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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 08.09.2006
Aktenzeichen: 5 UF 37/06
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1671 I
BGB § 1671 II Nr. 2
FGG § 13 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird der Beschluss des Amtsgerichts -Familiengericht- Hagen vom 14. Februar 2006 abgeändert.

Das elterliche Sorgerecht für die Kinder B O, geb. am xxx, O2 O, geb. am xxx und F O, geb. am xxx wird auf die Beteiligte zu 1) (Kindesmutter) allein übertragen.

Die Beschwerde des Beteiligten zu 2) wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die KinderB, geb. am xxx, N, geb. am xxx und F, geb. am xxx sind die ehelichen Kinder der Beteiligten zu 1) und 2).

Die am xxx geborene Kindesmutter und der am xxx geborene Kindesvater, beide türkische Staatsangehörige, hatten am 16.08.1995 in der Türkei die Ehe miteinander geschlossen.

Für den Kindesvater war es die dritte Ehe. Die vorherigen Ehen wurden kinderlos geschieden.

Die Ehe wurde durch die Tante des Kindesvaters vermittelt. Sie hatte in einer kleinen Kreisstadt in B2, wo sie als Krankenschwester tätig war, die Mutter der Beteiligten zu 1) und diese selbst kennen gelernt und für eine Heirat mit ihrem bereits seit Mitte der 80er Jahre in Deutschland lebenden Neffen, den Beteiligten zu 2), für geeignet befunden. Die Beteiligte zu 1) war zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alt und half ihrer Mutter nach Besuch der Grundschule (5 Jahre) und einer Koranschule bei dem Anfertigen von Teppichen.

Etwa zwei Monate nach der Eheschließung folgte die Beteiligte zu 1) ihrem Ehemann nach Deutschland. Dort lebte sie mit dem Beteiligten zu 2), dessen Eltern und dem Bruder ihres Ehemannes in einer etwa 53 m² großen 2 1/2 - Zimmerwohnung.

Dort lebte die Familie auch nach der Geburt der gemeinsamen Kinder. Der Bruder des Beteiligten zu 2) zog im Jahre 1996 nach seiner Eheschließung in eine eigene Wohnung. Insbesondere nach der Scheidung dieser Ehe hielt er sich jedoch ebenfalls tagsüber zumeist in der Wohnung der Beteiligten zu 1) und 2) zusammen mit den Eltern und den Kindern auf.

Nach Angaben der Kindesmutter wurde versucht, ihr die Kinder weitgehend vorzuenthalten. Bei erzieherischen Fragen habe man der Kindesmutter zu verstehen gegeben, dass sie sich nicht einzumischen habe. Von ihr sei verlangt worden, dass sie sich weitgehend im Schlafzimmer aufgehalten habe. Die Kinder seien jedoch immer zu ihr gekommen. Später habe sie durchsetzen können, dass sie mit den Kindern alleine in einen nahegelegenen Park habe gehen können.

Der Kindesvater gibt dagegen an, dass die Kindesmutter die Kinder 24 Stunden am Tag betreut habe.

Der Kindesvater war in die Betreuung der Kinder nicht eingebunden. Nach eigenen Angaben habe er keine Möglichkeit zur Betreuung gehabt, da er im Dreischichtbetrieb habe arbeiten müssen.

Der Kindesvater erklärt, die Kindesmutter habe sich schon im Jahre 2002 für 6 Monate in der U aufgehalten, davor jährlich durchschnittlich 4 Monate.

Die Kindesmutter gibt an, nur mit der Familie des Kindesvaters regelmäßig zuletzt alle zwei Jahre den Urlaub in der U verbracht zu haben.

Im Jahre 2001/02 sei sie unter dem Vorwand in die U geschickt worden, dass die Familie nachkomme. Diese sei aber nicht nachgekommen. Ein Rückflugticket habe sie nicht besessen. Mit finanzieller Hilfe ihrer Eltern habe sie sich dann ein Ticket kaufen können. Aus Sehnsucht nach den Kindern sei sie zurückgekehrt

Seit dem 21.06.2003 leben die Parteien dauerhaft getrennt.

Zu diesem Zeitpunkt reiste die Kindesmutter mit dem Bruder des Kindesvaters in die U.

