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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 30.09.2002
Aktenzeichen: 15 W 349/02
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 57 Abs. 2
AuslG § 42 Abs. 2
AuslG § 58 Abs. 1 Nr. 1
AuslG § 58 Abs. 1 Nr. 3
Im Fall einer unerlaubten Einreise hängt die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht nicht von einem neuen Verwaltungsakt ab, durch den der Betroffene zum Verlassen des Bundesgebietes aufgefordert wird.
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

15 W 349/02 OLG Hamm

In der Freiheitsentziehungssache

betreffend Herrn zZ. Justizvollzugsanstalt Büren,

Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 30. September 2002 auf die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1) vom 7. September 2002 gegen den Beschluss des Einzelrichters der 25. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 2. September 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Gammelin und die Richter am Oberlandesgericht Engelhardt und Lohmeyer

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 103 Abs. 2 AuslG, 7 Abs. 1, 3 S. 2 FEVG, 27, 29 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis des Betroffenen folgt bereits daraus, dass seine sofortige erste Beschwerde ohne Erfolg geblieben ist.

In der Sache führt das Rechtsmittel zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, weil das Landgericht den Betroffenen verfahrensfehlerhaft nicht mündlich angehört hat (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG).

Nach § 103 Abs. 2 AuslG i.V.m. § 5 Abs. 1 S. 1 FEVG hat das Gericht die Person, der die Freiheit entzogen werden soll, mündlich zu hören. Diese Verpflichtung besteht grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Die Anhörung dient der Sachaufklärung (§ 12 FGG) und der Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Von einer erneuten mündlichen Anhörung kann nur abgesehen werden, wenn bereits das Amtsgericht den Betroffenen ordnungsgemäß angehört hat und darüber hinaus ausnahmsweise ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass diese zur Sachaufklärung nichts beitragen kann. Auf keinen Fall darf es zur Regel werden, einen Ausländer, den bereits das Amtsgericht angehört hat, in dem Beschwerdeverfahren nicht noch einmal anzuhören. Dies wäre ein Verstoß gegen die vom Gesetzgeber aufgeführten Voraussetzungen einer Freiheitsentziehung und damit auch eine Verletzung der vom Grundgesetz gewährleisteten Freiheit der Person (Art 2 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG; vgl. Senat FGPrax 1997, 77 m.w.N.).

Entgegen der Auffassung des Landgerichts kam vorliegend eine Ausnahme von der Pflicht zur persönlichen Anhörung nicht in Betracht. Denn der Betroffene ist bei der Anhörung in der ersten Instanz vom Amtsgericht nicht zu den hier klärungsbedürftigen Fragen vernommen worden:

1) Nach seinem Vortrag hatte der Betroffene nach Abschluss des ersten Asylverfahrens die Bundesrepublik Deutschland verlassen und war in den Kosovo zurückgekehrt. Sollte dies der Fall gewesen sein, lag entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde der Haftgrund des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AuslG vor. Danach ist ein Ausländer in Sicherungshaft zu nehmen, wenn er auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist.

a) Der Betroffene ist gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 1 AuslG unerlaubt eingereist und daher nach § 42 Abs. 1 AuslG zur Ausreise verpflichtet, weil er nicht die nach § 3 AuslG erforderliche Aufenthaltsgenehmigung besitzt, die nach § 3 Abs. 3 AuslG vor der Einreise in Form eines Sichtvermerks (Visum) einzuholen ist. Daneben ist der Betroffene auch gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 3 AuslG unerlaubt eingereist und daher nach § 42 Abs. 1 AuslG zur Ausreise verpflichtet, weil er nach § 8 Abs. 2 AuslG wegen seiner früheren Ausweisung nicht einreisen durfte.

b) Der Betroffene ist auch vollziehbar ausreisepflichtig. Nach § 42 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AuslG ist die Ausreisepflicht vollziehbar, wenn der Ausländer unerlaubt eingereist ist. Diese Voraussetzungen liegen, wie dargelegt, vor. Im Fall der unerlaubten Einreise hängt, wie sich aus § 42 Abs. 2 S. 2 AuslG ergibt, die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht nicht von einem Verwaltungsakt ab, durch den der Ausländer ausreisepflichtig wird (vgl. Renner, AuslG, 7. Aufl. § 42 Rn.6).

c) An dem Merkmal der unerlaubten Einreise und der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht hat sich durch den erneuten Asylantrag nichts geändert. Denn anders als ein Asylerstantrag verschafft ein Folgeantrag keine Aufenthaltsgestattung. Solange ein Folgeantrag von der Bundesanstalt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge noch nicht für beachtlich erklärt worden ist, steht er der Anordnung von Abschiebehaft nicht entgegen, § 71 Abs. 8 AsylVerfG.

