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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 17.04.2009
Aktenzeichen: 25 U 86/08
Rechtsgebiete: UStG, AO, ZPO, EGBGB
Vorschriften:
UStG § 4 Nr. 9 b | |
UStG § 4 Nr. 9 lit. b a. F. | |
UStG § 18 Abs. 3 | |
AO § 168 | |
AO § 169 Abs. 2 | |
AO § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 | |
AO § 169 Abs. 2 Nr. 2 | |
AO § 164 Abs. 2 Satz 1 | |
AO § 164 Abs. 2 Satz 2 | |
AO § 164 Abs. 4 Satz 1 | |
ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1 | |
EGBGB Art. 229 § 5 Abs. 1 |
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 09.10.2008 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung seitens der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Gründe:
A.
Der Kläger betreibt Spielstätten, in denen u. a. Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeiten aufgestellt sind. Mit vorliegender Klage nimmt er die Beklagten wegen Verletzung steuerberaterlicher Pflichten betreffend die Umsatzsteuerveranlagung für das Steuerjahr 1996 in Anspruch.
Die Beklagten sind seit 1991 die Steuerberater des Klägers und beraten ihn seitdem umfassend in steuerrechtlicher Hinsicht.
Im Jahre 1991 - schon während Bestehens des Beratungsmandates der Beklagten - hatte der Kläger vor dem Finanzgericht Münster ein Verfahren betreffend die Umsatzbesteuerung für den Monat Juli 1991 geführt. Dieses Verfahren war als Musterprozess initiiert worden von dem X. In diesem Verfahren ging es um die steuerrechtliche Frage der Höhe der Bemessungsgrundlage für die Besteuerung der Umsätze aus Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeiten. Im Zusammenhang mit diesem Verfahren hatte der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers auch gegenüber den Beklagten darauf hingewiesen, dass nach seiner Auffassung Glücksspiele mit Geldeinsatz umsatzsteuerfrei seien, da die streitbefangene bundesdeutsche Norm des Umsatzsteuergesetzes europarechtswidrig sei. Von einer Geltendmachung dieses rechtlichen Gesichtspunktes im damaligen finanzgerichtlichen Verfahren sah der Kläger jedoch ab. Da es seitens des X nicht als zweckgerichtet erachtet wurde, die Geldspielautomaten als Glücksspiel zu qualifizieren, wurde die Problematik nicht in das damalige Verfahren eingeführt.
Der Kläger gab am 05.12.1997 die Umsatzsteuererklärung für das Steuerjahr 1996 ab. Da nach der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Vorschrift des § 4 Nr. 9 b UStG ein Betreiber von Geldspielautomaten für Umsätze aus dem Betrieb derartiger Automaten, auch soweit sie Gewinnmöglichkeiten boten, Umsatzsteuer an die Finanzbehörden zu entrichten hatte, wurden in der Erklärung auch die Umsätze aus diesen Geldspielautomaten der Umsatzsteuer unterworfen. Der entsprechende Umsatzsteuerbescheid erging am 29.12.1997. Einen Einspruch gegen diesen Bescheid legten die Beklagten nicht ein. Da die Abgabe der Steuererklärung nach § 18 Abs. 3 UStG eine Steueranmeldung darstellt, die gemäß § 168 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht, konnte die Steuerfestsetzung bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist geändert werden. Einen nach den §§ 168, 164 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2, Abs. 4 Satz 1 AO, 18 Abs. 2 UStG möglichen Antrag auf Änderung der Steuerfestsetzung stellten die Beklagten jedoch nicht. Der Steuerbescheid wurde damit mit Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO am 31.12.2001 bestandskräftig.
Mit Urteil vom 17.02.2005 stellte der EuGH fest, dass die bundesdeutsche Besteuerung von Umsätzen aus Geldspielautomaten gegen Art. 13 Teil B Buchst. f) der 6. Richtlinie 77/338/EWG verstoße, die entsprechende bundesdeutsche Vorschrift also europarechtswidrig sei und sich die Spielautomatenhersteller auf diese Richtlinie uneingeschränkt berufen und Steuerbefreiung ihrer Umsätze verlangen könnten.