Die Kindesmutter gibt dazu an, dass sie unter dem Vorwand, etwas nach dem Tod des Schwiegervaters regeln zu müssen und um ihre Familie zu sehen, dazu überredet worden zu sei, in die U zu fliegen. Noch am Flughafen habe der Schwager ihr den Pass abgenommen und habe ihr erklärt, er werde sie nach drei Wochen wieder abholen, was er aber nicht getan habe.

In einem Telefonat habe der Kindesvater ihr erklärt, dass "sie die Kinder nie wieder zu Gesicht bekommen würde, sie habe ihre Schuldigkeit als Gebärmaschine erfüllt."

Sie habe keine Papiere und kein Geld für eine Rückkehr gehabt. Erst nachdem sie neue Ausweispapiere erhalten habe und nachdem sie sich das Geld für den Rückflug habe verdienen können, habe sie nach Deutschland zurückkehren können.

Der Kindesvater behauptet, die Kindesmutter unterhalte seit 5 Jahren eine Beziehung zu einem Mann in der U. Er habe einem Brief gefunden, aus dem er das habe schließen können (vorgelegt wurde ein solcher Brief nicht, auch werden dazu keine näheren Ausführungen gemacht).

Nach der Rückkehr der Kindesmutter aus der U im November 2003 wandte sie sich an die Polizei, die sie an ein Frauenhaus verwies. Nachdem sie etwa 8 Monate in dem Frauenhaus gelebt hatte, mietete sie zusammen mit einer Freundin eine Wohnung an. Nach weiteren drei Monaten mietete sie eine eigene Wohnung in X.

Kontakt zu ihren Kindern wurde ihr von der Familie des Kindesvaters nicht gewährt. Erst mit gerichtlicher Hilfe konnte sie regelmäßige Besuchskontakte der Kinder ab Frühjahr 2005 durchsetzen.

Im erstinstanzlichen Verfahren hat die Kindesmutter das alleinige Sorgrecht für die Kinder beantragt.

Das Familiengericht hat ein schriftliches Sachverständigengutachten des Dipl.Psych. T U2 vom 07.12.2005 eingeholt. Wegen des Inhaltes wird auf Bl. 157 ff. d.A. verwiesen.

Das Familiengericht hat das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder auf die Kindesmutter übertragen, mit der Maßgabe, dass zunächst auch dem Jugendamt der Stadt I gleichberechtigt das Aufenthaltsbestimmungsrecht mit übertragen wird und das Jugendamt insoweit als Pfleger bestellt. Die Kindesmutter dürfe den Aufenthalt der Kinder nur im Einvernehmen mit dem Jugendamt bestimmen.

Den weitergehenden Sorgerechtsantrag der Mutter hat es zurückgewiesen.

Dagegen wenden sich beide Eltern mit ihren Beschwerden.

Die Kindesmutter beantragt,

den Beschluss des Amtsgerichts Hagen dahingehend abzuändern, dass der Kindesmutter die gesamte

elterliche Sorge für die Kinder B, geb. am xxx, N, geb. am xxx und F, geb. am xxx zur alleinigen Ausübung übertragen wird mit der Maßgabe, dass bis zur

Umsetzung der Kinder in den Haushalt der Antragstellerin auch dem Jugendamt der Stadt I gleichberechtigt das Aufenthaltsbestimmungsrecht mit übertragen wird.

Der Kindesvater beantragt,

dem Kindesvater unter Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Hagen vom 14.02.2006 die gesamte elterliche Sorge betreffend die Kinder B, geb. am xxx, N, geb. am xxx und F, geb. am xxx, zur alleinigen Ausübung zu übertragen.

Nach der Entscheidung des Familiengerichts sind die Kinder F und N in den Haushalt der Mutter gewechselt. Es war mit den Eltern und dem Jugendamt abgesprochen, dass zunächst begleitete Kontakte bei dem Kinderschutzbund in I stattfinden sollten. Nach den Kontakten sollte der Wechsel der Kinder dann stattfinden. Das gelang lediglich mit dem jüngsten Kind F. Dieses wechselte nach einem Besuchskontakt beim Kinderschutzbund am 07.04.2006 in den Haushalt der Kindesmutter.

Da eine Herausgabe N nicht erfolgte, wurde er mit Hilfe des Jugendamtes am 02.06.2006 aus der Schule abgeholt und in den Haushalt der Mutter verbracht.

