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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 27.08.2004
Aktenzeichen: 14 Wx 21/04
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 1960 Abs. 1 | |
BGB § 1960 Abs. 2 |
2. Für die Annahme einer Gefährdung des Nachlasses bedarf es konkreter Anhaltspunkte, die über die bloße Unsicherheit darüber, wer Erbe geworden ist, hinausgehen.
3. Ein Sicherungsbedürfnis besteht nicht, wenn der Nachlaß durch einen vertrauenswürdigen und hierzu befähigten Erbprätendenten verwaltet wird.
4. Hat der den Nachlaß verwaltende Erbprätendent - mit der Folge, daß gutgläubiger Erwerb möglich geworden ist - die Umschreibung von Grundstücken auf sich erwirkt und hat sich das im Nachlaß befindliche Geldvermögen wesentlich vermindert, so bedarf die Verneinung eines Sicherungsbedürfnisses der Begründung.
Oberlandesgericht Karlsruhe 14. Zivilsenat Beschluß
Geschäftsnummer: 14 Wx 21/04
27. August 2004
Nachlaßsache
Hier: Weitere Beschwerde der Beteiligten Nr. 2 und Nr. 3 gegen den Beschluß des Landgerichts Freiburg vom 26.02.2004 - 4 T 326/03 -
Tenor:
1. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten Nr. 2 und Nr. 3 wird der Beschluß der 4. Zivilkammer des Landgerichts Freiburg vom 26.02.2004 - 4 T 326/03 - aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Freiburg zurückverwiesen.
2. Der Geschäftswert wird für das Verfahren der weiteren Beschwerde auf 100.000,00 € festgesetzt.
Gründe:
I.
1. Die am 21.07.2001 im Alter von 97 Jahren verstorbene Erblasserin war kinderlos, ihr Ehemann war vorverstorben. Die Eheleute hatten sich in einem notariellen Ehe- und Erbvertrag vom 02.07.1952 gegenseitig zum unbeschränkten Alleinerben eingesetzt (I 9). Unter Bezugnahme hierauf haben sie in zwei wortgleichen, vom Ehemann (I 11) bzw. der Ehefrau (I 13) geschriebenen und jeweils von beiden unterschriebenen eigenhändigen Testamenten vom 12.10.1983 verfügt:
"....
Hiermit schließen wir, A.G. und Frau M. geb. H., unsere Brüder a) G.G., sowie seine Adoptivtochter R., b) C.H., sowie seine Ehefrau E., geb. T., von der gesetzlichen Erbfolge aus.
...."
Mit öffentlichem Testament vom 03.11.1997 (I 15/19; Leseabschrift I 21/23) hat die Erblasserin die Beteiligte Nr. 1 zur Alleinerbin eingesetzt und den Beteiligten Nr. 2 und Nr. 3 jeweils 100.000,00 DM als Vermächtnis zugewendet. Die Beteiligten Nr. 1 bis Nr. 3 sind Abkömmlinge des Bruders der Erblasserin, C. H..
2. Anders als die Beteiligte Nr. 1 selbst halten die Beteiligten Nr. 2 und Nr. 3 die Einsetzung ihrer Schwester zur Alleinerbin mit der Begründung für unwirksam, die Erblasserin sei bei Errichtung des Testaments vom 03.11.1997 testierunfähig gewesen. Unter dem 31.01.2002 haben sie gegen die Beteiligte Nr. 1 zum Landgericht Freiburg Klage auf Feststellung erhoben, daß sie die Erblasserin neben der Beteiligten Nr. 1 zu je 1/3 beerbt haben. In diesem Verfahren - 14 O 29/02 - hat das Landgericht ein schriftliches psychiatrisches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S. zur Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin eingeholt (Gutachten vom 15.10.2003); in der mündlichen Verhandlung vom 23.01.2004 hat der Einzelrichter in Anwesenheit des Sachverständigen mehrere Zeugen gehört und die schriftliche Ergänzung des Sachverständigengutachtens angeordnet.
3. Auf Anregung des Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten Nr. 2 und Nr. 3 hat das Nachlaßgericht durch Beschluß vom 21.11.2003 Nachlaßpflegschaft (Wirkungskreis: Besitznahme und Verwaltung des Nachlasses) angeordnet und den Beteiligten Nr. 4 zum Nachlaßpfleger bestellt. Zur Begründung hat es ausgeführt, aufgrund des im Verfahren 14 O 29/02 Landgericht Freiburg erstatteten psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Schröder - dieses sei zum Ergebnis gekommen, daß die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments am 03.11.1997 aus gerontopsychiatrischer Sicht testierunfähig gewesen sei - werde die Alleinerbenstellung der Beteiligten Nr. 1 zumindest erschüttert, so daß der Erbe unbekannt sei. Für die Sicherung des Nachlasses bestehe ein Bedürfnis, weil die Beklagte Nr. 1 den gesamten Nachlaß in Besitz genommen habe und ihre Geschwister ersichtlich davon ausschließen wollte; in den Grundbüchern von Sulzburg sei sie als Alleineigentümerin des dort bezeichneten Grundbesitzes eingetragen, so daß sie hierüber verfügen könne und ein gutgläubiger Dritter Eigentum erwerben würde.
