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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 07.07.2006
Aktenzeichen: 19 W 23/06
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 45 Abs. 3 | |
ZPO § 568 Satz 2 |
Einer Zurückverweisung zur Nachholung der Kammerentscheidung bedarf es nicht, wenn über die Beschwerde der Senat nach § 568 Satz 2 ZPO entscheidet.
Oberlandesgericht Karlsruhe
19. Zivilsenat in Freiburg
Beschluss
Geschäftsnummer: 19 W 23/06
07. Juli 2006
In dem Rechtsstreit
wegen Richterablehnung
Tenor:
Auf die Beschwerde des Beklagten zu 1 wird der Beschluss des Landgerichts vom 3.01.2006 aufgehoben und der Befangenheitsantrag gegen Richter am Amtsgericht D. zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Soweit die Entscheidung auf der Annahme beruht, § 45 Abs. 3 ZPO begründe die Zuständigkeit der Kammer für Ablehnungsgesuche, wird die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Der Beschwerdewert wird mit 100.- € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Beschwerde wendet sich gegen die Zurückweisung eines Befangenheitsantrags gegen den - zur Entscheidung über die Ablehnung des Direktors des Amtsgerichts ... berufenen - Richter am Amtsgericht D. Da das Amtsgericht über keinen weiteren Richter verfügt, war das Landgericht Konstanz zur (Erst-) Entscheidung berufen.
Der Beschwerdeführer macht geltend, das Landgericht habe zu Unrecht durch den Einzelrichter entschieden und in der Sache verkannt, dass das Kollegialitätsverhältnis zwischen dem Abgelehnten und dem ebenfalls abzulehnenden Direktor des Amtsgerichts eine unbefangene und objektive Entscheidung nicht erwarten lasse. Schließlich begründe die falsche Sachbehandlung des abgelehnten Richters in einem anderen - bereits abgeschlossenen - Verfahren die Besorgnis, auch in diesem Fall werde nicht korrekt und zum Nachteil des Beschwerdeführers entschieden.
Zugleich mit seiner Beschwerde lehnt der Beklagte zu 1 auch den entscheidenden Einzelrichter des Landgerichts wegen Besorgnis der Befangenheit ab; dieser Antrag ist, bevor das Landgericht die Akten zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt hat, nicht mehr beschieden worden.
II.
Die statthafte (§§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 46 Abs. 2 ZPO), innerhalb der Fünf-Monatsfrist des § 569 Abs. 1 S. 2 ZPO eingelegte Beschwerde ist zulässig, da mangels Zustellung der Entscheidung die kurze Beschwerdefrist nicht in Lauf gesetzt worden ist (§ 569 Abs. 1 S. 2 ZPO). Einer Zulässigkeit steht auch nicht entgegen, dass die Beschwerde durch einfache Beschwerdeschrift, nicht mittels Anwaltsschriftsatzes eingelegt ist (§§ 569 Abs. 3 Nr.1, 44 Abs. 1, 78 Abs. 5 ZPO).
Die Beschwerde ist in der Sache ohne Erfolg, da die Entscheidung des Landgerichts zwar aufgrund eines Verfahrensfehlers aufzuheben, im Ergebnis das Ablehnungsgesuch aber als unbegründet zurückzuweisen ist.
Zu Recht rügt der Beschwerdeführer, über das Ablehnungsgesuch habe verfahrensfehlerhaft anstatt der Kammer der Einzelrichter entschieden.
Gem. § 45 Abs. 3 ZPO entscheidet in den Fällen, in denen das zunächst angerufene Gericht durch Ausscheiden des abgelehnten Mitglieds beschlussunfähig wird, das im Rechtszug zunächst höhere Gericht. Im vorliegenden Fall war deshalb das Landgericht Konstanz anstelle eines Richters des nur mit den beiden abgelehnten Richtern besetzten Amtsgerichts zur Entscheidung berufen.
