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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 02.05.2006
Aktenzeichen: 6 W 8/06
Rechtsgebiete: BGB, EGBGB, StPO


Vorschriften:

BGB § 195 n.F.
BGB § 204 a.F.
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 1 n.F.
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 15 n.F.
BGB § 204 Abs. 2 Satz 1 n.F.
BGB § 207 n.F.
BGB § 208 n.F.
BGB § 208 Satz 1 n.F.
BGB § 823
BGB § 847 Abs. 2
BGB § 852 a.F.
BGB § 2046 a.F.
EGBGB Art. 229 § 6
StPO § 404 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.

Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe ohne Anordnung von Ratenzahlungen bewilligt.

Ihr wird Rechtsanwältin in beigeordnet.

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Die am 23.09.1982 geborene Klägerin wurde vom Beklagten - ihrem damaligen Stiefvater - in einem Zeitraum von mehreren Jahren, der sich bis Anfang Mai 1997 hinzog, in einer Vielzahl von Einzelfällen sexuell missbraucht. Das Landgericht Münster (1 KLs - 53 Js 351/01 - 30/02) verurteilte den Beklagten deswegen am 18.03.2003 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren. Die Entscheidung wurde durch Beschluss des BGH vom 07.01.2004 rechtskräftig. In dem Strafverfahren sah das Gericht von einer Entscheidung über den am 17.03.2003 gestellten Adhäsionsantrag der Klägerin ab.

Diese beantragte am 09.11.2005 Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der sie den Beklagten auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes von mindestens 15.000,00 Euro in Anspruch nehmen will.

Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, der Schmerzensgeldanspruch sei verjährt; der Klägerin komme insbesondere nicht die Neuregelung der Verjährungshemmung für Opfer von Sexualdelikten in § 208 BGB n.F. (Hemmung der Verjährung bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres) zugute, denn das neue Recht könne nur für Hemmungstatbestande gelten, die zum 01 01.2002 noch nicht abgeschlossen gewesen seien, die zunächst bestehende Hemmung gemäß §§ 852, 2046 BGB a.F. habe aber mit der Vollendung des 18. Lebensjahres der Klägerin am 23.09.2000 ihr Ende gefunden.

II.

Die sofortige Beschwerde, mit der die Klägerin ihren Prozesskostenhilfeantrag weiterverfolgt, ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

1.

Der Schmerzensgeldanspruch der Klägerin beruht auf §§ 823, 847 Abs. 2 BGB. Die Verjährungsfrist beträgt nach den insoweit übereinstimmenden Regelungen in § 852 BGB a.F., § 195 BGB n.F. drei Jahre. Ihr Lauf war anfangs ensprechend § 204 BGB a.F. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres der Klägerin am 23.09.2000 gehemmt. Sie lief dann für 14 Monate und eine Woche, bis am 01.01.2002 die neuen Verjährungsvorschriften des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (SMG) in Kraft traten. Dazu gehörte auch die neue Vorschrift des § 208 Satz 1 BGB n.F.; nach der die Verjährung von Ansprüchen wegen der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres des Gläubigers gehemmt ist.

Entgegen der dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegenden Auffassung kommt die Neuregelung der Klägerin zugute.

Das intertemporale Verjährungsrecht des SMG ist in Art. 229 § 6 EGBGB geregelt. Gemäß Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift sind grundsätzlich die neuen Verjährungsregeln auf alle Ansprüche anzuwenden, die am Stichtag (01.01.2002) bestanden haben und - wie hier - noch nicht verjährt waren. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz enthält das in Abs. 1 Satz 2 dieser Vorschrift niedergelegte Stichtagsprinzip, das für den Verjährungsbeginn, die Hemmung, die Ablaufhemmung und den Neubeginn der Verjährung gilt. Es besagt,

- dass vor dem Stichtag abgeschlossene Tatbestände dem alten Recht unterliegen,

- dass dann, wenn tatbestandsrelevante Umstände zeitlich über den Stichtag hinausreichen, ihre Folgen ab dem 01.01.2002 dem neuen Recht unterliegen,

- dass Tatbestände, die vollständig nach dem Stichtag verwirklicht werden, ebenfalls dem neuen Recht unterliegen und

- dass neu geschaffene, dem alten Recht unbekannte Hemmüngsgründe erst ab diesem Zeitpunkt dazu führen, dass der Ablauf der Verjährung hinausgeschoben wird (vgl. Heß, NJW 02, 253, 257 unter IV 2; Grothe, in: MüKo zum BGB, 4. Aufl., 2006, Art. 229 § 6 EGBGB, Rdn. 6).

Um einen Fall der letztgenannten Art handelt es sich hier, denn die in § 208 Satz 1 BGB n.F. getroffene Regelung hat im alten Recht keine Entsprechung, insbesondere nicht in § 204 BGB a.F., wo - ähnlich wie in der Neuregelung des § 207 BGB n.F. - die Hemmung der Verjährung aus familiären oder ähnlichen Gründen geregelt war.

Die Hemmungsregelung in § 208 Satz 1 8GB n.F. hebt dagegen unabhängig von familiären Beziehungen allein auf das Alter des Opfers einer Tat ab, durch die die sexuelle Selbstbestimmung verletzt worden ist. Damit handelt es sich um einen neuen, dem alten Recht unbekannten Hemmungsgrund.

Die Auslegung der Neuregelung anhand des Normzweckes (Opferschutz, vgl. BTDrucksache 14/1752 S. 181) ergibt, dass auch nach altem Recht entstandene und noch nicht verjährte Ansprüche erfasst werden sollten.

Das bedeutet hier, dass mit dem Eintritt des Stichtages die Verjährung erneut gehemmt wurde.

Bevor diese auf § 208 Satz 1 BGB n.F. beruhende Hemmung am 23.09.2003 mit der Vollendung des 21. Lebensjahres der Klägerin endete, war am 17.03.2003 durch den Adhäsionsantrag der Klägerin gemäß § 404 Abs. 2 StPO i.V.m. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB n.F. ein neuer Hemmungstatbestand verwirklicht worden. Die dadurch bewirkte Hemmung überdauerte gemäß § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB n.F. die am 07.01.2004 eingetretene Rechtskraft des Strafurteils um sechs Monate, also bis zum 07.07.2004. Von da an lief die Verjährung, von der bis dahin 14 Monate und eine Woche verstrichen waren, weiter, bis 16 Monate und zwei Tage später am 09.11.2006 der PKH-Antrag der Klagerin bei Gericht einging. Da dessen Bekanntgabe am 14.11.2005 und damit "demnächst" i.S.v. § 204 Abs. 1 Nr. 15 BGB n.F. veranlasst wurde, ist seit dem Antragseingang die Verjährung wieder gehemmt, so dass die dreijährige Verjährungsfrist bisher nicht abgelaufen ist.

2.

Auch hinsichtlich der Höhe hat die beabsichtigte Klage Aussicht auf Erfolg (zur Schmerzensgeldbemessung bei Verletzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung vgl. Jaeger, VersR 03, 1372).

3.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO; Nr. 1811 der Anlage 1 zum GKG.

Ende der Entscheidung

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