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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 30.05.2001
Aktenzeichen: 13 U 249/00
Rechtsgebiete: StVO


Vorschriften:

StVO § 9 Abs. 3
StVO § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 5
1.

Sofern eine Lichtzeichenregelung für Linksabbieger fehlt, gilt § 9 Abs. 3 StVO.

2.

Der Linksabbieger muß den Vorrang des Gegenverkehrs grundsätzlich auch dann beachten, wenn dieser bei Gelb oder bei frühem Rot einfährt (im Anschluß an Senat, VersR 1980, 722, 1990, 99). Selbst eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung des Geradeausfahrenden hebt dessen Vorrecht nicht auf (BGH VersR 1984, 440).

3.

Der Linksabbieger darf nicht allein deshalb weiterfahren, weil einige Fahrzeuge des Gegenverkehrs anhalten, es müssen weitere Umstände hinzukommen, weil manche Fahrzeugführer sogleich bei Beginn der Gelbphase anhalten, während andere bei spätem Gelb oder gar bei Rot noch in die Kreuzung einfahren.

4.

Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zu Lasten des Linksabbiegers, wenn der Geradeausfahrende bei spätem Gelb in die Kreuzung eingefahren ist obwohl er noch rechtzeitig vor der Haltelinie der für ihn maßgeblichen Signalanlage hätte zum Stehen kommen können.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 249/00 OLG Hamm

Verkündet am 30. Mai 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 30. Mai 2001 durch die Richter am Oberlandesgericht Zumdick und Walter sowie den Direktor am Amtsgericht Woyte

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen das am 14. September 2000 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Essen abgeändert.

Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin 3.176,48 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 11.01.2000 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin tragt die Kosten der Verweisung an das Landgericht Essen.

Die übrigen Kosten der 1. Instanz werden wie folgt verteilt:

Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) und 2/3 der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) sowie 83 % der Gerichtskosten und ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten.

Die Beklagte zu 1) trägt 17 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin sowie 1/3 ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten.

Die Kosten der 2. Instanz werden wie folgt verteilt:

Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) und 2/3 der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) sowie 72 % der Gerichtskosten und ihrer außergerichtlichen Kosten.

Die Beklagte zu 1) trägt 28 % der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin sowie 1/3 ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer der Parteien übersteigt 60.000,00 DM nicht.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nur zum Teil begründet.

I.

Wegen des Verkehrsunfalls vom 30.06.1999 in E können gemäß Artikel 34 Grundgesetz keine Ansprüche gegen den Beklagten zu 2) geltend gemacht werden, weil dessen Fahrt in Ausübung einer hoheitlichen Verrichtung erfolgte.

Der Zeuge V hat in Übereinstimmung mit den Angaben des im Senatstermin angehörten Beklagten zu 2) ausgesagt, daß die Fahrt mit dem Dienst-Kfz dazu gedient habe, eine Walze von einer Baustelle zur anderen zu bringen. Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Zeuge hinsichtlich dieses Punktes, der nicht das direkte Unfallgeschehen betrifft, die Unwahrheit bekundet haben sollte.

Die Planung und Durchführung von Straßenbaumaßnahmen stellt grundsätzlich eine hoheitliche Verrichtung dar (BGH NJW 1996, 3208, 3209). Das Führen eines behördlichen Kfz auf einer Dienstfahrt erfolgt in Ausübung eines öffentlichen Amtes, hierunter fällt auch der Transport von Straßenbaumaterial durch Bedienstete der Straßenbaubehörde (vgl. Palandt/Thomas, 60. Aufl., Rn. 13 zu § 839 BGB m.w.N.).

II.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte zu 1) gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG, 249 f. BGB ein Anspruch auf Zahlung von 3.176,48 DM zu.

1.

§ 839 Abs. 1 Satz 2 BGB findet keine Anwendung, wenn - wie vorliegend - ein direkter Schadenersatzanspruch gegen die Anstellungskörperschaft besteht (vgl. Palandt/Thomas, Rn. 56 zu § 839 BGB), weshalb die Beklagte zu 1) trotz der Dienstfahrt uneingeschränkt der Haftung des § 7 Abs. 1 StVG ausgesetzt ist.

2.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat keine der Parteien den Unabwendbarkeitsbeweis des § 7 Abs. 2 StVG geführt; die Abwägung der von den unfallbeteiligten Kraftfahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahren unter Berücksichtigung der Verursachungsbeiträge der beteiligten Kraftfahrzeugführer ergibt eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Klägerin.

a)

Zu Lasten der Beklagten zu 1) wirkt betriebsgefahrerhöhend allein ein für den Unfall mitursächlicher Gelblichtverstoß des Beklagten zu 2).

aa)

Springt die Signalanlage von Grün auf Gelb, so hat der Kraftfahrzeugführer gemäß § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 5 StVO an der Haltelinie der Signalanlage anzuhalten, wenn dies mit normaler Betriebsbremsung möglich ist. Reicht der Bremsweg bei mittlerem Bremsen bis zum Kreuzungsbereich nicht aus, darf der Kraftfahrzeugführer zügig und vorsichtig unter Beachtung des Querverkehrs durchfahren (zu Vorstehendem: Jagusch/Hentschel, 34. Aufl., Rn. 48, 48 a zu § 37 StVO).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, daß der Beklagte zu 2) bei gehöriger Beobachtung der Signalanlage bei Aufleuchten des Gelblichtes sein Gespann problemlos hatte vor der Haltelinie zum Stehen bringen können.