Die Frage, ob in den Fällen des mit Zivilprozessreformgesetz geänderten § 45 ZPO für den Fall der landgerichtlichen Zuständigkeit der Einzelrichter oder die Kammer für das Ablehnungsgesuch zuständig ist, ist sowohl für die Fälle des § 45 Abs. 1 ZPO als auch des § 45 Abs. 3 ZPO von den Obergerichten in der Vergangenheit unterschiedlich beurteilt worden (Köln OLGR 2005, 481; Frankfurt OLGR 2004, 271; Schleswig OLGR 2005, 10; Oldenburg OLGR 2005, 82 und NJW-RR 2005, 1660; Karlsruhe OLGR 2003, 523 und 2004, 490; KG NJW 2004, 2104).
Im Schrifttum hingegen wird - jedenfalls für die Fälle des § 45 Abs. 1 ZPO - überwiegend die Ansicht vertreten, die Kammer sei für diese Entscheidung zuständig (Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl., § 45 Rdn. 4; HK-ZPO/Kayser, § 45 Rdn. 2; Musielak/Smid, ZPO, 4. Aufl., § 45 Rdn. 2; Stein-Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 45 Rdn. 1; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 27. Aufl., § 45 Rdn. 1; Zimmermann, ZPO, 7. Aufl., § 45 Rdn. 1; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 45 Rdn. 2; a.A. Fölsch, SchlHAnz 2004, 137 ff; Vossler MDR 2006, 304).
Der Meinungsstreit, der sich auf die Zuständigkeit für Ablehnungsgesuche gegen einen Einzelrichter des Landgerichts bezieht (§ 45 Abs. 1 ZPO), ist zwischenzeitlich - für die Rechtsprechung - mit Beschluss des BGH vom 6.04.2006 (V ZB 194/05) entschieden. Darin hält der BGH fest, dass die Zivilkammer ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters und nicht der Einzelrichter zu entscheiden habe. Dies folge daraus, dass sich die Zuständigkeit allein nach § 45 Abs. 1 ZPO beurteile und die Regelungen der §§ 348, 348 a ZPO eine Zuständigkeit des Einzelrichters nicht begründeten. § 45 Abs. 1, 2 ZPO enthalte insoweit selbständige Regelungen über die Bestimmung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG), während die §§ 348 f. ZPO das vom Ablehnungsverfahren verschiedene Hauptsacheverfahren beträfen. Aus dem Wortlaut des § 45 Abs. 1 ZPO wie auch der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/3750) folge eine Zuständigkeit des Kollegialorgans (BGH a.a.O. unter III. 2.a.bb.). Dies entspreche auch dem Gesetzeszweck, der darauf abziele, dass nicht derjenige Richter über eine Ablehnung entscheiden solle, der für den Fall der Begründetheit des Gesuchs zur Fortführung des Hauptsacheverfahrens berufen wäre. Zur Frage der Entscheidungszuständigkeit bei § 45 Abs. 3 ZPO verhält sich der Beschluss nicht.
Für die Entscheidungszuständigkeit der Kammer und nicht des Einzelrichters in den Fällen der Beschlussunfähigkeit des nachgeordneten Amtsgerichts (§ 45 Abs. 3 ZPO) kann mit den vom BGH angeführten Gründen nichts anderes gelten.
Auch § 45 Abs. 3 ZPO trifft eine selbständige, von den Regelungen des Hauptsacheverfahrens unabhängige Regelung zur Bestimmung des gesetzlichen Richters, so dass die §§ 348 f ZPO auch in diesem Zusammenhang einer Kammerzuständigkeit nicht entgegenstehen (a.A.: Karlsruhe OLGR 2003, 196).