4. Gegen den Nachlaßpflegschaft anordnenden Beschluß hat die Beteiligte Nr. 1 mit Anwaltsschriftsätzen vom 03.12.2003 (II 1/7) und nochmals vom 04.12.2003 Beschwerde eingelegt.
5. Mit Beschluß vom 05.03.2004 hat das Landgericht den Beschluß des Nachlaßgerichts vom 21.11.2003 mit der Begründung aufgehoben, der Erbe der Erblasserin sei zwar unbekannt, es fehle aber an einem Bedürfnis für eine Nachlaßsicherung. Hiergegen richtet sich die mit Anwaltschriftsatz vom 08.03.2004 eingelegte weitere Beschwerde der Beteiligten Nr. 2 und Nr. 3, mit der sie die Anweisung an das Nachlaßgericht erstreben, erneut Nachlaßpflegschaft anzuordnen und einen Nachlaßpfleger zu bestellen. Die Beteiligte Nr. 1 ist dem Rechtsmittel entgegengetreten, der Beteiligte Nr. 4 hat sich im Verfahren der weiteren Beschwerde nicht geäußert. Den zunächst gestellten Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung haben die Beteiligten Nr. 2 und Nr. 3 unter dem 28.06.2004 zurückgenommen.
II.
Das gemäß den §§ 27 Abs. 1, 29 FGG zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Dieses hat die Voraussetzungen für die Anordnung einer Nachlaßpflegschaft in rechtsfehlerhafter Weise verneint.
1. Gemäß § 1960 Abs. 1 und Abs. 2 BGB kann das Nachlaßgericht dem - wie hier -unbekannten Erben einen Nachlaßpfleger bestellen, soweit hierfür ein Bedürfnis besteht. Ob dies der Fall ist, ist vom Standpunkt des Nachlaßgerichts bzw. des im Beschwerdeverfahren an dessen Stelle getretenen Beschwerdegerichts aus zu beurteilen und zwar nach dem Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Entscheidung über die Sicherungsmaßnahme (vgl. KG, Rpfleger 1982, S. 184; OLG Karlsruhe, FGPrax 2003, S. 229 ff., 230; Palandt/Edenhofer, BGB, 63. Aufl. 2004, Rdn. 4 zu § 1960; Staudinger/Marotzke, BGB, 2000, Rdn. 13 zu § 1960). Dabei unterliegt die Beurteilung dieser Frage dem pflichtgemäßen Ermessen der Tatsacheninstanzen (Plandt/Edenhofer, a.a.O., Rdn. 4 zu § 1960; Tidow, Die Anordnung der Nachlaßpflegschaft gemäß § 1960 BGB, Rpfleger 1991, S. 400 ff., 404; vgl. auch KG, OLGZ 1971, S. 210 ff., 212; OLG Köln, OLGZ 1989, S. 144 ff., 148). Sie kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob das Beschwerdegericht sein Ermessen ausgeübt oder die Notwendigkeit dazu verkannt hat, ob es die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen einen Sinn und Zweck des Gesetzes zuwiderlaufenden Gebrauch gemacht hat, von ungenügenden oder verfahrenswidrig zustandegekommenen Tatsachenfeststellungen ausgegangen ist, wesentliche Umstände unerörtert gelassen hat oder Umstände mitberücksichtigt hat, die nicht berücksichtigt werden dürfen (Meyer-Holz, in: Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl. 2003, Rdn. 23 zu § 27 m.w.N.).
