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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 16.10.2000
Aktenzeichen: 2 Ws 304/00
Rechtsgebiete: GVG
Vorschriften:
GVG § 24 Abs. 1 Nr. 3 |
Zur besonderen Bedeutung im Sinne des § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG bei Anklage wegen Bestechlichkeit und Untreue gegen als Amtsträger in leitender Position Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmende Klinikärzte im Zusammenhang mit der Bestellung von Herzklappenimitaten.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 2. Strafsenat
2 Ws 304/99 IV AK 4/99
Strafsache gegen
wegen Vorteilsannahme
hier: §§ 210 Abs. 2 StPO, 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG (Besondere Bedeutung des Falles)
Beschluss vom 16. Oktober 2000
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Landgerichts vom 11. November 1999 aufgehoben, soweit das Verfahren vor dem Amtsgericht - erweitertes Schöffengericht - eröffnet wurde, und die Anklage der Staatsanwaltschaft zur Hauptverhandlung vor dem Landgericht - Große Strafkammer - zugelassen.
Die Hauptverhandlung findet in der Besetzung mit drei Berufsrichtern statt.
Im Falle ihrer Verurteilung haben die Angeklagten auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe:
Mit ihrer am 09.04.1999 zur Großen Strafkammer des Landgerichts erhobenen Anklage legt die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten Prof. Dr. zur Last, sich zwischen 1992 und 1994 in seiner Eigenschaft als Ärztlicher Direktor der Abteilung Herz- und Gefäßchirurgie - als Beamter auf Lebenszeit - in drei Fällen der Bestechlichkeit und in fünf weiteren Fällen der Untreue schuldig gemacht zu haben. Dem Mitangeklagten Dr. wird vorgeworfen, sich von 1991 bis 1994 in elf Fällen im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als angestellter Oberarzt des Abteilung Herz- und Gefäßchirurgie der Bestechlichkeit schuldig gemacht zu haben. Den Vorwürfen liegt zugrunde, dass Prof. Dr. in drei, Dr. in elf Fällen von der Vertragsfirma des Klinikums, der Firma M, finanzielle oder geldwerte Zuwendungen entweder unmittelbar oder mittelbar über das Konto der Fördergemeinschaft der beide Angeklagten angehörten, als Gegenleistung dafür angenommen haben sollen, dass sie bei diesem Unternehmen Bestellungen von Herzklappenimplantaten in pflichtwidriger Weise veranlasst hätten bzw. künftig veranlassen würden. In fünf weiteren Fällen soll Prof. Dr. veranlasst haben, dass Aufwandsentschädigungen der Firma M für die klinische Erprobung der Herzklappe die dem Klinikum Freiburg zugestanden hätten, anstatt auf das Drittmittelkonto der Abteilung auf das Konto einer Fördergemeinschaft (in Gesamthöhe von 7.750 DM) überwiesen wurden. Mit Beschluss vom 11.11.1999 hat die Große Strafkammer das Hauptverfahren gegen beide Angeklagte eröffnet und die Anklage zur Hauptverhandlung vor dem erweiterten Schöffengericht zugelassen. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die sich gegen den Eröffnungsbeschluss insoweit richtet, als die Strafkammer entgegen ihrem Antrag das Hauptverfahren vor dem erweiterten Schöffengericht eröffnet hat, ist gemäß § 210 Abs. 2 StPO statthaft. Sie ist auch begründet.
Die Staatsanwaltschaft hatte dem Fall "besondere Bedeutung" im Sinne von § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG beigemessen und demgemäß Anklage bei der Strafkammer erhoben. Bei der "besonderen Bedeutung des Falles" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der von der Staatsanwaltschaft auszulegen ist und unter den sie den konkreten Fall zu subsumieren hat. Die Richtigkeit dieser Auslegung und Subsumtion ist bei der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens und im Beschwerdeverfahren im vollen Umfang gerichtlich überprüfbar (BVerfG NJW 1959, 871; HansOLG Hamburg NStZ 1995, 252 f.; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 115 f.). Um diese Überprüfung zu ermöglichen, hat die Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebung die Umstände anzugeben, in denen sie die besondere Bedeutung sieht, sofern sie nicht offensichtlich sind. Solche Gründe wurden vorliegend teils in der Anklageschrift vom 06.04.1999 vorgebracht, teils sind sie sonst offensichtlich.