Damit weicht der Senat nicht von der Entscheidung des OLG Oldenburg vom 20. 3. 2002 - 5 W 40/02 - ab. Denn das OLG Oldenburg hatte in dieser Entscheidung den Haftgrund des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AuslG deswegen nicht für gegeben angesehen, weil der Ausländer in jenem Fall auf Grund der Entscheidung der Bundesanstalt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge über dessen Asylfolgeantrag nicht vollziehbar ausreisepflichtig gewesen sei. Eine solche Sachlage liegt dem vorliegenden Fall nicht zu Grunde, weil noch keine Entscheidung über den Folgeantrag vorliegt. Zwar hat das OLG Oldenburg obiter dictum auch ausgeführt, die Ausreisepflicht eines Ausländers sei vor der Entscheidung über den Folgeantrag nicht vollziehbar. Diese Auffassung teilt der Senat nicht, weil sie die Regelung in § 71 Abs. 8 AsylVerfG nicht berücksichtigt und übersieht, dass bei einer unerlaubten Einreise im Sinne des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AuslG eine Aufforderung zur Ausreise nicht erforderlich ist, so dass in diesem Fall § 71 Abs. 5 AsylVerfG nicht zur Anwendung kommen kann. Da aber die Entscheidung des OLG Oldenburg nicht auf dieser abweichenden Rechtsauffassung beruht, besteht keine Vorlagepflicht an den BGH gemäß § 28 FGG.

d) Liegt der Haftgrund des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AuslG vor, so ist zu prüfen, ob von der Sicherungshaft ausnahmsweise abgesehen werden kann, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will, § 57 Abs. 2 S. 3 AuslG. Zu dieser für den Fall, dass der Betroffene nach seiner Ausweisung tatsächlich in den Kosovo zurückgekehrt ist, entscheidungserheblichen Frage ist der Betroffene vom Amtsgericht nicht angehört worden. Das Landgericht hat sich mit dieser Frage zwar beschäftigt. Es hält die bisherigen Angaben des Betroffenen hierzu jedoch für nicht ausreichend und nicht nachprüfbar.

2) Ist der Betroffene nicht in den Kosovo zurückgekehrt, liegt, wie das Landgericht zutreffend angenommen hat, der Haftgrund des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AuslG vor, weil der Betroffene seiner Verpflichtung zur Ausreise nach Abschluss des ersten Asylverfahrens nicht nachgekommen wäre

Der Einwand des Betroffenen, er sei Angehöriger des Volkes der Roma und könne daher nicht abgeschoben werden, betrifft eine im Verwaltungswege zu treffende Entscheidung, die nicht vom Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit im Verfahren nach § 57 Abs. 2 AuslG getroffen werden kann. Dasselbe gilt hinsichtlich der Frage, ob der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen nicht abgeschoben werden kann. Dass er nicht haftfähig ist, ergibt sich aus seinem Vorbringen nicht.

3) Entscheidungserheblich ist somit, ob der Betroffene seiner Verpflichtung zur Ausreise nach Abschluss des ersten Asylverfahrens nachgekommen ist und gegebenenfalls, ob er glaubhaft machen kann, sich der Abschiebung nicht entziehen zu wollen. Da der Betroffene hierzu in der ersten Instanz nicht angehört worden ist und dessen sonstigen bisherigen Angaben nach Auffassung des Landgerichts nicht reichten und nicht nachprüfbar waren, konnte es nicht davon ausgehen, dass von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten seien, zumal die Ausländerbehörde in ihrem Antrag vom 7. 8. 2002 angegeben hatte, der Betroffene sei nachweislich nicht in den Kosovo zurückgekehrt.

Das Landgericht hätte daher einen Anhörungstermin anberaumen und den Betroffenen und Mitarbeiter des Ausländeramtes anhören müssen, um sich eine Überzeugung davon zu bilden, ob der Betroffene in den Kosovo zurückgekehrt war oder nicht. Ferner hätte es dem Betroffenen und gegebenenfalls auch seinem Verfahrensbevollmächtigten Gelegenheit geben müssen, Gesichtspunkte geltend zu machen, die gegen die Erforderlichkeit der Sicherungshaft sprechen könnten.

Die Entscheidung des Landgerichts kann daher keinen Bestand haben. Da der Senat als Rechtsbeschwerdegericht die Anhörungen nicht nachholen kann, war die Sache an das Landgericht zurück zu verweisen, das vor seiner erneuten Entscheidung die erforderlichen Anhörungen nachzuholen haben wird.

Ende der Entscheidung

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