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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 30.08.2005
Aktenzeichen: 2 UF 109/05
Rechtsgebiete: BetrAVG, VAG, VAHRG
Vorschriften:
BetrAVG § 16 Abs. 1 | |
BetrAVG § 16 Abs. 3 Nr. 1 | |
BetrAVG § 16 Abs. 3 Nr. 2 | |
VAG § 53 c | |
VAHRG § 10 a |
Tenor:
Die Beschwerde wird auf Kosten der Beschwerdeführerin zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 1.000,00 €.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe:
I.
Das Familiengericht hat mit der angefochtenen Entscheidung die Ehe der Parteien geschieden und den Versorgungsausgleich in der Weise durchgeführt, dass es im Wege des Rentensplittings vom Rentenversicherungskonto des Ehemannes bei der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 179,73 € bezogen auf das Ende der Ehezeit am 31.10.2002 auf das Versicherungskonto der Ehefrau bei der Landesversicherungsanstalt Westfalen übertragen, sowie im Wege des analogen Quasisplittings weitere 17,32 € zu Lasten der für den Ehemann bei der Beschwerdeführerin, der Pensionskasse Deutscher Eisen- und Straßenbahnen, bestehenden Versorgungsanwartschaften auf dem gesetzlichen Rentenversicherungskonto der Ehefrau begründet hat. Bei der Berechnung der betrieblichen Rentenanwartschaft des Ehemannes ist es davon ausgegangen, dass diese im Anwartschaftsstadium als statisch und im Leistungsstadium als dynamisch zu bewerten ist.
Dagegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit dem Antrag, das Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Essen vom 28.1.2005 dahingehend abzuändern, dass anstelle von 17,32 € lediglich 10,50 € bezogen auf das Ende der Ehezeit zu Lasten der Pensionskasse Deutscher Eisen- und Straßenbahnen, auf dem gesetzlichen Rentenversicherungskonto der Ehefrau bei der Landesversicherungsanstalt Westfalen begründet werden.
Zur Begründung führt sie aus, das Familiengericht habe bei der Umrechnung der Rentenanwartschaft bei der Pensionskasse den Tabellenbarwert zu Unrecht um den Faktor 1,65 erhöht, denn die Anwartschaft sei auch im Leistungsstadium als statisch zu behandeln. Sie beruft sich darauf, in ihrer Satzung kein Versrechen abgegeben zu haben, die erwirtschafteten Überschüsse zur Erhöhung der laufenden Renten zu verwenden, weil sie von der Anpassungsmöglichkeit nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG keinen Gebrauch gemacht habe. Im übrigen sei zukünftig mit einer nennenswerten Erhöhung der Renten im Leistungstadium nicht zu rechnen. Die durchschnittliche lineare Steigerung im Zeitraum 1996 bis 2010 würde voraussichtlich deutlich unter 0,5 % liegen, da die Besonderheit bestehe, dass die Pensionskasse infolge eines gesetzlich angeordneten Rechtsformwechsels zum 1.1.2006 ihren Status als öffentlich-rechtliche Körperschaft verliere und in einen Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit umgewandelt werde. Als solcher müsse sie dann die gesetzlich vorgesehenen Solvabilitätsanforderungen des § 53 c VAG erfüllen, wofür sie einen Betrag von rund 24 Mio. € aufbringen müsse. Dies würde die zukünftig verteilungsfähigen Überschüsse zur Erhöhung der Renten in den nächsten Jahren vollständig aufzehren.
II.
Die gemäß den §§ 629 a Abs. 2, 621 e Abs. 1 und 3, 517, 520 form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, denn bei der Rentenanwartschaft der Pensionskasse Deutscher Eisen- und Straßenbahnen handelt es sich um eine im Leistungsstadium volldynamische Versorgung.
Die Beschwerdeführerin kann sich nicht darauf berufen, gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG von der Anpassungsverpflichtung nach den §§ 16 Abs.1, 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG entbunden zu sein, weil sie die anfallenden Überschußanteile zur Erhöhung der laufenden Rentenleistungen verwendet. Ebensowenig, wie die Verpflichtung des Arbeitgebers, die laufenden Leistungen entsprechend § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG um jährlich wenigstens 1 % anzupassen zwingend zu einer Dynamik der betreffenden Rentenanwartschaft führt, bedeutet die Befreiung von dieser Verpflichtung aufgrund der Verwendung der in den Rentenbestand fallenden Überschußanteile zur Erhöhung der laufenden Rentenleistungen durch die Pensionskasse, dass die Versorgung als statisch zu bewerten ist. Zwar liegen in diesem Falle keine spezifischen Strukturmerkmale vor, die die Einordnung der Versorgung als dynamisch im Leistungsstadium indizieren, denn die Beschwerdeführerin hat weder eine bestimmte Anpassung der laufenden Renten zugesagt, noch bedient sie sich eines Finanzierungssystems, das sich am Gesamteinkommen ihrer Versicherten orientiert und deshalb auf eine volle Dynamik hinweist. Nach § 57 ihrer Satzung hat sie lediglich alle drei Jahre durch einen versicherungsmathematischen Sachverständigen eine versicherungstechnische Bilanz für jede Abteilung erstellen zu lassen, wobei eventuelle Überschüsse in den Bilanzen der einzelnen Abteilungen "für eine Anhebung der laufenden Renten und/oder Anwartschaften zu verwenden" sind (vgl. § 57, S. 2 der Satzung). Der sich daraus ergebende fehlende Rechtsanspruch der Versicherten auf Erhöhung der Versorgung rechtfertigt jedoch nicht die Annahme, dass diese im Leistungsstadium als statisch anzusehen ist (BGH FamRZ 1997, 164, 166; FamRZ 2005, 430, 431). Ein im Leistungsstadium dynamisches Anrecht kann sich nämlich auch dann ergeben, wenn sich aufgrund von Überschußerträgen tatsächlich eine mit der Grundversorgung bei der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung vergleichbare Steigerung ergibt (BGH FamRZ 2004, 1474, 1475).
