Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.06.2009
Aktenzeichen: I-15 Wx 312/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 2084
BGB § 2096
BGB § 2349
BGB § 2352
1) Der Zuwendungsverzicht eines durch Übertragung unter Lebenden begünstigten Abkömmlings kann Anknüpfungspunkt für eine ergänzende Auslegung der Schlusserbeinsetzung in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament sein, die zum Wegfall der erfolgten Ersatzerbenberufung der Abkömmlinge des Verzichtenden führt.

2) Für die Auslegung kommt es maßgeblich darauf an, ob die Abfindung so werthaltig ist, dass sich das vom Willen der Erblasser getragene Verteilungskonzept realisiert. Eine vom Verzichtenden übernommene Rentenverpflichtung zugunsten des überlebenden Ehegatten, die er aus den Erträgnissen des lebzeitig übertragenen Vermögens tragen kann, mindert aus dieser Sicht die Vollwertigkeit der Abfindung nicht.


OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

I-15 Wx 312/08 OLG Hamm

In der Nachlasssache

hat der 15.Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16.06.2009 auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) vom 21.10.2008 gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 18.09.2008 durch

beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die der Beteiligten zu 1) im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen außergerichtlichen Kosten werden dem Beteiligten zu 2) auferlegt.

Der Gegenstandswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 127.500 € festgesetzt.

Gründe:

I.)

Aus der Ehe der Erblasserin mit dem vorverstorbenen Herrn K G sind die Beteiligte zu 1) und ein Sohn, Herrn K G hervorgegangen. Der Beteiligte zu 2) ist der Sohn des M G.

Die Erblasserin und ihr Ehemann hatten 1971 ein gemeinschaftliches notarielles Testament errichtet. In diesem setzten sie sich wechselseitig zu Alleinerben und ihre beiden Kinder zu Schlusserben zu gleichen Teilen ein. Für den Fall, dass eines ihrer Kinder "wegfallen" sollte, bestimmten sie dessen eheliche Abkömmlinge zu Ersatzerben.

Das Vermögen der Eheleute bestand schon damals zum ganz überwiegenden Teil aus zwei Grundstücken. Das Grundstück G-Straße 140/142 war und ist mit einem Mietshaus mit acht Wohneinheiten und einem gesonderten Wohnhaus bebaut, wobei auch das Wohnhaus seinerzeit u.a. zum Betrieb einer Arztpraxis vermietet war. Das Grundstück F-Straße 26 ist mit einem Zweifamilienhaus bebaut. Das Grundstück G-Straße stand im Alleineigentum des Ehemannes, das weitere Grundstück im hälftigen Miteigentum der Eheleute. Nach dem Tod des Ehemannes wurde die Erblasserin als Alleineigentümerin in beiden Grundbüchern eingetragen.

Durch notariellen Vertrag vom 21.12.1979 übertrug die Erblasserin das Eigentum an dem Grundstück G-Straße mit Zustimmung der Beteiligten zu 2) auf ihren Sohn, den Vater des Beteiligten zu 2). In dem Vertrag übernahm dieser die auf dem Grundstück lastenden Grundpfandrechte, die nach seinem bestrittenen Vorbringen seinerzeit mit rund 42.000 € bzw. dem entsprechenden DM-Betrag valutierten. Weiter verpflichtete er sich, an die Erblasserin eine monatliche Rente von 1.500 DM zu zahlen. Zur Absicherung dieser Verpflichtung wurde die Eintragung einer Rentenreallast bewilligt, die auch eingetragen wurde. In § 6 des vorgenannten Vertrages verzichtete der Vater des Beteiligten zu 2) auf sämtliche Erb- und Pflichtteilsansprüche nach seiner Mutter und erklärte sich wegen Erb- und Pflichtteilsansprüchen nach seinem verstorbenen Vater und wegen seiner künftigen Erb- und Pflichtteilsansprüche nach seiner Mutter für vollständig abgefunden.

In der Folgezeit wurde der Vater des Beteiligten zu 2) als Eigentümer im Grundbuch eingetragen und zahlte der Erblasserin bis zu ihrem Tod die vereinbarte Rente.