Aufgrund dieser Rechtsprechung erstatteten die Finanzbehörden in der Folgezeit rückwirkend gezahlte Umsatzsteuer auf durch den Betrieb von Geldspielautomaten erzielte Umsätze, soweit die jeweilige Steuerfestsetzung nicht bereits bestandskräftig geworden war. Eine Änderung bereits bestandskräftiger Umsatzsteuerfestsetzungen lehnte der BFH im Urteil vom 23.11.2006 ab. Auch der Kläger konnte daher für die auf das Steuerjahr 1996 entfallene Umsatzsteuer aufgrund der Bestandskraft der Steuerfestsetzung eine Umsatzsteuererstattung nicht mehr erwirken.
Mit dem Vorwurf, pflichtwidrig die Jahresumsatzbesteuerung für das Jahr 1996 nicht offen gehalten zu haben, verlangt der Kläger nunmehr den durch die europarechtswidrige Besteuerung verursachten Schaden von den Beklagten ersetzt.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Beklagten wären verpflichtet gewesen, Einspruch gegen den Steuerbescheid einzulegen oder innerhalb der Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 AO bis Ende 2001 einen Antrag auf Änderung der Festsetzung zu stellen. Bis zu diesem Zeitpunkt hätten die Beklagten erkennen können und müssen, dass die innerdeutsche Vorschrift des § 4 Nr. 9 lit. b UStG a. F. gegen Europarecht verstieß. Sie hätten damit wissen müssen, dass die durch den Einsatz von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit erzielten Umsätze umsatzsteuerfrei gewesen seien.
Der Kläger hat gemeint, die Beklagten hätten schon seit der Bekanntgabe der 6. Richtlinie 77/388/EWG und im Zeitpunkt der vorgesehenen Umsetzung der Richtlinie in innerdeutsches Recht im Jahre 1978 erkennen müssen, dass das deutsche Recht nicht richtlinienkonform sei und private Automatenaufsteller nicht zur Entrichtung von Umsatzsteuer verpflichtet seien. Auch sei Anfang der 90iger Jahre die Frage der fehlenden Richtlinienkonformität von mehreren Rechtsprofessoren in der Fachpresse diskutiert worden. Positive Kenntnis von der Europarechtswidrigkeit hätten die Beklagten jedenfalls auch aufgrund des Musterprozesses des Klägers im Jahre 1991 gehabt. Nachdem auch die Beklagten von dem seinerzeit für den Kläger tätigen Prozessbevollmächtigten auf die Europarechtswidrigkeit hingewiesen worden seien, hätten sie nach dem Gebot des sichersten Weges entsprechend reagieren und die Steuerfestsetzungen offen halten müssen.
Jedenfalls habe spätestens das sog. Fischer-Urteil des EuGH vom 11.06.1998 zu einer entsprechenden Kenntnis der Beklagten geführt bzw. hätte führen müssen. Diesem Urteil hätten die Beklagten entnehmen können, dass Umsätze aus Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeiten umsatzsteuerfrei seien.
Weitere Veranlassung zum entsprechenden Tätigwerden hätte sodann der der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nachfolgende Beschluss des BFH vom 30.11.2000, Az. V B 187/00, geben müssen, in dem der BFH entschieden habe, dass es zweifelhaft sei, ob die geltende Finanzpraxis, die für die Umsatzbesteuerung von Geldspielautomatenumsätze danach unterscheide, ob sie in und von öffentlich zugelassenen Spielbanken ausgeführt würden oder nicht, dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität entspreche. Zumindest seit dieser Entscheidung sei von einer ihn - den Kläger - berührenden Änderung der Rechtsprechung auszugehen gewesen, so dass die Beklagten spätestens im Jahr 2001 die Problematik hätte erkennen müssen. Dies gelte umso mehr, als das Finanzgericht Münster mit Urteil vom 26.10.2001 bestätigt habe, dass Umsätze mit Geldspielautomaten unmittelbar unter die Steuerbefreiung in Art. 13 Teil B Buchstabe f der 6. Richtlinie 77/388/EWG falle.
Da die Beklagten ihn unstreitig über einen langen Zeitraum im Hinblick auf die Besteuerung von Glückspielumsätzen beraten hätten, hätten sie sich in diesem Bereich weitergehende Kenntnisse verschaffen müssen. Er, der Kläger, habe von den Beklagten erwarten können, dass diese die ihn betreffende Rechtsentwicklung im Auge behielten, insbesondere dann, wenn sie sich im Umbruch befinde.
