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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 05.07.2006
Aktenzeichen: 3 Ss 260/06
Rechtsgebiete: JGG, StGB
Vorschriften:
JGG § 17 | |
StGB § 51 |
2. Wird auf Jugendstrafe erkannt, bildet die Anrechnung erlittener Freiheitsentziehung den Regelfall, § 52 a Abs.1 S.1 JGG. Der Tatrichter kann von der Anrechnung absehen, wenn seine Prüfung ergibt, dass es besondere Umstände im Verhalten des Angeklagten nach der Tat oder erzieherische Gründe ausnahmsweise rechtfertigen, nach pflichtgemäßem Ermessen von der Anrechnung ganz oder teilweise abzusehen (Satz 2), wobei beide Alternativen zu trennen sind.
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird - unter Verwerfung der Revision im Übrigen - im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Essen zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Jugendschöffengericht Essen verurteilte die zur Tatzeit 20,4 bzw. 18,1 Jahre alten Angeklagten am 15.2.2006 wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen schweren Diebstahls in 6 Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von jeweils einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Eine Anrechnung der in der Zeit vom 22.11.2005 bis zum 15.2.2006 erlittenen Untersuchungshaft wurde abgelehnt.
Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten sowie mit der näher ausgeführten Rüge der Verletzung materiellen Rechts in zulässiger Weise begründeten Revision.
II.
Soweit sich das Rechtsmittel gegen den Schuldspruch richtet, war es als unbegründet zu verwerfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat, § 349 Abs. 2 StPO. Insbesondere hat das Amtsgericht auch in zutreffender Weise einen gewerbsmäßigen Diebstahl im Sinne der §§ 242 Abs. 1 243 Abs. 1 Nr. 3 StGB bejaht. Die besondere Kennzeichnung einer gewerbsmäßigen Straftat besteht - wie das Amtsgericht zutreffend festgestellt hat - gerade darin, dass der Täter die Absicht hat, sich die erstrebte fortlaufende Einnahmequelle von einigem Gewicht durch die wiederholte Begehung von gleichartigen Straftaten zu verschaffen (vgl. OLG Hamm 2. Senat, NJW 2004, 3647 = NStZRR 2004, 335; BGH, NJW 1996, 1069, 1069).
Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils kann dagegen keinen Bestand haben.
Bereits die Annahme des Jugendschöffengerichts, bei den Angeklagten seien schädliche Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 JGG festzustellen, ist nicht frei von Rechtsfehlern. 1 Schädliche Neigungen liegen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sowie des erkennenden Oberlandesgerichts vor, wenn bei dem Jugendlichen bzw. heranwachsenden Täter erhebliche Anlage oder Erziehungsmängel gegeben sind, die ohne eine längere Gesamterziehung des Täters die Gefahr weiterer Straftaten begründen (BGHR § 17 Abs. 2 JGG Schädliche Neigungen 5; OLG Hamm, StV 2001, 176, 177, je m.w.N.). Sie können in aller Regel nur bejaht werden, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch verborgen, angelegt waren (BGHR § 17 Abs. 2 JGG Schädliche Neigungen 5, Schädliche Neigungen 6, Schädliche Neigungen 7; Schädliche Neigungen 8, je m.w.N. ständige Rechtsprechung).
Schädliche Neigungen eines Jugendlichen können sich zwar schon in seiner ersten Straftat zeigen. Es bedarf dann aber regelmäßig der Feststellung schon vor der Tat entwickelt gewesener Persönlichkeitsmängel, die auf die Tat Einfluss gehabt haben und befürchten lassen, dass der Angeklagte weitere Straftaten begehen wird (BGHR § 17 Abs. 2 JGG Schädliche Neigungen 6, Schädliche Neigungen 8). Die Annahme eines solchen Falles bedarf eingehender Begründung und der sorgfältigen Darlegung, warum es sich bei dem abzuurteilenden Geschehen nicht lediglich um eine bloße Gelegenheitstat gehandelt hat (BGHR § 17 Abs. 2 JGG Schädliche Neigungen 2, 3, 8). Eine derartige eingehende Begründung lässt das angefochtene Urteil vermissen. Vorliegend hat das Amtsgericht ausweislich der Urteilsgründe noch nicht einmal die Jugendgerichtshilfe eingeschaltet, um Erkenntnisse zu Beantwortung dieser Frage zu gewinnen.
Zwar lässt das Mitführen von diversem Einbrecherwerkzeug und das "profihafte" Vorgehen der Angeklagten Rückschlüsse auf erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel der Angeklagten zu. Die bislang - zumindest in der Bundesrepublik Deutschland - nicht vorbestraften heranwachsenden Angeklagte haben nämlich in der Nacht vom 20.11 auf den 21.11.2005 immerhin sechs Einbruchdiebstähle in PKWŽs begangen, wobei die Fahrzeuge zum Teil mittels Schlossstechens oder "Rumänenknicks" geöffnet wurden.