? erklärt, nicht in den Haushalt der Mutter zu wechseln zu wollen und lebt weiterhin im Haushalt des Vaters.

Am xxx hat die Kindesmutter ein weiteres Kind, J G N2, geboren. Der Beteiligte zu 2) ist nicht der leibliche Vater dieses Kind. Da das Kind aber als ehelich gilt, betreibt der Beteiligte zu 2) ein Ehelichkeitsanfechtungsverfahren.

J lebt ebenfalls im Haushalt der Mutter. Sie lebt nicht mit dem leiblichen Vater zusammen. Dieser lehnt es insbesondere ab, mit den anderen Kindern in einem Haushalt zu leben. Die Kindesmutter sieht für eine Beziehung mit dem leiblichen Vater J keine Perspektive.

II.

Das Sorgerecht für die Kinder B, N und F war gem. § 1671 I, II Nr. 2 BGB auf die Beteiligte zu 1) allein zu übertragen, da zu erwarten ist, dass das dem Wohl der Kinder am besten entspricht.

Die Bindung der Kinder an die Mutter ist erheblich stärker ausgebildet als zum Vater. Zudem kann bei dem Kindesvater allenfalls eine sehr eingeschränkte Erziehungskompetenz festgestellt werden. Diesbezügliche gravierende Einschränken bestehen bei der Mutter nicht. Auch wenn die Tochter B ausdrücklich erklärt, im Haushalt des Vaters bleiben zu wollen, entspricht es dem Wohl des Kindes am besten, in den Haushalt der Mutter zu wechseln, wo sie zusammen mit ihren Geschwistern, zu denen eine enge Bindung besteht, aufwachsen kann. Es ist davon auszugehen, dass die Willensäußerung B, nicht zur Mutter zu wollen, nicht ihrem tatsächlichen Willen und Bedürfnis entspricht, sondern durch den Vater und dessen Familie induziert worden ist. Auch wenn die Kinder ihr bisheriges Umfeld (Wohnung, Schule, Kindergarten, Familie des Vaters) verlassen müssen und sich in einer ihnen nicht bekannten Stadt neu einfinden müssen, kommt eine Abwägung der Chancen und Risiken für die Kinder zu dem eindeutigen Ergebnis, dass sie sich in der Obhut der Kindesmutter erheblich besser entwickeln können als bei einem Verbleib im Haushalt des Vaters.

Da zwischen den Kindeseltern überhaupt keine Kommunikation möglich ist, war der Kindesmutter auch die gesamte elterliche Sorge zu übertragen. Es kann ausgeschlossen werden, dass die Eltern sich über einzelne Belange der Kinder in absehbarer Zukunft zum Wohle der Kinder auseinandersetzen und verständigen können.

Im Einzelnen:

a) Bindungen der Kinder

(1) zu den Eltern

(a) zum Kindesvater

Dem Kindesvater fiel und fällt in seiner Familie in erster Linie die Aufgabe zu als Schichtarbeiter Geld zu verdienen.

Die Betreuung der Kinder hat er seiner Frau und vor allem seiner Mutter überlassen.

Er scheint keinerlei Einfluss auf die Kinder nehmen zu können. So hat der Bruder es übernommen, die schulischen Angelegenheiten der Kinder zu klären. Als der Sachverständige die Familie anlässlich einer Übergabe zu einem Besuchswochenende beobachten konnte (S. 51 des Gutachtens, Bl. 207 d.A.) war es der Bruder, nicht der Vater, der erzieherisch auf die Kinder einwirkte. Auf Fragen nach seiner Beziehung verweist er auf seine Arbeitsbelastung. So gegenüber dem Sachverständigen, der die Aussagen des Kindesvaters wie folgt wiedergibt. (S. 36 des Gutachtens, Bl. 192 d.A.):

"Auf die Frage, ob er sich um die Kinder gekümmert habe, entgegnete der Kv, dass die Kinder sehr viel Aufmerksamkeit benötigten. Er arbeite im Dreischichtsystem und habe es deshalb nicht leisten können."

An anderer Stelle (S. 39 des Gutachtens, Bl. 195 d.A.):

"Der Kv habe ja arbeiten müssen. Die Km habe die Kinder 24 Stunden am Tag beaufsichtigt. Er habe ihr gegenüber nichts sagen dürfen."

