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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 15.09.2004
Aktenzeichen: 2 Ws 235/04
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 120 |
Beschluss
Strafsache
gegen in der Regel wegen Totschlags (hier: Haftbeschwerde des Angeklagten).
Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 27. August 2004 gegen den Beschluss der 8. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 24. August 2004 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 15. 09 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Tenor:
Die Haftbeschwerde wird auf Kosten des Angeklagten (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.
Gründe:
I.
Der Angeklagte ist am 02. März 2003 vorläufig festgenommen worden und befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bochum vom 03. März 2003 -26 Gs 8/03- in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Bochum. Die 8. große Strafkammer -Jugendschutzkammer- des Landgerichts Bochum hat den Angeklagten am 04. November 2003 wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe in Höhe von acht Jahren verurteilt. Gleichzeitig hat das Landgericht beschlossen, dass der Haftbefehl des Amtsgerichts Bochum vom 03. März 2003 aus den Gründen seiner Anordnung nach Maßgabe des verkündeten Urteils aufrechterhalten bleibe. Das Urteil der Strafkammer ist noch nicht rechtskräftig. Das Revisionsverfahren ist derzeit beim Generalbundesanwalt bzw. beim Bundesgerichtshof anhängig.
Mit Schreiben vom 20. August 2004 hat der Angeklagte die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise dessen Außervollzugsetzung beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Gerichtsakte abhanden gekommen sei. Unter diesen Umständen sei das Revisionsverfahren über Monate nicht gefördert worden, sodass Art. 6 EMRK verletzt sei. Mit Beschluss vom 24. August 2004 hat die Strafkammer die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Hiergegen hat der Angeklagte mit Schreiben seines Verteidigers vom 27. August 2004 (weitere) Haftbeschwerde eingelegt und zur Begründung u.a. zusätzlich ausgeführt, dass das Revisionsverfahren mit Rücksicht auf die vorgebrachten Revisionsrügen nur anhand der Originalakten ordnungsgemäß durchgeführt werden könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 27. August 2004 nebst Anlagen Bezug genommen. Mit Beschluss vom 31. August 2004 hat die Strafkammer der Beschwerde nicht abgeholfen und auf das Wiederauffinden der Gerichtsakte bei der Staatsanwaltschaft Bochum hingewiesen.
II.
Die gemäß §§ 304 Abs. 1, 117 Abs. 2 Satz 2 StPO statthafte Haftbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft gemäß § 112 StPO sind weiterhin gegen den Angeklagten gegeben.
Der Angeklagte ist nach wie vor dringend verdächtig, einen Totschlag zum Nachteil seines ehemaligen Arbeitgebers H. schuldhaft begangen zu haben. Der dringende Tatverdacht ergibt sich schon daraus, dass der Angeklagte durch die 8. große Strafkammer des Landgerichts Bochum des Totschlags für schuldig befunden und zu einer Jugendstrafe von acht Jahren verurteilt worden ist. Allein der Umstand, dass das Gericht nach Durchführung eines rechtsstaatlichen Regeln unterworfenen Erkenntnisverfahrens zu der Überzeugung der Täterschaft und Schuld des Angeklagten gelangt ist, spricht für eine hohe Wahrscheinlichkeit seines strafbaren Handels in der festgestellten Weise (vgl. OLG Hamm Beschluss vom 24. September 2003 in 3 Ws 368/03; Beschluss vom 08. Juli 1999 in 4 Ws 242/99; Beschluss vom 20. April 2000 in 4 Ws 150/00 und Beschluss vom 29. Dezember 1999 in 4 Ws 515/99, veröffentlicht unter www.burhoff.de, Suchbegriff "dringender Tatverdacht" lfd.Nr. 46). Anhaltspunkte dafür, dass hier ausnahmsweise eine andere Beurteilung gerechtfertigt sein könnte, führt die Beschwerde nicht auf und sind im Übrigen auch nicht ersichtlich.
Die Strafkammer hat im Ergebnis zutreffend den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO bejaht, da der von der erheblichen Jugendstrafe ausgehende Fluchtanreiz nicht durch andere Umstände gemildert wird (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 112 Rn. 19 ff.). Insbesondere belegen die von der Strafkammer in seinem Urteil vom 04. November 2003 getroffenen Feststellungen zur Person des Angeklagten, dass er nicht über ausreichend tragfähige, feste persönliche oder familiäre Beziehungen verfügt, die die Annahme rechtfertigen, er werde dem von der verhängten Jugendstrafe ausgehenden Fluchtanreiz nicht nachgeben.
Gegen den Angeklagten besteht zudem der Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO.
Er muss -unabhängig vom Ausgang des Revisionsverfahrens- damit rechnen, dass die gegen ihn verhängte Jugendstrafe von acht Jahren rechtskräftig und in absehbarer Zeit vollstreckt wird. Fluchtgefahr ist somit unter Berücksichtigung seiner -wie dargestellt- nicht tragfähigen sozialen Bindungen nicht auszuschließen, was für die Annahme des Haftgrundes des § 112 Abs. 3 StPO ausreicht (Meyer-Goßner a.a.O., Rn. 37 m.w.N.).
Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist entgegen der Ansicht des Angeklagten auch nicht unverhältnismäßig. Soweit die Haftbeschwerde darauf abstellt, mit einer Rekonstruktion von wesentlichen Teilen der Strafakte oder ihrem Wiederauffinden sei nicht zu rechnen, die Originalakte werde demgegenüber für die Durchführung des Revisionsverfahrens benötigt, kommt es hierauf nicht an, nachdem die Gerichtsakte am 31. August 2004 wieder aufgefunden wurde.
Der Haftbeschwerde ist allerdings darin zuzustimmen, dass eine dem Beschleunigungsgebot widersprechende Verfahrensverzögerung von insgesamt dreieinhalb Monaten eingetreten ist. Nachdem das Urteil der Strafkammer vom 04. November 2003 dem damaligen Verteidiger, Rechtsanwalt A. in Bochum, am 28. Januar 2004 zugestellt wurde, hat der damalige Kammervorsitzende wegen nicht vollständiger Übernahme von in der Urschrift des Urteils vorgenommener handschriftlicher Berichtigungen in die zugestellten Urteilsausfertigungen am 05. März 2004 die erneute Zustellung berichtigter Urteilsabschriften verfügt, sodass diese Rechtsanwalt A. erst am 10. März und Rechtsanwalt Dr. B. erst am 11. März 2004 zugestellt wurden. Es kam damit zu einer Verzögerung von ca. eineinhalb Monaten, die vermeidbar gewesen wäre, wenn, wie es geboten gewesen wäre, die betreffenden Abweichungen von der damaligen stellvertretenden Kammervorsitzenden am 23. Januar 2004 vor der am gleichen Tage verfügten Urteilszustellung vorgenommenen Überprüfung der Urteilsabschriften festgestellt worden wären. Eine weitere vermeidbare, dem Beschleunigungsgebot widersprechende Verfahrensverzögerung ist außerdem in dem Zeitraum vom 07. Juli 2004 bis zum 31. August 2004 dadurch eingetreten, dass die Originalakten zunächst nicht auffindbar waren. Diese Verzögerung trat ein, nachdem der Generalbundesanwalt mit Verfügung vom 04. Juni 2004 die Originalakten der Strafkammer mit der Bitte zugeleitet hatte, zu der Rüge der nicht vollständigen Absetzung des Urteils gemäß § 275 StPO dienstliche Erklärungen abzugeben und der damalige Kammervorsitzende seine dienstliche Äußerung am 07. Juli 2004 vermerkte. Offensichtlich anlässlich des Abfassens der betreffenden Vermerke der damaligen Kammermitglieder durch die Schreibkanzlei sind die Originalakten außer Kontrolle geraten, sodass sie aufgrund der Nachforschungen der Kammer am 31. August 2004 bei der Staatsanwaltschaft Bochum bei Akten der 1. Strafkammer des Landgerichts Bochum aufgefunden wurden. Demnach kam es zu einer weiteren, vermeidbaren Verzögerung von ca. zwei Monaten, insgesamt mithin zu einer solchen von dreieinhalb Monaten.
Die eingetretenen Verzögerungen führen gleichwohl nicht zur Unverhältnismäßigkeit einer weiteren Fortdauer der Untersuchungshaft. Vielmehr ist bei der Frage, ob ein Haftbefehl nach Erlass eines tatrichterlichen Urteils wegen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot aufzuheben oder außer Vollzug zu setzen ist, zutreffender Ansicht nach (vgl. OLG Düsseldorf NStZ-RR 2000, 251 m.w.N; Meyer-Goßner a.a.O., § 120 Rn. 7, § 121 Rn. 8) auch das Gewicht der Straftat und die Höhe der verhängten Strafe gegenüber dem Ausmaß der Verfahrensverzögerung und dem Grad des die Justiz treffenden Verschuldens abzuwägen. In Anbetracht der genannten Verfahrensverzögerung und der immerhin erheblichen Jugendstrafe von acht Jahren sowie des erheblichen Gewichtes der Tat, die mit einer erheblichen Anzahl von Messerstichen begangen wurde, wiegt die eingetretene Verfahrensverzögerung vorliegend nicht so schwer, dass die Fortdauer der Untersuchungshaft unverhältnismäßig erscheint.
Angesichts der erheblichen Höhe der verhängten bzw. zu erwartenden Jugendstrafe erscheinen mildere Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO nicht ausreichend dem von der zu erwartenden Strafe ausgehenden Fluchtanreiz zu begegnen.
Das Rechtsmittel war deshalb als unbegründet auf Kosten des Beschwerdeführers (§ 473 Abs. 1 StPO) zu verwerfen.
Ende der Entscheidung
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