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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 18.11.1999
Aktenzeichen: 27 U 97/99
Rechtsgebiete: StrWG, BGB, ZPO, StVO
Vorschriften:
StrWG § 47 | |
StrWG § 9a | |
BGB § 823 | |
BGB § 286 | |
BGB § 288 | |
BGB § 823 | |
BGB § 839 | |
ZPO § 141 | |
ZPO § 97 | |
ZPO § 92 | |
ZPO § 708 Nr. 10 | |
ZPO § 711 | |
ZPO § 713 | |
StVO § 40 | |
StVO § 3 Abs. 1 |
2. Bemerkt der Fahrzeugführer die Überflutung zu spät, etwa weil er zu schnell oder unaufmerksam gefahren ist, führt ein erhebliches Eigenverschulden zur (hier hälftigen) Anspruchsminderung.
Urteil vom 18.11.199 - 27 U 97/99 - (rechtskräftig)
OBERLANDESGERICHT HAMM
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
27 U 97/99 OLG Hamm 21 O 30/99 LG Dortmund
Verkündet am 18. November 1999
Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts
In dem Rechtsstreit
Stadt H vertreten durch den Oberstadtdirektor,
Beklagte und Berufungsklägerin,
- Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr.
gegen
Karl-Heinz B
Kläger und Berufungsbeklagter,
- Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr.
hat der 27. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 18. November 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht sowie die Richter am Oberlandesgericht und für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 29. April 1999 verkündete Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.145,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 10. Dezember 1998 zu zahlen.
Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, den Rückstufungsschaden des Klägers aus seiner Vollkaskoversicherung zur Hälfte zu ersetzen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 70 % und die Beklagte zu 30 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beschwer der Beklagten übersteigt nicht 60.000,00 DM.
Tatbestand
Der Kläger hat die Beklagte aus dem Gesichtspunkt der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auf Ersatz des auf 6.354,00 DM bezifferten Schadens in Anspruch genommen, der nach Leistung seiner Vollkaskoversicherung unreguliert geblieben sei.
In den frühen Morgenstunden des 1. November 1998 befuhr der Kläger den Leerfeldweg in H in Richtung H (A Straße). Im Bereich einer dort befindlichen Bahnunterführung geriet er in eine etwa 1 m tiefe Überflutung, in der sein Pkw BMW 735i/88 zum Stillstand kam. Bereits am 28./29. Oktober 1998 war es an dieser Stelle zu einer Überflutung der Straße gekommen, die zur zeitweiligen Straßensperre führte. Nach deren Aufhebung am 30. Oktober kam es erneut zu heftigen Niederschlägen.
Der Kläger hat der Beklagten vorgeworfen, angesichts angekündigter ergiebiger Regenfälle habe diese den L weg nach der Überschwemmung am 28./29. Oktober nicht wieder freigeben dürfen.
Demgegenüber hat die Beklagte geltend gemacht, nach der Beseitigung der ersten Überflutung seien sintflutartige neue Niederschläge nicht zu erwarten gewesen. Im übrigen habe der Kläger den Schaden grob fahrlässig selbst verursacht, weil er unter Verstoß gegen das Sichtfahrgebot in die Gefahrenstelle hineingefahren sei.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß in der Hauptsache zur Zahlung von 6.354,00 DM verurteilt aus im wesentlichen diesen Gründen: Die Beklagte schulde aus § 823 BGB Schadensersatz, da sie ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht genügt habe. Trotz bestehender Gefahrenlage habe sie den L weg weder abgesperrt noch durch Warn- und Hinweisschilder auf mögliche Überflutung hingewiesen. Dazu sei sie allerdings verpflichtet gewesen, weil - wie die mündliche Verhandlung ergeben habe aus einer Vielzahl von Fällen bekannt gewesen sei, daß die Senke unter der Bahnunterführung im Bereich des L weges bei starken Niederschlägen überflute. Eine Sicherungsmaßnahme sei insbesondere deshalb unerläßlich gewesen, weil die Unterführung in Fahrtrichtung des Klägers nicht gut einsehbar gewesen sei. Ein Mitverschulden des Klägers sei nicht festzustellen. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung sei nicht substantiiert behauptet; in dieser Richtung gebe es auch sonst keinen Anhalt, zumal der Kläger nicht ortskundig gewesen sei und die Gefahrenlage wegen der Dunkelheit nicht habe sofort erkennen können.
Gegen dieses Urteil, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird, richtet sich die Berufung der Beklagten.
