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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 15.11.1999
Aktenzeichen: 3 U 54/99
Rechtsgebiete: ZPO, BVG, BSeuchG, BGB, ZPO
Vorschriften:
ZPO § 711 | |
BVG § 81 a | |
BSeuchG § 54 Abs. 2 | |
BGB § 823 Abs. 1 | |
ZPO § 91 Abs. 1 | |
ZPO § 97 Abs. 1 | |
ZPO § 108 | |
ZPO § 708 Nr. 10 | |
ZPO § 711 |
Bei einer im Jahr 1989 durchgeführten Polio-Impfung bestand für den Arzt keine Verpflichtung, vor oder nach der Impfung einen Hinweis des Inhalts auszusprechen, daß ein Ansteckungsrisiko für Kontaktpersonen besteht.
OBERLANDESGERICIIT HAMM
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
3 U 54/99 OLG Hamm 16 O 76/98 LG Essen
Verkündet am 15. November 1999
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts
In Sachen
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 15. November 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Pelz und die Richter am Oberlandesgericht Kamps und Lüblinghoff
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung der Anschlußberufung des Klägers - das am 6. Januar 1999 verkündete Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Essen abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 25.000,00 DM abwenden, falls nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Beiden Parteien wird nachgelassen, Sicherheit auch durch die unbedingte und unbefristete Bürgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder öffentlichen Sparkasse zu erbringen.
Tatbestand:
Der Kläger macht Ansprüche aus übergegangenem Recht des Geschädigten - gegen die Beklagte - eine Kinderärztin - geltend. Diese impfte den im Mai 1988 geborenen Sohn des Geschädigten am 03.10.1989 zum zweiten Mal gegen Kinderlähmung. Ein Hinweis auf eine mögliche Ansteckungsgefahr für nicht geimpfte Kontaktpersonen erteilte die Beklagte der anwesenden Kindesmutter, die früher bei ihr als Arzthelferin gearbeitet hatte, nicht. Ende Oktober 1989 traten bei dem Kindesvater die ersten Krankheitszeichen einer Kinderlähmung auf. Die Diagnose einer Poliomyelitis (Kinderlähmung) bestätigte sich. Als Folge der Virusinfektion leidet der Geschädigte unter Lähmungen der Beine, zur Fortbewegung ist Herr auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen. Der Kläger hat die Beklagte für die erbrachten Leistungen in Höhe von insgesamt 133.42.3,61 DM und auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz weiterer materieller übergangsfähiger Leistungen in Anspruch genommen. Er hat behauptet, daß die Beklagte über Risiken der Ansteckung und deren Vermeidbarkeit hätte informieren müssen. Die Beklagte hat behauptet, daß eine solche Hinweispflicht im Jahre 1989 nicht dem medizinischen Standard entsprochen habe. Sie bestreitet die Kausalität zwischen der Impfung des Kindes und der Erkrankung des Vaters. Dieser sei als Krankengymnast bereits einem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt gewesen. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, daß die Beklagte gegen die therapeutische Beratungspflicht in Form der Sicherheitsaufklärung verstoßen habe. Gestützt auf die schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. sei - so die Kammer - die Poliomyelitiserkrankung des Geschädigten auf die Lebendviren zurückzuführen, die dem Kind am 03.10.1989 geimpft worden seien.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der Berufung und beantragt,
1.
in Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen;
2.
ihr hilfsweise nachzulassen, Sicherheitsleistung durch Bürgschaft einer deutschen Großbank oder Sparkasse zu erbringen;
3.
die Anschlußberufung zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
1.
die gegnerische Berufung zurückzuweisen;
2.
ihm nachzulassen die gemäß § 711 ZPO zu bestimmende Sicherheitsleistung auch durch Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlichen Sparkasse zu erbringen;
3.
unter teilweiser Abänderung des landgerichtlichen Urteils,
a.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 133.423,61 DM nebst 6,6 % Zinsen seit dem 02.01.1997 zu zahlen;
b.
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm alle Leistungen und Aufwendungen zu ersetzen, die ihm entstanden sind bzw. noch entstehen im Zusammenhang mit der Impfkontakt-Poliomyelitis, an welcher der Geschädigte, geb. 1958, seit dem 30.10.1989 leidet, soweit diese übergangsfähig sind.
Die Parteien wiederholen, vertiefen und ergänzen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze mit ihren Anlagen bezug genommen.
Der Senat hat den Geschädigten und dessen Ehefrau als Zeugen vernommen und den Sachverständigen Prof. Dr. sein schriftliches Gutachten erläutern lassen. Insoweit wird auf den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 15. November 1999 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten war erfolgreich, die Anschlußberufung des Klägers blieb ohne Erfolg.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keine Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht gemäß §§ 81 a BVG, 54 Abs. 2 BSeuchG. Die Beklagten hat gegenüber dem Geschädigten weder eine vertragliche Pflicht - unter dem Gesichtspunkt eines Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter - noch die allgemeine Verkehrssicherungspflicht gemäß § 823 Abs. 1 BGB verletzt.