Der Sachverständige hat im einzelnen nachvollziehbar, vollständig und widerspruchsfrei dargelegt, daß der Beklagte zu 2) das Gespann bei Gelblicht ohne weiteres vor der Haltelinie durch eine Ausgleichsbremsung zum Stillstand hatte bringen können, wenn das Gespann tatsächlich bei spätem Gelb oder frühem Rot die Signalanlage passiert und die Zeugin F vor dem Abbiegen angehalten habe.

Der Senat ist auf der Grundlage der Aussage des Zeugen F davon überzeugt, daß das Gespann, wenn nicht bei Rotlicht, so jedenfalls bei spätem Gelb die Signalanlage passierte.

Der Zeuge hat erstinstanzlich zu Protokoll gegeben, daß das vom Beklagten zu 2) geführte Kraftfahrzeug bei "Blutorange" in die Kreuzung eingefahren sei; der Zeuge erklärte hierzu erläuternd, er könne nicht mit Sicherheit sagen, ob zu diesem Zeitpunkt die Ampel noch Gelb oder schon Rot angezeigt habe. Er gab zudem an, daß sowohl er als auch zwei andere Kraftfahrzeugführer vor der Signalanlage gehalten hätten.

Die Aussage des Zeugen ist glaubhaft, obwohl seine Entfernungsangaben - wie der Sachverständige dargelegt hat - nicht mit seinen übrigen Bekundungen in Übereinstimmung gebracht werden können. Der Zeuge ist unfallunbeteiligt. Er hat das Geschehen aus einen guten Position heraus beobachtet. Es ist eine allgemein bekannte Erfahrungstatsache, daß Verkehrsteilnehmer gerade bei einer Beobachtung aus einem fahrenden Kraftfahrzeug heraus hinsichtlich der Angabe von Entfernungen erheblichen Fehleinschätzungen unterliegen. Die Wahrnehmung, ob ein Kraftfahrzeug die Signalanlage bei Gelb- oder Rotlicht passierte, ist hingegen einfach und kann deshalb viel zuverlässiger aufgenommen werden. Daß der Zeuge um eine wahrheitsgemäße Aussage bemüht war, zeigt sich auch darin, daß er sich bezüglich der Frage, ob ein Rotlichtverstoß vorlag, nicht festlegen wollte. Seine Aussage, daß insgesamt 3 Kraftfahrzeuge vor der Lichtzeichenanlage zum Stehen gekommen seien, stimmt überein mit der Aussage der Zeugin F. Für einen Gelblichtverstoß des Beklagten zu 2) spricht auch gewichtig, daß zwei andere Kraftfahrzeugführer und auch der Zeuge selbst, der mit seinem Pkw etwa in gleicher Höhe mit dem Gespann war, vor der Signalanlage anhalten konnten.

Die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen wird nicht erschüttert durch die Bekundung des Zeugen V wonach das Zugfahrzeug nur etwa 7 Meter von der Ampel entfernt gewesen sein soll, als diese auf Gelb umsprang. Die Aussage läßt sich nicht damit in Übereinstimmung bringen, daß andere Kraftfahrzeuge bereits an der Signalanlage hielten, als das Gespann in die Kreuzung einfuhr. Der Zeuge V war Beifahrer des Beklagten zu 2). Es kann von daher nicht ausgeschlossen werden, daß der Zeuge sich - wenn auch unbewußt - die Sichtweise des Beklagten zu 2), der im Senatstermin entsprechende Angaben machte, zu eigen gemacht hat.

Auf der Basis der Aussage des Zeugen F kann nur ein Gelblicht- nicht aber ein Rotlichtverstoß festgestellt werden. Denn der Zeuge konnte sich diesbezüglich nicht sicher festlegen. Der Sachverständige vermochte aus technischer Sicht keine Angaben zu der Signalstellung zum fraglichen Zeitpunkt zu machen. Allein aus dem Umstand, daß andere Kraftfahrzeugführer zum Stehen kommen konnten, läßt sich nicht schließen, daß bereits Rotlicht beim Passieren der Signalanlage herrschte.

Der Senat ist zudem auf der Grundlage der Aussage der Zeugin F davon überzeugt, dass diese - entsprechend der Annahme des Sachverständigen - vor dem Abbiegen im Kreuzungsbereich anhielt.

Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Zeugin hinsichtlich dieses Punktes, der nicht unmittelbar das Unfallgeschehen betrifft, die Unwahrheit gesagt haben sollte. Es ist vielmehr lebensnah anzunehmen, daß die Zeugin mit ihrem Pkw bei Grünlicht in den Kreuzungsbereich einfuhr und sodann anhielt, um den bevorrechtigten Geradeausverkehr passieren zu lassen.

bb)

Eine für den Unfall mitursächliche Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch den Beklagten zu 2) hat die Klägerin nicht bewiesen.