Nach dem Tod der Erblasserin hat die Beteiligte zu 1) die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Alleinerbin nach ihrer Mutter ausweist. Nachdem der Vater des Beteiligten zu 2) der Erteilung eines solchen Erbscheins zwar widersprochen, diesen Widerspruch aber nicht fristgerecht begründet hatte, hat das Amtsgericht den Erbschein antragsgemäß erteilt. Hiergegen haben sukzessive M G, zwei uneheliche Kinder desselben und der Beteiligte zu 2) selbst Beschwerden mit dem Antrag erhoben, den Erbschein einzuziehen. Das Amtsgericht hat den Wert der beiden Grundstücke für den Stichtag der Übertragung des Grundstücks G-Straße gutachterlich feststellen lassen. Nach den Ergebnissen des Sachverständigen betrug der Wert des Grundstücks G-Straße (ohne Belastungen) 312.000 €, derjenige des Grundstücks F-Straße 255.000 €.

Das Amtsgericht hat zunächst einen Vorbescheid erlassen, den das Landgericht auf Beschwerde der vorgenannten Rechtsmittelführer aus verfahrensrechtlichen Gründen aufgehoben hat. Daraufhin hat das Amtsgericht die Beschwerde durch Beschluss vom 20.03.2008 "verworfen bzw. zurückgewiesen". Hiergegen hat der Beteiligte zu 2) Beschwerde erhoben, die das Landgericht zurückgewiesen hat. Gegen die Zurückweisung seiner Beschwerde wendet sich der Beteiligte zu 2) mit der weiteren Beschwerde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Darstellung in der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

II.)

Die weitere Beschwerde ist nach den §§ 27, 29 FGG statthaft sowie formgerecht eingelegt.

Die Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 2) ergibt sich daraus, dass seine Erstbeschwerde ohne Erfolg geblieben ist.

In der Sache ist die weitere Beschwerde unbegründet, da die Entscheidung des Landgerichts nicht auf einer Verletzung des Rechts beruht, § 27 Abs.1 FGG. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Landgericht zutreffend von einer zulässigen Erstbeschwerde ausgegangen. Dabei kann dahinstehen, ob der amtsgerichtliche Beschluss vom 20.03.2008 eher als Zurückweisung des Antrags auf Einziehung des Erbscheins oder als Nichtabhilfeentscheidung hinsichtlich der ursprünglichen Beschwerden gegen die Erteilung des Erbscheins anzusehen ist. In beiden Fällen ist dem Landgericht aufgrund eines einheitlichen Rechtsschutzbegehrens, das nur noch der Beteiligte zu 2) weiterverfolgt, derselbe Beschwerdegegenstand angefallen. Auch in der Sache hält die landgerichtliche Entscheidung der rechtlichen Prüfung jedenfalls im Ergebnis stand.

Zu Recht ist die Kammer zunächst davon ausgegangen, dass die Beteiligte zu 1) aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments aus 1971 Alleinerben geworden ist, wenn nicht der Beteiligte zu 2) und ggf. seine Halbgeschwister Ersatzerben nach ihrem Vater geworden sind.

Keinen rechtlichen Bedenken begegnet zunächst die Annahme des Landgerichts, dass der Vater des Beteiligten zu 2) im Rahmen des Übertragungs- und Abfindungsvertrages auch einen Zuwendungsverzicht im Sinne des § 2352 BGB erklärt hat. Dahinstehen kann dabei, ob der Beteiligte zu 2), der seine Beschwerdebefugnis (§ 20 Abs. 1 FGG) nur aus einer Ersatzerbenstellung anstelle seines Vaters herleiten kann, eine andere Auslegung überhaupt geltend machen könnte. Nach der Rechtsprechung des Senats wird der Prüfungsumfang des Beschwerdegerichts nämlich durch die Beschwerdebefugnis des Rechtsmittelführers begrenzt. Die Frage kann jedoch dahinstehen, da die Auslegung der Verzichtserklärung durch das Landgericht auch in sachlicher Hinsicht beanstandungsfrei ist. Zu Recht hat das Landgericht auf den Wortlaut der Erklärung abgestellt, der einen möglichst umfassenden Verzicht beinhaltet (zu diesem Aspekt vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2002, 292). Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass den Beteiligten des Vertrages das gemeinschaftliche Testament bekannt war, bestehen, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, keine konkreten Anhaltspunkte, die ein anderes Verständnis nahe legen könnten.

