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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 27.10.2005
Aktenzeichen: 15 W 375/05
Rechtsgebiete: AufenthG
Vorschriften:
AufenthG § 62 Abs. 3 S. 2 |
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS
15 W 375/05 OLG Hamm
In der Freiheitsentziehungssache
Der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hat am 27.10.2005 auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 10.10.2005 gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn vom 04.10.2005
beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluss sowie der Beschluss des Amtsgerichts Paderborn vom 22.08.2005 werden aufgehoben. Der Haftverlängerungsantrag des Beteiligten zu 2) vom 17.08.2005 wird zurückgewiesen.
Der Betroffene ist umgehend aus der Haft zu entlassen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Gegen den Betroffenen besteht eine bestandskräftige Ausweisungsverfügung vom 06.07.2000, die sich auf mehrere strafgerichtliche Verurteilungen des Betroffenen stützt.
Zuletzt wurde der Betroffene u.a. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und 10 Monaten verurteilt. Die Ausweisungsverfügung wurde am 13.05.2004 bestandskräftig, nachdem das Verwaltungsgericht ein von dem Betroffenen angestrengtes Klageverfahren wegen Nichtbetreibens seitens des Betroffenen eingestellt hatte. In der Folgezeit sagte der Betroffene mehrfach zu, die Bundesrepublik Deutschland freiwillig verlassen zu wollen, hielt jedoch keine dieser Zusagen ein.
In der Folgezeit war der Betroffene für die Ausländerbehörde nicht erreichbar. Am 23.02.2005 wurde der Betroffene dann aufgegriffen. Auf Antrag des Beteiligten zu 2) ordnete das Amtsgericht Wuppertal Abschiebehaft für drei Monate an. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde wies das Landgericht Wuppertal zurück. Auf Antrag des Beteiligten zu 2) verlängerte das nunmehr zuständige Amtsgericht Paderborn die Haft um weitere drei Monate. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde sowie die sofortige weitere Beschwerde blieben erfolglos.
Durch Schriftsatz vom 17.08.2005 hat der Beteiligte zu 2) die abermalige Verlängerung der Haft um drei Monate beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass das türkische Konsulat zwischenzeitlich die zuvor erteilte Zusage von Pass(ersatz)papieren widerrufen habe. Als Begründung sei gegenüber der Zentralen Ausländerbehörde mitgeteilt worden, dass der Betroffene und seine Verfahrensbevollmächtigte gegenüber dem Konsulat angegeben hätten, es liege der Ausländerbehörde noch ein (Wiederaufnahme-)Antrag vor, der der Abschiebung entgegen stehe. Tatsächliche liege der Behörde ein Schreiben vor, mit dem das Wiederaufgreifen des Verfahrens begehrt werde. Da diesem jedoch keinerlei aufschiebende Wirkung zukomme, sei die Abschiebung zu gegenwärtigen Zeitpunkt durch wahrheitswidrige Angaben des Betroffenen und seiner Anwältin vereitelt worden.
Durch Beschluss vom 22.08.2005 hat das Amtsgericht die Haft abermals um drei Monate bis zum 22.11.2005 verlängert. Die Hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht, nachdem es den Betroffenen persönlich angehört hat, zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen, die er durch Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 10.10.2005 hat einlegen lassen.
II.
Die sofortige weitere Beschwerde ist nach den §§ 106 Abs. 2 S.1 AufenthG, 7 Abs. 1, 3 S. 2 FEVG, 27, 29 FGG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt. Die Beschwerdebefugnis des Betroffenen ergibt sich bereits daraus, dass seine Erstbeschwerde ohne Erfolg geblieben ist.
In der Sache ist die weitere Beschwerde begründet, da die Entscheidung des Landgerichts auf einer Verletzung des Rechts beruht, § 27 FGG.
Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht den Haftgrund des § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 AufenthG bejaht. Da die sofortige weitere Beschwerde insoweit keine Rügen erhebt, sieht der Senat von einer weiteren Begründung in diesem Punkt ab.
