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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 12.02.2008
Aktenzeichen: 3 Ss 548/07
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 21
StGB § 252
1. Für § 252 StGB reicht es auch, wenn der Täter mit der Gewaltanwendung neben der Verhinderung der Personalienfeststellung auch den Besitzerhalt des Diebesgutes erstrebt.

2. Eine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln führt für sich allein genommen noch nicht zur Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB. Vielmehr kommt dies nur bei Vorliegen einer der in der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen (schwerste Persönlichkeitsveränderungen aufgrund von BTM-Konsum, Tat aufgrund von starken Entzugserscheinungen begangen, Tat im Rausch begangen oder aus Angst vor bereits erfahrenen äußerst unangenehmen Entzugserscheinungen bei Crack- und Heroinsucht) in Betracht.


Tenor:

1. Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben, soweit eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Schöffengericht - Gütersloh zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Gütersloh hat den Angeklagten mit der angefochtenen Entscheidung "wegen räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit Beisichführen eines nach dem Waffengesetz gemäß § 2 Abs. 2 in Anlage 2 Abschnitt 41 Nr. 1.4.2., 1.4.3. WaffenG verbotenen Gegenstandes und wegen Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Beckum vom 07.08.2007 - 16 Ls 81 Js 966/07 AK 143/07 - und nach Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 5 Monaten verurteilt". Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe hat es zur Bewährung ausgesetzt.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts entwendete der Angeklagte am 13.12.2006 aus dem N Markt in H ein Mobiltelefon nebst Zubehör, wobei er ein sog. "Butterflymesser" mit einer Klingenlänge von 6 cm in seiner Hosentasche bei sich führte.

Am 12.02.2007 entwendete er aus dem F-Markt in S 7 Tabackpäckchen im Gesamtwert von 32,90 Euro.

Am 21.02.2007 begab er sich in den Q-Markt in S. Er entnahm den Auslagen drei Becher Joghurt und zwei Flaschen Baileys im Wert von rund 24 Euro. Letztere verbarg er in der Innentasche seiner Jacke und bezahlte an der Kasse lediglich die Joghurtbecher. Als er das Geschäft verlassen wollte, wurde er hinter der Kasse von der Zeugin Q angesprochen, die den Vorfall beobachtet hatte. Sie forderte den Angeklagten auf, mit ins Büro zu kommen. Der Angeklagte weigerte sich. Um ihn am Verlassen des Ladens mit den Schnappsflaschen zu hindern hielt die Zeugin ihn an der Kleidung fest. Der Angeklagte wehrte sich und versetzte der Zeugin schließlich einen kräftigen Stoß mit dem Ellenbogen unterhalb des Brustbeins, so dass die Zeugin einen Augenblick keine Luft mehr bekam und Schmerzen empfand. Der Angeklagte fiel in dem Gerangel selbst zu Boden, raffte sich aber wieder auf und floh mit den Flaschen. Bei der Gegenwehr kam es ihm in erster Linie darauf an, seine Personalienfeststellung zu verhindern, im übrigen aber auch darauf, sich im Besitz der Schnappsflaschen zu halten.

Am 26.02.2007 schließlich, entwendete der Angeklagte aus den Geschäftsräumen der Fa. T in S Waren im Wert von 62 Euro.

Jedenfalls bei den ersten beiden und der letzten der aufgeführten Taten handelte der Angeklagte, der seit 2000/2001 Marihuana konsumiert und seit 2005 Heroin, wovon er sich zu Beginn des Jahres 2007 täglich ca. 1-2 Gramm intravenös verabreichte, zu dem Zweck, die Tatbeute gegen Betäubungsmittel einzutauschen oder den Erlös aus der Tatbeute zum Erwerb von Betäubungsmitteln zu nutzen.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere die Anwendung des § 252 StGB, da es dem Angeklagten bei der Gewaltanwendung lediglich um die Verhinderung der Identitätsfeststellung gegangen sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufzuheben, soweit die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist, im Umfang der Aufhebung die Sache zurückzuverweisen und die Revision im übrigen zu verwerfen.

II.

Das Rechtsmittel hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang teilweise Erfolg.

1.

Die Überprüfung durch den Senat ergab im Schuldspruch des angefochtenen Urteils keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Der Erörterung bedarf allein Folgendes:

a) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob die Geringwertigkeitsgrenze des § 248a StGB - wie es im angefochtenen Urteil heißt - erst bei einem Warenverkaufswert von 25-30 Euro überschritten ist, denn jedenfalls hat die Staatsanwaltschaft in der entsprechenden Anklageschrift 71 Js 367/07 das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht, so dass ein Verfahrenshindernis der Aburteilung nicht entgegensteht.

b) Das mitgeführte "Butterflymesser" ist ein verbotener Gegenstand im Sinne von § 2 Abs. 2 WaffG i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 1 Nr. 1.4.3. zu § 2 Abs. 2 WaffG.

c) Auch die Verurteilung wegen räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit Körperverletzung wegen der Tat vom 21.02.2007 weist keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Das Einstecken der Flaschen in die Kleidung und das Passieren der Kasse bei Bezahlung der nicht versteckten Waren stellt einen Diebstahl dar und nicht etwa einen Betrug, da sich der Verfügungswille des Kassenpersonals auf von ihm nicht wahrgenommene Ware nicht bezieht (BGHSt 41, 201, 202; Fischer StGB 55. Aufl. § 242 Rdn. 18).