Für die Beurteilung der Vergleichbarkeit hält der Bundesgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. BGH FamRZ 2004, a. a. O.) - der sich der Senat anschließt - daran fest, dass eine Volldynamik dann in Betracht kommt, wenn der durchschnittliche Zuwachs der Renten im Leistungsstadium nicht mehr als 1 % hinter der Dynamik der gesetzlichen Renten und der beamtenrechtlichen Anrechte zurückbleibt (so auch: OLG Köln NJW-RR 2005, 229, 230; OLG Düsseldorf FamRZ 2005, 826, 827). Diese Voraussetzungen sind im Falle der Pensionskasse Deutscher Eisen- und Straßenbahnen erfüllt, wobei der Senat für die vorzunehmende Bewertung einen Vergleichszeitraum von 7 Jahren, von 1998 bis einschließlich 2004, für angemessen und ausreichend erachtet. Dabei hat er berücksichtigt, dass gerade in den letzten Jahren erhebliche Einschnitte in der Beamtenversorgung und der gesetzlichen Rentenversicherung stattgefunden haben, die zu einer weitaus geringeren Steigerungsrate, wie sie in der Vergangenheit seit Einführung des Versorgungsausgleichs erfolgt ist, geführt haben und dass angesichts der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland mit einer vergleichbar hohen Steigerung wie noch vor 8 Jahren in Zukunft nicht mehr ohne weiteres gerechnet erden kann. Die Steigerungsraten bemessen sich im Vergleich wie folgt:
Jahr | gesetzliche Rentenversicherung | Beamtenversorgung | Pensionskasse |
1998 | 0,44% | 1,50% | |
1999 | 1,34% | 2,80% | 1,50% |
2000 | 0,60% | 0,00% | |
2001 | 1,91% | 1,70% | |
2002 | 2,16% | 2,10% | 3,75% |
2003 | 1,04% | 1,74% | |
2004 | 0,00% | 0,00% | 0,57% * |
gesamt: | 7,49% | 9,84% | 5,82% |
durchschnittlich: | 1,07% | 1,41% | 0,83% |
(* 1/3 von 1,7 % für die Jahre 2004 bis 2006) |
Danach betrug die Steigerung der gesetzlichen Renten und der Beamtenversorgung im Leistungsstadium im Vergleichszeitraum im Mittel 1,24 % und die der Versorgung aus der Pensionskasse durchschnittlich 0,83 %, was zu einer - deutlich unter 1 % liegenden - Differenz von 0,41 % führt.
Der Senat verkennt nicht, dass die Bewertung der vergleichenden Rentenzuwächse über den genannten Vergleichszeitraum nicht einfach für die Zukunft fortgeschrieben werden kann, sondern lediglich als Anhaltspunkt für die zu treffende Prognose über die zukünftige Entwicklung der Renten nach dem Ende der Ehezeit dient. Die Aussagekraft derartiger in der Vergangenheit liegender Abläufe für die Einschätzung der zukünftigen Anrechtsentwicklung wird im Einzelfall auch von weiteren zu bewertenden Faktoren beeinflußt, insbesondere der zu erwartenden wirtschaftlichen Entwicklung des die Versorgung finanzierenden Unternehmens (vgl. BGH FamRZ 1997, a. a. O.; FamRZ 2004, a. a. O.; FamRZ 2005, a. a. O.). Daher kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Renten aus der Pensionskasse Deutscher Eisen- und Straßenbahnen infolge der mit dem anstehenden Rechtsformwechsel verbundenen Solvabilitätsanforderungen in Zukunft voraussichtlich nicht mehr in der gleichen Weise Steigerungen erfahren werden, wie in der Vergangenheit. Das gilt zumindest dann, wenn die Beschwerdeführerin die von ihr aufzubringenden Kapitalbeträge - wie sie behauptet - ganz oder zumindest überwiegend aus den bisher für die Erhöhung der laufenden Renten verwandten Überschüssen finanzieren muß. Eine vergleichbare Situation ergibt sich jedoch auch für die Rentenanwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung. Diese sind zwar per Gesetz als volldynamisch anerkannt (vgl. §§ 1587 a Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 3 BGB, 1 Abs. 1 S. 2 der BarwertVO). Grundlage dieser Bewertung ist die Annahme, dass die Beamtenversorgung und die gesetzliche Rentenversicherung sowohl im Anwartschafts- als auch im Leistungsteil regelmäßig an die allgemeine Einkommensentwicklung angepaßt werden, wovon jedoch zukünftig wegen der bestehenden "Finanznot" der Rentenversicherungsträger nicht mehr ohne weiteres ausgegangen werden kann (vgl. Bergner, Anmerkung zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7.7.2004 - XII ZB 277/03 -, FamRZ 