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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 06.09.2007
Aktenzeichen: 3 Ws 527/07
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 56f Abs. 1 Nr. 1 |
Tenor:
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.
Gründe:
I.
Das Landgericht Essen hat den Verurteilten am 17.11.2005 wegen Steuerhinterziehung in 11 Fällen unter Einbeziehung einer Strafe aus einer anderen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe hat es zur Bewährung ausgesetzt. Dem Verurteilten wurde mit Beschluss vom gleichen Tage ein Bewährungshelfer bestellt und eine teilweise Schadenswiedergutmachung auferlegt.
Der Verurteilung lagen Steuerhinterziehungen zu Grunde, die der Verurteilte als Geschäftsführer der C GmbH begangen hatte. Er hatte in den Jahren 1998 und 1999 Betriebseinnahmen mit Hilfe türkischer Bankverbindungen verschleiert und Betriebsausgaben durch Veränderung bzw. Erstellung von Belegen "verringert". Insgesamt entstand ein Steuerschaden von über 500.000,- DM. Die Strafkammer hatte angesichts der stabilen sozialen Verhältnisse des Verurteilten die Erwartung, dass er sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen würde. Im Urteil heißt es aber auch: "Der Angeklagte sollte allerdings stets bedenken, dass die Begehung einer weiteren Straftat zum Widerruf der Bewährung führen kann".
Der Verurteilte ist vor dieser Verurteilung bzw. vor den abgeurteilten Taten bereits umfänglich strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er wurde jeweils mehrfach wegen Betruges, wegen Nötigung, wegen Beleidigung und wegen Körperverletzung zu Geldstrafen verurteilt wurden. Die einbezogene Freiheitsstrafe beruhte auf einer Verurteilung wegen sexueller Nötigung.
Bereits drei Monate nach der vorliegenden Verurteilung beantragte der Verurteilte eine Stundung der Schadenswiedergutmachungsauflage unter Berufung auf gesundheitliche Gründe. Der Nachweis der gesundheitlichen Gründe bzw. der später vorgebrachten Arbeitsunfähigkeit verlief zögerlich. Bisher hat der Verurteilte keine Schadenswiedergutmachungsleistungen erbracht.
Am 16.06.2006 hat die Staatsanwaltschaft Essen (21 Js 216/06) eine neue Anklage zum AG - Strafrichter - Gelsenkirchen erhoben. Sie legt dem Verurteilten eine versuchte Nötigung und eine versuchte Erpressung, begangen am 23.01. und 25.01.2006 zur Last. Danach bot der Verurteilte dem Geschädigten, der sich auf eine Zeitungsanzeige gemeldet hatte, die Geschäftsführerstellung in einer "N GmbH", die er zur Gründung gelangen lassen wollte, an. Als der Geschädigte den Eindruck gewann, dass die GmbH für "dubiose" Geschäfte missbraucht werden sollte, wollte er die GmbH wieder auflösen. Daraufhin rief der Verurteilte bei ihm am 21.01.2006 an und drohte ihm, dass seiner Tochter etwas passieren würde, wenn er die GmbH auflösen würde. Am 25.01.2006 rief er erneut an und verlangte 6.390 Euro für den Fall der Auflösung der GmbH. Anderenfalls wollte er den Geschädigten wirtschaftlich "fertig machen".
Das Amtsgericht Gelsenkirchen hat am 15.02.2007 (rechtskräftig seit dem 13.03.2007) auf Grundlage dieser Anklage einen Strafbefehl mit einer Gesamtgeldstrafe von 140 Tagessätzen (90 Tagessätze für jede Einzeltat) zu je 15 Euro gegen den Verurteilten Erlassen. Nach den Feststellungen im Strafbefehl ist dem Verurteilten die Anklageschrift am 11.09.2006 zugestellt worden. Zum Hauptverhandlungstermin am 15.02.2007 war er trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen.
Unter Berufung auf den Strafbefehl und die fehlende Schadenswiedergutmachung hat die Staatsanwaltschaft Essen den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung beantragt. Nach schriftlicher Anhörung des Verurteilten, der einen Wahlverteidiger hat, hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss die Strafaussetzung zur Bewährung unter Berufung auf den Strafbefehl widerrufen.