Nach den Feststellungen des Amtsgericht erfolgte die nachfolgende Gewaltanwendung jedenfalls auch (was ausreicht) zu dem Zweck, sich im Besitz der gestohlenen Ware zu halten. Die Verteidigung des Diebesgutes muss nicht die einzige Motivation für die Gewaltanwendung sein (vgl. Fischer a.a.O. § 252 Rdn. 9 m.w.N.). Die diesen Feststellungen zu Grunde liegende Beweiswürdigung des Amtsgerichts beruht auf wenn auch nicht zwingenden, so doch möglichen, Schlüssen und ist damit frei von Rechtsfehlern.

2.

Im Rechtsfolgenausspruch war das Urteil aufzuheben, soweit eine Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. Im übrigen (insbesondere hinsichtlich der Nichterörterung der Voraussetzungen des § 21 StGB) ist der Rechtsfolgenausspruch entgegen der ursprünglichen Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft frei von Rechtsfehlern zum Nachteil des Angeklagten.

a) Ein sachlich rechtlicher Mangel liegt darin, dass das Amtsgericht nicht erkennbar geprüft hat, ob eine Maßregel nach § 64 StGB anzuordnen war. Nach den Feststellungen drängte sich eine solche Prüfung auf. Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt bereits 6 Jahre betäubungsmittelabhängig und konsumierte in erheblichem Umfang Heroin. Die Taten - jedenfalls drei der vier abgeurteilten Taten - wurden nach den amtsgerichtlichen Feststellungen zum Zwecke des späteren Erwerbs von Betäubungsmitteln begangen. Bereits das Amtsgericht Beckum hat anläßlich der Verurteilung vom 07.08.2007 (deren Einzelstrafen in die vorliegende Strafe zutreffend einbezogen worden sind) in dem zeitgleich erlassenen Bewährungsbeschluss als Weisung eine stationäre Entziehungsbehandlung des Angeklagten angeordnet.

Angesichts dieser Feststellungen liegt es nahe, dass der Angeklagte den in § 64 Abs. 1 StGB beschriebenen Hang aufweist. Hierunter fällt nicht nur eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit, sondern es genügt eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ohne dass dieses den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss (vgl. BGH Beschluss vom 18.07.2007 - 5 StR 279/07).

Dass eine solche Neigung - wie sie bei dem festgestellten Heroinkonsum und dem Zweck eines Teils der Taten außerordentlich nahe liegt - zur Anordnung der Maßregel des § 64 StGB ausreichen kann, hat das Amtsgericht nicht ersichtlich bedacht. Auch ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass eine stationäre Therapie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 64 S. 2 StGB n. F.). Vielmehr sieht das Amtsgericht eine solche (wenn auch als Maßnahme aufgrund einer Bewährungsweisung) als erfolgversprechend an, da sich der Angeklagte bemüht hat, seine Drogensucht in den Griff zu bekommen und nachweislich erhebliche Bemühungen um einen Therapieplatz unternommen hat.

Die vom Amtsgericht unterlassene Prüfung erweist sich auch nicht deshalb als entbehrlich, weil nach § 64 Abs. 1 StGB n.F. die Maßregel nicht mehr zwingend angeordnet werden muss. Denn das Gericht "soll" die Unterbringung anordnen, wenn die Voraussetzungen des § 64 StGB vorliegen. Lediglich in besonderen Ausnahmefällen darf es von der Unterbringungsanordnung absehen (vgl. BGH Beschl. v. 13.11.2007 - 3 StR 452/07; Senatsbeschluss vom 06.12.2007 - 3 Ss 492/07).

Die Tatsache, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht einer etwaigen Nachholung der Unterbringung nicht entgegen (OLG Hamm Beschl. v. 13.05.2003 - 4 Ss 316/03).

b) Entgegen der ursprünglichen in der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft geäußerten Ansicht liegt im Hinblick auf eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) kein auf die Sachrüge hin zu beachtender Erörterungsmangel vor. Bei der sachlich-rechtlichen Prüfung, ob ein Erörterungsmangel vorliegt, ist allein die Urteilsurkunde Beurteilungsgrundlage (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 174, 175; BGH NStZ-RR 2006, 50). Ein Erörterungsmangel ist dann gegeben - dies lässt sich als Ergebnis der Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung entnehmen -, wenn im Hinblick auf die Umstände des Falles die Erörterung einer bestimmten Problematik zu erwarten gewesen wäre (BGH NStZ 2001, 475, 476), nahe gelegen hätte (BGH NStZ 2001, 591, 592 f.) bzw. sich aufgedrängt hätte (BGH NStZ-RR 2006, 50), diese aber nicht vorgenommen wurde.

