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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 27.11.2006
Aktenzeichen: 6 U 64/97
Rechtsgebiete: StVO, BGB, StVG, PflVersG


Vorschriften:

StVO § 9 Abs. 5
StVO § 25 Abs. 3
BGB § 254
BGB § 286
BGB § 288
BGB § 823 Abs. 1
StVG § 7
StVG § 9
StVG § 18
PflVersG § 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 19. Dezember 1996 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Hagen wird zurückgewiesen.

Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten können die Vollstreckung abwenden gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils beizutreibenden Betrages, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschwer der Beklagten: über 60.000,00 DM.

Tatbestand:

Die im. Jahre 1910 geborene Klägerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch aus Anlaß eines Verkehrsunfalles, der sich am 30.03.1991 gegen 11.25 Uhr in xxx der xxx ereignete und bei dem die Klägerin als Fußgängerin verletzt wurde.

Mit dem bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversicherten Pkw der Beklagten zu 2) befuhr der auf der Suche nach einem Parkplatz befindliche Beklagte zu 1) die für Begegnungsverkehr ausgelegte insgesamt 6 m breite Fahrbahn der xxx in Richtung der Kreuzung xxx der von rechts einmündenden untergeordneten xxx befindet sich zwischen Fahrbahn und Gehweg ein ca. 2,10 m breiter Parkstreifen, der mit Fahrzeugen besetzt war. Neben diesen parkenden Fahrzeugen hielt der Beklagte zu 1) im Bereich zwischen der Einmündung der xxx und der spätem Unfallstelle an, weil ein Pkw vor ihm ebenfalls angehalten hatte.

Die Klägerin, die etwa 25 m von der Einmündung der entfernt, von dem aus Fahrtrichtung des Beklagten zu 1). gesehen rechten Gehweg kommend xxx überqueren wollte, betrat zwischen den auf dem Parkstreifen stehenden Fahrzeugen hindurch die Fahrbahn hinter dem Pkw der Beklagten zu 2).

Der Fahrer eines der auf dem Parkstreifen stehenden Fahrzeuge beabsichtigte, den Parkstreifen zu verlassen und gab dem Beklagten zu 1) ein Zeichen, dieser möge etwas zurücksetzen. Dieser Aufforderung kam der Beklagte zu 1) 'nach. Beim Rückwärtsfahren traf er mit dem Heck des Pkw Audi gegen die auf der Fahrbahn befindliche Klägerin, die er bis dahin nicht wahrgenommen hatte. Die Klägerin stürzte auf die Fahrbahn und zog sich u.a. eine Schädelfraktur sowie eine contusio cerebri zu, weswegen sie stationär behandelt wurde.

Bis zu dem Unfall hatte sich die Klägerin nur gelegentlich in ambulanter ärztlicher Behandlung befunden. Sie hatte die in ihrem Einpersonenhaushalt anfallenden Arbeiten einschließlich der Einkäufe ohne fremde Hilfe erledigt, sich um ihr 10-Familien-Haus gekümmert und sogar die Verwaltung des Hauses einschließlich der Erstellung von Nebenkostenabrechnungen selbständig bewältigt.

Körperlich blieb sie auch nach dem Unfall rüstig, es stellte sich jedoch eine zeitliche und örtliche Desorientierung ein. Nach ihrer Entlassung aus der stationären Behandlung am 13.05.1991 kehrte sie zunächst in ihre eigene Wohnung zurück, wobei der Versuch unternommen wurde, sie nur stundenweise zu betreuen. Dies reichte jedoch zu ihrer Versorgung nicht aus, da sie zum Beispiel nicht einmal mehr in der Lage war, eine Mahlzeit aufzuwärmen. Durch eine im August 1991 erfolgte Unterbringung der Klägerin in eine Tagespflegestätte konnte ihre ordnungsgemäße Betreuung ebenfalls nicht sichergestellt werden, so daß sie am 27.09.1991 in ein Appartement außerhalb des Haupthauses eines Altenwohnheims einzog. Infolge ihrer Desorientiertheit vermochte sie jedoch auch die Wege zwischen dem Appartement und dem Haupthaus nicht ohne fremde Hilfe zurückzulegen, so daß sie am 18.10.1993 in das Haupthaus verlegt und seitdem dort gepflegt werden mußte.