Der Tatrichter muss jedoch auch in den Urteilsgründen darlegen, dass die schädlichen Neigungen nicht nur zum Zeitpunkt der Tat, sondern auch noch zum Zeitpunkt des Urteils vorliegen und weitere Straftaten befürchten lassen (BGHR § 17 Abs 2 JGG Schädliche Neigungen 5) An dieser Stelle hätte sich das Jugendschöffengericht, was es rechtsfehlerhaft unterlassen hat, näher mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob angesichts des Umstandes, dass die Angeklagten in der Hauptverhandlung vor dem Jugendschöffengericht sich in vollem Umfang ohne größere Beschönigungsversuche geständig gezeigt haben, nicht bereits der Vollzug der zum Zeitpunkt des Urteils des Jugendschöffengerichts bereits fast 3 Monate andauernden Untersuchungshaft zu einer positiven erzieherischen Wirkung bei den Angeklagten geführt hat, so dass deshalb jedenfalls im Urteilszeitpunkt die Verhängung von Jugendstrafe nicht mehr erforderlich war (vgl BGHR § 52 a JGG Anm. 2) Dieser Gesichtspunkt hätte im Übrigen auch bei der Bemessung der Jugendstrafe nicht unberücksichtigt bleiben dürfen das Jugendschöffengericht hat ihn nur im Rahmen der Frage der Strafaussetzung zur Bewährung bedacht.
Soweit das Amtsgericht darüber hinaus eine Anrechnung der erlittenen Untersuchungshaft gemäß § 52 a JGG mit der Begründung abgelehnt hat, aufgrund der Tatumstände und der mangelnden Bereitschaft der Angeklagten Angaben zu den Hintergründen der Tat zu machen, sei im Falle einer Anrechnung die erzieherische Wirkung nicht mehr gewährleistet, trägt diese Begründung nicht.
Wird auf Jugendstrafe erkannt, bildet die Anrechnung erlittener Freiheitsentziehung den Regelfall, § 52 a Abs.1 S.1 JGG. Die Prüfung des Tatrichters beschränkt sich darauf, ob es besondere Umstände im Verhalten des Angeklagten nach der Tat oder erzieherische Gründe ausnahmsweise rechtfertigen, nach pflichtgemäßem Ermessen von der Anrechnung ganz oder teilweise abzusehen (S 2), wobei beide Alternativen zu trennen sind (Eisenberg JGG, § 52 a Rn.6).
Bereits von diesem Ansatz ausgehend, ist der Urteilsbegründung nicht hinreichend klar zu entnehmen, ob der Tatrichter die Nichtanrechnung aufgrund des Nachtatverhaltens, nämlich der mangelnden Bereitschaft der Angeklagten zu den Hintergründen der Tat Auskunft zu erteilen oder aber aus erzieherischen Gründen für geboten erachtet hat.
Soweit der Tatrichter eine Anrechnung aufgrund des Nachtatverhaltens ablehnen wollte, wäre die Begründung nicht tragend. Die mangelnde Bereitschaft der Angeklagten zu den Hintergründen der Tat Auskunft zu erteilen stellt nämlich kein Nachtatverhalten im Sinne des § 52 a S. 2, 1.Alt. JGG dar. Das Nachtatverhalten umfasst nur verfahrensbezogene Gesichtspunkte (vgl BT-Dr V/4094, 25 zu § 51 Abs 1 S 2 StGB entspr); Dabei darf dem Angeklagten nicht angelastet werden, dass er keine das Verfahren fördernden Handlungen vorgenommen hat, denn hierzu ist er nicht verpflichtet (Eisenberg § 52 a JGG Rn. m.w.N.). Allgemein gilt der Grundsatz, dass Prozessverhalten nicht um seiner selbst berücksichtigt werden darf (s Dallinger/Lackner § 52 Rn. 16). Deshalb kann selbst etwa das Leugnen der Tatbegehung durch den Angeklagten eine Nichtanrechnung regelmäßig nicht rechtfertigen (Eisenberg aaO m.w.N.) .
Soweit der Tatrichter eine Nichtanrechnung aus erzieherischen Gründen für geboten erachtet hat, ist die Begründung lückenhaft.
Wird nämlich bei einer Verurteilung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe die erlittene U-Haft nach § 52a JGG nicht auf die Jugendstrafe angerechnet, so bedarf dies einer eingehenden Begründung, wenn die erstmals erlittene U-Haft für den Angeklagten einschneidende Auswirkungen gehabt hat, zumal es sich auch nicht von selbst versteht, dass eine etwaige Verbüßung der nach Anrechnung der U-Haft verbleibenden Jugendstrafe erzieherisch nutzlos wäre (BGH Beschl. v. 4.2. 1997 - 5 StR 12/97, BGH NStZ 1996, 233).
Warum vorliegend eine ausreichende erzieherische Wirkung durch die Vollstreckung einer Jugendstrafe bei Anrechnung von noch 9 Monaten nicht mehr gewährleistet ist, sondern gerade eine solche von einem Jahr nur als ausreichend erachtet werden kann, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
Die Revision hat, da Rechtsfehler vorliegen, insoweit zumindest vorläufig Erfolg, so dass das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Essen zurückzuverweisen war.
Ende der Entscheidung
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