Der Sachverständige kommt in seinem Gutachten zu folgendem Ergebnis (S. 65 f. des Gutachtens, Bl. 221 f. d.A.):

"Nach den Angaben der Km und den Angaben des Kv lässt sich deutlich schließen, dass der Kv keine stabile Hauptbindungsperson für die Kinder darstellt. Auch in den Beobachtungssequenzen konnte dies bestätigt werden. Der Kv war durchweg distanziert, hatte keinen Körperkontakt zu den Kindern und die Kinder wandten sich kaum an ihn. Zumeist saß er teilnahmslos dabei".

Weiter heißt es zusammenfassend:

"Insbesondere die Beziehung zwischen dem Kv und den Kindern ist von emotionaler Distanz geprägt. Ansprechpartner für die Kinder sind die Gm und der Onkel, nicht der Kv."(S. 81 des Gutachtens, Bl. 237 d.A.).

(b) Kindesmutter

Die Situation in der Familie war in den ersten Jahren dadurch geprägt, dass die Betreuung der Kinder vollständig den weiblichen Familienmitgliedern oblag, der Kindesmutter und der Großmutter. Dabei wird nicht recht deutlich, wie groß der Anteil der Kindesmutter war. Die Großmutter war offensichtlich diesbezüglich bevorrechtigt. Die Schwiegertochter scheint sie auch hinsichtlich der Kindesbetreuung nicht für kompetent gehalten zu haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Kindesmutter ein 17 - jähriges anatolisches Mädchen ohne wesentliche Lebenserfahrung war, als sie in die Familie des Kindesvaters kam.

Auch der Sachverständige weist darauf hin, dass die Betreuungssituation in der Familie unterschiedlich und zum teil wechselhaft beschrieben wird (S. 63 f. des Gutachtens, Bl. 219 f.).

Dennoch steht fest, dass die Mutter im Gegensatz zum Vater sehr viel Zeit gemeinsam mit den Kindern in der kleinen Wohnung verbracht hat. Der Kindesvater gab an, dass die Kindesmutter die Kinder 24 Stunden am Tag beaufsichtigt hat. Zwar dürfte ein Konkurrenzverhältnis zu der Großmutter bestanden haben, die nach eigenen Angaben der Kindesmutter versucht hat, ihr die Kinder vorzuenthalten. Mit zunehmendem Selbstbewusstsein der Mutter, dürfte ihr das aber immer weniger gelungen sein.

Der Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, dass die Kindesmutter die Hauptbezugsperson für die Kinder sei (S. 65 des Gutachtens, Bl. 221, d.A.):

" in der sensitiven Phase des Bindungsaufbaus lebten die Kinder mit der Km zusammen und sie war die Hauptbezugsperson für die Kinder. Die Angaben der Km und des Kv bestätigen dieses. Die, von dem Kv und Gm, widersprüchlichen Angaben bzgl. der Versorgung und Erziehung der Kinder konnten durch Verhaltens- und Interaktionssequenzen deutlich entkräftet werden. Für alle Kinder stellt die Km eine Hauptbindungsperson dar."

Während der Verhaltensbeobachtungen (S. 50 f. des Gutachtens Bl. 206 f. d.A.) konnte der Sachverständige einen liebevollen Umgang der Mutter mit den Kindern N und F beobachten, bei dem die Kinder auch immer wieder körperlichen Kontakt und Nähe zur Mutter suchten.

Auch B legte ihre ablehnender Haltung gegenüber der Mutter bei einem gemeinsamen Treffen zusammen mit den Geschwistern im Kindergarten schnell ab. Der SV beschreibt das wie folgt (S. 54 f. des Gutachtens, Bl. 210 d.A.):

" Ayse bewegte sich gegen Schluss der Beobachtungssequenz sehr frei und entspannt. Sie kommunizierte spannungsfrei und inhaltlich mit der Km. Es waren keinerlei Anspannungen mimischer und körperlicher Art zu beobachten. Vielmehr hatten sich alle Kinder auf eine spielerische Zeit mit der Km eingelassen, während dessen sie mit ihrer Mutter über Inhalte ihres Tuns ins Gespräch kamen und sich im Austausch über Regel und Grenzen befanden."