Die Klägerin hat behauptet, bis zum Unfall habe sie keinerlei Probleme gehabt, sich im öffentlichen Straßenverkehr altersentsprechend normal zu bewegen. Bevor sie sich am 30.03.1991 auf die Fahrbahn bewegt habe, habe sie sich durch Blick nach rechts und links vergewissert, die Fahrbahn gefahrlos betreten zu können. Von links habe sich kein Fahrzeug genähert. Sie habe dann hinter dem Pkw der Beklagten zu 2) gestanden, als der Beklagte zu 1) zurückgesetzt habe. Die Klägerin hat gemeint, mit einem Rückwärtsfahren des Beklagten zu 1) habe sie nicht rechnen müssen, weil keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennbar gewesen seien, daß der Beklagte zu 1) etwa in eine freie Parklücke habe hineinfahren wollen.

Als unfallbedingten Schaden hat sie die von 1991 bis Juni 1996 zu ihrer Betreuung und Unterbringung getätigten Aufwendungen einschließlich der Kosten für die Anschaffung einiger Möbel geltend gemacht, worauf sie sich ersparte Aufwendungen für die eigene Wohnung und ihre Verpflegung hat anrechnen lassen.

Unter Berücksichtigung Von Teilzahlungen der Beklagten hat die Klägerin beantragt,

1.

die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie 169.562,70 DM nebst Zinsen abzüglich am 03.03.1995 geleisteter 18.193,99 DM zu zahlen,

2.

festzustellen, daß die Beklagten verpflichtet seien, als Gesamtschuldner sämtliche materiellen und immateriellen Schäden der Klägerin aus dem Unfallereignis vom 30.03.1991 ab dem 01.07.1996 zu tragen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergangen sind.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben ausgeführt, die Klägerin sei für den Beklagten zu 1) noch nicht sichtbar gewesen, als er zunächst angehalten habe. Als er zum Stillstand gekommen sei, habe sich die Rückseite des Audi etwa in gleicher Höhe mit der Vorderfront eines VW-Bulli befunden, der auf dem Parkstreifen gestanden habe und die Sicht auf den Gehweg und hinter dem Bulli befindliche Personen behindert habe. Durch Blick in Innen- und Außenspiegel habe sich der Beklagte zu 1) vergewissert, daß die Fahrbahn hinter dem Audi freigewesen sei, und habe dann im Schrittempo zwei bis drei Meter weit zurückgesetzt, wobei er die Klägerin übersehen habe. Diese müsse hinter dem VW-Bulli auf die Fahrbahn getreten sein. Die Beklagten haben gemeint, schweres Verschulden sei dem Beklagten zu 1) unter den gegebenen Umständen nicht anzulasten und die Klägerin treffe anspruchsminderndes Mitverschulden im Umfange von 1/3, weil sie unaufmerksam gewesen sein müsse, mit einem Rückwärtsfahren des Audi habe rechnen müssen und unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO die xxx nicht im Einmündungsbereich der xxx zu überqueren versucht habe, was im Hinblick auf die Verkehrslage und auch eine seit 1985 bekannte Sehschwäche der Klägerin geboten gewesen sei.

Im übrigen haben die Beklagten geltend gemacht, die Betreuungs- und Unterbringungskosten der Klägerin aus der Zeit bis zum 31.12.1994 seien zu 50% durch Vorerkrankungen der Klägerin notwendig geworden und ab dem 01.01.1995 würde die Klägerin auch dann pflegebedürftig geworden sein, falls es nicht zu dem Unfall vom 30.03.1991 gekommen wäre.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen neurochirurgischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. med. xxx vom 01.06.1996 und hat der Klage sodann im wesentlichen stattgegeben.

Dem Grunde nach ist es von einer Alleinhaftung der Beklagten ausgegangen, weil der Beklagte zu 1) beim Rückwärtsfahren unter Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht ausgeschlossen habe und Tatsachen, aus denen sich ein Mitverschulden der Klägerin ableiten lasse, nicht festgestellt werden könnten.

