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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.03.2006
Aktenzeichen: 2 Ss 67/05
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 64 |
Beschluss
Strafsache
gegen P.D.
wegen gefährlicher Körperverletzung
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hagen vom 23. November 2005 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. 03. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gem. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 15. Juli 2005 wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Auf die hiergegen eingelegte Strafmaßberufung der Staatsanwaltschaft hat die Strafkammer das angefochtene Urteil dahin abgeändert, dass die Strafaussetzung zur Bewährung entfallen ist. Die Unterbringung des Angeklagten gem. § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt ist angeordnet worden. Dagegen richtet sich nunmehr die Revision des Angeklagten. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben. Sie ist der Auffassung, die Feststellungen und Ausführungen des Landgerichts zur Frage der Unterbringung des Angeklagten seien lückenhaft.
II.
Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Zutreffend weisen Revision und Generalstaatsanwaltschaft übereinstimmend darauf hin, dass die Feststellungen des Landgerichts zur Frage der Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB und die dazu gemachten Ausführungen des Landgerichts lückenhaft sind.
Das Landgericht hat dazu im angefochtenen Urteil ausgeführt:
"Der Angeklagte ist nicht gem. § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen. Denn unabhängig vom Vorliegen der übrigen Voraussetzungen muss hier die Anordnung unterbleiben, weil eine Entziehungskur von vornherein aussichtslos erscheint (§ 64 Abs. 2 StGB). Nach Einschätzung der Kammer hat sich der Angeklagte in der Vergangenheit erkennbar therapieunwillig gezeigt. Allein seine gegenteilige Erklärung in der Berufungshauptverhandlung genügt nach Auffassung der Kammer nicht, um nunmehr einer etwaigen Entziehungskur zumindest eine gewisse Aussicht auf Erfolg zuzubilligen. Dazu hätte es mit Blick auf das Vorleben des Angeklagten schon tatsächlicher Umstände bedurft, die einerseits auf eine Therapiewilligkeit des Angeklagten und daneben auf seine grundsätzliche Bereitschaft, sein Leben zu ändern und sich vom Alkohol zu lösen, hindeuten. Diese liegen jedoch nicht vor."
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Aufhebungsantrag wie folgt begründet:
"Die von Amts wegen zu überprüfende Beschränkung der Berufung der Staatsanwaltschaft auf den Rechtsfolgenausspruch war wirksam. Die - knappen - tatrichterlichen Feststellungen in dem Urteil des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 15.07.2005 (BI. 52 ff. d.A.) tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und bilden eine zuverlässige Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung.
Der Rechtsfolgenausspruch hält dagegen der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat im Rahmen der Rechtsfolgenbemessung von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB unter Hinweis auf eine Aussichtslosigkeit einer entsprechenden Entziehungsbehandlung des Angeklagten abgesehen, ohne die Voraussetzungen des § 64 StGB im Einzelnen zu prüfen.
Hat ein Täter den Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen und wird er wegen auf den Hang zurückzuführender rechtswidriger Taten verurteilt, so muss das Gericht nach § 64 Abs. 1 StGB die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass er auch in Zukunft in Folge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung darf nur unterbleiben, wenn eine Entziehungskur von vornherein aussichtslos erscheint (§ 64 Abs. 2 StGB). Ob von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu Recht abgesehen worden ist, kann vom Revisionsgericht auf die Sachrüge hin überprüft werden, auch wenn - wie hier - nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 S.2 StPO; BGHSt 37, 5). Der Revisionsführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Gericht ausdrücklich nicht von seinem Rechtsmittel ausgenommen. Anlass für diese Überprüfung besteht jedoch nur dann, wenn es nach den Urteilsfeststellungen nahe liegt, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringungsanordnung gegeben sind, sich eine Prüfung für den Tatrichter daher aufdrängen musste (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 13.05.2003 - 4 Ss 316/03 -).
So liegt es hier. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte seit vielen Jahren alkoholabhängig ist. Auch bei den dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegenden Straftaten hat der Angeklagte unter nicht unerheblichem Alkoholeinfluss gestanden. Die Kammer ist insoweit auch von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB ausgegangen (S. 7 UA). Sie hat darüber hinaus festgestellt, dass die von dem Angeklagten bisher begangenen Gewalttaten - wie dieser selbst ausweislich der Urteilsgründe in der Berufungshauptverhandlung eingeräumt hat - im Zusammenhang mit seiner Alkoholabhängigkeit standen (S. 8 UA). Ungeachtet der Erklärung des Angeklagten, therapiewillig zu sein, hat die Kammer keine günstige Prognose für ein zukünftig straffreies Leben erkannt und deshalb eine Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt.