Hätten die Beklagten auf die geänderte Rechtsprechung in Bezug auf die geänderte Anwendung des Befreiungstatbestandes des § 4 Nr. 9 lit. b UStG auf privat erwirtschaftete Geldspielautomatenumsätze im Jahr 2001 pflichtgemäß reagiert, hätten ersichtlich auch Erträge aus Glückspielautomaten aus dem Jahr 1996 noch von der Umsatzsteuer befreit werden können, so dass eine Rückzahlung seitens des Finanzamtes erfolgt wäre und der eingetretene Schaden einschließlich des Zinsausfalls hätte vermieden werden können.
Hinsichtlich des geltend gemachten Schadens hat der Kläger behauptet, der Anteil der umsatzsteuerfreien Umsätze aus dem Gesamtumsatz habe im Jahr 1996 67 % betragen. Unter Zugrundelegung eines Anteils von gerundet 60 % sei von einem umsatzsteuerfreien Umsatz in Höhe von 552.819,83 € auszugehen. Von der darauf entfallenden Umsatzsteuer in Höhe von 82.922,98 € sei die Vorsteuer in Höhe von 45.571,06 € abzuziehen, so dass sich ein Schaden von zu viel entrichteter Umsatzsteuer in Höhe von 37.351,92 € errechne. Zudem sei ein Zinsschaden von 6 % entstanden, also in Höhe einen weiteren Betrages von 17.928,92 €.
Mit vorliegender Klage hat der Kläger danach Schadensersatz in Höhe von 55.280,84 € nebst Zinsen geltend gemacht.
Die Beklagten haben die Ansicht vertreten, sie hätten nicht pflichtwidrig gehandelt, weil für sie im Jahre 2001 kein Anlass bestanden habe, einen Antrag auf Änderung der Steuerfestsetzung zu stellen. Die Umsatzsteuerjahreserklärung ebenso wie die Umsatzsteuerfestsetzung für das Jahr 1996 habe der damaligen Rechtslage entsprochen.
Nicht vorzuwerfen sei ihnen, dass sie den Beschluss des Bundesfinanzhofs aus dem Jahre 2000 im Rahmen des mit dem Kläger bestehenden Mandates vor Ablauf der Festsetzungsfrist Ende des Jahres 2001 nicht berücksichtigt hätten. Denn sie seien nicht verpflichtet, jede veröffentlichte Entscheidung bzw. jedes Publikationsorgan zu kennen. Die Zeitschriften, in denen diese Entscheidung des Bundesfinanzhofes abgedruckt gewesen sei, gehörten nicht zur Pflichtlektüre eines Steuerberaters. Auch das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 26.10.2001 hätten sie vor Ablauf der Festsetzungsfrist nicht kennen müssen. Darüber hinaus hätten sie, die Beklagten, nur die höchstrichterliche Rechtsprechung zu beachten.
Die Möglichkeit einer entsprechenden Rechtsänderung in Bezug auf die Umsatzsteuerpflicht hätte ein Steuerberater frühestens mit der Veröffentlichung der Entscheidung des Vorlagebeschlusses des Bundesfinanzhofes vom 06.11.2002 im Jahre 2003 in Betracht ziehen müssen.
Darüber hinaus haben die Beklagten die Einwände gegen die Schadensberechnung des Klägers sowie die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Landgericht hat die Klage zunächst durch am 26.06.2008 verkündetes Versäumnisurteil abgewiesen und dieses Versäumnisurteil sodann durch am 09.10.2008 verkündetes Urteil aufrecht erhalten. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei von seinem damaligen Prozessbevollmächtigten in dem finanzgerichtlichen Verfahren 1991 auf die Europarechtswidrigkeit der deutschen Umsatzbesteuerung hingewiesen worden. Dies sei auch den Beklagten bekannt gewesen. Daher sei der Kläger auch aus ihrer Sicht insoweit nicht mehr belehrungsbedürftig gewesen. Die Beklagten hätten davon ausgehen können, dass der Kläger aufgrund der Empfehlung des X diesbezüglich im Hinblick auf die angesprochene Europarechtswidrigkeit der in Rede stehenden Norm nichts hätte veranlassen wollen.
Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der Erwägungen des Landgerichts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der dieser seine erstinstanzlichen Ausführungen ergänzt und vertieft. Insbesondere vertritt der Kläger in der Berufungsinstanz die Auffassung, die Beklagten hätten seit dem Fischer-Urteil des EuGH im Jahre 1998 Kenntnis haben müssen, dass § 4 Nr. 9 lit. b UStG a. F. und damit die Unterwerfung der Umsätze aus Geldspielautomaten europarechtswidrig sei. Die Beklagten hätten die aus dieser Entscheidung und der in der Fachpresse ersichtlichen Diskussion notwendig zu ziehenden Konsequenzen, das Offenhalten der Besteuerung, unterlassen. Dies stelle sich als schadensstiftende Pflichtverletzung dar.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des am 09.10.2008 verkündeten Urteils des Landgerichts Paderborn das Versäumnisurteil des Landgerichts Paderborn vom 26.06.2008 aufzuheben und die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn 55.280,84 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens verteidigen die Beklagten das erstinstanzliche Urteil. Sie meinen, auch durch das von dem Kläger in 2. Instanz hervorgehobene Urteil des EuGH vom 11.06.1998 habe sich nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit eine Rechtsentwicklung angekündigt, die sie dazu verpflichtet hätte, den mit dem innerdeutschen Recht in Einklang stehenden Steuerbescheid anzugreifen.
Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
B.
Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht gegenüber den Beklagten ein Schadensersatzanspruch wegen steuerlicher Falschberatung aus dem Institut der positiven Vertragsverletzung als der einzigen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage nicht zu.
Da das Mandatsverhältnis bereits im Jahre 1991 begründet worden ist und es vorliegend um eine Pflichtverletzung in Form unterlassener Einspruchseinlegung im Jahr 1998 bzw. unterlassener Stellung eines Abänderungsantrages bis Ende 2001 geht, ist gem. Art. 229 § 5 Abs. 1 EGBGB das BGB in seiner bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung anwendbar.
Ein Schadensersatzanspruch des Klägers scheitert an einer dafür erforderlichen kausalen Pflichtverletzung des Beklagten. Den Beklagten kann nicht vorgeworfen werden, dass sie innerhalb der möglichen Fristen die Umsatzbesteuerung für das Jahr 1996 nicht offen gehalten und die Festsetzung bestandskräftig haben werden lassen.
Der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Umsatzsteuerbescheid für das Veranlagungsjahr 1996 war am 29.12.1997 ergangen, so dass bis zum Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO, also bis zum 31.12.2001, nach 164 Abs. 2 AO Änderung der Festsetzung hätte verlangt werden können. Dazu waren die Beklagten jedoch aufgrund ihres Mandatsverhältnisses zu dem Kläger nicht verpflichtet. Denn bis zum Ablauf der Frist Ende 2001 hätten sie bei der von einem Steuerberater im Rahmen eines allgemeinen Beratungsmandates zu erwartenden Sorgfalt nicht erkennen müssen, dass die von dem Kläger aus dem Betrieb von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeiten erzielten Umsätze nicht umsatzsteuerpflichtig waren, weil die eine Umsatzsteuerfreiheit nur für unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallende sowie durch öffentliche Spielhallen erzielten Umsätze vorsehende deutsche Vorschrift des § 4 Nr. 9 lit. b UStG a. F. europarechtswidrig war.
Die Aufgaben des Steuerberaters richten sich nach Inhalt und Umfang des erteilten Mandats. Im Rahmen des ihm erteilten Auftrags hat er die steuerlichen Interessen seines Mandanten umfassend wahrzunehmen und den für seinen Mandanten sichersten Weg zu wählen (BGH NJW-RR 1992 S.1112). Er muss über alle auftretenden steuerlichen Fragen belehren, auf Möglichkeiten von Steuerersparnissen hinweisen und bei einem Dauermandat auch ungefragt über steuerlich bedeutsame Fragen informieren.