Es hat ferner sämtliche Aufwendungen der Klägerin als unfallbedingt eingetretenen Schaden angesehen, weil nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. med. xxx davon auszugehen sei, daß die Klägerin ohne die Verletzung, die sie sich bei dem Unfall zugezogen habe, der Betreuung und Heimunterbringung auch auf Dauer nicht bedurft haben würde.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Beklagten unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Sie meinen, es fehle an einer Grundlage für die Feststellung von Unfallverschulden des Beklagten zu 1), da die Klägerin bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Beklagte zu 1) seinen Entschluß, rückwärts zu fahren, spätestens unfallvermeidend habe rückgängig machen können, nicht sichtbar gewesen sei. Jedenfalls leiten sie ein erhebliches Mitverschulden der Klägerin insbesondere daraus ab, daß diese xxx nicht nahe der Einmündung der xxx zu überqueren versucht habe.

Die Beklagten behaupten nunmehr, ohne den Unfall vom 30.03.1991 würde die Klägerin schon ab dem 01.01.1994 pflegebedürftig geworden sein, und vertreten die Auffassung, soweit der Sachverständige Dr. xxx dies in seinem Gutachten nicht bestätigt habe, beruhe dies darauf, daß der Sachverständige von einem falschen Beweismaßstab ausgegangen sei.

Die Beklagten unterstellen ihre hälftige Schadensersatzverpflichtung, errechnen für die Zeit bis zum 31.12.1993 eine Restforderung der Klägerin in Höhe von 20.076,37 DM, auf die ihre spätere Zahlung in Höhe von 18.193,89 DM anzurechnen sei und

beantragen

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteil

1.

die Zahlungsklage abzuweisen, soweit die Beklagten zur Zahlung von mehr als 20.076,37 DM nebst 4% Zinsen seit dem 02.02.1995 abzüglich am 03.03.1995 geleisteter 18.193,99 DM verurteilt worden sind,

2.

die Feststellungsklage mit der Maßgabe teilweise abzuweisen, daß festgestellt werde, daß die Beklagten als Gesamtschuldner lediglich verpflichtet seien, der Klägerin sämtliche materiellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 30.03.1991 für die Zeit ab dem 01.07.1996 in Höhe von 50 % zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf öffentlichrechtliche Versicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat den Beklagten zu 1) zur Sachaufklärung gehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen xxx und xxx Einholung eines mündlichen Gutachtens des Sachverständigen xxx sowie Einholung einer ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme des Sachverständigen Dr. med. xxx.

Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme und des weiteren Vortrags der Parteien wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 05.05.1994 sowie vom 26.09.1996, den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die Sitzungsniederschriften des Senats zu den mündlichen Verhandlungen vom 08.12.1997 und vom 12.02.1998 einschließlich der hierzu gefertigten Berichterstattervermerke und der von dem Sachverständigen xxx überreichten Unterlagen sowie auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. xxx vom 01.06.1996 sowie dessen ergänzende Stellungnahme vom 13.01.1998.

Die Akte 66 Js 629/91 der Staatsanwaltschaft Hagen hat vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

A.

Dem Grunde nach sind die Beklagten gemäß §§ 823 Abs. 1 BGB, 7, 18 StVG, 3 PflVersG verpflichtet, den der Klägerin durch den Unfall vom 30.03.1991 entstandenen Schaden in vollem Umfange allein zu tragen.

I.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, daß der Beklagte zu 1) den Verkehrsunfall durch schuldhaftes Verkehrswidriges Verhalten verursacht hat. Unstreitig ist es zu dem Verkehrsunfall gekommen, während der Beklagte zu 1) mit dem Pkw der Beklagten zu 2) auf der xxx rückwärts gefahren ist. Gemäß § 9 Abs. 5 StVO mußte sich der Beklagte zu 1) dabei so verhalten, daß eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer aufgeschlossen war. Es kann dahinstehen, ob der Beklagte zu 1) entsprechend dem erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten vor dem Rückwärtssetzen lediglich in den Innen- und Außenspiegel geschaut hat oder ob er sich, wie er bei seiner Vernehmung durch den Senat angegeben hat, während des Rückwärtsfahrens auch nach hinten umgeschaut hat. Denn daß der Beklagte zu 1) den Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 5 StVO nicht entsprochen hat, ergibt sich allein schon daraus, daß er die Klägerin bis zum Unfallzeitpunkt in keiner Weise wahrgenommen hat. Dies wäre ihm nämlich bei korrektem Verhalten in jedem Falle möglich gewesen.