Angesichts dieser Feststellungen hätte die Kammer nach Anhörung eines Sachverständigen konkret das Vorliegen eines Hanges im Sinne des § 64 StGB sowie darüber hinaus prüfen müssen, ob die Gefahr besteht, dass der Angeklagte infolge seiner Abhängigkeit erneut rechtswidrige Taten begehen wird und ob dem durch die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt begegnet werden kann. Die Erfolgsaussichten einer Entziehungskur lassen sich, da sichere allgemeine Kriterien fehlen, nur nach Lage des Einzelfalls und regelmäßig nur mit Hilfe eines Sachverständigen gemäß § 246 a StPO klären (vgl. LK, StGB, 11. Aufl., § 64 Rn 98). Um die bestmögliche Aufklärung zu ermöglichen und um von vornherein jedem Zweifel vorzubeugen, ob in einfach gelagerten Fällen nicht schon die eigene Sachkunde des Gerichts genügen könnte, schreibt § 246 a StPO ausnahmslos die Anhörung eines Sachverständigen in der Hauptverhandlung zwingend vor, wenn mit der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu rechnen ist (vgl. Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 246 a Rdn 1). Der Tatrichter hat dann festzustellen, ob der Täter nach der bisherigen Entwicklung seiner Sucht, nach seiner physischen und psychischen Struktur und gegebenenfalls trotz seiner kriminellen Prägung (noch) therapierbar ist (vgl. BVerfG, NJW 1995, 1077).
Das Urteil enthält sich im Rahmen der Erörterung des § 64 StGB konkreter Feststellungen sowohl zum Vorliegen eines Hanges als auch zur Gefährlichkeitsprognose. Auch die Ausführungen zur Aussichtslosigkeit einer Entziehungskur tragen nicht. Allein die Feststellung, der Angeklagte habe sich bislang nicht ernsthaft um die Durchführung einer Therapie bemüht, vermag eine Aussichtslosigkeit einer Entziehungskur nicht zu begründen, zumal der Angeklagte ausweislich der Feststellungen im Rahmen der Berufungshauptverhandlung angegeben hat, nunmehr eine Alkoholentwöhnungstherapie durchführen zu wollen. Auch der Umstand, dass der Angeklagte bereits eine Therapie absolviert hat und rückfällig geworden ist, steht der Erfolgsaussicht einer neuen Therapie nicht grundsätzlich entgegen (vgl. BGH, NStZ-RR 1997, 132). Dies mag der Fall sein bei einem Süchtigen, der bereits mehrere Therapien abgebrochen hat oder sie zwar durchgestanden hat, aber immer wieder rückfällig geworden ist (vgl. BGH, a.a.O.). Der Angeklagte hat jedoch erst an einer Therapie teilgenommen. Aus dem einmaligen Rückfall darf noch nicht der Schluss gezogen werden, dass er auch dieses Mal wieder rückfällig wird. Vielmehr kann gerade diese Erfahrung für den Angeklagten eine zusätzliche Motivation sein, die sich in der Behandlung und der Vorbereitung auf die Zeit nach der Therapie positiv auswirkt (vgl. BGH, NStZ-RR 1997, 132). Eine Entziehungskur erscheint auch nicht deshalb aussichtslos, weil die Kammer festgestellt hat, der Angeklagte habe sich bislang nicht ernsthaft um die Durchführung einer Therapie bemüht (vgl. Senatsbeschluss vom 19.09.2005 - 2 Ss 330/05 -). Die Kammer hätte daher prüfen müssen, ob der fehlenden Konsequenz bisheriger Therapiebemühungen des Angeklagten nicht durch die Anordnung der Unterbringung selbst hätte begegnet werden können.
Da die Verhängung von Freiheitsstrafe und die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bei der Beurteilung der zu erkennenden Rechtsfolgen Wechselwirkung entfalten und nach Lage des Falles nicht auszuschließen ist, dass im Falle der Anordnung der Unterbringung auf eine noch geringere Einzelstrafen bzw. eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt worden wäre, ist der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben.
Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob die im Wege der Verfahrensrüge von der Revision geltend gemachte Verletzung des § 246 a StPO den an die Geltendmachung der Verfahrensrüge zu stellenden Anforderungen genügt. Allerdings sollte der Senat die Kammer für die erneute Verhandlung vorsorglich darauf hinweisen, dass gem. § 246 a StPO für die Frage der Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB ein Sachverständiger hinzuzuziehen wäre, der nach Untersuchung des Angeklagten sowohl zur Frage eines Hanges des Angeklagten im Sinne des § 64 StGB, zur Gefährlichkeitsprognose als auch zu Therapieaussichten zu hören wäre. Eine Unterbringungsentscheidung ist nämlich rechtsfehlerhaft, wenn das Gericht es unterlässt, in der Hauptverhandlung einen Sachverständigen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Sowohl bei der Feststellung eines Hanges als auch bei der erforderlichen Gefährlichkeitsprognose ist das Gericht gehalten, sich sachverständiger Hilfe zu bedienen. Dieses Verfahrenserfordernis kann nicht etwa durch die in anderen Verfahren erworbene und andere Angeklagte betreffende eigene Sachkunde des Gerichts ersetzt werden (zu vgl. BGH NStZ-RR 2004, 204 f).
Diesen zutreffenden Ausführungen tritt der Senat nach eigener Sachprüfung bei. Danach war das angefochtene Urteil aufzuheben. Die Aufhebung erfasst allerdings nur den Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils, nachdem der Schuldspruch des amtsgerichtlichen Urteils, das vom Angeklagten nicht angegriffen worden ist, bereits durch die wirksame Strafmaßberufung der Staatsanwaltschaft in Rechtskraft erwachsen ist.
Der Senat weist auf noch Folgendes zusätzlich hin:
Das Landgericht wird, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist, die anstehenden Fragen nicht ohne sachverständige Hilfe klären können. Deshalb wird zu der neuen Hauptverhandlung auf jeden Fall ein Sachverständiger hinzugezogen werden müssen.
Ende der Entscheidung
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