Ein solcher Rechtsfehler liegt hier nicht vor. Nach ständiger höchstrichterlicher und obergerichtlicher Rechtsprechung führt eine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln, wie sie das Amtsgericht beim Angeklagten für das Betäubungsmittel Heroin festgestellt hat, für sich allein noch nicht zu einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit (BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 12; Senatsbeschluss vom 30.03.2000 - 3 Ss 101/00; OLG Hamm Beschl. v. 29.04.2002 - 2 Ss 81/02). Vielmehr sind nach der Rechtsprechung solche Folgen bei einem Rauschgiftsüchtigen nur ausnahmsweise in folgenden Fallgruppen möglich (vgl. die Übersicht bei Weber BtMG 2. Aufl., Vor § 29 Rdn. 336 ff.), nämlich wenn

- langjähriger Betäubungsmittelkonsum zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat (BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 12; BayObLG NJW 1999, 1794, 1795),

- der Täter unter starken Entzugserscheinungen zum Tatzeitpunkt gelitten hat und dadurch getrieben wurde, sich mittels einer Straftat Mittel für den Drogenerwerb zu verschaffen (BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 12, 5 und 2),

- das Delikt im Zustand eines aktuellen Rausches verübt wurde (BGH NJW 1981, 1221; BGH NStZ 1989, 17) oder

- bei Heroin- oder Cracksucht der Täter von der Angst vor Entzugserscheinungen, die der Täter schon als äußerst unangenehm erlebt hat und die er als nahe bevorstehend einschätzt, bei der Tat getrieben wurde (BGH NStZ 2006, 151; Senatsbeschluss vom 30.03.2000 - 3 Ss 101/00).

Die Urteilsgründe geben keinerlei Anlass zu einer näheren Erörterung einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit, da Anhaltspunkte für das Vorliegen einer der o.g. Fallgruppen aus ihnen nicht zu entnehmen ist. Der Angeklagte ist zwar langjährig drogenabhängig, von einer schwersten Persönlichkeitsveränderung (vgl. zu diesen Weber a.a.O. Vor § 29 Rdn. 353 ff.) wird aber nichts mitgeteilt. Diese ist auch nicht nahe liegend, wenn man bedenkt, dass der Angeklagte in einer sehr positiv zu bewertenden Weise die Auflagen und Weisungen des Bewährungsbeschlusses im Rahmen der einbezogenen Verurteilung erfüllt hat. Von starken Entzugserscheinungen oder einem Handeln unter starkem Suchtdruck berichten die Urteilsgründe ebenfalls nichts. Allein der Umstand, dass die Taten der Beschaffung von wirtschaftlichen Mitteln für den Drogenerwerb dienten, lässt auf solche nicht schließen. Von einem aktuellen Rausch bei Tatbegehung ist ebenso wenig etwas bekannt wie davon, dass der Angeklagte aus Angst vor als nahe stehend eingeschätzten, als äußerst unangenehm empfundenden Entzugserscheinungen handelte.

c) Soweit der Angeklagte im Fall des Diebstahls von 7 Päckchen Taback im Wert von 32,90 Euro wegen gewerbsmäßigen Diebstahls nach § 243 Abs. 1 Nr. 3 StGB verurteilt worden ist, kann hier dahinstehen, ob die Anwendung dieses Strafrahmens nach § 243 Abs. 2 StGB ausgeschlossen war, weil die Geringwertigkeitsgrenze möglicherweise unterschritten war (vgl. dazu näher: Fischer StGB 55. Aufl. § 248a Rdn. 3). Der Senat schließt aus, dass die Strafe (Einzel- wie Gesamtstrafe) auf einem etwaigen Rechtsfehler beruht. Dass das Amtsgericht bei Anwendung des Grundstrafrahmens des § 242 StGB auf eine noch geringere Strafe als 3 Monate Freiheitsstrafe erkannt hätte, erscheint angesichts der Vorstrafen des Angeklagten sowie angesichts des Umstandes, dass er nur zwei Monate zuvor bereits bei einem Diebstahl mit Waffen auf frischer Tat gestellt wurde und auch wenige Wochen vor der Tat wegen anderweitig abgeurteilter Ladendiebstähle aufgefallen ist und sich auch hiervon nicht von der Begehung neuer Straftaten hat abschrecken lassen, ausgeschlossen.

Ende der Entscheidung

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