Der Pkw Audi ist mit der linken Rückseite gegen die auf der Fahrbahn befindliche Klägerin getroffen. Dies ergibt sich aus der Lage der in der Verkehrsunfallskizze dokumentierten Blutspur auf der Fahrbahn, die von der Kopfverletzung der Klägerin stammt, aus den von den Polizeibeamten unterhalb der linken Stoßstangenseite des Pkw vorgefundenen leichten Kratzern, die mit der Schienbeinverletzung der Klägerin korrespondieren, und der glaubhaften Aussage des Zeugen xxx der schon am 07.04.1991 im Ermittlungsverfahren mitgeteilt hat, er habe die Klägerin unmittelbar vor dem Unfall auf der Fahrerseite hinter dem Pkw auf der Straße stehen gesehen.

Wenn die Klägerin an der Stelle, an der sie von dem Pkw angefahren wurde, schon eine gewisse Zeit gestanden hätte, hätte der Kläger sie ebenso rechtzeitig wahrnehmen können wie dann, wenn sie sich erst im letzten Moment vor dem Unfall dorthin bewegt hat. Ohne Erfolg machen die Beklagten geltend, die Klägerin müsse so kurz vor der Kollision auf die Straße getreten sein, daß der Beklagte zu 1) von der Rückwärtsfahrt nicht mehr rechtzeitig habe Abstand nehmen können. Zu der Frage, wann und wie sich die Klägerin zu der Stelle begeben hat, von der sie von dem Pkw erfaßt wurde, haben die Zeugen xxx zwar keine Auskunft erteilen können. Gegen die Annahme, die Klägerin könne erst im letzten Moment vor dem Unfall auf die Straße getreten sein, spricht immerhin, daß der Zeuge xxx die Klägerin stehen gesehen hat und daß der Beklagte zu 1) die Klägerin, wenn er sich nach hinten umgeschaut hat, nicht wahrgenommen hat. Aber selbst wenn die Klägerin erst spät auf die Fahrbahn getreten ist, ist eine Unfallentwicklung, bei der der Beklagte zu 1) die Klägerin erst zu spät hätte wahrnehmen können, ausgeschlossen, und zwar selbst dann, wenn die Klägerin hinter einem die Sicht versperrenden VW Bulli den Parkstreifen überquert haben sollte. In Übereinstimmung mit der Aussage des Zeugen xxx hat der Sachverständige xxx auf der Grundlage einschlägiger Untersuchungen aus der Lage der Klägerin nach dem Unfall folgern können, daß die Klägerin beim Zusammentreffen mit dem Pkw nicht mehr in Bewegung war, sondern stand. Davon ausgehend ergibt sich, wie der Sachverständige xxx im einzelnen dargelegt hat, eine Unfallentwicklung, bei der der Beklagte zu 1) selbst bei für ihn günstigsten Annahmen die Klägerin rechtzeitig hätte wahrnehmen können und die Rückwärtsfahrt hätte unterbrechen sowie den Pkw rechtzeitig zum Stillstand bringen können.

Wenn der Beklagte zu 1) die Klägerin nicht gesehen hat, kommt als Ursache hierfür allenfalls eine Sichtbehinderung durch Bauteile des von ihm geführten Pkw, etwa Kopfstützen, in Betracht. Auch dies entlastet ihn jedoch nicht, weil er bei derartigen Sichtbehinderungen entweder von einem Rückwärtsfahren hätte Abstand nehmen müssen oder sich etwa durch Seitwärtsbewegung seines Kopfes freie Sicht hätte verschaffen müssen (vgl. KG VM 75, 92).

II.

Gemäß §§ 9 StVG, 254 BGB anspruchskürzendes Mitverschulden braucht sich die Klägerin nicht entgegenhalten zu lassen, so daß die Beklagten den Schaden der Klägerin allein zu tragen haben.

Ein Verstoß der Klägerin gegen das Gebot des § 25 Abs. 3 StVO, die Fahrbahn zügig zu überschreiten, kann nicht festgestellt werden. Zwar ist die Klägerin auf der Fahrbahn hinter dem Pkw der Beklagten zu 2) stehengeblieben. Es muß aber davon ausgegangen werden, daß die Klägerin hierzu Veranlassung hatte, weil sich von rechts ein Fahrzeug näherte, das sie an der Durchfahrt nicht behindern durfte. Denn sie hat, wie der Zeuge xxx bekundet hat, nach rechts geschaut, während sie auf der Straße stand.