Von besonderer Bedeutung im Sinne von § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG, der verfassungsrechtlich unbedenklich ist (BVerfGE 9, 223 ff.), ist eine Sache, die sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen aus der Masse der durchschnittlichen Strafsachen nach oben heraushebt (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 24 GVG Rdn. 6; Kissel in KK-StPO 4. Aufl. § 24 GVG Rdn. 6; Siolek in Löwe-Rosenberg StPO 25. Aufl. § 24 GVG Rdn. 17). Die besondere Bedeutung kann sich insbesondere aus dem Ausmaß der Rechtsverletzung und den Auswirkungen der Straftat ergeben (OLG Düsseldorf NStZ 1990, 292; OLG Düsseldorf VRS 1985, 201). Dabei mißt beispielsweise die Rechtsprechung auch dem Interesse der Öffentlichkeit am Einzelfall - etwa aufgrund der hervorragenden Stellung eines Beteiligten im öffentlichen Leben - Bedeutung bei, was gerade dann die Annahme der "besonderen Bedeutung" rechtfertigt, wenn dadurch der Unrechtsgehalt der Tat erhöht wird (BGH NJW 1960, 542, 544; OLG Schleswig SchlHA 1967, 269). Auch der Umfang der Sache oder besondere Schwierigkeiten bei der Beweiswürdigung oder eine voraussehbar lange Verfahrensdauer können die "besondere Bedeutung" rechtfertigen (Siolek in LR 25. Aufl. § 24 GVG Rdn. 19 unter Aufgabe der in der 24. Aufl. § 24 GVG Rdn. 14 von Schäfer vertretenen Ansicht). Zwar gilt dies nicht, wenn die erhöhte Belastung des Schöffengerichtsvorsitzenden durch die Zuziehung eines zweiten Richters (§ 29 Abs. 2 StPO) ausgeglichen werden kann. Wenn freilich auch bei einer Verhandlung vor dem erweiterten Schöffengericht wegen des Umfangs der Sache mit einer langen Verhandlungsdauer zu rechnen ist, kann es im öffentlichen Interesse an der Beschleunigung von Verfahren geboten sein, den Fall vor die leistungsfähigere Große Strafkammer zu bringen (Rieß GA 1976, 23 Fn. 124; Siolek aaO Rdn. 19). In solchen Fällen gilt es, den in § 76 Abs. 2 GVG i.d.F.v. 11.01.1993 zum Ausdruck gekommenen, allgemein und schon vor Inkrafttreten des Rechtspflegeentlastungsgesetzes gültigen Grundsatz für die Anwendung des § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG zu beachten. Danach sind die beweglichen Zuständigkeitsregelungen im Hinblick auf die knappen Ressourcen der Rechtspflege sachgerecht so auszulegen, dass die Zuweisung umfangreicher Fälle mit besonderen Schwierigkeiten der Beweiswürdigung und daraus resultierender außerordentlich langer Verfahrensdauer an Gerichte höherer Ordnung geboten ist (HansOLG Hamburg NStZ 1995, 252 f.).