Der Steuerberater hat dabei für die Kenntnis des Steuerrechts einzustehen. Seine Beratung muss der Steuerberater nach dem aktuellen Stand des Steuerrechts im Zeitpunkt seiner Beratungstätigkeit ausrichten (Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung, 4. Auflage, Rdn. 234). Darüber hinaus kommt der Kenntnis und Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Zeitpunkt der Beratung eine überragende Bedeutung zu. Solange sich der Steuerberater an der bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und des Bundesverfassungsgerichts orientiert, arbeitet er grundsätzlich pflichtgemäß. Gleichwohl darf sich ein Steuerberater nicht auf den Fortbestand der höchstrichterlichen Rechtsprechung verlassen, sondern muss mandatsbezogen prüfen, inwiefern neue Rechtsentwicklungen zu einer Änderung der Rechtsprechung führen können. Der Steuerberater muss auch im Entstehen befindliches Recht erkennen und im Interesse des Mandanten berücksichtigen (Gräfe/Lenzen/Schmeer, a. a. O., Rdn. 243). Insoweit muss er darauf abstellen, mit welchem Grad an Deutlichkeit - mit welcher Evidenz - eine neue Rechtsentwicklung in eine bestimmte Richtung weist und eine neue Antwort auf eine bisher anders entschiedene Frage nahe legt (BGH WM 2005, 2345). Dabei kann die Frage, wann von einer evidenten neuen Rechtsentwicklung auszugehen ist, nicht generalisierend, sondern nur anhand der Umstände des Einzelfalles beantwortet werden.
Unter Anwendung dieser Grundsätze ergab sich für die Beklagten im Hinblick auf die Frage einer Europarechtswidrigkeit der innerdeutschen Besteuerung von Umsätzen aus Geldspielautomaten bis zum Ablauf der Änderungsfrist am 31.12.2001 keine Handlungspflicht.
I.
Die Beklagten hätten wegen der von Anfang an bestehenden Unvereinbarkeit des deutschen Rechts mit der in Rede stehenden europarechtlichen Richtlinie nicht von vorneherein tätig werden müssen, indem sie etwa bereits in der Umsatzsteuererklärung die Umsätze aus Geldspielautomaten als umsatzsteuerfrei hätten erklären müssen. Denn die Beklagten mussten die deutsche Gesetzeslage beachten, wonach die Umsätze steuerbar waren, solange sich für sie nicht die Unbeachtlichkeit der Regelung abzeichnete. Dazu genügte nicht, dass die Unterwerfung unter die Umsatzsteuer in der Fachliteratur problematisiert worden sein mag (so auch Urteil des Senats vom 23.05.2007, Az.: 25 U 42/06). Allein kritische Stimmen in der Literatur begründen keine ungefragte Belehrungs- und Handlungspflicht. Ansonsten würde der tragende Grundsatz, wonach der Steuerberater seine Beratung an der aktuellen Steuerrechtslage und der vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ausrichten muss, ausgehöhlt (Brügge, BBKM 2007, S. 148).
Auch soweit im finanzgerichtlichen Verfahren im Jahre 1991 durch die damaligen Bevollmächtigten des Klägers den Beklagten gegenüber Zweifel an der Richtlinienkonformität der deutschen Besteuerung geäußert worden waren, musste die Rechtsmeinung eines Kollegen allein die Beklagten nicht zu einem daran ausgerichteten Handeln veranlassen, solange es keine einschlägige und Ernst zu nehmende Rechtsprechung gab, die diese Auffassung zu stützen vermochte.
II.
Derartige Rechtsprechung gab es jedoch entgegen der Auffassung des Klägers zu dieser Zeit nicht. Sofern der Kläger in 1. Instanz insbesondere auf die frühere Rechtsprechung des EuGH im sog. Glawe-Urteil vom 05.05.1994 verwiesen hat, gab dieses Urteil für die vorliegend relevante Frage nichts her. Vielmehr ging es in diesem Urteil um die Frage der richtigen Bestimmung der Bemessungsgrundlage und nicht um die unterschiedliche Behandlung von öffentlichen Spielbanken und anderen Veranstaltern durch das deutsche Umsatzsteuerrecht. Die dortige Problematik konnte auf die hier relevante Fragestellung auch nicht übertragen werden (so auch Urteil des Senats vom 23.05.2007, Az.: 25 U 42/06). Danach war auch nach Erlass des Glawe-Urteils die Umsatzbesteuerung privater Spielautomaten in der finanzgerichtlichen Praxis nicht ansatzweise streitig.