Darüber hinaus folgt aus der Gesetzesbegründung, dass eine Änderung der Zuständigkeit der Kammer (und nicht des Einzelrichters) - wie sie § 45 Abs. 1, 2. Hs ZPO a.F. vorsah - mit der Neufassung nicht einhergehen sollte. In der Begründung heißt es lediglich, dass wegen der Änderung der Zuständigkeiten bei Befangenheitsanträgen gegen Amtsrichter (§ 45 Abs. 2 ZPO) das bisher in § 45 Abs. 1 2. Hs. ZPO a.F. für den Fall der Beschlussunfähigkeit des Amtsgerichts vorgesehene Verfahren beizubehalten und neu in Abs. 3 (n.F.) zu regeln sei (BT-Drs. 14/3750, zu Nr. 4, S. 49). Auch für § 45 Abs. 3 ZPO ist deshalb davon auszugehen, dass der Wille des Gesetzgebers dahin ging, die bisherige sich auf die Zuständigkeit der Kammer beziehende Rechtsprechung zu bestätigen und fortzuführen (BGH, Beschluss vom 6.04.2006, a.a.O.) Gegen eine Beibehaltung der Zuständigkeit der Kammer spricht auch nicht die mit der Gesetzesänderung in § 45 Abs. 2 ZPO erstrebte Vereinfachung und Beschleunigung des Ablehnungsverfahrens bei den Amtsgerichten. Diese wird nämlich nicht durch die Einzelrichterzuständigkeit des (ohnehin nur als Einzelrichter fungierenden) Amtsrichters, sondern vielmehr dadurch erreicht, dass eine Vorlage der Akten beim nächsthöheren Gericht und die damit einhergehende Verzögerung vermieden wird. Ist aber eine Vorlage wegen Beschlussunfähigkeit des Amtsgerichts und deshalb eine Übersendung der Akten ohnehin erforderlich, wird der Beschleunigungszweck nicht durch die Annahme einer Kammerzuständigkeit konterkariert. Dabei ist schon zweifelhaft, ob die beabsichtigte Verfahrensvereinfachung durch die Bestimmung einer Einzelrichterzuständigkeit erreicht werden sollte, wogegen spricht, dass dies für § 45 Abs. 1 ZPO gerade nicht vorgesehen ist. Darüber hinaus treten in der Praxis durch den (ohne mündliche Verhandlung zu treffenden) Beschluss der Kammer anstatt des Einzelrichters keine nennenswerten Verzögerungen auf, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt nichts für die Entscheidungszuständigkeit des Einzelrichters spricht.
Die Entscheidung des Landgerichts ist aus den vorstehenden Gründen rechtsfehlerhaft und deshalb aufzuheben.
Von einer Zurückverweisung an das Landgericht ist dennoch abzusehen, da der Befangenheitsantrag (auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens) unbegründet ist und deshalb durch den Senat abschließend beschieden werden kann (Zöller - Gummer a.a.O. § 572 Rn. 23 m.N.).
Eine eigene Entscheidungskompetenz des Beschwerdegerichts ist auch in den Fällen wesentlicher Verfahrensfehler anzunehmen (Musielak-Ball a.a.O. § 572 Rn. 16). Dagegen spricht insbesondere nicht, dass sich grundsätzlich die fehlerhafte Annahme der Einzelrichterzuständigkeit (wegen § 568 ZPO) auch auf den gesetzlichen Richter im Beschwerdeverfahren auswirken kann (so: Celle OLGR 2003, 8). Im vorliegenden Fall entscheidet nämlich der Senat, dem gem. § 568 S. 2 Nr. 1 ZPO die Sache mit Beschluss vom 4.07.2006 zur Entscheidung übertragen worden ist und der auch bei verfahrensfehlerfreier Behandlung des Gesuchs zur Entscheidung berufen gewesen wäre. Der Verfahrensfehler kann sich im konkreten Beschwerdeverfahren also gerade nicht fortsetzen.