Rechtlich beanstandungsfrei ist auch die Auffassung des Landgerichts, dass eine ergänzende Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments hier ergibt, dass der Zuwendungsverzicht des Vaters auch zum Wegfall der Ersatzerbenberufung des Beteiligten zu 2) führt. Zutreffend ist zunächst der rechtliche Ansatz des Landgerichts. Nach der Rechtsprechung und nach der h.M. in der Literatur erstreckt sich die Wirkung des Zuwendungsverzichts eines Abkömmlings nicht auf die Abkömmlinge des Verzichtenden. § 2349 BGB, der anordnet, dass bei einem Verzicht eines Abkömmlings oder eines Seitenverwandten des Erblassers auf das gesetzliche Erbrecht sich die Wirkung dieses Verzichts grundsätzlich auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt, findet auf den Zuwendungsverzicht mangels einer entsprechenden Verweisung in § 2352 BGB keine Anwendung (NJW 1958, 347; Senat OLGZ 1982, 272ff; OLG Köln FamRZ 1990, 99ff; OLG Frankfurt FamRZ 1998, 57ff; BayObLG RPfleger 1984, 65f; NJW-RR 1997, 1027; OLG München DNotZ 2006, 68f; MK-BGB/Strobel, 4.Aufl., § 2352 Rdn.13; a.A. etwa Staudinger/Schotten, BGB Neubearb. 2004; § 2352 Rdn.34ff m.w.N.).

Richtig ist weiter, dass bei der vorliegenden Fallkonstellation zu prüfen ist, ob sich im Wege -ggf. ergänzender- Testaments- bzw. Vertragsauslegung ein (hypothetischer) Wille des oder der Testatoren oder der Parteien des Erbvertrages dahingehend feststellen lässt, dass mit dem Zuwendungsverzicht des Erben auch eine etwaige Ersatzerbfolge seiner Abkömmlinge ausgeschlossen sein soll (OLG Stuttgart OLGR 1998, 111; Senat a.a.O.; OLG Köln a.a.O.; BayObLG a.a.O.). Die Auslegungsnotwendigkeit ergibt sich in den Fällen, in welchen mehrere Testamentserben vorhanden sind (vgl. hierzu OLG Frankfurt a.a.O.), und der Zuwendungsverzicht gegen Abfindung erklärt wird. Denn jedenfalls bei einer Ersatzerbeneinsetzung nach Stämmen spricht viel dafür, dass es der Vorstellung des oder der Erblasser entspricht, das Vermögen entsprechend den angeordneten Erbquoten auf die Stämme zu verteilen. Wird nun ein Erbe im Austausch gegen einen Zuwendungsverzicht aus dem späteren Nachlassvermögen abgefunden, würden aber gleichwohl seine Abkömmlinge als Ersatzerben die ihm zugewandte Erbquote erhalten, dann würde dieses Verteilungsgefüge gestört. Kann von einer vollständigen Abfindung des verzichtenden Erben ausgegangen werden, wird daher ein allgemeiner Erfahrungssatz angenommen, dass sich ein hierfür erklärter Zuwendungsverzicht nach dem Willen des oder der Testatoren auch auf den gesamten Stamm erstreckt, die Ersatzerbenanordnung für diesen Fall also nicht gelten soll (BGH NJW 1974, 44ff).

Von diesen Grundsätzen ist das Landgericht vorliegend ausgegangen. Das von ihm gefundene Auslegungsergebnis, dass nämlich die Erblasserin und ihr Ehemann, hätten sie die Möglichkeit eines Zuwendungsverzichts gegen (volle) Abfindung bedacht, diesen Fall von der Ersatzerbeneinsetzung ausgenommen hätten, ist nach dem Inhalt des gemeinschaftlichen Testaments und dem Vortrag der Beteiligten zu den Vorstellungen der Eheleute möglich und alleine deshalb für den Senat bindend. Auch die weitere Beschwerde erhebt insoweit keine Einwendungen.

Die weitere Beschwerde wendet sich vielmehr allein gegen die Annahme, dass tatsächlich eine vollständige Abfindung erfolgt ist. Der Beteiligte zu 2) meint, dass vom Verkehrswert des seinem Vater übertragenen Grundstücks die übernommenen Valuten der Belastungen sowie die Rentenverpflichtung, die er kapitalisiert mit 114.000 € beziffert, abgezogen werden müssten. Diese Rüge der weiteren Beschwerde ist unbegründet.