III.
Zur Frage der Umsatzsteuerpflicht von nicht öffentlichen Spielautomatenaufstellern äußerte sich der EuGH erstmals im sog. Fischer-Urteil vom 11.06.1998. Aber auch dieses Urteils begründete für einen Steuerberater, der - wie auch im Streitfall - keinen ausdrücklichen Auftrag zur konkreten Prüfung dieser Rechtsfrage hatte, sondern nur im Rahmen eines allgemeinen Mandates handelte, keine vertragliche Pflicht, Umsatzsteuerveranlagungen offen zu halten. Entgegen der Auffassung des Klägers wurde allein mit dieser Entscheidung eine neue Rechtsentwicklung zur Frage der Richtlinienkonformität der Besteuerung von Umsätzen aus Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeiten nicht evident (OLG München, GI aktuell 2008, 127 - 128, Brügge, BBKM 2007, 125).
Das sog. Fischer-Urteil betraf zunächst einmal gerade nicht einen einschlägigen Sachverhalt, sondern es ging in diesem Verfahren lediglich um die Frage, ob ein Mitgliedsstaat die unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels der Mehrwertsteuer unterwerfen dürfe. Der EuGH legte dabei fest, dass die unerlaubte Veranstaltung eines Glückspiels, namentlich des Roulettespiels, in den Anwendungsbereich der 6. Richtlinie falle und Art. 13 Teil B Buchst. f dieser Richtlinie dahin auszulegen sei, dass ein Mitgliedstaat diese Tätigkeit nicht der Mehrwertsteuer unterwerfen dürfe, wenn die Veranstaltung eines solchen Glückspiels durch eine zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei sei. Damit stellte der EuGH angesichts dessen, dass nach der Richtlinie Umsätze aus Glücksspielen mit Geldeinsatz nicht generell umsatzsteuerbefreit sind und den Mitgliedsländern die Möglichkeit eingeräumt wurde, die Befreiungstatbestände selbst zu regeln, lediglich darauf ab, dass bei der Formulierung des Befreiungstatbestandes im Hinblick auf den Grundsatz der steuerlichen Neutralität des Staates nicht zwischen erlaubten und unerlaubten Geschäften unterschieden werden dürfe.
Zwar mag dem Kläger zuzustimmen sein, dass aus der Begründung dieses Urteils durchaus die Schlussfolgerung gezogen werden konnte, dass danach auch Umsätze aus dem erlaubten Glücksspiel privater Anbieter von der Umsatzsteuer befreit sein müssten. Denn bei kritischer Lektüre der Urteilsbegründung konnte sich die Frage stellen, welche anderen beachtlichen Gründe es geben könnte, in Bezug auf die Umsatzsteuerbefreiung zwischen den öffentlichen Spielbanken und den privaten Betreibern von Geldspielautomaten zu unterscheiden, wenn nach der Entscheidung nunmehr die Heranziehung der Spielbankabgabe gerade kein taugliches Abgrenzungskriterium mehr sein sollte.
Gleichwohl konnte von einem Steuerberater im fraglichen Zeitraum nicht verlangt werden, dass er aufgrund dieser Entscheidung tatsächlich den rechtlichen Schluss zog, dass auch Umsätze aus Geldspielautomaten, mit denen sich diese Entscheidung gerade nicht beschäftigt, in den Anwendungsbereich der 6. Richtlinie fallen und die vom EuGH für die Umsatzsteuerfreiheit unerlaubter Glückspiele aufgestellten Grundsätze in gleicher Weise auch für Umsätze aus legalen Geldspielautomaten gelten würde.
Denn zum einen ist zu sehen, dass der EuGH in der eingangs erwähnten Entscheidung vom 05.05.1994 (Glawe) die Besteuerungsgrundlagen für Umsätze aus Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit, die aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften so eingestellt sind, dass ein bestimmter Prozentsatz der Spieleinsätze als Gewinn an die Spieler ausgezahlt wird, ausdrücklich festgelegt hatte. Zweifel an der Umsatzsteuerpflichtigkeit dieser Umsätze wurden in dieser Entscheidung nicht erhoben. Daraus konnte gefolgert werden, dass derartige Zweifel gerade nicht vorlagen, weil eine Festlegung der Besteuerungsgrundlagen die grundsätzliche Umsatzsteuerpflichtigkeit dieser Umsätze zunächst einmal voraussetzt.