Es kann somit festgestellt werden, dass alle drei Kinder eine verlässliche tragfähige Bindung zu ihrer Mutter unterhalten. Auch wenn die Mutter zunächst in ihrer Rolle als Mutter durch die Großmutter beeinträchtigt worden ist und die Mutter zwischenzeitlich längere Zeit von den Kindern getrennt lebte (Uaufenthalte, Trennung der Parteien) ist es ihr gelungen, die starken Bindungen zu den Kindern aufrechtzuerhalten und sich als Hauptbezugsperson zu etablieren.

(2) Bindungen zwischen den Geschwistern

Der Sachverständige hat in seiner Anhörung vor dem Senat die besondere Bedeutung der Geschwisterbindung hervorgehoben.

Durch die zeitweise Trennung der Kinder von der Mutter waren die Kinder darauf angewiesen, sich zu solidarisieren. Es sei deshalb hochwahrscheinlich, dass hier eine besonders ausgeprägte Bindung der Geschwister untereinander bestehe.

Bestätigt wird das durch den Eindruck des Senates, den er insbesondere von den jüngeren Kindern gewinnen konnten. Die Kinder waren bei der Anhörung sehr eng verbunden und standen in ständigem Kontakt. Sie vergewisserten sich jeweils genau der Aussagen und Reaktionen des anderen Geschwisterteils. Auch brachten sie deutlich zum Ausdruck, dass sie sich ein Zusammensein mit ihrer älteren Schwester B sehr wünschten.

Es war deshalb von mitentscheidender Bedeutung, dass eine dauerhafte Trennung der Geschwister zu vermeiden war.

b) Erziehungsfähigkeit und Förderkompetenz

(1) Kindesvater

Der Vater besitzt nicht nur wenig Förderkompetenz. Ihm wird man wohl die Erziehungsfähigkeit weitgehend absprechen müssen.

Er scheint intellektuell eingeschränkt zu sein. So konnte er sich gegenüber dem Sachverständigen nicht an Daten erinnern. Das gilt für seine Eheschließungen (S. 32 des Gutachtens Bl. 188 d.A.). Aber auch hinsichtlich der Entwicklung der Kinder konnte er keine Angaben machen (S. 36 des Gutachtens, Bl. 192 d.A.).

Er überlässt die Erziehungsverantwortung vollständig seiner Mutter und seinem Bruder. So ist es die Großmutter, die für ihn Fragen nach der Entwicklung der Kinder beantwortet. Schulische Angelegenheiten der Kinder werden durch den Bruder geregelt. Es ist auch der Bruder, der in diesem Verfahren für den Kindesvater aktiv wird. Die zahlreichen Briefe, die sich in der Akte befinden, sind von dem Bruder verfasst worden und von dem Kindesvater lediglich unterzeichnet.

Der Kindesvater sieht auch in der Zukunft keine Möglichkeit, die Erziehungsverantwortung für die Kinder selbst zu übernehmen.

So fragte der Sachverständige ihn, was er tun würde, wenn seine Mutter und sein Bruder nicht da wären. Die Reaktion des Kindesvaters fasst der Sachverständige wie folgt zu zusammen (S. 44 des Gutachtens, Bl. 200 d.A.):

"Der Kv würde sich dann an den Staat wenden und um Hilfe für das Aufpassen auf die Kinder beantragen. Die Kinder allein versorgen ginge nicht, weil der Kv arbeite und zwar im Dreischichtsystem. Eine Veränderung seiner Arbeitssituation könnte er sich nicht vorstellen. Er würde zu wenig Geld verdienen, wenn er keine Nachtschichten mehr arbeiten würde. Dann würde das Geld nicht mehr ausreichen für die Versorgung der Kinder."

(2) Kindesmutter

Die Kindesmutter ist bereits mit 16 Jahren mit dem Kindesvater verheiratet worden und sodann nach Deutschland gekommen. Sie hatte in der U als junges Mädchen in den festen Strukturen einer anatolischen Familie gelebt. Auch nach ihrer Übersiedlung hatte sie in der Familie des Kindesvaters sie zunächst kaum Gelegenheit, eigenständige Erfahrungen zu machen.

Dennoch ist es ihr gelungen, sich weitgehend zu emanzipieren und zu einer selbstbewussten Frau zu entwickeln.