Das Landgericht ist insoweit davon ausgegangen, dass es für die Vollwertigkeit der Abfindung nicht auf die objektiven Wertverhältnisse ankommt, sondern auf die subjektive Sicht der Parteien des Abfindungsvertrages. Diese Auffassung wird in der Literatur vertreten (Staudinger/Otte, BGB, Neubearb. 2003, § 2069 Rdn.15). In der Rechtsprechung wird hingegen, soweit sich den Entscheidungen eine Auffassung hierzu entnehmen lässt, auf die objektiven Wertverhältnisse abgestellt (insbes. OLG Köln a.a.O.). Die Frage bedarf vorliegend indes keiner Entscheidung, denn hier ist auch nach den objektiven Werten von einer vollständigen Abfindung auszugehen.

Insoweit ist daran zu erinnern, dass sich der Bestand der Ersatzerbeneinsetzung im Falle des Zuwendungsverzichts nach dem (hypothetischen) Willen der Testatoren richtet. Zu fragen ist daher, ob die Abfindung so werthaltig ist, dass sich das vom Willen der Erblasser getragene Verteilungskonzept realisiert. Im Rahmen dieses gedanklichen Ansatzes ist die Rentenverpflichtung des Vaters des Beteiligten zu 2) wertmäßig nicht von dem Grundstückswert abzuziehen.

Den Eltern der Beteiligten zu 1) kam es nach dem Inhalt des gemeinschaftlichen Testaments ersichtlich darauf an, dass zunächst der überlebende Ehegatte das gesamte Vermögen erhalten sollte. Bis zu seinem Ableben sollten die Kinder, wie die Pflichtteilstrafklausel zeigt, tunlichst nicht an dem Nachlass partizipieren. Mit dem Tod des Letztversterbenden sollten die Kinder bzw. deren Stämme gleiche Teile des Nachlasses erhalten.

Bei dieser Sachlage kann eine Rentenverpflichtung, die ein Schlusserbe im Rahmen einer vorweggenommenen Abfindung gegenüber dem Erblasser übernimmt, nicht auf das Erhaltene angerechnet werden, wenn er diese Verpflichtung unschwer aus den Erträgnissen des ihm übertragenen Vermögensgegenstandes erbringen kann, ohne auf sonstiges eigenes Vermögen zurückgreifen zu müssen. Denn da diese Rentenverpflichtung mit dem Tod des Erblassers wegfällt, ist ihre wirtschaftliche Wirkung so, als hätte der Erblasser sich einen Teil der Erträgnisse für seine Lebensdauer vorbehalten. Eben dies entspricht hier jedoch der oben beschriebenen Regelung des gemeinschaftlichen Testaments, wonach der Erblasserin als dem überlebenden Ehegatten das gemeinschaftliche Vermögen für ihren Unterhalt zur Verfügung stehen und die gleichberechtigte wirtschaftliche Teilhabe der Kinder erst mit dem Schlusserbfall Bedeutung erlangen sollte.

Vorliegend waren die Mieterträge aus dem übertragenen Grundstück mehr als doppelt so hoch wie die übernommene Rentenverpflichtung. Dass der Vater des Beteiligten zu 2) gleichwohl auf eigenes Vermögen hätte zurückgreifen müssen, um die Rentenverpflichtung zu erfüllen, erscheint danach als ausgeschlossen. Entsprechendes ist auch nicht dargetan worden.

Auch wenn man danach davon ausgeht, dass von dem Wert des übertragenen Grundstücks (312.000 €) die valutierenden Belastungen mit rund 42.000 € abzuziehen sind, so verbleibt ein Abfindungswert von rund 270.000 €, dem steht der Wert des der Beteiligten zu 1) verbleibenden Grundstücks von 255.000 € gegenüber. Dass zum Nachlassvermögen noch weitere erhebliche Vermögensgegenstände gehörten, die für die Sichtweise der Erblasser von Bedeutung hätten sein können, ist nicht dargetan und auch sonst nicht ersichtlich.

Die Entscheidung über die Erstattung außergerichtlicher Kosten beruht auf der zwingenden Vorschrift des § 13a Abs.1 S.2 FGG.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf §§ 131, 30 KostO.

Ende der Entscheidung

Zurück