Entscheidend ist vor allem jedoch, dass aus der Entscheidung des EuGH, dem Fischer-Urteil, auch in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur zunächst nicht der Schluss gezogen wurde, dass die Ausführungen des EuGH zu verallgemeinern seien und für die Frage der Umsatzsteuerfreiheit von Geldspielautomaten entsprechend gelten müssten. Vielmehr wurde dies sowohl in Entscheidungen des Finanzgerichts Münster (Beschluss vom 15.09.2000, 5 V 4286/00) als auch des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts (Beschluss vom 09.04.2001, IV 64/99) ausdrücklich verneint. Beide Gerichte sahen keine ernstlichen Zweifel daran, dass die mit den in Gaststätten und Spielhallen aufgestellten Geldspielautomaten erzielten Umsätze nicht unter die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 9 b UStG fallen, also umsatzsteuerpflichtig seien.
Dies entsprach jedenfalls bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 30.11.2000 auch der einhelligen Auffassung in der Kommentarliteratur (vgl. Heidner, in Bunjes/Geist, UStG, 6. Aufl., § 4 Nr. 9, Rn 14).
Veranlasste daher das Fischer-Urteil noch nicht einmal die deutsche Finanzgerichtsbarkeit zu einem Umschwenken bzw. sprach sich diese sogar ausdrücklich dagegen aus, so kann auch von den Beklagten nicht verlangt werden, dass sie in eigenständiger Weiterführung der Begründung des Fischer-Urteils den Richtlinienverstoß des deutschen Steuerrechts erkannten und ihr Handeln daran ausrichteten.
IV.
Eine Pflichtverletzung der Beklagten ergibt sich auch nicht aufgrund des Beschlusses des Bundesfinanzhofs vom 30.11.2000, Az. V B 187/00, in welchem der BFH im Gegensatz zur Vorinstanz, dem FG Münster, die Aussetzung der Vollziehung des in diesem Verfahren angefochtenen Steuerbescheides gewährte. In seiner Entscheidung hatte es der Bundesfinanzhof nunmehr als ernstlich zweifelhaft angesehen, ob Geldspielautomatenumsätze besteuert werden dürfen und es bei summarischer Prüfung im Aussetzungsverfahren nicht für ausgeschlossen gehalten, dass sich der Unternehmer für die Steuerfreiheit von Geldspielautomatenumsätzen auf Art. 13 Teil B Buchst. f) der Richtlinie 77/388/EWG berufen könne. Nach Erlass dieses Beschlusses konnte, auch wenn der BFH hier die Rechtslage noch nicht eindeutig geklärt hatte, die bisherige Auffassung zu der Frage der Richtlinienkonformität des innerdeutschen Rechtes nicht mehr als gesichert gelten.
Gleichwohl konnte diese Entscheidung eine Handlungspflicht der Beklagten im Hinblick auf die streitgegenständliche Umsatzbesteuerung für das Jahr 1996 nicht mehr begründen. Eine Kenntnis der Beklagten von der Entscheidung des BFH bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist Ende 2001 kann nicht verlangt werden. Denn die Entscheidung des BFH vom 30.11.2000 wurde nicht im Bundessteuerblatt, sondern nur in der NV 2001 S.657/658, der NWB Nr.44 vom 29.10.2001 und im StRK UStG § 4 Nr.9 R.1 veröffentlicht. Bei diesen Fundstellen handelt es sich nicht um solche, die zur Pflichtlektüre eines Steuerberaters gehören. Infolge dessen kann den Beklagten kein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass sie diese Entscheidung nicht zeitnah im Jahr 2001 mit ihrer Veröffentlichung zur Kenntnis genommen und umgehend einen Abänderungsantrag hinsichtlich der streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide gestellt haben.
