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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 05.05.2004
Aktenzeichen: 4 Ss 65/04
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 170 a |
Beschluss
Strafsache
gegen M.S.
wegen Verletzung der Unterhaltspflicht
Auf die (Sprung-)Revision der Staatsanwaltschaft Arnsberg gegen das Urteil des Amtsgerichts Arnsberg vom 3. November 2003 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in der Sitzung vom 05. 05. 2004, an der teilgenommen haben:
Tenor:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzender, Richter am Oberlandesgericht und Richterin am Landgericht als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt Schmitz aus als Verteidiger
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision wird auf Kosten der Landeskasse verworfen.
Gründe:
I.
Durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 11. Juni 2001 ist gegen den Angeklagten wegen Verletzung der Unterhaltspflicht gegenüber dem am 25. Oktober 1992 geborenen Kind M.H. eine Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verhängt worden. Der Angeklagte hatte seine Vaterschaft zunächst anerkannt.
Mit Schreiben seines Verteidigers vom 2. September 2002 beantragte der Angeklagte gemäß § 359 Nr. 5 StPO die Wiederaufnahme des Verfahrens, gestützt auf ein Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 20. August 2002, wonach aufgrund eines DNA-Abstammungsgutachtens, durch welches der Angeklagte als Erzeuger des Kindes ausgeschlossen wurde, festgestellt worden ist, dass das Kind M.H. nicht das Kind des Klägers (= Angeklagten) ist.
Das Amtsgericht Arnsberg hat mit Beschluss vom 31. Januar 2003 die Wiederaufnahme des Verfahrens für zulässig erklärt. Dem Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 20. August 2002 komme Rückwirkung zu, so dass eine gesetzliche Unterhaltspflicht von Anfang an nicht bestanden habe. Die nunmehr festgestellte fehlende Vaterschaft des Angeklagten sei eine neue Tatsache i.S.d. § 359 Nr. 5 StPO.
Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Arnsberg ist mit Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 9. Juli 2003 als unbegründet verworfen worden.
Das Amtsgericht Arnsberg hat den Angeklagten daraufhin am 3. November 2003 unter Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Siegen vom 11. Juni 2001 freigesprochen. Durch das Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 20. August 2002 sei das Vater-Kind-Verhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Kind M.H. mit Rückwirkung auf den Tag der Geburt entfallen. Die zivilrechtliche Rückwirkung sei auch für das Strafverfahren bindend.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft Arnsberg mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Revision, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Der Rechtsauffassung des Amtsgerichts, wonach die zivilrechtliche Rückwirkung des Statusurteils auch für das Strafverfahren bindend sei, stehe der Beschluss des OLG Hamm vom 19. Dezember 1968 (NJW 1969, 805) entgegen.
Der hiesige 1. Strafsenat hatte seinerzeit entschieden, ein die Unehelichkeit eines Kindes feststellendes Urteil sei keine neue Tatsache i.S.d. § 359 Nr. 5 StPO, die geeignet sei, die Freisprechung des zunächst wegen Unterhaltspflichtverletzung verurteilten Angeklagten zu begründen. Durch das Urteil sei zwar mit rückwirkender Kraft die Unehelichkeit des Kindes festgestellt worden, so dass der Angeklagte dem Kind gegenüber nicht unterhaltspflichtig sei. Diese sich für das Zivilrecht ergebende Folge der Rückwirkung sei jedoch nicht geeignet, zur Beseitigung des gegen den Angeklagten früher ergangenen Strafurteils zu führen. Soweit ein Zivilurteil nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts zurückwirke, habe dies nur Bedeutung für das bürgerliche Recht. Zwar richte sich das Bestehen einer Unterhaltspflicht nach den Vorschriften des BGB und eine Bestrafung aus § 170 b (a.F.) StGB könne nicht erfolgen, wenn nach jenen Vorschriften eine Unterhaltspflicht nicht bestehe. Solange nicht die Ehelichkeit wirksam angefochten und die Unehelichkeit rechtskräftig festgestellt sei, könne der Strafrichter dies im Verfahren nach § 170 b (a.F.) StGB nicht berücksichtigen. Der Angeklagte könne demnach auch nicht die Wiederaufnahme des Verfahrens verlangen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Akten ohne Antrag vorgelegt.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig, aber unbegründet. Der erkennende Senat teilt die vom hiesigen 1. Strafsenat vertretenen Auffassung nicht.
Die aufgrund eines Abstammungsgutachtens vom Amtsgericht Siegen mit Urteil vom 20. August 2002 getroffene Feststellung, wonach der Angeklagte nicht der Vater des Kindes M.H. ist, ist vom Amts- und Landgericht im vorliegenden Verfahren zu Recht als neue Tatsache i.S.d. § 359 Nr. 5 StPO anerkannt (vgl. auch schon Meyer, Anm. zum o.a. Beschluss des 1. Senats a.a.O., NJW 1969, 1360) und vom Amtsgericht dem freisprechenden Urteil zugrunde gelegt worden.