Im Gegensatz zu dem Kindesvaters kann sie klare Vorstellungen über die Entwicklung und Erziehung der Kinder formulieren (S. 22, 70 ff. des Gutachtens, Bl. 178, 226 ff.) . Sie sieht die Defizite der Kinder, die nach ihren Einschätzungen auch daraus resultieren, dass die Kinder kaum über Außenkontakte verfügen.

Der Sachverständige fasst die Angaben der Kindesmutter wie folgt zusammen (S. 70 des Gutachtens, Bl. 226 d.A.):

" Der Km sei bewusst, dass die Kinder sich unter großem psychischen Druck befänden. Sie versuche, ihnen ihre Liebe zu geben und Interesse zu zeigen. Sie würde mit ihnen lesen und spielen. Manchmal machten sie auch ihre Deutschaufgaben, die die Km im Kurs erhalte. Sie versuche gemeinsam mit den Kindern etwas zu lernen. Sie mache Leseübungen mit N und spiele mit F . Sie habe eine Spielecke eingerichtet. Sie unternehme etwas mit den Kindern, damit sie an die Luft kämen.

Die Kinder seien auffällig und wichtig sei, dass sie psychisch stabiler werden müssten. Die Kinder seien hungrig nach Liebe. Sie bräuchten Kontakt zu anderen Menschen. Sie besuche oft Freundinnen, damit sie dies für die Kinder herstellen könne."

Auch kann eine hohe Bindungstoleranz festgestellt werden. Die Kindesmutter hält es für selbstverständlich, dass die Kinder "ihren Vater, ihre Oma und ihren Onkel lieben könnten" und hält es für wichtig, dass auch weiterhin Kontakt der Kinder zu dem Vater und seiner Familie unterhalten wird.

Dagegen wurden der Kindesmutter die Kinder nach der Trennung mehr als ein Jahr vollständig vorenthalten. Ihr Recht auf Besuchskontakte musste sie gerichtlich durchsetzen.

Auch die von dem Kindesvater vorgebrachten körperlichen Einschränkungen der Kindesmutter (Asthma) konnten weder von dem Sachverständigen noch vom Jugendamt beobachtet werden. Die Kindesmutter leidet zwar an dieser Erkrankung. Sie ist dadurch aber nicht in der Kindererziehung beeinträchtigt.

Sie gibt dazu an, dass sich das Krankheitsbild seit der Trennung weitgehend gebessert habe.

Der Mutter fehlt es allerdings weitgehend an deutschen Sprachkenntnissen. Sie hat aber bereits einen Sprachkurs bis zur Geburt des Kindes J belegt und strebt an, in Zukunft an weiteren Kursen teilzunehmen.

Dem Jugendamtsbericht vom 24.07.2006 (Bl. 341 d.A.) ist zu entnehmen, dass die Kindesmutter mit der Betreuung und Erziehung der Kinder N und F gut zurecht kommt.

Es bestehen somit keine Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit in der Person der Kindesmutter. Die allein durch die mangelnden Kenntnisse der deutschen Sprache bedingte Beeinträchtigung der Förderungsmöglichkeiten wird sie in Zukunft weiter aufzuarbeiten haben.

Die Mutter hat auch bereits eine sozialpädagogische Familienhilfe beantragt, die nach Angaben des Jugendamtes in Kürze ihre Arbeit aufnimmt. Insoweit erhält sie Unterstützung, die insbesondere auch ihre noch bestehenden Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache ausgleichen kann und ihr die Gelegenheit gibt, weiter an Deutschkursen teilzunehmen.

c) Kontinuität

Die Kinder sind in der 2 1/2 - Zimmerwohnung der Großfamilie aufgewachsen.

Der Verbleib im Haushalt des Vaters würde für die Kinder kaum keine Veränderung mit sich bringen.

Der Wechsel zur Mutter, die auch in Zukunft in X leben wird, ist für die Kinder mit vielen Veränderungen verbunden. Sie wechseln nicht nur ihr häusliches Umfeld, sondern auch Kindergarten und Schule.

Dennoch ist den Kindern dieser Wechsel zuzumuten. Im Haushalt des Vaters haben sie nur ein geringes Angebot an Anregungen erhalten. Es ist nicht geboten, diese Verhältnisse weiter fortzusetzen. Für die Entwicklung der Kinder ist ein Wechsel aus der anregungsarmen Umgebung in ein anderes Umfeld nicht förderlich.

d) Kindeswille

(1) N und F

Beide Kinder sind nach Darstellung des Jugendamtes in dem Bericht v. 24.07.2006 (Bl. 241 ff. d.A.) mit der neuen Lebenssituation einverstanden.

