Personen ist während der gesamten Haftzeit zu fördern, insbesondere bei Personen mit langen Freiheitsstrafen. Dementsprechend ist die Überlegung, eine Förderung des Gefangenen im Hinblick auf seine Eingliederung sei schon deswegen nicht erforderlich, weil er mit seiner Entlassung erst in einigen Jahren rechnen könne, fehlerhaft (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Juli 1985 - 1 Vollz (Ws) 83/85 -). Auch soweit der Entscheidung des Justizministeriums implizit die Erwägung zu entnehmen ist, es müsse zunächst abgewartet werden, ob sich die beschriebene familiäre Situation des Antragstellers tatsächlich über einen längeren Zeitraum stabil gestalten werde, hält dies einer Ermessensüberprüfung nicht stand. Insoweit fehlt es nämlich an der Darlegung der Anknüpfungstatsachen. Nach den Ausführungen der Justizvollzugsanstalt Butzbach handelt es sich nämlich um eine bereits länger andauernde Beziehung und es bestehen regelmäßige Kontakte zwischen Frau Berner und dem Betroffenen durch Besuche (auch Langzeitbesuche), Briefe und Telefonate. Der Verurteilte hat auch angegeben, die Eheschließung sei beabsichtigt. Insoweit hätte es näherer Ausführungen dazu bedurft, aus welchen Gründen von einer noch nicht gefestigten Partnerschaft auszugehen ist.
Nach alledem kann die Entscheidung des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen keinen Bestand haben. Allerdings folgt aus diesen Erwägungen nicht, dass die Ausübung fehlerfreien Ermessens nur zu dem Ergebnis führen kann, dass der Betroffenen in den nordrhein-westfälischen Strafvollzug zu verlegen ist. Eine Verlegung zur Aufrechterhaltung persönlicher und familiärer Beziehungen kommt nämlich nur dann in Betracht, wenn sie als Behandlungsmaßnahme und zur Resozialisierung aufgrund besonderer Umstände unerlässlich erscheint. Es müssen ausnahmsweise im Einzelfall besondere, vom Durchschnittsfall abweichende Erschwerungen des Kontaktes zu den Angehörigen vorliegen, um einen Verlegungsantrag ausreichend zu begründen (OLG Rostock, NStZ 1997, 381; OLG Koblenz, ZfStrVo SH 1978, 87; OLG Hamm ZfStrVo 1988, 310). Angesichts der Tatsache, dass nach dem Bericht des Leiters der Justizvollzugsanstalt Butzbach auch dort Besuche, insbesondere Langzeitbesuche, der Lebensgefährtin stattfinden, erscheint zweifelhaft, ob hier eine Verlegung unerlässlich ist. Der Senat ist indes an einer eigenen Entscheidung gehindert, da es ihm, wie bereits ausgeführt, verwehrt ist, eigenes Ermessen auszuüben.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.]
Ende der Entscheidung
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