2. Im vorliegenden Fall ist dem Senat eine Überprüfung der angefochtenen Entscheidung dahingehend, ob das Landgericht überhaupt ein Ermessen ausgeübt hat und - wenn ja - auf welcher Tatsachengrundlage dies erfolgt ist und ob es dabei die der Ermessensausübung gezogenen Grenzen eingehalten hat, nicht möglich.
a) Ein Sicherungsbedürfnis besteht, wenn ohne Eingreifen des Nachlaßgerichts der Bestand des Nachlasses gefährdet wäre (OLG Düsseldorf, FamRZ 1995, S. 895 ff.; 896), was sich nach dem Interesse des endgültigen Erben beurteilt (Palandt/Edenhofer, a.a.O., Rdn. 6 zu § 1960). Für die Annahme einer Gefährdung des Nachlasses bedarf es konkreter Anhaltpunkte, die - was sich schon aus der gesetzlichen Regelung unmittelbar ergibt - über die bloße Unsicherheit darüber, wer Erbe ist, hinausgehen (vgl. OLG Düsseldorf, FamRZ 1998, S. 583 f.). Wird der Nachlaß durch eine vertrauenswürdige und hierzu befähigte Person verwaltet, so besteht kein Sicherungsbedürfnis und damit kein Anlaß für die Anordnung einer Nachlaßpflegschaft. Dabei kann es sich bei dem "Verwalter" um einen vom Erblasser Bevollmächtigten (vgl. OLG Karlsruhe, FGPrax 2003, S. 229 ff., 230), aber auch um einen Erbprätendenten handeln (OLG Düsseldorf, FamRZ 1998, S. 583 f., 584; Staudinger/Marotzke, a.a.O., Rdn. 14 zu § 1960; Leipold, in: Münchener Kommentar BGB, 3. Aufl. 1997, Rdn. 20 zu § 1960; zweifelnd freilich Soergel/Stein, BGB, 13. Aufl. 2002, Rdn. 10 zu § 1960).
b) Von diesen Grundsätzen ist das Landgericht zwar zutreffend ausgegangen. Indessen beschränkt sich die Begründung, mit der es ein Sicherungsbedürfnis verneint, auf die lapidare Feststellung, vorliegend seien "keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß das in den Nachlaß fallende Grundstück" (gemeint ist möglicherweise: "die in den Nachlaß fallenden Grundstücke") "nicht ordnungsgemäß verwaltet wird" (werden), ferner "... ebensowenig (sei) ersichtlich, daß hinsichtlich des beweglichen Vermögens Interessen des wahren Erben gefährdet sein könnten".
Diesen Ausführungen ist nicht zu entnehmen, ob und ggf. welche Bedeutung das Landgericht dem sich aus dem die Nachlaßpflegschaft anordnenden Beschluß des Nachlaßgerichts ergebenden Umstand beigelegt hat, daß die Beteiligte Nr. 1 die Umschreibung der drei Grundstücke in S. (Blätter 514, 177 und 294) auf sich beantragt und erwirkt hat mit der Folge, daß gutgläubiger Erwerb möglich geworden ist. - Hinsichtlich der Buchlage bzgl. des Grundstücks in G. hat das Landgericht - was in Hinblick auf den die Grundstücke in S. betreffenden Hinweis des Nachlaßgerichts nahegelegen hätte - offenbar keine Ermittlungen angestellt, zumindest ist dem angefochtenen Beschluß selbst wie auch den Akten hierfür nichts zu entnehmen, erst recht nichts dafür, welche Bedeutung etwa gewonnenen Erkenntnissen in Hinblick auf ein Sicherungsbedürfnis beigelegt wurde. - Weiter ist nicht ersichtlich, wie das Landgericht zu seiner Beurteilung kam, für eine Gefährdung von Vermögensinteressen des wahren Erben in bezug auf das bewegliche Vermögen sei nichts ersichtlich. Im Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten Nr. 2 und Nr. 3 vom 12.02.2004 (II 243) ist nämlich vorgetragen, daß sich nach Auskunft des Nachlaßpflegers im Nachlaß, zu dem ein Geldvermögen von 550.000,- € gehört habe, nur noch "ein kleines Mietzinskonto und ein Kautionssparbuch eines Mietverhältnisses" befinde. Daß das Landgericht diesem Hinweis nachgegangen wäre, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls ist das Ergebnis etwaiger Nachforschungen und die daraus vom Landgericht in Hinblick auf ein Sicherungsbedürfnis gezogener Schlüsse nicht mitgeteilt.
3. Da sonach nicht auszuschließen ist, daß die angefochtene Entscheidung auf Ermessensfehlern beruht, war sie aufzuheben.
Eine eigene Entscheidung des Senats ist nicht möglich, da es noch weiterer Ermittlungen bedarf. Die Sache war daher an das Landgericht zurückzuverweisen. Dieses wird die noch erforderlichen Tatsachenfeststellungen zu treffen haben und auf deren Grundlage sein Ermessen in nachprüfbarer Weise auszuüben haben.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird gemäß den §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 1 KostO auf 100.000,00 € festgesetzt.
Ende der Entscheidung
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