Das Verfahren ist auch nicht zur Nachholung des unterbliebenen Nichtabhilfebeschlusses an das Landgericht zurückzugeben. Vielmehr steht die Rückgabe im Ermessen des Beschwerdegerichts (Zöller-Gummer a.a.O. § 572 R. 4 m.N.). Die gebotene Beschleunigung des (durch verschiedene Befangenheitsanträge immer wieder verzögerten) Verfahrens sowie die Unbegründetheit des Befangenheitsgesuchs gebieten vielmehr, obwohl die Akten lediglich mit Übersendungsverfügung vom 26.4.2006 und ohne Beschluss nach § 572 S. 1, 1. HS ZPO vorgelegt worden sind, eine eigene Sachentscheidung des Senats. Zumal der Vereinfachungs- und Beschleunigungseffekt, den das Abhilfeverfahren verfolgt, bei einer Rückgabe gerade in sein Gegenteil verkehrt würde.
Das Ablehnungsgesuch gegen Richter am Amtsgericht D. ist unbegründet.
Anhaltspunkte, die ein Misstrauen in dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Die Annahme einer Befangenheit stützen lediglich objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken könnten, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber; rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen des Ablehnenden scheiden aus (BGH NJW-RR 2003, 1220). Darauf, dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen, hat bereits das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht verwiesen.
Allein die Tatsache, dass der abgelehnte Richter neben dem für das Hauptsacheverfahren zuständigen Direktor des Amtsgerichts, über dessen Befangenheit er zu entscheiden hat, einziger Richter ist, begründet die Besorgnis der Voreingenommenheit oder Parteilichkeit bei Entscheidung über ein Befangeneheitsgesuch gegen den Kollegen nicht. Folgte schon aus der Besetzung eines Amtsgerichts mit nur zwei Richtern per se (d.h. ohne dass weitere Umstände hinzutreten) eine Befangenheit des jeweils anderen, würde die Vorschrift des § 45 Abs. 3 ZPO weitestgehend leer laufen. Vielmehr ist eine Ablehnung auch in diesen Fällen nur dann berechtigt, wenn zusätzliche Anhaltspunkte - wie z.B. über die berufliche Zusammenarbeit hinausgehende persönliche Bindungen - vorliegen, die ein Misstrauen in die Unparteilichkeit bei der Befangenheitsentscheidung rechtfertigen können. Allein die Tatsache, dass RiAG Dold für den Fall der berechtigten Ablehnung als Vertreter berufen wäre, genügt hierfür nicht; zumal es sich weder um ein rechtlich noch tatsächlich schwieriges oder umfangreiches Verfahren handelt. Weitere Umstände hat der Beschwerdeführer jedoch weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.
Auch die Vorbefassung des Richters begründet grundsätzlich keine Befangenheit (Zöller-Vollkommer a.a.O. § 42 Rn. 18 m.N.), wobei - worauf das Landgericht mit zutreffenden Gründen, auf die Bezug genommen wird, bereits abgehoben hat - auch aufgrund der Art der Sachbehandlung im Vorprozess eine entsprechende Besorgnis nicht besteht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, da die Beschwerde in der Sache erfolglos bleibt.
Gem. § 574 Abs. 3, 2 ZPO ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Die Beschwerdeentscheidung beruht auf der entschiedenen Rechtsfrage, da der angefochtene Beschluss des Landgerichts aufgrund des Verfahrensfehlers aufzuheben ist.
Von grundsätzlicher Bedeutung ist die für die Aufhebung relevante Rechtsfrage zu § 45 Abs. 3 ZPO vor allem, weil sie den Problemkreis des gesetzlichen Richters betrifft. Auch hat die Entscheidung Einfluss auf die Geschäftsverteilungspläne der Instanzgerichte, die (aufgrund der Entscheidung des 9. Senats vom 30.01.2003 - OLGR Karlsruhe 2003, 196) jedenfalls im Bereich der Zuständigkeit des erkennenden Senats, von einer (generellen) Zuständigkeit des Einzelrichters ausgehen.
Ende der Entscheidung
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