Der Verurteilte hat hiergegen fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt. Er bittet, vom Widerruf abzusehen im Hinblick auf den Gesundheitszustand seiner krebskranken Frau und im Hinblick auf seinen eigenen gesundheitlichen Zustand. Er wisse, dass er in seinem Leben nicht alles richtig gemacht habe.
II.
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Strafaussetzung zur Bewährung zu Recht (nur) nach § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB widerrufen, weil der Verurteilte in der Bewährungszeit neue Straftaten begangen und dadurch gezeigt hat, dass er die Erwartung, die der Strafaussetzung zu Grunde lag, nicht erfüllt hat.
1.
a) Trotz der eindringlichen Warnung im landgerichtlichen Urteil hat der Verurteilte bereits zwei Monate später erneut Straftaten begangen, die zum Erlass des Strafbefehls geführt haben. Diese Straftaten sind auch einschlägig (was noch nicht einmal zwingende Voraussetzung für einen Widerruf ist, vgl. nur KG, Beschl. v. 02.04.2001 - 1 AR 164/01 - 5 Ws 113/01). Jedenfalls die versuchte Erpressung ist wiederum eine gegen fremdes Vermögen gerichtete Tat - gleich wie die abgeurteilten Steuerhinterziehungsdelikte.
b) An einem Widerruf war die Strafkammer nicht etwa deswegen gehindert, weil die neuen Straftaten nur mit einem Strafbefehl geahndet wurden. Das eine Strafaussetzung zur Bewährung widerrufende Gericht muss sich eine sichere Überzeugung von der Begehung der zum Widerruf führenden Straftaten durch den Verurteilten bilden. Teilweise wird in der Rechtsprechung angezweifelt, ob hierzu die Berufung auf einen rechtskräftigen Strafbefehl ausreicht bzw. dies nur unter zusätzlichen weiteren Voraussetzungen gebilligt (vgl. KG Beschl. v. 07.06.2007 - 1 AR 602/07 - 2 Ws 361/07; KG NStZ-RR 2001, 136; OLG Nürnberg NJW 2004, 2032).
Diese Zweifel teilt der Senat nicht. Nach der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung des § 410 Abs. 3 StPO steht ein rechtskräftiger Strafbefehl einem rechtskräftigen Urteil (welches nach einhelliger Ansicht grundsätzlich als ausreichend für die Überzeugungsbildung des Widerrufsberichts angesehen wird) gleich. Hinzu kommt, dass ein Unterlaufen der gesetzlichen Regelung zu Schutzbehauptungen einladen würde (vgl. Tröndle/Fischer § 56f Rdn. 5). Eine Nichtbeachtung dieser gesetzlichen Regelung kommt also allenfalls aus Gründen höherrangigen Rechts in Betracht. Solche könnten z. B. darin liegen, dass dem Angeklagten nicht oder nicht hinreichend rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) vor Erlass des Strafbefehls gewährt wurde. Dafür ergeben sich hier aber keine Anhaltspunkte. Solche Umstände werden vom Verurteilten selbst auch nicht vorgetragen.
c) Ein Widerruf war auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil der Verurteilte wegen der neuen Straftaten lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt worden ist.
Teilweise wird vertreten, dass der Widerruf nach einer Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen einer neuen Straftat ausscheidet, weil das sachnähere Tatgericht die Verhängung einer Freiheitsstrafe wegen der neuen Straftat nicht für unerlässlich gehalten hat (OLG Nürnberg StV 2001, 411). Wenn schon die Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe wegen der neuen Tat einen Bewährungswiderruf nicht rechtfertige, so müsse das erst Recht bei der bloßen Verurteilung zu einer Geldstrafe gelten (OLG Hamm, Beschl. v. 21.11.2000 - 4 Ws 471, 472/00). Nach anderer Ansicht soll ein Bewährungswiderruf jedenfalls nicht schon bei einer einmaligen erneuten Verurteilung zu einer Geldstrafe in Betracht kommen (KG, Beschl. v. 19.02.2002 - 1 AR 104/02 - 5 Ws 74/02).
