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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.03.2002
Aktenzeichen: 4 Ss 1000/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 260
StPO § 267
Leidet das tatgerichtliche Urteil in seiner Gesamtheit nach Urteilsformel und Urteilsgründen an einem unlösbaren Widerspruch, ist das sachliche Recht verletzt. Berichtigungen des tatgerichtlichen Urteils durch die Revisionsinstanz im eigentlichen Wortsinn können nur zulässig sein, wenn sie keine sachliche Änderung der Entscheidung bedeuten.
Beschluss Strafsache

gegen G.D.

wegen Trunkenheit im Verkehr.

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts -Schöffengericht - Ahaus vom 6. März 2001 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19. 03. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts -Schöffengericht- Ahaus zurückverwiesen.

Gründe:

Nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls hat der Vorsitzende des Schöffengerichts Ahaus am 6. März 2001 "durch Verlesung der Urteilsformel,, folgendes Urteil gegen den Angeklagten verkündet:

"Der Angeklagte ist der fahrlässigen Trunkenheit im Straßenverkehr und der fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung+, der vorsätzlichen Trunkenheit im Straßenverkehr schuldig.

Er wird zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 30,- DM verurteilt.

Dem Angeklagten wird die Fahrerlaubnis entzogen. der Führerschein wird eingezogen.

Vor Ablauf von 1 Jahr darf ihm keine Fahrerlaubnis erteilt werden. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

§§"

Im schriftlichen und von dem Vorsitzenden des Schöffengerichts unterschriebenen Urteil lautet die Urteilsformel

"Der Angeklagte ist der fahrlässigen Trunkenheit im Straßenverkehr und der fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung schuldig.

Er wird zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 30 DM verurteilt. Dem Angeklagten wird die Fahrerlaubnis entzogen, der Führerschein wird eingezogen.

Vor Ablauf von 1 Jahr darf ihm keine Fahrerlaubnis erteilt werden. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

§§ 316,53,69,69a StGB"

In den schriftlichen Urteilsgründen ist nach Darstellung der tatsächlichen Feststellungen folgende rechtliche Bewertung des Tatgeschehens ausgeführt:

"Der Angeklagte hat sich danach bis zu dem Zeitpunkt, wo er sich der Anhaltestelle näherte wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr im Sinne des § 316 Abs. I, II StGB und der darauf folgenden Flucht mit seinem Fahrzeug wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr im Sinne des § 316 Abs. I StGB strafbar gemacht."

Gegen dieses Urteil richtet sich die unter näheren Ausführungen mit der Sachrüge begründete (Sprung-)Revision des Angeklagten.

Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts -Schöffengericht- Ahaus.

Die Revision ist bereits deshalb begründet, weil das Urteil - wie oben dargestellt - in seiner Gesamtheit nach Urteilsformel und Urteilsgründen an einem unlösbaren Widerspruch leidet. Der im Urteilstenor aufgeführte Schuldspruch der fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung findet weder in der Liste der ..angewendeten Vorschriften" noch in den schriftlichen Urteilsgründen auch nur eine Erwähnung. Erst recht fehlt eine dahingehende rechtliche Deduktion. In den Feststellungen des Urteils ist vielmehr ausdrücklich dargestellt, dass der Zeuge K. - der Anhaltebeamte bei der Polizeikontrolle - durch die Fahrweise des Angeklagten nicht konkret gefährdet worden sei. Widersprechen aber die Urteilsgründe dem Urteilstenor, ist das sachliche Recht verletzt ( vergl. BGHR StPO, § 260 Abs. 1 Urteilstenor 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Auflage, § 268 Rdn. 18; Pfeiffer, StPO, 3. Auflage, § 267 Rdn. 28; KK-Engelhardt, StPO, § 267 Rdn. 47; Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Auflage, § 268 Rdn. 67). Da das Urteil vorliegend auf diesem Rechtsfehler beruht, war es aufzuheben.

Zu der von der Generalstaatsanwaltschaft in der Zuschrift vom 5. März 2002 (bei gleichzeitigem Antrag auf Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenausspruch) beantragten Berichtigung des angefochtenen Urteils im Schuldspruch dahin, "dass der Angeklagte wegen einer einheitlich begangenen fahrlässigen Trunkenheit im Straßenverkehr schuldig ist", sah sich der Senat nicht in der Lage. Berichtigungen des tatgerichtlichen Urteils durch die Revisionsinstanz im eigentlichen Wortsinn können nur zulässig sein, wenn sie keine sachliche Änderung der Entscheidung bedeuten, so etwa wenn ein inhaltlich richtiger und mit den Urteilsgründen in Einklang stehender Tenor nur unklar oder unvollständig ist. Diese Grenze würde aber hier überschritten; denn mit der von der Generalstaatsanwaltschaft beantragten Fassung des Tenors würde ein eigener Entscheidungsakt des Senats vollzogen, der über die äußerliche Mängelbeseitigung hinaus in den dem Tatrichter vorbehaltenen Bereich eingreifen würde ( vergl. Dahs/Dahs, Die Revision in Strafsachen, 6. Auflage, Rdn. 579 ). Eine "Berichtigung" des Schuldspruchs im Sinne einer abschließenden Abänderung des Schuldspruchs durch den Senat (vgl. insoweit Dahs/Dahs a.a.0. Rdn. 587 und z.B. Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a. 0. Rdn. 12 zu § 354) scheitert vorliegend daran, dass das angefochtene Urteil keine hierfür hinreichend vollständigen und tragfähigen Feststellungen enthält. Dein Urteil ist nicht zu entnehmen, ob und ggf. in welcher Weise der Angeklagte sich zu den Anklagevorwürfen eingelassen hat (laut Verhandlungsprotokoll hat er sich zur Äußerung zur Sache bereiterklärt). Auch ist in dem Urteil nicht mitgeteilt, welche Bekundungen die Zeugen K. und S. über das Verhalten und evtl. Äußerungen des Angeklagten gemacht haben.

Der Senat hat das angefochtene Urteil insgesamt aufgehoben, um dem neuen Tatrichter eine umfassende tatsächliche und rechtliche Beurteilung des Gesamtgeschehens zu ermöglichen, zumal es sich hier - worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist - um einen tateinheitlichen Vorgang handeln könnte. Rein vorsorglich weist der Senat für die neue Hauptverhandlung auf seine Beschlüsse von 4. Februar 1999 in 4 Ss 7/99 und vom 11. April 2000 in 4 Ss 936/99 sowie in BA 1998,462 ff. hin.

Ende der Entscheidung

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