Auch der Sachverständige hat die Kontakte der Mutter zu den beiden jüngeren Kindern als unproblematisch beobachtet (S. 50 f. des Gutachtens, Bl. 206 f.).

Beide Kinder haben in der Anhörung durch den Senat eindeutig bekundet, dass sie mit ihrer Mutter zusammen leben wollen und nicht in den Haushalt des Kindesvaters zurückkehren möchten.

(2) Ayse

Problematischer ist die Situation bei B. Sie bekundet durchgehend, nicht zur Mutter zu wollen und lehnt sogar Umgangskontakte ab.

Der Sachverständige kommt zu dem eindeutigen Ergebnis, dass diese Willensbekundungen durch die Familie des Kindesvaters fremdbestimmt sind (S. 82 ff. des Gutachtens, Bl. 238 ff.).

Furcht, Ablehnung und Feindseligkeit gegenüber der Mutter habe nicht festgestellt werden können. B habe sich im Beobachtungszeitraum nie selbst negativ über die Mutter geäußert. Das wird auch durch die Anhörung B durch den Vorsitzenden des Senates bestätigt. B erklärte zwar auch dort ihre Ablehnung hinsichtlich Kontakten zu ihrer Mutter, sie konnte aber keine konkrete Situation benennen, in der sie mit der Mutter negative Erfahrungen gemacht hätte.

Tatsächliche Vorbehalte, die aus eigenem Erleben resultieren, hat ? gegenüber der Mutter nicht. Wenn sie aus ihrer Blockadehaltung herausgeführt wird, wird schnell deutlich, dass sie eine gute Beziehung zu der Mutter unterhält.

Bestätigt wird das durch die Beobachtungen des Sachverständigen anlässlich eines gemeinsamen Besuchskontaktes im Kindergarten F (S. 51 ff. des Gutachtens, Bl. 207 ff. d.A.).

Nachdem B zunächst recht reserviert war, entspannte sie sich nach kurzer Zeit und beteiligte sich am Spiel.

Die Entwicklung zum Ende des Kontaktes beschreibt der Sachverständige wie folgt (S. 55 d.Gutachtens, Bl. 211 d.A.):

" B bewegte sich gegen Schluss der Beobachtungssequenz sehr frei und entspannt. Sie kommunizierte spannungsfrei und inhaltlich mit der Km. Es waren keinerlei Anspannungen mimischer und körperlicher Art zu beobachten. Vielmehr hatten sich alle Kinder auf eine spielerische Zeit mit der Km eingelassen, während dessen sie mit ihrer Mutter über Inhalte ihres Tuns ins Gespräch kamen und sich im Austausch über Regel und Grenzen befanden."

Zu Recht weist das Jugendamt darauf hin, dass auch N, solange er im Haushalt des Vaters lebte, nicht bereit war, freiwillig in den Haushalt der Mutter zu wechseln. Nachdem der Wechsel dennoch vollzogen worden ist, fühlte er sich aber bereits noch am selben Tage sehr wohl und spielte ungezwungen und unbeschwert im Haushalt der Mutter. Nunmehr bekundet er eindeutig, sich bei der Mutter sehr wohl zu fühlen.

Es ist zu erwarten, dass B, die nur wenig älter ist als N und ähnliche Erfahrungen gemacht hat wie ihr Bruder, auf einen Wechsel in ähnlicher Weise reagieren wird.

Zusammenfassend steht es zur vollen Überzeugung des Senats fest, dass es der Entwicklung der Kinder sehr förderlich ist, wenn sie in Zukunft zusammen mit der Kindesmutter leben und von dieser betreut werden.

Ihr war das gesamte Sorgerecht zu übertragen, da eine Verständigung zwischen den Parteien über einzelne Kindesbelange nicht möglich ist. Diese Einschätzung des Jugendamtes und des Sachverständigen wurde eindrücklich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt.

Für eine Einschränkung des Aufenthaltsbestimmungsrechts dahingehend, dass das Jugendamt diesbezüglich gleichberechtigt als Pfleger eingesetzt wird, sieht der Senat keine Veranlassung .

Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a FGG.

Ende der Entscheidung

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