Eine Bestrafung aus § 170 StGB scheidet im vorliegenden Falle aus.
Der Tatbestand setzt eine gesetzliche Unterhaltspflicht des Täters i.S.d. bürgerlichen Rechts voraus (vgl. BGHSt 12, 166; 26, 111). Eine solche Verpflichtung besteht nach dem Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 20. August 2002 nicht. Mit diesem Urteil wurde gemäß § 1599 Abs. 1 BGB festgestellt, dass der Angeklagte nicht der Vater des Kindes M.H. ist. Damit entfiel die Vaterschaftsfiktion des § 1592 Nr. 2 BGB. Diese wird mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Anerkenntnisses aufgehoben (vgl. Palandt-Diederichsen, BGB, 62. Aufl., § 1599 Rdnr. 7). Es bestand damit zu keinem Zeitpunkt eine Unterhaltsverpflichtung gemäß § 1601 BGB. Diese zivilrechtliche Rückwirkung ist auch im Rahmen einer strafrechtlichen Entscheidung zu berücksichtigen. Zwar besteht keine Bindung des Strafrichters an Zivilurteile, die die Unterhaltspflicht betreffen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 170 Rdnr. 5). Doch hat der Strafrichter bei seiner Prüfung die gesetzlichen Vorgaben des Zivilrechts, d.h. die §§ 1591 ff. BGB, durch welche das Abstammungsverhältnis geregelt wird, zu beachten. In diesem Rahmen ist er auch an die zivilrechtlichen Statusurteile gebunden. Dies folgt schon daraus, dass für sie gemäß § 640 h S. 1 ZPO eine Bindungswirkung "für und gegen alle" angeordnet ist (vgl. OLG Stuttgart NJW 1973, 2305; OLG Hamm NJW 1973, 2306; Tröndle/Fischer a.a.O.). Dies gilt auch, soweit das Statusurteil auf den Zeitpunkt des Vaterschaftsanerkenntnisses zurückwirkt.
Die von der Staatsanwaltschaft im Einklang mit der Entscheidung des 1. Strafsenats des hiesigen Oberlandesgerichts (OLG Hamm NJW 1969, 805) hiergegen vorgebrachten Einwände überzeugen - zumindest für die vorliegende Fallgestaltung - nicht. Zweifelhaft ist schon, ob ein im Strafrecht "allgemein anerkannter Grundsatz" des Inhalts existiert, wonach die sich aus dem Zivilrecht ergebenden Folgen der Rückwirkung allein Bedeutung für das bürgerliche Recht haben und für die strafrechtliche Beurteilung unberücksichtigt bleiben müssen. Soweit sich die Staatsanwaltschaft zur Stütze ihrer Ansicht auf eine Kommentarstelle bei Schönke-Schröder bezieht (vgl. Schönke-Schröder-Eser, StGB, 26. Aufl., § 246 Rdnr. 4 a), betrifft die dort vertretene Ansicht allein den Fall der Rückwirkung des § 142 Abs. 2 BGB. Sie steht zudem im Widerspruch zu der im gleichen Kommentar vertretenen Meinung von Lenckner zur Frage der (strafrechtlichen) Relevanz der Rückwirkung einer Statusklage (vgl. Schönke-Schröder-Lenckner a.a.O. § 170 Rdnr. 12). Von einem "allgemein anerkannten Grundsatz" kann damit schon nicht die Rede sein.
Auch das Argument, bei der rückwirkenden Änderung von Rechtsverhältnissen im Zivilrecht handele es sich um eine Fiktion, deren Berücksichtigung mit strafrechtlichen Grundsätzen nicht vereinbar sei, überzeugt - zumindest für den vorliegenden Fall - nicht. Denn auch die zum Zeitpunkt der Verurteilung bestehende - vermeintliche - Verpflichtung des Angeklagten zur Zahlung des Unterhalts beruht auf einer Fíktion des Zivilrechts, § 1592 Nr. 2 BGB. Durch das die tatsächliche Abstammung wiedergebende Statusurteil wurde rückwirkend die wahre Rechtslage wieder hergestellt und diese Fiktion beseitigt.
Sollen jedoch zivilrechtliche Fiktionen keine strafrechtlichen Auswirkungen haben, hätte das Amtsgericht schon im Ursprungsverfahren Beweis über die Vaterschaft erheben und den Angeklagten freisprechen müssen. Auch aus diesem Grunde muss dem Statusurteil im strafrechtlichen Rahmen eine rückwirkende Geltung zukommen (so auch Schönke-Schröder-Lenckner a.a.O.; Meyer a.a.O.).
Die Revision war daher mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.
Ende der Entscheidung
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