Sie wehrt sich gegen die Feststellung einer Verkehrssicherungspflichtverletzung und macht dazu geltend, die Überflutung am 1. November 1998 sei nicht vorhersehbar gewesen. Überflutungen wie wenige Tage zuvor habe es in den letzten 20 Jahren nur dreimal gegeben. Dabei sei das Hochwasser Ende Oktober auf eine Verstopfung eines anderen Gewässerdurchlasses durch Schwemmgut zurückzuführen gewesen, die zur Ableitung von Niederschlagswasser in die Senke unter der Bahnunterführung geführt habe. Nach Beseitigung der Verstopfung sei diese hauptsächliche Überflutungsursache beseitigt gewesen. Nur infolge unerwarteter extremer Niederschläge habe es am Morgen des 1. November zur erneuten Überflutung kommen können. Eine vorsorgliche Absperrung der Gefahrenstelle sei weder möglich noch zumutbar gewesen. In jedem Falle müsse sich der Kläger ein ganz überwiegendes Eigenverschulden entgegenhalten lassen. Es sei unrichtig, daß dieser ortsunkundig und die Unterführung schlecht einzusehen gewesen sei. In jedem Falle habe der Kläger so langsam fahren müssen, daß er sich auf die Gefahrenstelle schadlos hätte einstellen können.
Die Beklagte beantragt,
abändernd die Klage abzuweisen
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Senat hat den Kläger und einen Vertreter der Beklagten gem. § 141 ZPO gehört. Wegen des Ergebnisses wird auf den Berichterstattervermerk zur Berufungsverhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat teilweise Erfolg.
Die Beklagte haftet zwar dem Kläger aus der Verletzung der ihr ihm gegenüber als öffentliche Aufgabe obliegenden Verpflichtung zur Verkehrssicherung (§§ 47, 9 a StrWG NW) aus Art. 34 GG, § 839 BGB auf Ersatz des erlittenen Schadens (1), der Kläger muß sich jedoch ein hälftiges anspruchsminderndes Eigenverschulden entgegenhalten lassen (2). Außerdem kann der Kläger seinen Rückstufungsschaden nur wegen des Rabattverlustes in der Vollkaskoversicherung und insoweit auch nur im Wege der Feststellungsklage geltend machen (3).
1. Als Trägerin der Straßenbaulast schuldete die Beklagte dem Kläger in Erfüllung der ihr ihm gegenüber obliegenden Amtspflicht die den Umständen nach erforderliche Verkehrssicherung des L weges (vgl. dazu BGH NJW 1991, 33; NJW 1996, 3208, 3210). Es besteht zwar keine Verpflichtung, jeder nur möglichen abstrakten Gefahr durch vorbeugende Maßnahmen zu begegnen, haftungsbegründend ist ein gefahrenträchtiger Umstand aber dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, daß Rechtsgüter anderer verletzt werden können (BGH NJW 1996, 3210). Letzteres ist im vorliegenden Fall zu bejahen.
Die Absenkung des L weges im Bereich der Bahnunterführung, in der der Kläger zu Schaden gekommen ist, war latent hochwassergefährdet. Nur wenige Tage vorher war es dort nach Regenfällen zu einer Überflutung gekommen, die zu einer vorübergehenden Vollsperrung der Straße geführt hatte. Soweit die Beklagte jene Überflutung auf eine Verstopfung eines Durchlasses auf dem ihr unzugänglichen angrenzenden Bundeswehrgelände zurückgeführt hat, reicht das zur Entlastung nicht hin. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten war damit nämlich nur eine - wenn womöglich auch eine wesentliche - Ursache der Überflutung beseitigt, ansonsten blieb es aber bei den übrigen in dieser Richtung vorhanden gewesenen Ursachenmomenten. Diese bestanden - so die Beklagte - darin, daß das Niederschlagswasser aus dem Bereich der Straßenunterführung durch Rohrleitung dem Ennigerbach zugeleitet wird und diese Rohrleitung angesichts begrenzter Kapazität starkes Niederschlagswasser nicht abführen kann, so daß es dann zu "Wasseransammlungen" kommt. Diese Risikolage war deshalb latent gefährlich, weil - wie der vorliegende Fall zeigt - ein Wasserstand von ca. 1 m Höhe eintreten konnte, dessen Gefahrenpotential zumal bei Dunkelheit verkannt oder unterschätzt werden konnte. Wenn bei starkem Niederschlag mit solchen Wassertiefen zu rechnen war, war die Beklagte vorsorglich zur präventiven Gefahrenabwehr aufgerufen, selbst wenn Überflutungen dieses Ausmaßes in den letzten 20 Jahren nur dreimal vorgekommen sein sollen. Dazu hätte sich etwa eine Beschilderung gem. § 40 StVO durch Zeichen 101 (Gefahrenstelle) sowie durch drastische Geschwindigkeitsbeschränkung mit dem Zusatzschild "bei Nässe" (§ 41 StVO Zeichen 274) angeboten, das auf besondere Gefahren in abflußschwachen Bereichen aufmerksam machen soll (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 41 Rdn. 124 a).