2004, 1631). So steht für die Beamtenversorgung bereits fest, dass der Höchstversorgungssatz von 75 % auf 71,75 % bis 2010 voraussichtlich absinken wird, während sich für die gesetzliche Rentenversicherung weder der Zeitraum der Übergangsphase noch das Abkürzungsniveau verläßlich feststellen läßt (vgl. BGH FamRZ 2004, 1474, 1476). Mit einer Erhöhung der Anstiegsraten ist jedenfalls angesichts der derzeitigen wirtschaftlichen Lage in der Bundesrepublik mittelfristig nicht zu rechnen (vgl. OLG Köln NJW-RR, a. a. O.). Im Gegenteil zeichnet sich ab, dass aufgrund der leeren Rentenkassen und dem statistisch prognostizierten überproportionalen Anstieg an Rentenempfängern gegenüber den Beitragszahlern mit einem nennenswerten Anstieg der laufenden gesetzlichen Renten nicht gerechnet werden kann (vgl. Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2004, BT-Drucks. 15/4498, S. 79, 81, 85; Schlussbericht der Enquete-Kommission "Demographischer Wandel - Herausforderungen unserer älter werdenden Gesellschaft an dem Einzelnen und die Politik", BT-Drucks. 14/8800, S.161, 164). Langfristig läßt sich eine zuverlässige Prognose der Rentenentwicklung nicht erstellen (Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2004, a. a. O., S. 83). Bei der derzeitigen öffentlichen Diskussion in Politik und Medien steht die Schaffung einer umfassenden Rentenreform zu erwarten, wobei sich bereits jetzt abzeichnet, dass alternativen Rentenmodellen und insbesondere der Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge ein besonderes Gewicht zukommt (vgl. Schlussbericht der Enquete-Kommission, a. a. O., S. 170). Unter diesen Voraussetzungen kann eine zuverlässige Prognose darüber, wie sich die laufenden Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung in Zukunft entwickeln werden ebensowenig vorgenommen werden, wie zur Entwicklung der betrieblichen Renten und insbesondere derjenigen bei der Beschwerdeführerin. Es wäre wirklichkeitsfremd, davon auszugehen, dass sich die Rentensteigerung, so wie bisher, fortsetzen werden. Da sich wesentliche Abweichungen in der zukünftigen Rentenentwicklung bei der Pensionskasse Deutscher Eisen- und Straßenbahnen von der zukünftigen Rentenentwicklung bei der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung nicht positiv feststellen lassen und sich auch aus vergangenen Zeiträumen keine wesentlichen Abweichungen ergeben, erscheint es nicht gerechtfertigt, die betrieblichen Anwartschaften des Ehemannes bei der Pensionskasse im Leistungsstadium schlechter zu bewerten, als die der gesetzlichen Rentenversicherung und der Beamtenversorgung und als statisch zu behandeln. Vielmehr ist es in einem solchen Fall geboten, von einer Dynamik im Leistungstadium auszugehen.
Sofern - wider Erwarten - in Zukunft eine andere Entwicklung eintritt, die der Annahme einer Volldynamik der Rentenanwartschaften bei der Pensionskasse im Leistungsstadium entgegensteht, kann der ausgleichspflichtige Ehemann auf die Möglichkeit der Abänderung nach § 10 a VAHRG verwiesen werden (vgl. BGH FamRZ 2004, a. a. O.). Umgekehrt erscheint es nicht gerechtfertigt, dem ausgleichsberechtigten Ehegatten das Risiko des Unterliegens mit dem Abänderungsbegehren nach § 10 a VAHRG aufzuerlegen, denn diese Vorschrift dient nicht dazu, dem - dem Grundgedanken des Versorgungsausgleichs zugrundeliegenden - Halbteilungsgrundsatz primäre Geltung zu verschaffen, sondern nur dazu, Korrekturen zuzulassen, in den Fällen, in denen der Halbteilungsgrundsatz nachhaltig verletzt ist.
Da die Voraussetzungen für eine im Leistungsstadium bestehende Volldynamik der Rente bei der Beschwerdeführerin vorliegen, hat das Familiengericht den maßgeblich anzusetzenden Barwertfaktor zurecht um 165 % erhöht. Sonstige Fehler bei der Berechnung des Versorgungsausgleichs sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 97 Abs. 1 ZPO.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache wird die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Ende der Entscheidung
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