Diesen Ansichten vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Das Widerrufsgericht hat sich eigenverantwortlich eine Überzeugung vom Vorliegen der Widerrufsvoraussetzungen zu verschaffen. Eine Bindung an Entscheidungen des Tatgerichts, das über die neue Straftat geurteilt hat, findet im Gesetz ebenso wenig eine Grundlage, wie eine Nichteignung von Straftaten, die nur mit einer Geldstrafe geahndet wurden, zum Widerruf der Strafaussetzung.
Es ist zwar regelmäßig naheliegend, sich der Einschätzung des sachnäheren Tatgerichts anzuschließen, zwingend ist das aber nicht (vgl. nur Tröndle/Fischer § 56f Rdn. 8b m.w.N.). Der Umstand, wie das Tatgericht die neuen Straftaten sanktioniert hat, kann daher nur ein Indiz für ihr Gewicht oder ihr fehlendes Gewicht sein und Anlass bieten, sich mit der Geeignetheit für einen Widerruf näher auseinanderzusetzen.
Hier ist aber entscheidend, dass der Umstand der Verhängung einer Geldstrafe (von - wie hier - 140 Tagessätzen) für eine Legalprognose bzw. die Feststellung ihrer Nichterfüllung regelmäßig ohne Bedeutung ist. Das Tatgericht nimmt, wenn es eine Geldstrafe verhängt, eine Einschätzung der Legalprognose, wie sie die §§ 56, 56f StGB für verhängte Freiheitsstrafen verlangen, gar nicht vor. Freiheitsstrafen unter sechs Monaten darf es nur unter den engen Voraussetzungen des § 47 StGB verhängen. Danach ist eine kurzzeitige Freiheitsstrafe nur ausnahmsweise zulässig; grundsätzlich ist in solchen Fällen eine Geldstrafe zu verhängen. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers gilt es, kurzzeitige Freiheitsstrafen wegen ihrer entsozialisierenden Wirkung zu vermeiden(vgl. Tröndle/Fischer § 47 Rdn. 2). Ihre Verhängung kommt nur dann in Betracht, wenn voraussichtlich jedes andere Reaktionsmittel die erforderliche Spezialprävention nicht gewährleisten würde (BayObLG NJW 1995, 3265). Sobald das Tatgericht das nicht hinreichend sicher feststellen kann, scheidet bereits die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe aus. Eine günstige Legalprognose i.S.d. § 56 StGB setzt die Verhängung einer solchen Geldstrafe aber gerade nicht voraus (OLG Hamm Beschl. v. 22.11.2000 - 2 Ws 298/2000; vgl. auch OLG Schleswig SchlHA 1996, 278; KG Beschl. v. 02.04.2001 - 1 AR 164/01 - 5 Ws 113/01).
2.
Der Widerruf der Strafaussetzung ist - wie die Strafkammer zutreffend ausführt - auch nicht durch mildere, weniger einschneidende Maßnahmen i. S. v. § 56 f Abs. 2 StGB ersetzbar. Der Verurteilte hat die neuen Straftaten nur zwei Monate nach der Verurteilung und nach der eindringlichen Mahnung des Landgerichts begangen. Sie hängen - wie die Verurteilung durch das Landgericht - wiederum mit der geschäftlichen Tätigkeit des Verurteilten zusammen, richten sich wieder gegen fremdes Vermögen und auch gegen die Willensfreiheit Dritter. Der Verurteilte hat sich dadurch wiederum in einem Kriminalitätsbereich betätigt, in dem er bereits früher schon mehrfach in Erscheinung getreten ist. Dies hat er getan, obwohl er bereits einem Bewährungshelfer unterstellt war.
Im Hinblick auf die Intensität der vom Verurteilten benutzten Nötigungsmittel, insbesondere auch angesichts der Drohung gegen Familienmitglieder des Geschädigten, ist der Bewährungswiderruf auch angemessen. Die vom Verurteilten vorgetragenen Gesichtspunkte ändern an der oben genannten Bewertung nichts. Ihnen kann ggf. im Rahmen der Strafvollstreckung, z. B. durch (teilweisen) Vollstreckung in einem Justizvollzugskrankenhaus, Rechnung getragen werden.
III.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.
Ende der Entscheidung
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