Der Klägerin kann ferner nicht angelastet werden, sie habe die Fahrbahn trotz herannahenden bevorrechtigten Verkehrs betreten. Denn es steht nicht fest, daß aus ihrer Sicht herankommende Fahrzeuge schon wahrnehmbar waren, als sie die Fahrbahn betrat. Da die Zeugen xxx nichts dazu haben bekunden können, wann und wie sich die Klägerin auf die Fahrbahn begeben hat, kann mit den Aussagen dieser Zeugen nicht ausgeschlossen werden, daß der von dem Zeugen xxx geführte Pkw noch nicht sichtbar war, als die Klägerin mit dem Überqueren der Fahrbahn begann. Entsprechendes gilt für das möglicherweise aus der Gegenrichtung herankommende Fahrzeug, da diesbezüglich keinerlei nähere Informationen vorliegen.

Unfallverschulden der Klägerin, weil diese plötzlich' aus einem durch einen VW Bulli verdeckten Bereich des Parkstreifens auf die Fahrbahn getreten sei, kann ebenfalls nicht angenommen werden. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann nicht einmal festgestellt werden, welchen konkreten Weg die Klägerin gewählt hat. Außerdem ist unbekannt, wie sich die Klägerin vor dem Betreten der Fahrbahn verhalten hat, so daß auch nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie am Fahrbahnrand zunächst kurz stehengeblieben und für andere Verkehrsteilnehmer dort hinreichend lange zu sehen gewesen ist, selbst wenn der Beklagte zu 1) sie nicht wahrgenommen hat.

Auch darin, daß die Klägerin hinter zwei auf der Fahrbahn haltenden Pkw die Straße zu überqueren versucht hat, liegt kein fehlerhaftes Verhalten. Ohne auf Gegenteiliges hindeutende Umstände durfte die Klägerin darauf vertrauen, daß die Pkw stehenblieben oder ihre Fahrt in ursprünglicher Fahrtrichtung fortsetzen würden. Da der Parkstreifen vollständig besetzt war, bestand keine Veranlassung, anzunehmen, der Beklagte zu 1) werde sich nach hinten orientieren, um etwa einzuparken. Rückwärtsgefahren ist der Beklagte auch nur, weil ihm der Fahrer eines parkenden Fahrzeugs ein entsprechendes Handzeichen gegeben hat. Daß die Klägerin dieses Handzeichen hätte sehen können, kann nicht unterstellt werden. Es steht ferner nicht fest, ob sich das Motorgeräusch des Audi auffällig verstärkt hat, bevor der Beklagte zu 1) rückwärts setzte, noch, daß die Rückfahrscheinwerfer so frühzeitig aufgeleuchtet haben, daß die Klägerin sie noch vor Betreten der Fahrbahn sehen oder sich noch rechtzeitig aus dem Gefahrenbereich zum Fahrbahnrand zurückbewegen konnte.

Schließlich kann es der Klägerin nicht zum Vorwurf gemacht werden, die Fahrbahn außerhalb des Einmündungsbereiches der Mauerstraße zu überqueren versucht zu haben. Gemäß § 25 Abs. 3 StVO wäre sie hierzu nur verpflichtet gewesen, wenn die Verkehrslage es erfordert hätte. Davon kann jedoch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht ausgegangen werden. Daß zum Unfallzeitpunkt auf der xxx dichterer Verkehr geherrscht hat, ist nicht ersichtlich. Da, wie bereits ausgeführt, weder der vom Zeugen xxx gefahrene Pkw noch das möglicherweise aus der Gegenrichtung herannahende Fahrzeug sichtbar gewesen sein müssen, als die Klägerin zum Überqueren der Fahrbahn ansetzte, steht lediglich fest, daß sich zwei haltende Pkw auf der Fahrbahn befunden haben. Als belebte Stadtstraße stellte sich die xxx unter diesen Umständen nicht dar.