2. Der Kläger muß sich den Vorwurf erheblichen Mitverschuldens gefallen lassen. Ihm war die Örtlichkeit aus seinem nahen Wohnumfeld geläufig; daß sich unter der Unterführung eine Straßensenke befindet, war auch bei Nacht nicht zu übersehen. Es gehört zum Allgemeinwissen eines jeden Verkehrsteilnehmers, daß starke Niederschläge auf tiefer gelegenen Straßenteilen zu Wasseransammlungen führen können, so daß bei einer solchen Wetterlage, erst recht nachts, äußerste Vorsicht geboten ist. Der Kläger hätte deshalb unter den gegebenen Umständen das Sicht fahrgebot des § 3 Abs. 1 StVO besonders ernst und höchste Vorsicht walten lassen müssen. Mögliche Erschwernisse bei der Wahrnehmung der Straßenverhältnisse, insbesondere auch was die Tiefe des Wasserstandes in der Senke betrifft, hätte er durch entsprechend geringe Geschwindigkeit kompensieren müssen, so daß er bei Absenkung der Fahrzeugfront in tieferes Wasser sofort hätte anhalten und notfalls auch wieder zurücksetzen können, um so die Gefahrenlage zu meistern. Hätte er sich daran gehalten, wäre er nicht erst bei einer Wassertiefe von etwa 1 m zum Stillstand gekommen. Wenn er die Untiefe aber erst bemerkt hat, als das Wasser die Außenspiegel seines Pkw erreichte, spricht das für unangepaßte Geschwindigkeit und/oder grobe Unaufmerksamkeit oder aber auch für bewußte Fahrlässigkeit.
Der Senat gewichtet die Verursachungsanteile auf seiten des Klägers und der Beklagten gleich. Beide hätte den Schaden leicht vermeiden können, die Beklagte durch einen Gefahrenhinweis, der Kläger durch gespannte Aufmerksamkeit und durch eine den Wetterverhältnissen angepaßte Fahrweise in der Dunkelheit.
3. Einen Zahlungsanspruch gegen die Beklagte kann der Kläger nur aus den Posten der Selbstbeteiligung seiner Kaskoversicherung (650,00 DM), der Nutzungsausfallentschädigung (1.500,00 DM), den pauschalen An- und Abmeldekosten eines Ersatzfahrzeugs (100,00 DM) und der Kostenpauschale (40,00 DM) herleiten. Von der Nutzungsausfallentschädigung sind keine weiteren grundsätzlichen Abzüge vorzunehmen, weil die Beschränkung auf 1.500,00 DM für unstreitig gewordenen 13-tägigen Nutzungsausfall bis zur Anschaffung eines Ersatzfahrzeugs der altersbedingten Minderung des Gebrauchswertes seines 10 Jahre alten BMW-Pkw ausreichend Rechnung trägt. Hiernach errechnet sich der auf seiten des Klägers zu beziffernde Schaden so:
Kaskoversicherung|650,00 DM|Nutzungsausfallentschädigung|1.500,00 DM|An- und Abmeldekosten|- 100,00 DM|Pauschale|40,00| |DM 2.290,00 DM
Davon schuldet die Beklagte den Ersatz der Hälfte, also 1.145,00 DM. Der Zinsausspruch insoweit folgt aus §§ 286, 288 BGB.
3.
Den Rückstufungsschaden seiner Haftpflichtversicherung kann der Kläger nicht ersetzt verlangen, weil der insoweit erlittene und drohende Vermögensschaden nicht ersatzfähig ist. Der Rabattschaden beruht nicht auf einer Verletzung der nach § 823 BGB geschützten Rechtsgüter des Klägers, sondern auf der Inanspruchnahme des Haftpflichtversicherers durch seine Ehefrau. Der daraus folgende Vermögensnachteil gehört nicht zu den absoluten Rechtsgütern, deren Verletzung haftungsbegründend ist (BGHZ 66, 318 = VersR 76, 1066; VersR 1978, 235).
Wegen des der Höhe nach noch nicht absehbaren Rückstufungsschadens der Kaskoversicherung kann der Kläger nur die Feststellung der künftigen hälftigen Ersatzpflicht der Beklagten verlangen (BGH VersR 1992; 244). Soweit der Senat darauf erkannt hat, folgt das aus der entsprechenden Auslegung des Leistungsbegehrens, das als Minus einen entsprechenden Feststellungsantrag einschließt.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 92, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Ende der Entscheidung
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