Das Landgericht ist weiter davon ausgegangen, dass § 62 Abs. 3 S. 2 AufenthG einer Verlängerung der Haft über 6 Monate hinaus nicht entgegen steht, da der Betroffene seine Abschiebung verhindere. Dies hat das Landgericht im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Betroffene habe seine Abschiebung verhindert, indem er auf das Verfahren zur Erteilung eines Passersatzpapieres durch das türkische Generalkonsulat in unlauterer Weise Einfluss genommen habe. Dem Betroffenen sei zwar zuzugeben, dass er berechtigt sei, rechtliche Schritte zu ergreifen, um seine Abschiebung mit Hilfe von Anträgen bei Behörden und Gerichten zu verhindern. Dies gelte jedoch nicht, soweit er Einfluss nehme auf die Ausstellung von Passersatzpapieren. Die in jüngster Zeit von dem türkischen Generalkonsulat geübte Praxis, Ersatzpapiere nicht auszustellen, wenn noch "Rechtsverfahren" laufen, sei völkerrechtlich zu beanstanden. Der Betroffene mache sich in Kenntnis der rechtswidrigen Verfahrensweise diese Praxis zunutze. Seine Telefonate mit dem Konsulat und seine schriftlichen Eingaben dienten ersichtlich nur dem Zweck, die Erteilung von Passersatzpapieren zu verhindern.
Dies hält der rechtlichen Prüfung nicht stand. Ein Verhindern im Sinne des § 62 Abs. 3 S. 2 AufenthG ist, wie vom Landgericht nicht verkannt, anzunehmen, wenn ein von dem Ausländer zu vertretendes Handeln oder (pflichtwidriges) Unterlassen vorliegt, das ursächlich für die Nichtdurchführbarkeit der Abschiebung ist. Insoweit ist jedoch weitestgehend anerkannt, dass ein Verhindern im Sinne des Gesetzes grundsätzlich nicht in der Wahrnehmung förmlicher Rechtspositionen gesehen werden kann, also in der Stellung von Anträgen, Klageerhebungen o.a. (vgl. OLG Frankfurt/M. OLGZ 1994, 509, 511 m.w.N.). Die Kontaktaufnahme zur eigenen Auslandsvertretung und die Kommunikation mit ihr ist ein derartiges Recht, da sie in Art. 36 Abs. 1 lit. a) WienKoÜbk ausdrücklich gewährleistet ist. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann ein Verhindern daher nicht schon darin gesehen werden, dass der Betroffene sich mit dem Generalkonsulat in Verbindung gesetzt und hiermit möglicherweise eine der Ursachen für dessen Verfahrensweise gesetzt hat. Dies gilt auch dann, wenn die Verfahrensweise des Generalkonsulats fragwürdig sein mag.
Auch bei der Wahrnehmung von Rechten kann ein zurechenbares Verhindern gleichwohl anzunehmen sein, wenn durch ein manipulatives Vorgehen, insbesondere durch eine Täuschung, die Behörde, das Gericht oder die Auslandsvertretung zur Verhinderung der Abschiebung instrumentalisiert werden. Eine derartige Annahme klingt in der Begründung der landgerichtlichen Entscheidung zwar an, zumal auch der Antrag des Beteiligten zu 2) von einer Täuschung seitens des Betroffenen ausging, jedoch hat das Landgericht zu einer solchen Täuschung keine konkreten tatsächlichen Feststellungen getroffen.
Die Frage, ob insoweit noch weitere Feststellungen möglich erscheinen, kann dahinstehen. Eine Zurückverweisung der Sache an das Landgericht kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Sache aus anderen Gründen zur Entscheidung reif ist. Voraussetzung für die Verlängerung der Haft über sechs Monate hinaus ist nämlich, dass das Verhalten des Ausländers für das Unterbleiben der Abschiebung ursächlich bleibt. Hieran fehlt es, wenn weitere Umstände hinzutreten, die unabhängig von dem Verhalten des Betroffenen die Durchführung der Abschiebung verhindern (KG InfAuslGR 2005, 112f). Von einer derartigen Konstellation muss hier -bezogen auf den Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung- ausgegangen werden.