Die Beklagte war nicht verpflichtet, vor oder nach der Impfung einen Hinweis des Inhalts auszusprechen, daß ein Ansteckungsrisiko für Kontaktpersonen besteht. In der Beurteilung des Behandlungsgeschehens macht sich der Senat die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr., der sein Gutachten überzeugend erläutert hat, zu eigen. Danach entsprach es im Jahre 1989 nicht dem für eine Kinderärztin geltenden medizinischen Standard, auf ein Ansteckungsrisiko von Kontaktpersonen hinzuweisen. Die in Impffragen maßgebliche Empfehlung der Ständigen Impfkommission des Bundesgesundheitsamtes habe, obwohl 1989 die Infektionsgefahr für empfängliche Kontaktpersonen von Impflingen als sehr seltenes Ereignis bekannt qewesen sei, einen solchen Hinweis nicht empfohlen. Wenn selbst diese Kommission (STIKO) als maßgebliche Autorität in Impffragen im Jahre 1989 keinen Anlaß sah, auf diese Problematik hinzuweisen, dann kann auch der Beklagten kein Verstoß gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht zur Last gelegt werden, wenn sie über diese Problematik nicht beraten hat.
Die bei der regelrechten Behandlung - wozu auch die therapeutische Beratung zählt - zu beachtende Sorgfalt beurteilt sich nach dem Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft zur Zeit der Behandlung (Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 8. Auflage, 1999, Rn. 166 m.w.N. aus der Rechtsprechung, Senatsurteil vom 27.01.1999 - 3 U 26/98). Dieser Erkenntnisstand sah für das Jahr 1989 unbeschadet der Stimmen in der Literatur, so der Sachverständige, eine Beratung über ein Ansteckungsrisiko nicht vor. Selbst der Sachverständige als Mikrobiologe hätte sich auf den autorisierten Kenntnisstand der STIKO verlassen. Dafür, daß ein Hinweis auf ein Ansteckungsrisiko obsolet war, spricht auch der Umstand, daß es einen wirksamen Schutz gegen die Ansteckung von Lebendviren nicht gab. Die eigene Impfung hätte, wenn auch auf extrem niedrigen Niveau, ein erhöhtes Risiko bedeutet. Wirksame Schutzmaßnahmen gegen die Übertragung von Viren habe es nicht gegeben. Eine Risikoaufklärung war demnach nicht erforderlich, weil das minimale Risiko der Ansteckung nicht relevant zu beeinflussen war.
Selbst wenn man in einem solchen Fall eine Hinweispflicht für erforderlich halten und einen Verstoß hiergegen als Behandlungsfehler werten würde - so der 3. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs für eine Polio-Impfung im Jahre 1987 durch eine Impfärztin, BGH NJW 1994, 3012 - würde dies der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Es steht nämlich nicht zur Überzeugung des Senats fest, daß die Erkrankung des Geschädigten auf eine Ansteckung durch seinen Sohn zurückzuführen ist. Mit der von dem Landgericht angenommenen hohen Wahrscheinlichkeit ist der Kausalitätsnachweis nicht geführt. Mit der Annahme einer hoher Wahrscheinlichkeit ist der für das praktische Leben brauchbare Grad von Gewißheit (vgl. BGH VersR 1989, 758, 759; 1994, 52, 53) noch nicht erreicht. Wie der Sachverständige ausgeführt hat, ist bei dem Geschädigten nur ein dem Impfvirus ähnliches Virus erwiesen worden, so daß die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs letztlich allein auf den Zeitfaktor gestützt werden kann. Der Sachverständige und ihm folgend der Senat halten es aber für möglich, daß der Geschädigte, der als Masseur einem erhöhten Ansteckungsrisiko. ausgesetzt war, sich bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit angesteckt haben kann.
Auch wenn man annimmt, daß die Beklagte über das Ansteckungsrisiko aufgeklärt hätte, steht nicht fest, daß sich das Risiko dann nicht verwirklicht hätte. Der Kindesvater hätte, wie er bestätigt hat, sich weder selbst impfen lassen noch hätte er jeden körperlichen Kontakt zu seinem Sohn gemieden. Die Impfung des Kindes wäre - unstreitig - auch bei gegebenem Hinweis erfolgt.
Die Beweislast für die haftungsbegründende Kausalität trifft den Kläger, weil der - unterstellte - Behandlungsfehler nicht als grob anzusehen wäre. Ein schwerer Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst wäre in dem Verhalten der Beklagten jedenfalls nicht zu sehen. Auch bei der Sicherheitsaufklärung kann Anlaß zur ärztlichen Sorge bestehen, daß der Patient durch belastende Hinweise von dem Gebotenen abgehalten wird. So kann der Arzt vorher nicht wissen, wie Patienten - oder wie in diesem Fall die Kindeseltern - auf den Hinweis reagieren und unter Umständen von der Polio-Impfung als dem Gebotenen Abstand nehmen. Wenn der Arzt dann das nahezu nicht erkennbare Risiko nicht erwähnt, so liegt darin jedenfalls kein elementarer Verstoß gegen die therapeutische Beratungspflicht.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1, 108, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Das Urteil beschwert den Kläger mit mehr als 60.000,00 DM.
Ende der Entscheidung
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