Aber auch im Hinblick auf die gesundheitliche Verfassung der Klägerin war das Überqueren der Fahrbahn an dieser Stelle nicht mit besonderen Schwierigkeiten und Gefahren verbunden, erforderte insbesondere nicht die Unterstützung der Klägerin durch eine Begleitperson. Die Klägerin war körperlich rüstig und zum zügigen Überqueren der Fahrbahn mit altersentsprechender Gehgeschwindigkeit in der Lage. Ihre akustische Wahrnehmungsfähigkeit war ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen Dr. xxx. Zutreffend weisen die Beklagten zwar darauf hin, daß die Klägerin im Jahre 1990 einmal gegenüber dem Arzt Dr. xxx von einer seit 1985 bestehenden und seit 1988 zunehmenden Sehschwäche des linken Auges berichtet hat sowie darüber, daß sie sich auf der Straße unsicher ("wie betrunken") fühlte. Es steht aber nicht fest, daß sich diese gesundheitlichen Beschwerden auf das hier zu beurteilende Unfallgeschehen ursächlich ausgewirkt haben. Die Tatsache, daß die Klägerin nach rechts blickend auf der Fahrbahn stehengeblieben ist, spricht eher dafür, daß sie die Verkehrssituation so, wie sie sich ihr bot, zutreffend wahrgenommen und bedacht hat. Abgesehen davon hat die Untersuchung des Sachverständigen Dr. xxx ergeben, daß eine erhebliche Visusminderung ausschließlich des linken Auges vorgelegen hat, während wesentliche Störungen der Sehfähigkeit des rechten Auges nicht gegeben waren.

Nach alledem läßt sich anspruchsminderndes Mitverschulden der Klägerin nicht feststellen. Aber selbst wenn man der Klägerin vorhalten wollte, sie habe die wenn auch eher fernliegende Möglichkeit, daß der Beklagte zu 1) rückwärtsfahren und sie, die Klägerin, übersehen werde, in ihre Überlegungen einbeziehen und die Fahrbahn an anderer Stelle überqueren müssen, würde dies an der Alleinhaftung der Beklagten nichts ändern, weil das darin liegende Verschulden der Klägerin als so gering zu bewerten wäre, daß es angesichts des groben Unfallverschuldens des Beklagten zu 1) außer Betracht zu bleiben hätte. Das Rückwärtsfahren mit einem Pkw ist generell mit besonderen Gefahren verbunden. Da der Beklagte zu 1) auf einer nur 6 m breiten innerörtlichen Fahrbahn mit Gehwegen, Geschäften und dichter Bebauung auf beiden Straßenseiten zurücksetzte, mußte er auch in besonderer Weise auf die Straße querende Fußgänger eingestellt sein. Sein Fahrfehler wiegt daher besonders schwer, während der Klägerin allenfalls angelastet werden könnte, ein aus ihrer Sicht unwahrscheinlich erscheinendes gravierendes Fehlverhalten des Beklagten zu 1) nicht einkalkuliert zu haben.

B.

Zu Recht hat das Landgericht somit die Verpflichtung der Beklagten festgestellt, der Klägerin sämtliche materiellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 30.03.1991 für die Zeit ab dem 01.07.1996 zu ersetzen.

Aber auch dagegen, daß das Landgericht die in der Zeit vom 01.01.1994 bis zum 30.06.1996 entstandenen Heimpflegeaufwendungen der Klägerin dem von den Beklagten zu tragenden unfallbedingten Schaden hinzugerechnet hat, wenden sich die Beklagten ohne Erfolg, weil unter Würdigung aller Umstände davon ausgegangen werden muß, daß diese Kosten unfallbedingt entstanden sind und nicht auch ohne den Unfall hätten aufgebracht werden müssen (§ 287 ZPO).