Der Beteiligte zu 2) hat selbst dargelegt, dass sich das Generalkonsulat nunmehr weigert, dem Betroffenen Papiere ohne eine vorhergehende Entscheidung des zuständigen Ministeriums der Türkei auszustellen. Dass diese Haltung noch durch eine mögliche Täuschung des Betroffenen hinsichtlich der Rechtsfolgen der von ihm nach deutschem Recht erhobenen Rechtsbehelfe beeinflusst ist, lässt sich nicht feststellen. Vielmehr sprechen der Vortrag des Beteiligten zu 2) hinsichtlich des Kontakts zwischen den deutschen Behörden und dem Generalkonsulat, die vorliegende Korrespondenz sowie die Art der von den türkischen Behörden angeforderten Unterlagen dafür, dass der türkischen Seite durchaus bewusst ist, dass die Ausreisepflicht des Betroffenen nach deutschem Recht vollziehbar ist. Insbesondere die Art der angeforderten Unterlagen legt den Schluss nahe, dass die türkischen Behörden überprüfen wollen, ob die Entscheidungen der deutschen Behörden und Gerichte den Anforderungen entsprechen, die der EuGH (NVwZ 2000, 1029) aus Art. 14 des Assoziationsratsbeschlusses EWG-Türkei Nr. 1/80 hergeleitet hat. Da sich der Betroffene ein derartiges Verhalten der türkischen Behörden nicht zurechnen lassen muss, bedarf es hier keiner Entscheidung, ob die türkische Seite hierdurch gegen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland (etwa gegen Sinn und Zweck des Art. 7 S. 2 des Niederlassungsabkommens vom 25.06.1927) verstößt.
Über die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten des Betroffenen war nach § 16 FEVG zu entscheiden. Danach hat das Gericht, wenn es den Antrag der Verwaltungsbehörde auf Anordnung der Freiheitsentziehung ablehnt, zugleich die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zu zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, der Gebietskörperschaft aufzuerlegen, der die Verwaltungsbehörde angehört, wenn das Verfahren ergeben hat, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrages nicht vorlag. Ob ein begründeter Anlass zur Antragstellung vorgelegen hat, ist dabei nach dem Sachverhalt zu beurteilen, der von der Behörde zur Zeit der Antragstellung unter Ausnutzung aller ihr nach den Umständen des Einzelfalls zumutbaren Erkenntnisquellen festgestellt werden konnte; ein schuldhaftes Verhalten von Verwaltungsbediensteten wird nicht vorausgesetzt (vgl. Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl., § 16 Rdnr. 3; Senatsbeschluß vom 03.07.1995 - 15 W 168/95 -).
Im vorliegenden Fall lässt sich nicht feststellen, dass der Antrag im vorbeschriebenen Sinne zu unrecht gestellt worden ist. Im Zeitpunkt der Antragstellung konnte man seitens des Beteiligten zu 2) unter Berücksichtigung der Erklärungen des türkischen Generalkonsulats gegenüber der Zentralen Ausländerbehörde davon ausgehen, dass der Betroffene vorgetäuscht hatte, gegen die seine Ausreisepflicht begründende Ausweisungsverfügung noch Rechtsbehelfe anhängig seien, die der Vollziehbarkeit entgegen stehen würden. Unter diesen Voraussetzungen konnte die Behörde davon ausgehen, dass der Betroffene seine Abschiebung verhinderte (vgl. oben), mithin die Voraussetzungen für eine Haftverlängerung über sechs Monate hinaus vorlagen.
Ende der Entscheidung
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