Die Pflicht zur Kenntnisnahme der BFH-Entscheidungen kann nicht allgemein auf deren Veröffentlichung in Spezialzeitschriften ausgedehnt werden. Die Beschaffung von Fachliteratur und Fachzeitschriften kann nur insoweit verlangt werden, als dies im angemessenen Verhältnis zum Umfang der Praxis des Steuerberaters steht. Daher kann von einem Steuerberater regelmäßig nur verlangt werden, die Entscheidungen zur Kenntnis zu nehmen, die im Bundessteuerblatt und in der Zeitschrift Deutsches Steuerrecht - dem Organ der Bundessteuerberaterkammer - veröffentlicht worden sind (Gräfe/Lenzen/Schmeer a.a.O. Rn.237; BGH NJW 1979, 877, so auch Urteil des Senats vom 17.02.2006, Az.: 25 U 115/05, GI 2007, 125 - 126). Demgegenüber gehören die oben genannten Entscheidungssammlungen und Zeitschriften nicht zur Pflichtlektüre im Rahmen eines allgemeinen Beratungsmandates. Die unterlassene Kenntnisnahme dortiger Veröffentlichungen kann dem Berater somit nicht zum Vorwurf gemacht werden.
Etwas anderes folgt im Streitfall auch nicht aus dem Umstand, dass die Beklagten den Kläger bereits seit vielen Jahren steuerlich beraten und den Musterprozess vor dem FG Münster im Jahre 1991 mitverfolgt hatten. Denn auch die langjährige Beratung eines im einschlägigen Bereich tätigen Mandaten vermag nach Auffassung des Senates eine Verpflichtung zur tiefergehenden Recherche und intensiveren und konkreteren Beobachtung der Rechtsentwicklung nicht zu begründen, wenn gerade dies nicht Gegenstand eines besonderen über das allgemeine Beratungsmandat hinausgehenden Auftrages geworden ist. Dies hat der Kläger aber schon nicht behauptet.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass es sich bei den Beklagten um ausgewiesene Spezialisten auf dem Gebiet der Besteuerung von durch den Betrieb von Geldspielautomaten erzielten Umsätzen handelt und ihnen das Mandat gerade im Hinblick auf diese Spezialität übertragen worden wäre. Gründe, bei denen eine gesteigerte Informationspflicht vorstellbar wäre, liegen demnach nicht vor.
V.
Schließlich begründete auch das Urteil des FG Münster vom 26.10.2001, in welchem das Gericht sich den seitens des BFH geäußerten Zweifeln nunmehr im Hauptsacheverfahren anschloss, keine Belehrungs- und Handlungspflicht bezogen auf die bis zum 31.12.2001 noch mögliche Beantragung einer Änderung der Besteuerung.
Es kann an dieser Stelle offen bleiben, ob sich angesichts der vorangegangenen Entscheidung des EuGH im Fischer-Urteil für die Beklagten nunmehr die Verpflichtung ergab, die Rechtsprechungsentwicklung auch in der Instanzsprechung zu beobachten und auch die finanzgerichtliche Entscheidungen zur Kenntnis zu nehmen und ob sich aus dem Urteil des FG Münster mit einem hinreichenden Grad an Deutlichkeit (Evidenz) eine neue Rechtsentwicklung abzeichnete, die die Verpflichtung der Beklagten begründete, in der Erwartung einer Änderung in der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Steuerfestsetzung weiterhin offen zu halten. Denn jedenfalls bis zum Ablauf der Änderungsfrist für die Besteuerung 1996 konnte eine Kenntnis der Beklagten von der genannten Entscheidung des FG Münster nicht verlangt werden. Die Entscheidung des FG Münster wurde erstmals im Juni 2002 in einer zur Standardliteratur eines Steuerberaters gehörenden Zeitschrift, dem DStRE 2002, Heft 11, Seite 704 - 706, veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt war es für eine Änderung des Umsatzsteuerjahresbescheides vom 29.12.1997 bereits zu spät.
Den Beklagten kann danach eine den geltend gemachten Schaden kausal verursachten Pflichtverletzung nicht zum Vorwurf gemacht werden. Auf die weitergehende Frage, ob die Schadensdarstellung des Klägers einem Gesamtvermögensvergleich genügte, kommt es danach nicht an. Die Zurückweisung der Klage durch das Landgericht erfolgte mithin - im Ergebnis - zu Recht.
C.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Ende der Entscheidung
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