Zwar hat der Sachverständige dargelegt, daß zumindest eine Ausgangsgeschwindigkeit von 55 km/h des Gespanns festgestellt werden könne. Er hat jedoch weiterhin ausgeführt, daß sich diese geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung nicht auf den Unfall ausgewirkt habe, weil dann auch bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit der Unfall für den Beklagten zu 2) weder räumlich noch zeitlich vermeidbar gewesen sei.

Eine nach den Ausführungen des Sachverständigen mögliche Ausgangsgeschwindigkeit von 70 km/h führt zwar nach Angaben des Sachverständigen zu einer Vermeidbarkeit des Unfalls bei Einhaltung einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h; eine solche Ausgangsgeschwindigkeit läßt sich jedoch aus technischer Sicht nicht mit Sicherheit feststellen und kann daher nicht zu Gunsten der beweispflichtigen Klägerin unterstellt werden. Wegen der - wie bei Entfernungsangaben - erfahrungsgemäß gegebenen Unsicherheiten bei der Schätzung von Geschwindigkeiten genügt die Aussage des Zeugen F, wonach das Gespann eine Geschwindigkeit von 70 bis 80 km/h gehabt habe, nicht, um eine notwendige sichere Überzeugung dahin zu gewinnen, daß der Beklagte zu 2) schneller als 55 km/h fuhr.

b)

Zu Lasten der Klägerin wirkt betriebsgefahrerhöhend eine für den Unfall mitursächliche schuldhafte Verletzung des § 9 Abs. 3 StVO durch die Zeugin F.

Sofern - wie vorliegend - eine Lichtzeichenregelung für Linksabbieger fehlt, gilt § 9 Abs. 3 StVO, wonach der Abbiegende entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren zu lassen hat. Der Linksabbieger muß den Vorrang des Gegenverkehrs grundsätzlich auch dann beachten, wenn dieser bei Gelb oder bei frühem Rot einfährt (Senat, VersR 1980, 722; 1990, 99; Jagusch/Hentschl, Rn. 40 zu § 9 StVO). Selbst eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung des Geradeausfahrenden hebt dessen Vorrecht nicht auf (BGH VersR 1984, 440). Der Linksabbieger darf nicht allein deshalb weiterfahren, weil einige Fahrzeuge des Gegenverkehrs anhalten. Es müssen vielmehr weitere Umstände hinzukommen, weil manche Fahrzeugführer sogleich bei Beginn der Gelbphase anhalten, wahrend andere bei spätem Gelb oder gar bei Rot noch in die Kreuzung einfahren (Jagusch/Hentschl a.a.O.).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, daß die Zeugin F bei gehöriger Aufmerksamkeit des Verkehrsraums nicht nur das gegnerische Gespann hätte ohne weiteres erkennen können, sondern auch den Schluß hätte ziehen müssen, daß dieses durchfahren werde.

Denn der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, daß bei Anfahrbeginn das gegnerische Gespann - in Abhängigkeit von dessen möglicher Geschwindigkeit - nur etwa 43 bis maximal 63 Meter von der Kollisionsstelle entfernt war. Zudem war der Verkehrsraum für die Zeugin sehr gut einsehbar. Nach alledem war es der Zeugin ohne weiteres möglich, die Gefährdungslage zu realisieren und dementsprechend den Anfahrvorgang zu unterlassen oder jedenfalls rechtzeitig abzubrechen.

c)

Eine Haftungsverteilung von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Klägerin ist nach alledem angemessen:

Auf beiden Seiten sind die Betriebsgefahren der beteiligten Kraftfahrzeuge einzubeziehen.

Zu Lasten der Beklagten zu 1) wirkt betriebsgefahrerhöhend der Gelblichtverstoß des Beklagten zu 2). Diesem kommt jedoch nicht das gleiche Gewicht zu wie der Verletzung des § 9 Abs. 3 StVO; die Zeugin F hat durch das verkehrsordnungswidrige Abbiegen ganz wesentlich zu dem Unfall beigetragen. Ihr Verschulden ist erheblich. Dabei wirkt zwar einerseits schuldmindernd, daß zum Zeitpunkt des Anfahrens bereits drei Fahrzeuge an der Signalanlage standen, andererseits ist jedoch erheblich erschwerend in Rechnung zu stellen, daß die Kreuzung sehr gut einsehbar war und die Zeugin ohne weiteres die akute Gefährdungslage hätte erkennen und vermeiden können.

3.

Die Gesamtschadenshöhe von 9.529,45 DM ist zwischen den Parteien unstreitig. 1/3 hiervon entspricht dem ausgeteilten Betrag.

III.

Der Zinsanspruch besteht gemäß §§ 284 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB a.F. in Höhe von 4 % seit dem 11.01.2000; verzugsbegründend wirkt das Schreiben vom 23.12.1999 unter Fristsetzung bis zum 10.01.2000.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 100, 281 Abs. 3 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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