Zum Unfallzeitpunkt war die Klägerin zwar schon 80 Jahre alt und hätte am 01.01.1994 bereits ihr 83. Lebensjahr vollendet gehabt. Aber auch bei Personen dieser Altersstufe kann es nicht als zum gewöhnlichen Lauf der Dinge gehörend angesehen werden, daß sie sich in eine Heimbetreuung begeben müssen. Vielmehr muß im Einzelfall geprüft werden, ob eine Heimunterbringung auch ohne den Unfall erforderlich geworden wäre, wobei sich der Nachteil einer Unaufklärbarkeit dieser Frage zu Lasten des Schädigers auswirkt (vgl. BGH r+s 95, 181, 182 m.w.N.). Die Feststellung, daß die Klägerin auch ohne den Unfall vom 30.03.1991 vor dem 01.07.1996 wegen Altersabbaus und/oder sonstiger Beeinträchtigungen einer Heimbetreuung bedurft hätte, kann hier jedoch nicht getroffen werden, weil die geistige und körperliche Verfassung der Klägerin vor dem Unfall zu einer entsprechenden Schlußfolgerung nicht berechtigt. Daß es sich bei der Klägerin um eine körperlich rüstige Person handelte, wird daran deutlich, daß sie bis zu dem Unfall ihre Einkäufe noch selbst erledigen konnte und sich nach dem Unfall von ihren sehr erheblichen Verletzungen sowie von späteren schweren Belastungen durch eine Anfang 1994 eingetretene Thrombose, eine Lungenentzündung sowie eine Gallen- und Blinddarmoperation jeweils körperlich gut erholt hat. Aber auch die sonstige Leistungsfähigkeit der Klägerin ließ die Notwendigkeit einer Heimpflege nicht erwarten. Zwar litt die Klägerin seit 1985 an einer Sehstörung auf dem linken Auge. Auch berichtet der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. xxx schon in einem Schreiben vom 25.09.1990 über eine computertomographisch diagnostizierte allgemeine Hinrarthrophie und spricht in seiner Stellungnahme vom 23.01.1992 von einer unfallunabhängigen fortgeschrittenen Hirnarthrophie mit Zeichen der Mikroangiopathie. Gleichwohl hat die Klägerin bis zum Unfalltage in ihrer Wohnung allein gelebt, selbst eingekauft, sich um die Verwaltung ihres 10-Familien-Wohnhauses gekümmert, Belange ihrer Mieter wahrgenommen und zum Teil sogar noch die Nebenkostenabrechnung erstellt. In seinem für die Beklagte zu 3) erstatteten Gutachten vom 02.07.1992 hat denn auch der Sachverständige Professor Dr. xxx auf der Grundlage eines Computertomogramms neueren Datums eine über das Altersmaß hinausgehende fortgeschrittene Hirnarthrophie verneint, den Unfall vom 30.03.1991 als alleinige Ursache des festgestellten hirnorganischen Psychosyndroms bezeichnet und ausgeführt, die Frage, ob und gegebenenfalls ab wann es auch ohne das Unfallereignis zur Pflegebedürftigkeit der Klägerin gekommen wäre, lasse sich nicht beantworten.

Der Sachverständige Dr. xxx hat seinem in erster Instanz erstatteten Gutachten vom 01.06.1996 ausgeführt, computertomographische Untersuchungen ergäben bei älteren Menschen nicht selten Bilder mit ausgeprägter Hirnathrophie und Zeichen von Mikroangiopathien, ohne daß bei den entsprechenden Patienten irgendeine Form der Hirnleistungsschwäche nachgewiesen werden könne. Berücksichtigend, daß die Klägerin bis zu dem Unfall absolut selbständig hat leben können und daß die Befunde aus der Zeit vor dem Unfall weder von Verwirrtheit, Gedächtnisstörungen oder Desorientiertheit der Klägerin sprechen, hat dieser Sachverständige ebenso wie bereits der Sachverständige Professor xxx den Unfall vom 30.01.1991 als alleinigen Grund für die Pflegebedürftigkeit der Klägerin angesehen und - nach dem gesamten klinischen Bild - keine Anhaltspunkte dafür gefunden, daß die Pflegebedürftigkeit der Klägerin auch ohne den Unfall eingetreten sein würde. Diese Einschätzung hat der Sachverständige Dr. xxx in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13.01.1998 noch einmal bestätigt und verdeutlicht, daß ein unfallunabhängiger Eintritt der Pflegebedürftigkeit nicht einmal annähernd wahrscheinlich ist. Der Senat folgt den Ausführungen des Sachverständigen Dr. xxx; da dieser Sachverständige die Beweisfragen ausführlich und überzeugend beantwortet hat und seine Darlegungen im übrigen im Einklang stehen mit dem Gutachten des Sachverständigen Professor Dr. xxx vom 02.07.1992.

Als unfallbedingt notwendige Kosten der Klägerin hat das Landgericht unter Berücksichtigung ersparter Eigenaufwendungen für die Zeit bis Juni 1996 187.160,56 DM errechnet, so daß sich nach Abzug der vorprozessualen Zahlungen der Beklagten ein Betrag in Höhe von 169.062,70 DM ergibt. Die angesetzten Beträge sind zwischen den Parteien unstreitig. Wegen der Berechnung der Anspruchshöhe wird daher auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Der Zinsanspruch der Klägerin beruht auf §§ 286, 288 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 97, 708 Nr. 10, 711, 546 ZPO.

Ende der Entscheidung

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