Die unter Berücksichtigung vorgenannter Grundsätze anzustellende Gesamtwürdigung (OLG Schleswig SchlHA 1967, 269) ergibt, dass vorliegend "besondere Bedeutung" i.S.d. § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG zu bejahen ist. Maßgeblich für die Beurteilung ist der Inhalt der bereits zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage, da der Eröffnungsbeschluss insoweit gemäß § 210 Abs.1 StPO unanfechtbar geworden ist. Alle der Anklageschrift vom 06.04.1999 zugrunde liegenden Taten sollen die Angeklagten im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Dienstes begangen haben - Prof. Dr. als beamteter Ärztlicher Direktor, Dr. als angestellter Oberarzt des Landes Baden-Württemberg - . Die von verschiedenen Herstellern angebotenen Herzklappen sollen von ihnen entweder selbst ausgewählt oder deren Bestellung veranlasst worden sein. Damit nahmen beide gem. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB als Amtsträger in leitender Position Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahr (vgl. OLG Frankfurt NStZ 1997, 200 f.; OLG Karlsruhe NJW 1983, 352 f; OLG Frankfurt NJW NJW 1983, 352 f; OLG Frankfurt NJW 1990, 2075). Allein dieser Umstand hebt die Straftaten von der Masse der durchschnittlichen Straftaten nach oben ab (BGHR GVG § 24 Abs. 1 Bedeutung 3). Dass der Angeklagte Prof. Dr. sich zwischenzeitlich im Ruhestand befindet, berührt deren Bedeutung nicht. Die den Angeklagten vorgeworfenen Verstöße sollen sich über Jahre hingezogen haben. Wenn ihnen auch im Einzelfall kein finanziell besonderes Gewicht beigemessen werden kann, so wird dieser Umstand durch die Vielzahl der Anklagepunkte aufgewogen (Herlan GA 1963, 100; Siolek aaO Rdn. 22; OLG Karlsruhe Justiz 1977, 278). Im Hinblick auf die Intensität der Verletzung der Dienstpflichten muss das beiden Angeklagten zum Vorwurf gemachte Verhalten ungeachtet des Zeitablaufs und sonstiger strafmildernder Gesichtspunkte als schwerwiegend eingestuft werden. Die der Anklage zugrunde liegenden Taten sind geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in die Integrität der öffentlichen Krankenhausverwaltung und -finanzierung zu erschüttern. Dem erheblichen Aufsehen, das das Geschehen in der Öffentlichkeit hervorgerufen hat und das den Fall zusätzlich aus der Masse der Strafverfahren hervorhebt, die dieselben Tatbestände betreffen (BGH NJW 1960, 542 ff.; BGHR GVG § 24 Abs. 1 Bedeutung 4 = NJW 1998, 2149), entspricht das beträchtliche Interesse der Medien. Bereits die von der Staatsanwaltschaft im Sonderheft "Presseheft" erfassten Presseartikel belegen die nachhaltige Wirkung des Geschehens auf die Berichterstattung, das im Hinblick auf die Drittmittelfinanzierung auch Auswirkungen auf die wissenschaftliche Diskussion in Fachzeitschriften erfahren hat (vgl. nur Walter ZRP 1999, 292 ff.; Dauster NStZ 1999, 63 ff.). Hinzu kommen der beträchtliche Umfang wie auch die Schwierigkeit der Sache. Die Staatsanwaltschaft hat zu Recht auf die Komplexität des Sachverhalts hingewiesen (Anklage S. 76). Der Angeklagte Prof. Dr. bestreitet, die in der Anklageschrift aufgeführten Beträge als Gegenleistung für Bestellungen der Produkte der Fa. M erhalten zu haben, Dr. hat bisher keine Angaben zur Sache gemacht. Für einen Schuldnachweis wird daher erforderlich sein, die Anklagepunkte vor dem Hintergrund der internen Strukturen der Verwaltung der Universitätsklinik, soweit diese die Bestellung von Herzklappen und die Drittmittelfinanzierung betreffen, in einer Hauptverhandlung aufzubereiten. Allein die in der Anklageschrift vom 06.04.1999 aufgeführten Beweismittel lassen eine - gemessen am amtsgerichtlichen Geschäftsbetrieb - außergewöhnlich lange Verhandlungsdauer erwarten. Im Hinblick auf das bisherige Verteidigungsverhalten der Angeklagten ist mit weiteren Beweisanträgen zu rechnen. Die dadurch bedingte erhöhte Belastung des Vorsitzenden des Schöffengerichts kann auch nicht durch einen zweiten Richter ausgeglichen werden. Der Umstand, dass ein Verfahren vor dem Amtsgericht einem Angeklagten den Vorteil von zwei Tatsacheninstanzen bietet, der ihm nicht ohne rechtfertigende Veranlassung entzogen werden darf, gebietet vorliegend eine Verhandlung vor dem Schöffengericht nicht. Denn dem Anliegen des Gesetzgebers, die knappen Ressourcen der Rechtspflege möglichst effektiv zu nutzen, kann nur dadurch Rechnung getragen werden, dass in diesem umfangreichen Verfahren die Zuständigkeit des leistungsfähigeren Landgerichts begründet wird. Dieses wird aus den genannten Umständen wegen Umfang und Schwierigkeit der Sache in der Besetzung mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen (§ 76 Abs. 1 und 2 GVG) zu verhandeln haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der §§ 473, 465 StPO.
Ende der Entscheidung
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